Der Pflegesektor – insbesondere die Altenhilfe – muss wirtschaftlich und handlungsfähig werden.
Das Credo „Privat vor Staat“, das sich durch das SGB XI zieht, ist nach 30 Jahren als gescheitert anzusehen.
Hauptprobleme
Einseitige Abhängigkeit:
Gewerbliche Anbieter sehen in der Pflegeversicherung (SGB XI) dauerhaft gesicherte Erlöse. Das verhindert einen fairen Markt und führt zu einer faktischen Sozialisierung der Zwangsbeiträge der Arbeitnehmer. Verleitet zu unwirtschaftlichem Verhalten.
Ungerechte Ansprüche:
Der gewerbliche Leistungsanspruch in doppelter Höhe
gegenüber
dem Geldleistungsanspruch des Versicherten bei anerkannter Pflegebedürftigkeit – ist unsozial. Wer die Pflege als An- oder Zugehöriger in der Häuslichkeit übernimmt, muss mit dem gesetzlichen Mindestentgelt von 16,10 € brutto pro Stunde entlohnt werden.
Marktverzerrungen
Die Öffnung des Altenhilfemarktes ist gescheitert!
- Privatinvestoren sollten 30 % der Bettplätze sichern. In manchen Regionen sind es nur noch 10 %.
- Einrichtungsträger verknappen den Markt bewusst, um der Kontrolle des Pflegeheimvergleichs (§ 92a SGB XI) zu entgehen und um die Gewinne zu sichern.
Strategien der Anbieter
Betreutes Wohnen:
Rechtlich für den Anbieter günstiger, es gelten weniger Vorschriften und um zusätzlich Leistungen nach SGB V (Krankenversicherung) zu nutzen. Die Rechte der Nutzer werden eingeschränkt, aus einem Vertrag werden drei bis vier (oft ungeprüfte) Verträge.
Integrierte Versorgung (§ 92b SGB XI):
Verträge können von Vorschriften (§§ 75, 85, 89) abweichen, wenn sie Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit verbessern. Der § 92b wurde zu Gunsten der Anbieter im Vorgriff der Reform neu eingeführt.
Wirtschaftliche Risiken
Instabile Lage:
Laut VKAD-Befragung bezeichnen 60 % der Pflegeanbieter ihre wirtschaftliche Situation als instabil.
Gründe:
- Fachkräftemangel (über 30 %)
- Zögerliches Zahlungsverhalten der Sozialhilfeträger (25 %)
- Lange Wartezeiten nach Pflegesatzverhandlungen (18 %)
Einseitige Forderungen:
Einrichtungsträger verlangen Rundumabsicherung durch die Sozialhilfeträger (Pflegekassen/Sozialämter) gewähren aber keine Einsicht in Einzelbilanzen oder Pflegebuchführungsverordnung, noch bilden sie auf eigene Kosten die notwendigen Kräfte aus. Nehmen aus wirtschaftlichen Gründen selten Bewohner mit Pflegegrad 5 auf.
An- und Zugehörige sind überfordert und haben keine Lobby, sind stumm. Die Überforderung verstärkt sich durch die fehlenden Hilfen und Informationen. Ängste wachsen einerseits durch Medienberichte über die Zahlungen in den Einrichtungen, andererseits über die Qualitätsmängel in den Einrichtungen. Es kommt der Verdacht auf, so soll „ambulant vor stationär“ gesichert werden. Dies würde auch erklären, warum die Preisauszeichnungspflicht nicht gilt. Dazu kommt:
Transparenzprobleme bei Heimentgelten
a) Heimentgelte werden selten durch den Anbieter veröffentlicht.
b) Zusammensetzung der Entgelte ist komplex und intransparent:
- Pflege – ein unbestimmter Rechtsbegriff
- Unterkunft/Verpflegung (Mahlzeiten/Ausstattung/Energie etc.)
- Investition – Kaltmiete
Pflegebedürftige, deren An- und Zugehörigen können Investitionsanteile kaum nachvollziehen. Es fehlen die Einrichtungsbilanzen und die Konzernbilanzen weisen selten Gebäude-Rückstellungen aus. Fehlt diese Position, ist dies ein Indiz fehlender kaufmännischer Vorsorge. Die Umsetzung der Investitionskostenbescheide werden nicht kontrolliert, die Angaben werden bei Plausibilität unterstellt. Die Behörden sind bewußt blind; es gilt „Privat vor Staat“.
Folgen mangelnder Transparenz
Die Gefahr von „Schrottimmobilien“ bei Insolvenz und Wegfall der notwendigen stationären Pflege überrascht die Kommunen. Kreisfreie Städte und Landkreise müssen für die betroffenen Bürger einspringen. Die Investitionskostenzahlungen sind verloren.
Realität für Pflegebedürftige
Für über 85 % der anerkannt Pflegebedürftigen gibt es keinen freien Pflegemarkt. Bei 2/3 der Pflegebedürftigen in der Häuslichkeit fehlt bereits die ambulante Versorgung. So muss bei Bedarf der erste freie stationäre Platz angenommen werden. Dieser Umstand tritt am ehesten nach einem Krankenhausaufenthalt auf.
Krankenhaussozialdienst – Theorie vs. Praxis
Aufgaben:
- Beratung und Organisation von Nachsorge (Reha, Pflegeheim, ambulante Hilfen)
- Unterstützung bei Sozialleistungen und Hilfsmitteln
- Psychische Betreuung
- Klärung finanzieller und rechtlicher Fragen
Frage: Wer kennt die Sorgen, wer die Wirklichkeit?
Kommunale Konferenz Alter und Pflege
In NRW regelt § 8 APG XII NRW die Aufgaben der Zukunftsgestaltung und Zusammenarbeit der Beteiligten in der Kommune.
Seniorenvertretung in den Kommunen
Über 1/3 aller wahlberechtigen Bürger sind bereits über 60 Jahre und auf irgendeine Weise mit der Pflege direkt oder indirekt konfrontiert.
Bewohnervertretung in der Einrichtung
Eine ausreichende Personalausstattung in der Pflege bildet eine Voraussetzung für eine adäquat hohe Patientensicherheit und Versorgungsqualität.
- 85 Absatz 3 Satz 2, zweiter Halbsatz SGB XI lautet: „Das Pflegeheim hat Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen, für die es eine Vergütung beansprucht, durch Pflegedokumentationen und andere geeignete Nachweise rechtzeitig vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen darzulegen; es hat außerdem die schriftliche Stellungnahme der nach heimrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Interessenvertretung der Bewohnerinnen und Bewohner beizufügen.“ Dies ist die Grundlage zur notwendigen Wahl eines Bewohnerbeirates. Die Bundesländer verabschiedeten die notwendigen Gesetze und Verordnungen.
Bundessozialgericht stärkt Heimbeirat
mit Urteil vom 26.09.2019 – B 3 P 1/18 R. Der Tenor bezieht sich auf § 85 Abs.3 SGB XI und lautet: „Der Interessenvertretung der Heimbewohner/innen muss zwingend die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zu der Forderung nach Erhöhung der Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung eingeräumt werden, und zwar grundsätzlich schon vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen.“
Eine Pflegereform ist überfällig
Nach 35 Jahren kann es nicht länger sein, dass weiterhin 42% der Pflegekasseneinnahmen den wenigen gewerblichen Anbietern ausgelobt werden, dies bei gleichzeitiger Leistungsminderung für die Versicherten. Eine Möglichkeit ist es: bei Anerkennung eines Pflegegrades erhält der Versicherte
- die entsprechende Geldleistung oder
- ein differenziertes Pflegebudget.
Wir hoffen auf die notwendigen Kommentare.
Siehe auch:
Was bringen eigentlich 94 Pflegekassen?
