Bewohner(bei)rat

unbekannte Interessenvertretung in Pflege- und Behinderteneinrichtungen.

Der Bewohner- Nutzerbeirat

Alle beklagen die hohen Heimentgelte. Es wird oft nicht zwischen den Bruttoentgelten und der wirklichen Zahllast der einzelnen Bewohner differenziert. Auch die letzte explosive Erhöhung (2018) durch die gesetzliche Einführung eines Einrichtungs-Einheitlichen (Pflege-)Entgeltes (EEE) wurde größtenteils vergessen.

Wer kennt die formal geregelte und wichtige Stellung der gewählten Interessenvertretung der Bewohner in den Einrichtungen. Seit der Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes 1995 im stationären Bereich, heißt es in

 § 85 Absatz 3, Satz 2 SGB XI

„Das Pflegeheim hat Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen, für die es eine Vergütung beansprucht, durch Pflegedokumentationen und andere geeignete Nachweise rechtzeitig vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen darzulegen; es hat außerdem die schriftliche Stellungnahme der nach heimrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Interessenvertretung der Bewohnerinnen und Bewohner beizufügen.“

Das Bundessozialgericht mahnt, mit Urteil vom 26.09.2019 – B 3 P 1/18 R[i], die jahrzehntelange Missachtung der Mitwirkung des Bewohnerbeirates bei der Entgelterhöhung an. Gesetze zu Gunsten der Bewohner werden oft nicht umgesetzt. Über 70.000 Heimbeiräte suchen vergebens Hilfe bei „Dr. Google“ oder in der Literatur.

Wohn- und Teilhabegesetze der Länder

Jedes Bundesland, so auch NRW, hat sich ein eigenes Landesheimgesetz mit Durchführungsverordnungen gegeben, das Wohn- und Teilhabegesetz (WTG)[i]. Das Gesetz in NRW hat einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil. Im Besonderen Teil werden die einzelnen Einrichtungsarten beschrieben. In Einrichtungen mit umfassendem Leistungsangebot, Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen, Gasteinrichtungen sind abgestufte Mitwirkungs- und Mitbestimmungsregelungen getroffen. Für andere Bundesländer gilt ähnliches. Die Benennungen für die zu wählende Interessenvertretung sind verschieden (Bewohnerbeirat, -vertretung, -schaftsrat, Wohnbeirat, Einrichtungs- oder nur Beirat oder Mitwirkungsgremium. Der Schutz durch die Interessenvertretung in der jeweiligen Einrichtungsform umfasst alle Einzelverträge nach dem Wohn- und Betreuungs- Vertragsgesetz (WBVG), die zwischen einem Unternehmer und einem volljährigen Verbraucher, in denen sich der Unternehmer vertraglich zur Überlassung von Wohnraum und zum Erbringen von Pflege- oder Betreuungsleistungen verpflichtet, abgeschlossen sind.

Eigenständiges Gremium

Nur wenige Einrichtungen sind stolz auf die ehrenamtliche Mitwirkung der Bewohner und führen gar eine Chronik der Vorsitzenden der Beiräte. Die eigenständigen Gremien in der Einrichtung führen ein Schattendasein, finden sich bisher selten in den Organigrammen.

Wem nutzen unbekannte demokratische Rechte?

Wir wollen mit Beiträgen und einer ersten Handreichung Licht ins Dunkel bringen und sind überzeugt:

Von der gebotenen Mitwirkung profitieren alle, Unternehmen, Beschäftigte, Bewohner, Angehörige und die Gesellschaft.

[i]https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/2019_09_26_B_03_P_01_18_R.html

Mehr Teilhabe der Bewohner

Covid 19 zeigt, wir müssen uns besser vorbereiten. Die gesetzliche Zusammenarbeit mit den Bewohnerbeiräten ist angezeigt. Mitwirkung fördert Informationsfluss und Akzeptanz.

Angehörige, Bewohner leiden seelisch und oft körperlich an den fehlenden Kontakten. Intensiv  bemerken sie durch die Besuchsverbote und Einschränkungen in der Pandemie die sich zum negativen verändernden Strukturen und Prozesse. Kurzum, nicht nur die Hygiene bekommt ein Update, auch das Betriebssysteme der Einrichtung müssen im Qualitätshandbuch neu geregelt und aufgenommen werden.  Die Regeln und Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit mussten durch Allgemeinverfügungen der Landesregierungen oft kurzfristig umgesetzt werden. Bewusst und (oft auch) unbewusst waren Abläufe zu überarbeiten und an vielen Stellen neu zu definieren. Nun ist es an der Zeit, auch im Hinblick auf die Qualitätsvorgaben zum 31.12.2021 das Handbuch zu überarbeiten.

In einem Managementsystem, welches für optimale Zusammenarbeit steht, wandelt sich die Kultur – das Gebilde aus Vorgaben der Regeln und Rahmenbedingungen ständig und sind zu verändern.

Die Geschäftsleitung muss eventuell ihre Kommunikation anpassen. Sie muss darauf achten, die Vorgaben regelkonform umzusetzen und zu überwachen.

Die Mitarbeiter sind zu motivieren und einzubinden, damit die notwendige Akzeptanz in der Umsetzung gegeben ist. Dabei sind alle Menschen in der Organisation mit all ihren persönlichen Ansichten, Befindlichkeiten und Gewohnheiten zu bedenken. In einem Produktionsbetrieb ist die Anerkennung durch wenige Beanstandungen die Voraussetzung für eine gute Leistung. Dies gilt insbesondere in einer Pflegeeinrichtung; hier ist ein Nacharbeiten oft nicht möglich.

Das Wohlbefinden der Bewohner ist eine weitere Voraussetzung und ein besonderes Qualitätsmerkmal.

Der Gesetzgeber hat 1994 im Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) die Würde des Einzelnen gesehen. So heißt es in § 2 SGB XI. § 11 Absatz 1 Satz 2 : “Inhalt und Organisation der Leistungen haben eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten.“ In vielen Einrichtungen scheint diese gesetzliche Aufforderung eine rein deklatorische Beschreibung zu sein. Wie ist sonst zu erklären, dass die gesetzliche Interessenvertretung der Bewohner nur rein formal genannt aber in der täglichen Praxis verleugnet, zumindest vergessen wird. Nicht so vom Gesetzgeber: In § 85 Abs. 3 Satz 2 letzter Halbsatz SGB XI heißt es in Bezug auf das Pflegesatzverfahren: „es (die Einrichtung) hat außerdem die schriftliche Stellungnahme der nach heimrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Interessenvertretung der Bewohnerinnen und Bewohner beizufügen.“ Damit die Formerfordernis gegenüber den Pflegekassen gewahrt werden kann, wird in jeder Pflegeeinrichtung alle zwei Jahre ein Bewohnerbeirat oder ein entsprechender Ersatz gewählt.

Bewohnerbeiräte werden in den allen Ländern nach den Wohn- und Teilhabegesetzen und den Ausführungsverordnungen gewählt und sind mit Rechten ausgestattet.

Einrichtungsleiter:innen sehen in dem Gremium keine Hilfe und schon gar nicht durch „Außenstehende Mitglieder“, wie Angehörige oder gar Mitglieder von Seniorenorganisationen.

Die Zukunft aktiv gestalten bedeutet, alle Beteiligten zum Wohle der Bewohner mitzunehmen, mindestens die gesetzlichen Regeln einzuhalten. So kann die notwendige Akzeptanz geschaffen werden.

Der kleine, große Schritt vom „Verändern“ zum „Befähigen“

Richten wir unseren Blick auf das in Einrichtungen (er)lebbare und gelebte flexible, kommunikative, zielgerichtete und anpassungsfähige Miteinander. Vielleicht fällt uns beim zweiten Blick auf, dass wir in der Eile, oder es war immer so, nicht alle Akteure beteiligt, gar übersehen haben.

In der produzierenden Wirtschaft liegt der Hauptfokus auf der absoluten Kundenzentrierung und der Steigerung des Umsatzes auch durch Kundenbindung. In dem Nachfragemarkt der Pflegeeinrichtungen dreht sich alles um den optimalen wirtschaftlichen Mitarbeitereinsatz und den täglichen reibungslosen Ablauf. Die Bewohner als direkte Leistungsempfänger und Kunden sind oft unproblematisch. An- und Zugehörigen, Betreuer sind aus Sicht der Mitarbeiter oft Störfaktoren und die unwägbaren Komponenten.

Angehörige recht- und frühzeitig einbinden

Je stärker die Pflegeentgelte, durch notwendige Personalveränderungen, zukünftig steigen, desto mehr stößt das „von oben“ angeregte “es ist so vereinbart“ an seine Grenzen. Die Einrichtungen brauchen für eine fachgerechte Pflege geschätzt 36 Prozent mehr Personal. Insidern ist klar, die Basis der (Länder-)Stellenschlüssel müssen aus mehreren Gründen verändert werden. Die Öffentlichkeit wird zur Zeit in die Argumentation selten einbezogen.

Das Bundessozialgericht mahnt im Urteil vom 26.09.2019 – B 3 P 1/18 R, die jahrzehntelange Missachtung der Mitwirkung des Bewohnerbeirates bei der Entgelterhöhung an. Einrichtungsleitungen haben die notwendige Unterschrift nach § 85 Abs.3 Satz 2, letzter Halbsatz SGB XI in Verbindung mit den Ausführungen in den Vorschriften der Länderverordnungen formell beachtet. Das bisherige elegante Vorgehen wird durch die weiter steigenden Einheitlichen-Einrichtungs-Entgelte der Pflegekomponente durch fehlende oder schwindende Akzeptanz beschwerlicher werden.

Die Mitwirkung in der Einrichtung ist eine demokratische Errungenschaft in einem Sozialstaat. Gerade in der Corona Krise zeigt sich die notwendige und rechtzeitige Einbindung in den Entscheidungsprozess. Einrichtungsleitungen, die die Bewohnerbeiräte in der Umsetzung der behördlichen Anordnungen miteinbezogen haben, konnten die Angehörigen besser überzeugen, abgestimmte Maßnahmen werden akzeptiert.

Die nach § 85 Absatz 3 SGB XI geforderte, rechtzeitige Mitwirkung der gewählten Interessenvertretung der Bewohner, ist in den jeweiligen Landesverordnungen mehr oder weniger, ausgestaltet. Eine Irritierung sollte durch die unterschiedliche Benennung nicht entstehen, sei es der Bewohner-, Heim- oder Nutzerbeirat. Das Pflegeversicherungsgesetz wurde nach 12jähriger Diskussion unter Norbert Blüm 1994/1995 in Vollzug gesetzt. Die Mitwirkung einer gewählten Interessenvertretung der Bewohner in der Einrichtung ist unter dem Aspekt der Mitverantwortung und Mitbestimmung entstanden. Verstanden als Korrektiv und Ausgleich an der Basis für die neugegründeten Pflegekassen bei gleichzeitiger Öffnung des Marktes für Privatinvestoren.

Die scheinbar überproportional gestiegenen Heimentgelte, durch die Einführung der Einrichtungs-Einheitlichen-Entgelte im Bereich der Pflege, können Entgelte von normalen Renten nicht mehr getragen werden. Angehörige, Pflegebedürftige und Politiker fordern eine Änderung. Von Parteien und Wohlfahrtsverbänden wird ein Sockel-Spitzentausch diskutiert. Eine Forderung, ohne Kenntnis des beibehaltenen Systems der Verhandlungen auf Länderebene, die insbesondere durch der Beitragsstabilität der Pflegekassen geprägt ist.

Einrichtungsträger halten die gesetzliche Forderung der notwendigen Beteiligung der Bewohnerbeiräte bei der Beantragung der zukünftigen Heimentgelte ein. Hat sich das Gremium wirkliche eine fundierte Meinung nach den Vorgaben des Gesetzes gebildet und hält der Beschluss einer Prüfung stand.

Wer die Praxis und die Zusammensetzung der Gremien kennt, kann die gestellte Frage der plausiblen Prüfung der zukünftigen Erhöhungen nur verneinen. Deshalb haben auch die Landesausführungsbestimmungen vorsorglich die Möglichkeit der Zuziehung von Beratern festgeschrieben. Was helfen Ausführungen eines unabhängigen Beraters, der die Wirklichkeit in der Einrichtung nicht kennt. Es bedarf einer ständigen Begleitung von kompetenten Menschen. Auch dies haben die Politiker gesehen und ermöglichen die Wahl von Angehörigen und Seniorenbeiräten und -organisationen in die Interessenvertretung der Bewohner in der Einrichtung.

Bisher sind die Entgeltverhandlungen und Modalitäten für „Fremde“ ein Buch mit sieben Siegeln. Oft kennen Einrichtungsleiter nicht das Zustandekommen des Zahlenwerkes durch die Einrichtungsträger. Für die Einrichtungsträger verhandeln Verbandsvertreter mit den Pflegekassen und begründen den Antrag plausibel.

Die notwendigen Veränderungen in den Pflegeeinrichtungen führen zu Kostensteigerungen im Pflegebereich. Es ist an der Zeit, dass sich nicht nur Einrichtungen werden der Verantwortung gerecht, wenn sie die Vorstellung Ihrer Verhandlungswünsche mit den Bewohnervertretungen diskutieren und die Notwendigkeit der Erhöhungen begründen. Was hindert die Einrichtung daran Angehörige, Betreuer und Bewohner vorab zu informieren und die Notwendigkeit zu begründen. Der Vorwurf, Einrichtungsträger und Pflegekassen verhandeln zu Lasten der Bewohner, kann damit teilweise entkräftet werden.

Qualität hat ihren Preis

Dies hindert die gewählten Bewohnervertretung nicht, gezielte Fragen und Prüfungen vorzunehmen. Qualität und Transparenz sind keine Gegensätze. Im Gegenteil nur eine offene Auseinandersetzung ist ein Garant zur ständigen Verbesserung.

Die Grundlagen für einen Einblick in die notwendigen Entgeltverhandlungen und die Mitwirkung und Mitverantwortung sind zum ersten Mal in einem Buch mit 116 Seiten aufgezeigt. „Der Bewohnerbeirat“ geschrieben zur Unterstützung von Bewohnern, Angehörigen und Interessierten in Pflegeeinrichtungen.

Das Buch gibt auch eine Hilfestellung für Einrichtungsleitungen, die selten in die Forderungen zur Entgeltverhandlung einbezogen sind, aber den Bewohnerbeiräten bisher die Unterschrift abverlangen.

Der Autor des Buches war jahrelange Verhandlungsführer von Trägereinrichtungen bei den Heimentgeltverhandlungen und Leiter einer Stiftung. Eine Leseprobe mit Inhaltsangabe ist auf der Seite des Verlages einsehbar,

Wir brauchen eine neue Kultur, die gegebenen Möglichkeiten bürgerschaftlich wahrzunehmen. Die Seniorenbeiräte in den Kommunen sind gefordert. Siehe dazu die Auswertung einiger Städte und Kreise.

Die Redakteure und ehrenamtlichen Herausgeber „Aktiv altern in NRW und überall“

——-

[i] Wohn- und Teilhabe Gesetz NRW https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_id=100000000000000006