Die Diagnose Demenz ist nicht nur für Betroffene schwer, sondern auch für ihre Angehörigen. Spezielle Demenzdörfer wollen beide Parteien unterstützen.
Demenz
Im Kopf sind schwarze Wolken,
das Denken fällt so schwer.
Reden, machen, laufen kann ich bald nicht mehr.
Bitte bleibe bei mir,
reich mir die Hand.
Lasse mich nicht alleine im unbekannten Land.
Sing mit mir Lieder,
tu` was mir gefällt,
denn ich bin noch immer Teil von dieser Welt.
In Deutschland leiden rund 1,8 Millionen Menschen unter Alzheimer. Das sind rund 60 Prozent aller Demenzkranken. Die Krankheit, die mit dem Vergessen von Kleinigkeiten beginnt, endet meist mit dem Vergessen der eigenen Identität. Weil die Betreuung von dementen Personen, ab einem gewissen Krankheitsgrad, einer Rundumbetreuung benötigt, gelingt vielen Angehörigen eine häusliche Betreuung nicht mehr. Zu groß ist die Gefahr, dass die Erkrankten zum Beispiel den Heimweg nicht mehr finden oder eine Herdplatte anlassen. Technische Hilfen können nur bedingt unterstützen.
Auch in örtlichen Pflegeheimen mit dem Anspruch der Demenzbetreuung mit Menschen mit einer Vielzahl anderer Gebrechen, sind die Demenzleidenden meist nicht optimal betreut. Den Fachkräften bleibt kaum Zeit, sich mit der Krankheit der Einzelnen auseinanderzusetzen und die, in ihrer eigenen Welt lebenden, häufig aber noch unternehmungslustigen Patienten, zu beschäftigen. Auch wenn die Krankheit bis heute als unheilbar gilt, gibt es mittlerweile Mittel und Wege, es den Erkrankten und ihren Angehörigen leichter zu machen.
In sogenannten Demenzdörfern können Erkrankte eine neue Art von Leben führen, die genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind, ohne komplett auf ihre Freiheit verzichten zu müssen.
Die Idee und konzeptionelle Umsetzung für ein Demenzdorf bestehen bereits seit vielen Jahren. Das in den Niederlanden errichtete Demenzdorf Hogeweyk nahe Amsterdam war Vorbild für andere Demenzdörfer. 153 Demenzkranke haben hier Platz und Leben in einem eigens für sie konzipierten Dorf, indem sie alles finden, was sie zum Leben brauchen. Neben einem Supermarkt, einem Friseur, einem Café und einer Parkanlage, gibt es auch eine Vielzahl an Gemeinschaftsplätzen und Aktivitäten, die die Bewohner nutzen können. Sie leben in kleineren Wohngemeinschaften und können sich auf der weitläufig umzäunten Anlage frei bewegen. Pflegepersonal und Fachkräfte sind zivil gekleidet und helfen den Bewohnern bei den täglichen Aufgaben, sofern diese auf Hilfe angewiesen sind. Manche sind aber auch einfach nur als Verkäufer oder Friseur tätig. So wird für die Demenzkranken eine kleine, eigene Welt geschaffen, die eine alltägliche Normalität vermitteln soll.
In Deutschland eröffnete das erste Demenzdorf 2014 am Stadtrand von Hameln, Tönebön am See. Ein zweites gibt es in Süssendell in Stolberg. Bis 2020 soll ein weiteres Demenzdorf in Hohenroda in Hessen, auf dem 11.000 Quadratmeter großen Gelände eines ehemaligen Tierparks entstehen. Das Fliednerdorf in Mülheim-Sehlbeck wurde bereits Mitte der 80er Jahre als innovatives integratives Wohnprojekt – nicht nur für Menschen mit Demenz – eröffnet und sah bereits seinerzeit schon das Leben in Wohngruppen und -Gemeinschaften vor.
Bisher fand das Konzept auch in Deutschland großen Anklang. Auch wenn der Umzug in ein solches Dorf für den Erkrankten und seine Angehörigen nicht ganz leicht ist, gewöhnen sich die Bewohner meist an ihr neues Leben. Sie können weiterhin regelmäßig besucht werden und trotzdem einen Großteil ihrer Freiheit behalten.
Das Konzept hinter den Demenzdörfern ist, trotz aller Vorteile für Erkrankte und Angehörige, nicht ganz unumstritten. Es ist und bleibt ein Zaun, der die Bewohner davon abhält nach Hause zu fahren, wenn ihnen danach ist. Fiktive Bushaltestellen sollen Realität simulieren, doch an ihnen wird nie ein Bus anhalten. Vor allem Patienten mit Demenz im Anfangsstadium fühlen sich zu Beginn eingesperrt. Sie durchschauen die Scheinwelt und fühlen sich in ihrer Freiheit beschnitten, obwohl eigentlich das Gegenteil der Fall sein sollte. Erst wenn die Bewohner ihre Situation und ihr neues Leben akzeptiert haben, fügen sie sich in das Konzept ein und können dort auch ein glückliches Leben führen.
Kritik in Deutschland
Da sich die Demenzdörfer meist in Randgebieten befinden, wird auch die Integration in die reale Welt scharf kritisiert. Abgesehen von Angehörigen und Pflegepersonal, fehlt den demenzkranken Bewohnern jeglicher Bezug zur realen Welt. Dies wirft unweigerlich die Frage auf, ob die Demenzkranken unserer Gesellschaft durch dieses Konzept schlichtweg ausgelagert und abgeschoben werden.
Es geht auch anders
Das Demenzdorf im dänischen Svendborg auf der Insel Fünen distanziert sich von den Kritikpunkten der fehlenden Inklusion und Freiheit. Das Dorf befindet sich nämlich nicht, wie es beispielsweise in Deutschland der Fall ist, etwas außerhalb, sondern direkt inmitten einer Stadt. Außerdem haben die Bewohner durchaus die Möglichkeit, die Anlage zu verlassen und die Nachbarschaft zu erkunden. Hierzu müssen sie lediglich die dafür vorgesehene, gut versteckte Tür finden. Im Notfall, können die Bewohner aber per GPS geortet und zurückgebracht werden. Hier beginnt die Abwägung zwischen den Freiheitsrechten des Einzelnen und die Schutz-Pflicht der Einrichtung, des Angehörigen, des Betreuers.
Dass die Demenzkranken in dänischen Demenzdörfern nicht eingesperrt werden dürfen, liegt dem Gesetz zugrunde. Es sorgt jedoch auch dafür, dass ein viel besseres Miteinander stattfindet, denn auch Kinder und andere Stadtbewohner können die Anlage betreten und dort Zeit verbringen eine willkommene Abwechslung für die Bewohner.
Schätzungen zufolge soll es bis 2050 bereits um die drei Millionen Menschen und mehr geben, die unter einer Demenz leiden. Ziel muss es also sein, das bestehende Konzept so weiterzuentwickeln, dass alle Parteien mehr Vor-als Nachteile darin sehen. Erfahrungen mit und aus Demenzdörfer müssen Allgemeingut werden. Heute bereits leiden bis zu 80 Prozent in den stationären Einrichtungen an Demenz. Es fehlt oft an der individuellen Betreuung, in Zeiten von Covid 19 wurde diese ganz eingestellt.
Das Demenzdorf,
das bis 2020 in Hessen entstehen sollte, könnte für Deutschland mit einem guten Beispiel vorangehen. Das im osthessischen Hohenroda liegende Areal ist inmitten der Stadt und kann somit, der so häufig kritisierten, fehlenden Inklusion, entgegenwirken. Der zukünftige Betreiber ist 2021 noch in der Planungsphase.
Wer kennt andere Beispiele, kennt Hilfe
Wichtig!! Wer sich mit dem Gedanken einer selbstbestimmten Demenzwohngemeinschaft trägt, sollte sich in Oberhausen an die Stadt wenden. Der Stadtrat hat in seiner Dezembersitzung 2019 unter anderem beschlossen Vorlage – B/16/5261-01 :
Die Verwaltung wird beauftragt, zu prüfen, ob Investoren kommunale Immobilien für den Betrieb einer Demenz-Wohngemeinschaft angeboten werden können.
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