Wie die Pflege durchkapitalisiert wurde

Jahrhundertelang war die Pflege Sache der Familie, der Kirche, der Wohlfahrtsverbände. Inzwischen drängen internationale Kapitalanleger in den Markt. Auf Kosten der Pflegebedürftigen?

Uringeruch, Schimmel, überfordertes Personal. Immer wieder werden unzumutbare Zustände in deutschen Pflegeheimen bekannt. Bei zwei Häusern der Alloheim Gruppe beispielsweise wurde vor einiger Zeit wegen massiver Pflegemängel die Schließung angeordnet. Sie konnten nur weiterbetrieben werden, weil ein anderer Betreiber sie übernahm. In weiteren Heimen der Gruppe wurden ähnliche Missstände öffentlich. Auch wenn Alloheim diese teilweise bestreitet. Eine bundesweite Auswertung der Verstorbenen durch Corona wird die „Führung“ durch Alloheim bestätigen. 

Alloheim ist mit rund 240 Einrichtungen der zweitgrößte Anbieter auf dem privaten Pflegemarkt. Zumindest in einigen dieser Einrichtungen scheint Profitmaximierung offenbar Priorität zu haben. Innerhalb weniger Jahre wechselte das Unternehmen mehrfach den Eigentümer. Inzwischen gehört es dem schwedischen Finanzinvestor Nordic Capital.

In den letzten zwei Jahren zeigt sich immer deutlicher ein Trend, dass große internationale Investmentgesellschaften Einrichtungen aufkaufen und diese auf Gewinn getrimmt ist, sagt der Verband der Katholischen Altenhilfe. Diese sogenannten Heuschrecken würden die Pflegeheime ausquetschen, um sie nach wenigen Jahren wieder gewinnbringend zu verkaufen.

Eine Entwicklung, die so sicherlich niemand im Blick hatte, als 1995 die Pflegeversicherung eingeführt wurde. Damit wurde der Markt für private Anbieter geöffnet, nachdem die Pflege zuvor jahrhundertelang eine Sache der Familien, Kirchen und Wohlfahrtsverbände war. Das Ziel des Gesetzgebers war es, die wachsende Zahl von Pflegebedürftigen finanziell abzusichern und den Ausbau von dringend benötigten Pflegeeinrichtungen anzukurbeln. Markt und Wettbewerb waren die Schlagworte der Zeit. Deren kontraproduktive Auswirkung wir jetzt beobachten können.

Seit Einführung der Pflegeversicherung haben wir eine beachtliche Expansion der „Privaten“ Pflegeinfrastruktur im Gleichklang mit der Altersstruktur. Die Nachfrage ist noch immer größer als das Angebot, die Erlöse sind damit gesichert. Die Privaten Anbietern sind in vielen Bereichen schneller, findiger und engagierter gewesen als vielfach die gemeinnützigen Träger. Die Ausnahme bilden hier die Johanniter  und Malteser.

Oft waren es engagierte Krankenpfleger oder Altenpfleger, die ihre Chance sahen, sich selbstständig zu machen, sich Kapital beschafften und ein Pflegeheim eröffneten. Solche gebe es auch heute noch, die mit viel Herzblut sehr gute Arbeit leisten würden, sagt die katholische Altenhilfe, die zur Caritas gehört. Andererseits sei es viel schwieriger geworden, heute ein einzelnes Pflegeheim mit 60 bis 70 Plätzen wirtschaftlich zu führen.

Diese Heime sind es nun häufig, die von großen Betreibergesellschaften, aufgekauft werden mit zum Teil hohen Renditeerwartungen. Die Pflege ist ein lukrativer Markt geworden. Mehr und mehr Immobilienkonzerne, Pensionsfonds, oder Hedgefonds investieren hier. Denn die Anlage gilt als vergleichsweise sicher. Knapp dreieinhalb Millionen Pflegebedürftige gibt es schon jetzt. Bis 2050 dürfen es Schätzungen zufolge mehr als fünf Millionen werden. Die müssen versorgt werden. Und wenn sie selbst dafür nicht aufkommen können, springt die Solidargemeinschaft ein.

In der Sendung Hart aber fair vom 11. Juni 2018 wurde darüber berichtet, dass 2017 bereits 40.000 Betten von Finanzinvestoren übernommen wurden. Aufgrund der Analyse von 400 Geschäftsberichten von Pflegeunternehmen durch das Leibnitz Institut für Wirtschaftsforschung, über die ebenfalls in der gleichen Sendung berichtet wurde, kann für das Jahr 2016 die Kapitalrendite im privaterwerbswirtschaftlichen Pflegesektor auf 8,6 Prozent beziffert. Im Unterschied hierzu liegt der gleiche Wert im öffentlich-rechtlichen Pflegesektor bei 3,1 Prozent beziffert. Es lohnt sich also in die Pflege und Heime zu investieren, vor allem wenn man die Ausgaben für Personal auf 50 Prozent reduzieren kann, im öffentlich-rechtlichen Sektor liegen sie noch bei 62 Prozent. Gute Einrichtungen benötigen über 70 Prozent Personalkosten.

Diese Entwicklung ist aber nur ein Zeichen für eine politische Großwetterlage, die im Zuge der Politik zunehmend zur Durchkapitalisierung des Pflegesystems insgesamt und gewollt „Privat vor Staat“ geführt hat. Dabei ist klar: Misswirtschaft und Verschwendung waren nie zu legitimieren, auch vorher nicht! Und gegen effizientes Wirtschaften wird niemand etwas sagen können. Wir sehen eine Entwicklung, welche unsere moralischen Fundamente von Wohlfahrtspflege ad absurdum führen; sie zerfallen für jeden sichtbar.  Nicht der Mensch, das Kapital steht im Vordergrund.

Der Begriff der Maschinisierung der Pflege erscheint durchaus angemessen, denn die Arbeitsverdichtung für das Personal ist derart voran geschritten, dass für eine bewohnerintensive Zuwendungsarbeit nur noch sehr begrenzt Ressourcen verfügbar sind. Insgesamt gilt: Das Management der organisierten Altenhilfe mag im Hinblick auf Methoden der Betriebsführung professioneller geworden sein, doch mit zunehmend erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Unternehmenspolitik sind ideelle und fachliche Bezüge zunehmend in der Defensive geraten. Wer trägt die Verantwortung für diese Entwicklung? Natürlich hat die privaten Finanzinvestoren (aber auch die kirchlichen Einrichtungen) der Ökonomisierung nichts entgegengesetzt. Im Gegenteil, sie haben mitgemacht! Auch die Manager, die kommerziellen Betreiber, die Controller sind im Blick zu behalten. Aber alle diese Akteure setzen nur das um, was die Politik entschieden hat. Hier muss angesetzt werden.

Eine Umkehr kann es nur geben, wenn die Politik das Grundproblem erkannt hat. Gegenwärtig hat die Politik keinerlei Vision. Das Problem ist der fehlende Geist einer weitsichtigen Politik, das Problem ist das Fehlen kluger neuer Konzepte in der Führungsregie der Verantwortung tragenden Parteien. Und das Drama ist, dass wir das hohe Engagement einer prosozial eingestellten jüngeren Generation (nur nicht von Pflegenden) verheizen, denn wir haben Strukturen geschaffen, die von Anfang darauf gerichtet sind, nur den Blick auf die Kosten, Effizienz und Machbarkeit zu richten, alles andere ist sekundär.

Es bedarf einer dringenden Umkehr hin zu einem sozialen Wohlfahrtsstaat und einer gesellschaftlich verantworteten Altenpolitik. Die Begriffe müssen parteienübergreifend unidiologisch verstanden werden. Grundlegend müssen fachliche, ethische und wirtschaftliche Aspekte in Einklang gebracht werden, ohne dass die erwerbswirtschaftliche Profitlogik dominiert und die Pflege, wie im Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) angelegt, als eine reine Markt abhängige Dienstleistung gesehen wird.

Wir müssen schnellstens die Frage beantworten:

  • In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben und Alt werden?
  • Wollen wir wirklich die Pflege und Sorge der uns anvertrauten alten, kranken und sterbende Menschen finanziellen Kalküls überlassen, welche sie ausschließlich als Renditeobjekte im Fokus hat?

An der Ausrichtung der Wohlfahrtspolitik  auch bezogen auf die ältere Generation zeigt sich ein Kern der Humanität in unserer Gesellschaft, für den vormals eine sozialdemokratische Politik und der CDA-Flügel immer eingetreten ist.  Die Altenpolitik muss als Pflichtaufgabe gesehen werden.

Fazit:

Die Bundesregierung hat mit dem Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) 1994 private Anbieter mit anderen Anbietern in der Pflege  unter dem Schlagwort „Privat vor Staat“ gleichgestellt und haben sich die Politiker/Parteien aus der Verantwortung gezogen. Damit wurden spekulative Fonds auf dem deutschen Kapitalmarkt offen zugelassen und angelockt. Die Auswirkungen dieser politischen Fehlentscheidung sehen wir Bürger jetzt,

  • durch den Pflegenotstand.
  • Diesem kann aber nicht durch Lockerung und Beschneidung der staatlichen Aufsicht begegnet werden, wie mit der letzten Änderung des WTG-Gesetzes zu Ostern 2019. Der Notstand wird durch Wegsehen vergrößert.

Wir Bürger haben die Entscheidung in der Hand, bringen wir uns aktiv ein, unterstützen die Bewohnervertretungen, die Pflegekräfte in Ihren Forderungen!