In der Geschichte der jungen Bundesrepublik Deutschland wurde immer wieder mal die Frage gestellt:
Wird Berlin Weimar?
Doch schadet die öffentliche Geringschätzung der politischen und wirtschaftlichen Klasse unserer Demokratie? Die moderne Demokratie ist eine politische Form, die durch Repräsentation und durch das Prinzip der Volkssouveränität gekennzeichnet ist. Sie setzt sowohl auf die Wahl ihrer Repräsentanten durch das Volk als auch auf die Mündigkeit ihrer Bürgerinnen und Bürger und ist auf Impulse aus dem Volk angewiesen. Eine lebendige Zivilgesellschaft sorgt dafür, dass die Demokratie immer wieder revitalisiert wird und sich die politische Ordnung den gesellschaftlichen Veränderungen anpasst, Repräsentation steht im Zentrum moderner Demokratien, tritt aber in einer Konstellation auf, die von drei Besonderheiten gekennzeichnet ist.
Erstens verlangt die demokratische Repräsentation, dass politische Repräsentanten die Macht nicht personalisieren oder verkörpern. Sie können sich nicht mehr als Darstellung von Macht und Verkörperung des Volkes inszenieren. Denn Macht gehört nicht ihnen, sondern dem Volk, das in der Demokratie als politisches Subjekt und kollektiver Akteur betrachtet wird.
Zweitens ist die Repräsentation des Volkes selbst ein schwieriges Unternehmen, denn die Demokratie erkennt die Vielfalt der Gesellschaft als eines ihrer Prinzipien an. Dadurch kann das Volk nicht mehr als homogene Einheit oder Körper symbolisiert werden. Es gibt daher eine Spannung zwischen der Bildung des Volkes als politisches Subjekt und der Repräsentation seiner Heterogenität, die eine einheitliche Symbolisierung des Volkes schwierig macht.
Drittens verlangt die Demokratie, dass die politischen Repräsentanten den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürger suchen und die Impulse aus der Zivilgesellschaft aufnehmen, um zu erkennen, was das Volk braucht und will. Es bedarf eines regen Austauschs zwischen Repräsentanten und Repräsentierten, zwischen Staat und Zivilgesellschaft, um den Willen des Volkes auszudrücken und umzusetzen.
Wenn, aber dieser Austausch unterbrochen oder inkonsistent wird, wenn die Kontrollmechanismen über die Repräsentanten nicht mehr funktionieren und diese die Macht für sich beanspruchen, und wenn die demokratische Konfiguration politischer Repräsentation nicht mehr zum Ausdruck gebracht wird, dann kommt es zur Krise der Repräsentation. Bürgerinnen und Bürger wenden sich von der Politik ab, den politischen Institutionen wird kein Vertrauen mehr geschenkt, Parteien und Politiker verlieren ihre Glaubwürdigkeit, und es herrscht das Gefühl, politische Vertreter haben sich vom Volk, das sie zu repräsentieren verpflichtet sind, abgekoppelt. Dies ist der Nährboden für Antipolitik, Populismus, Rechtspopulismus und Extremismus.
Ist die Gesellschaft stark genug, auch die inzwischen real existierende Krise zu verkraften? Fragen, die in der jüngsten Zeit immer häufiger gestellt werden. Das Schlagwort von der Vertrauenskrise macht die Runde. Von der zunehmenden Entfremdung zwischen politischer Klasse und der Bevölkerung wird immer größer. Es wäre voreilig, solche Stimmungen einfach als folgenlose Ausgeburt der ewig Unzufriedenen abzutun. Es geht zwar auch nicht wirklich um die Wiederkehr der unglückseligen Weimarer Zeit. Aber es verbreitet sich derzeit virusschnell in dieser Republik eine öffentliche Geringschätzung der Demokratie, die schädlich für unser politisches System ist. Herbeigeführt wurde diese Entwicklung durch eine Politik, die zu lange auf den Erhalt der eigenen Macht um jeden Preis setzte. Darüber wurde die Beantwortung der drängenden Fragen in unserer Gesellschaft versäumt. Solange der politische Betrieb in unserem Land vor allem darauf aus ist, den jeweiligen politischen Gegner zu disqualifizieren und zu diffamieren gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich dieses in absehbarer Zeit ändern könnte, wird der Vertrauensverlust bei den Bürgern nicht nur anhalten, sondern immer neue Nahrung bekommen. Üppige Diäten oder Altersruhegelder, Nebenbeschäftigung als Aufsichtsräte, Korruptionsskandale dies sind nur einige Vorwürfe, die das Feuer noch schüren.
Die Parteien müssen umdenken. Nicht alles, was der politische Gegner sagt, ist falsch, nur weil es vom Gegner kommt. Tatsächlich haben sich die Parteien in ihrem Kampf gegeneinander darauf spezialisiert, Ablenkungsmanöver zu fahren. Die Diskussion um eine radikale Rentenreform (Umlageverfahren) oder Steuerreform bietet für diese These den besten Beweis. Das tägliche Vorlegen neuer Konzepte soll in Wahrheit nur kaschieren, dass man eigentlich gar nicht fähig ist, eines davon endlich durchzusetzen. Und das kann man dann schnell wieder dem jeweils anderen Lager vorwerfen. Ein einziges Trauerspiel, das der Bürger längst durchschaut hat.
Der Kampf um die Macht ist das Einzige, was die gegenwärtige Politiker-Generation noch können, es ist eine einzige Fehlbesetzung. Statt mit Fachbeamten Gesetze handwerklich sauber vorzubereiten, umgeben sich die Minister lieber mit Jasagern und Schmeichlern und beauftragen Berater. Man vermisst vor allem Anstand und Ernsthaftigkeit. Während die Bevölkerung mit der Gesundheitsreform und einer schlecht gemachte Grundrente zurechtkommen müssen, sitzen die politische Elite Schenkel-klopfend und grinsend in Talk-Shows. Dort sind sie dann komplett abgehoben.
Komplett abgehoben? Was für die politische Elite gilt, ist auch auf manche Teile der Wirtschaft anzuwenden. Das arrogante Gehabe mancher Spitzenmanager, für die Millionenabfindungen Peanuts sind, erzeugt zu Recht Empörung bei den Bürgern.
Fazit: Wenn dem so wäre, und manches spricht dafür, dann liefe diese Republik Gefahr, vom Gespenst von Weimar doch noch eingeholt zu werden. Der starke Verführer, das lehrt die Geschichte, wird sich dann schon von selbst finden.
Dies lenkt den Blick auf den Sachzwang, der in der deutschen Politik zuletzt neue Bedeutung erhielt. Das Reklamieren einer Alternativlosigkeit der Entscheidung, wie dies Bundeskanzlerin Merkel in der Euro, Flüchtlingskrise und der Pandemie tat, entspricht nicht dem Verständnis demokratischer Entscheidungsfindung. Eine Demokratie wird ausgehöhlt, wenn keine Alternativlösungen diskutiert werden, und genau jener Punkt verweist auf ein konstitutionalistisches Verständnis der Großen Koalition. Sie verstand sich lange, obwohl die Sachprobleme nicht so tief greifend waren und sind wie in Weimar als Sachwalterin des Gemeinwohls über den Parteien. In der Tat wurde die Große Koalition parlamentarisch zuletzt nur wenig attackiert. Wiederspruch kam vor allem aus den eigenen Reihen, von der CSU, deren Kritik als Streit in der Union in den Medien befremdlich zur Kenntnis genommen wird. Der Pendelschlag des Parlamentarismus, der in Weimar schwand, verliert auch in der bundesdeutschen Demokratie an Wirkkraft, und dies schafft Raum für Frustration der Bürger und außerparlamentarischen Protest.
Dennoch ist Berlin nicht Weimar. Europa ist noch wie vor ein Hort der Freiheit in einer unsicherer gewordenen Welt. Deutschland gilt als Gewinner der Globalisierung, der ökonomische Prosperität, hohe soziale Sicherheit und politische Stabilität bietet. Die deutsche Demokratie basiert auf gefestigten Erfahrungen, auf die sie zurückgreifen kann, und dazu gehört ein Zulassen des parlamentarischen Spiels der Kräfte, des lebendigen Austauschs der Meinungen, auch und gerade in den Volksparteien, bei einer entschiedenen Abgrenzung zum Extremismus. Aber das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der repräsentativen Demokratie ist erkennbar gesunken.
Wir brauchen in unserer Gesellschaft dringend eine breite Diskussion über die Einstellung zum Mitmenschen, zur Umwelt und zu den ethischen Fragen des täglichen Lebens.
Wir brauchen eine Verfassungsdebatte. Sie wurde bereits angestoßen durch GemeinWohlLobby
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