Kinder haften seit dem 1.1.2020 nur noch eingeschränkt für ihre Eltern
Auch wenn in der Werbung immer wieder das Bild des fitten Rentner bemüht wird. Wer älter wird, wird dadurch nicht eben gesünder. Etwa 4 Millionen Menschen in Deutschland sind schon jetzt pflegebedürftig, und die Zahl wird sicherlich proportional zur Entwicklung der Alterspyramide weiter ansteigen. Die Kosten für die Pflege zu Hause oder im Altersheim können durch Vermögen, Rente und Pflegegeld allein oft nicht gedeckt werden. Es stellte sich immer die Frage, wer für die Unterdeckung aufkommen muss. Dann doch lieber zu Hause pflegen und an eine „Polin“ denken. Es darf neu gedacht werden. Zur Entscheidung ist wichtig zu wissen, was galt und was gilt.
Was galt formal bis zum 31.12.2019.
Immer sind die Angehörigen des Pflegebedürftigen gefragt. Sie müssen nicht nur die schwierige Entscheidung treffen, ob sie die Pflege selbst übernehmen können und wollen, sondern auch nach unterhaltsrechtlichen Regeln für deren Kosten einstehen. Nur wenn der Hilfebedürftige und seine Familie selbst nicht in der Lage sind, das nötige Geld aufzubringen, oder wenn Eile geboten ist, springt der Sozialstaat ein. Dieser will und soll aber nur Auffangnetz sein. Streckt er etwa die Kosten für den Pflegeheimaufenthalt vor, versucht er, diese anschließend bei den eigentlich verpflichteten Personen einzutreiben. Je klammer die Staatskassen angesichts wirtschaftlicher Probleme, der Staatsverschuldung, der Alterung des Gesellschaft und der Arbeitslosigkeit sind und in Zukunft noch werden, desto entschiedener geht der Staat bei seinem Regress vor.
Wenn die unterhaltspflichtigen Kinder noch eigene Kinder zu versorgen haben, eben wieder ins Berufsleben einsteigen und ernsthaft für ihr eigenes Alter und die eigene Pflegebedürftigkeit vorsorgen müssen, kann der Unterhaltsregress unangemessen in ihre Lebensplanung eingreifen. Die Nöte dieser sogenannten Sandwichgeneration beschäftigen in den letzten Jahren zunehmend die Gerichte. Dieser Problematik hat sich der Gesetzgeber angenommen. Im Unterhaltsentlastungsgesetz wird geregelt, dass auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern künftig erst ab einem Einkommen von 100.000 Euro im Jahr zurückgegriffen wird. Dies soll eine erhebliche Verbesserung für viele Klein und Normalverdiener mit sich bringen.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 11.10.2019 entschieden Stellung, zu dem vom Bundeskabinett am 14.8.2019 beschlossenen Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe, zu nehmen. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz gilt ab dem 1. Januar 2020 es gelten neue Einkommensgrenze für Kinder von pflegebedürftigen Eltern geben. Diese liegt künftig bei einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro brutto. Damit gleicht das Arbeitsministerium (BMAS) die Regelungen für den Elternunterhalt an die Regularien für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung an. Dort gilt bereits die 100.000 Euro-Grenze.
Auf die Kommune kommen erhöhte Sozialkosten zu. Schon gibt es neue Rückforderung seitens der Ämter gegen Ehepaare. Wie zum Beispiel wegen sogenannter „Entreicherung“ aus Schenkungen.
Bisher galten verschiedenen Selbstbehaltssätze.
Der angemessene Selbstbehalt gegenüber Eltern
Beim Elternunterhalt hat die Rechtsprechung sich gegen einen fixen Selbstbehaltssatz entschieden. Lediglich der Mindestselbstbehalt steht fest: Er beträgt 1.800 Euro. Darin sind Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 480 Euro enthalten (370 Euro für die Kaltmiete und 119 Euro für Nebenkosten und Heizung) Ein fester Selbstbehaltssatz würde Kinder mit gutem Einkommen unangemessen benachteiligen. Stünde ihr gesamtes Einkommen oberhalb des Selbstbehaltssatzes für den Unterhalt der Eltern zur Verfügung, könnte es bei hohem Unterhaltsbedarf passieren, dass das Kind einen Großteil dessen, was es sich durch eigenen Einsatz aufgebaut hat, an die Eltern abgegeben muss. Damit würde zum einen ignoriert, dass der Elternunterhalt im Unterhaltssystem rechtlich bewusst schwach ausgestaltet ist. Zum anderen würde nicht angemessen berücksichtigt, dass das Kind sich meist in seiner Lebensplanung nicht auf Unterhaltsansprüche der Eltern eingestellt hat und über Steuern und Sozialabgaben bereits zum Einkommen der älteren Generation beiträgt.
Die Rechtsprechung hat sich daher für einen variablen Selbstbehalt entschieden. Das bereinigte Einkommen, das den Mindestselbstbehalt übersteigt, steht lediglich zur Hälfte für den Elternunterhalt zur Verfügung.
Beispiel: Angenommen ihr Tochter erzielt ein bereinigtes Einkommen von monatlich 2.900 Euro. Abzüglich des Mindestselbstbehalts von 1.800 Euro verbliebe ihr ein Einkommen von 1.100 Euro. Die eine Hälfte davon (550 Euro) würde bei ihr verbleiben, die andere Hälfte könnte und müsste sie für den Unterhalt ihrer Eltern zur Verfügung stellen.
Bereinigtes Einkommen 2.900 Euro
Mindestselbstbehalt – 1.800 Euro
Verbleibendes Einkommen 1.100 Euro
Einkommensabhängiger Selbstbehalt
(1.100 Euro : 2) 550 Euro
Selbstbehalt insgesamt Tochter 2.350 Euro
Die Berechnung des Selbstbehalts eines verheirateten Kindes kann von diesem Grundsatz ganz erheblich abweichen. Mehr dazu sogleich.
Abweichungen vom Selbstbehalt
Der Selbstbehalt ist nicht in Stein gemeißelt, sondern kann durchaus nach oben oder unten angepasst werden.
Ersparte Wohnkosten: Unterschreiten die Wohnkosten den Satz für Kosten von Unterkunft und Heizung im jeweiligen Selbstbehalt, kann dieser entsprechend reduziert werden. Umgekehrt ist im Einzelfall eine leichte Anhebung des Satzes denkbar, wenn ein Wohnen zum vorgesehenen Satz nachweislich auf keinen Fall möglich ist.
Vorteile des Zusammenlebens: Dass man Aufwendungen erspart, wenn man mit einem Partner zusammenwohnt, dürfte unstreitig sein. Diese Ersparnis wird bei der Bemessung des Selbstbehalts berücksichtigt. Lebt der Unterhaltspflichtige mit einem leistungsfähigen nicht ehelichen Lebenspartner oder Ehegatten zusammen, werden von Selbstbehalt in der Regel 10 % abgezogen. Den Selbstbehalt zu reduzieren ist ein weit praktikablerer Weg, die Vorteile des Zusammenlebens zu berücksichtigen, als einfach ein fiktives Einkommen für den nicht erwerbstätigen Partner anzusetzen.
Familienselbstbehalt: Ist der Ehegatte des unterhaltspflichtigen Kindes nicht erwerbstätig, hat sein Unterhalt Vorrang vor dem der Eltern. Oder anders gesagt: Sein Unterhalt reduziert das Einkommen des Kindes, das für den Elternunterhalt zur Verfügung steht. Eine Anpassung des Selbstbehalt ist in diesem Fall nicht notwendig.
Tragen hingegen beide Eheleute zum Unterhalt der Familie bei, kann sich das auf die Berechnung des Elternunterhalts erheblich auswirken. Die folgende Berechnung ist recht kompliziert, in der Praxis aber sehr relevant. Wir werden sie daher ausführlich darstellen.
Wer unverheiratet mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft lebt und für den gemeinsamen Unterhalt aufkommt, kann sich nicht auf einen Familienselbstbehalt berufen. Eine eventuelle Unterhaltspflicht ist aber als sonstige Verpflichtung im Sinne von § 1603 Abs. 1 BGB ebenfalls vor den Eltern zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 09.03.2016, Az. XII ZB 693/14).
Der BGH hat diese Berechnungsweise in seinem sehr gut lesbaren Urteil vom 28.07.2010 ( Az. XII ZR 140/07) entwickelt. Mit Beschluss vom 05. 02. 2014 (Az. XII ZB 25/13) hat er klargestellt, dass dieser Rechenweg sowohl für den Fall gilt, dass das unterhaltspflichtige Kind mehr verdient als sein Ehepartner als auch für den Fall, dass er weniger verdient.
Ausgangspunkt der Berechnung ist der Mindestselbstbehalt der Familie. Das Kind hat wie oben gesehen einen eigenen Mindestbedarf von 1.800 Euro. Für seinen Ehegatten werden mindestens 1.440 Euro angesetzt. Hieraus ergibt sich ein Gesamtbedarf von mindestens 3.240 Euro für das Ehepaar. Erzielen die Ehegatten ein höheres Einkommen als diesen Mindestselbstbehalt, wird zunächst von der Differenz der Vorteil des Zusammenlebens von 10% abgezogen. Die Hälfte des verbleibenden Betrag steht für den Elternunterhalt zu Verfügung, die andere Hälfte ist der individuelle Familienselbstbehalt, der bei den Ehegatten verbleibt.
Zum Familienunterhalt sind beide Ehegatten nach dem Verhältnis ihrer Einkünfte verpflichtet. Auch am individuellen Familienselbstbehalt sind beide je nach ihren Möglichkeiten beteiligt. Hat das unterhaltspflichtige Kind ein verhältnismäßig geringes Einkommen, kann sein Anteil am individuellen Selbstbehalt der Familie so gering sein, dass der Mindestselbstbehalt von 1.800 Euro unterschritten wird.
Beispiel: Angenommen, die Tochter erzielt nach Abzug des Kindesunterhalts ein bereinigtes Unterhalts-relevantes Einkommen von 1.565 Euro, ihr Ehegatte hat ein Einkommen von 3.400 Euro. Das Familieneinkommen 4.965 Euro übersteigt den Mindestselbstbehalt von 3.240 Euro um 1.725 Euro. Der Rest des überschießenden Betrags (1.552,50 Euro) steht hälftig, also zu 776,25 Euro für den Elternunterhalt und zu 776,25 Euro das Ehepaar (Tochter und Ehegatten) für ihre Lebensgestaltung zu Verfügung: Der Betrag von 776,25 Euro ist dem Mindestbedarf von 3.240 Euro hinzuzurechnen. Der individuelle Familienselbstbehalt beträgt also insgesamt 4.016,25 Euro. Der Anteil der Tochter daran entspricht ihrem Anteil am Gesamteinkommen der Familie. Zum Familieneinkommen von 4.965 Euro trägt der Ehegatte 68% bei, die Tochter oder (Ehefrau) stehen 32% vom Familienselbstbehalt von 4.016,25 Euro also auch 32% mithin 1.285,20 Euro zu.
Bereinigtes Einkommen Tochter oder Ehefrau
(32% des Familieneinkommens) 1.565.00 Euro
Bereinigtes Einkommen Ehegatten
(68% des Familieneinkommens) + 3.400,00 Euro
Familieneinkommen 4.965,00 Euro
Mindestselbstbehalt Tochter (Ehefrau) – 1.800,00 Euro
Mindestselbstbehalt Ehegatte – 1.440,00 Euro
1.725,00Euro
Vorteil des Zusammenlebens (10%) – 172,50 Euro
Verbleibendes Einkommen 1.552,50 Euro
davon 50% 776,25 Euro
Familienselbstbehalt insgesamt
(1.800Euro + 1.440 Euro + 776,25 Euro 4.016,15 Euro
Ehefrau Anteil (32%) 1.285,20 Euro
Ehegatte Anteil (68%) 2.731,05 Euro
Welcher Betrag steht nun für den Unterhalt der Eltern zur Verfügung? Tochter (Ehefrau) verdient monatlich 1.565 Euro, nach Abzug des Selbstbehalts von 1.285,20 Euro verbleibt eine Differenz von 279,80 Euro. Diesen Betrag können die Eltern beanspruchen, auch wenn die Tochter (Ehefrau) damit den üblichen angemessenen Selbstbehalt im Elternunterhaltsrecht von 1.800 Euro deutlich unterschreitet.
Anteil der Tochter (Ehefrau) am Familieneinkommen (32%) 1.565,00 Euro
Anteil der Tochter (Ehefrau) am Familienselbstbehalt (32%) – 1.285,20 Euro
Zu zahlender Elternunterhalt 279,80 Euro
Angenommen, der Ehegatte wäre seinen Eltern zum Unterhalt verpflichtet. Anteil des Ehegatten am Familienselbstbehalt von 4.016,25 Euro beträgt 68% also 2.731,05 Euro Ehegatte erzielt ein Einkommen von 3.400 Euro für seine Eltern stünden also 668,95 Euro zur Verfügung.
Ehegatte, Anteil am Familieneinkommen (68%) 3.400,00 Euro
Ehegatte, Anteil am Familienselbstbehalt (68%) – 2.731,05 Euro
Zu zahlender Elternunterhalt 668,95 Euro
Bei der Berechnung des Familienselbstbehalts und des jeweiligen Anteils der Ehegatten an diesem Betrag verschieben sich zwar die Selbstbehaltssätze aufgrund einer Gesamtbilanz des Familieneinkommens, jeder erhält aber aus der Haushaltskasse nur das, was ihm aufgrund seines Einkommens tatsächlich zusteht. Den Unterhalt für die Eltern bezahlt also die Tochter allein aus ihrem Einkommen. Der Ehegatte zahlt nur den Unterhalt seiner eigenen Eltern.
Das Angehörigen-Entlastungsgesetz ab dem 1. Januar 2020
Zum Regress für Leistungen gegenüber Angehörigen regelt § 94 Abs. 1a SGB XII seit dem 1.1.2020:
Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen i. S. d. § 16 SGB IV beträgt jeweils mehr als 100.000 EUR Jahreseinkommensgrenze (brutto) je unterhaltsverpflichteter Person.
Vermutung spricht zunächst gegen mögliche Regressnahme durch Leistungsträger
Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten auf den Sozialhilfeträger ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach § 93 Abs. 1a S. 1 SGB XII nicht zu berücksichtigen sind. Da das Einkommen, das nicht zu berücksichtigen ist, sehr hoch ist, wird zunächst einmal seitens der hilfeleistenden Behörden vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach § 93 Abs. 1a S. 1 SGB XII die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet.
Vorsicht: Widerlegung der Vermutung nach § 94 Abs. 1a Satz 3 SGB XII
Zur Widerlegung der Vermutung nach § 94 Abs. 1a Satz 3 SGB XII kann der jeweils für die Ausführung des Gesetzes zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen zulassen. Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so ist § 117 SGB XII anzuwenden und es besteht ein entsprechende Auskunftsanspruch.
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