mRNA gegen Krebs und Autoimmunerkrankungen

Covidmittel ein „Abfallprodukt“?

Lange Zeit galt die mRNA als instabil und stand im Schatten ihres Schwestermoleküls DNA. Ende der 90er Jahre entdeckte Dr. Ingmar Hoerr, dass die mRNA möglicherweise als therapeutisches Molekül genutzt werden kann. Die DNA ist der Quellcode des Lebens und trägt unbegrenzte genetische Informationen.  Das Botenmolekül mRNA trägt zielgerichtete Anweisungen zur Herstellung eines Proteins aus einem Gen. Es geht um Krebsimmuntherapien, auch um potenzielle Malaria- oder Tuberkulose-Vakzine.  Derzeit in Deutschland zugelassen: siehe RKI

Eine Studie mit Impfstoff von Biontech und Moderna

Biontech will Wirkstoff gegen Tumore erproben. Erste Zulassungen auch anderen erwarten Mediziner bereits in wenigen Jahren. Mit Chemotherapien, Strahlenbeschuss oder Stammzellen Transplantationen geht die Medizin bisher gegen Krebs vor. Einen Impfstoff, wie er nach nur rund einem Jahr für das Corona-Virus entwickelt wurde, gibt es auch nach Jahrzehnten der Forschung noch nicht. Ein Impfstoff gegen Krebs wie gegen Masern, Mumps oder Kinderlähmung, das wäre ein Traum, sagt Sebastian Bauer, Professor für Personalisierte Tumorzentrum (WTZ) des Uniklinikums Essen. Das sei eine schöne, doch ferne Vision. Allerdings sei eine gezielte Impfung gegen einzelne Krebsarten schon in naher Zukunft möglich, meint Bauer.

Biontech zur Entwicklung

Bauer und weitere Mediziner am (WTZ) sind mit anderen Kliniken an einer Studie des Mainzer Impfstoff-Pioniers Biontech zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Krebs beteiligt. Bevor Biontech den Wirkstoff gegen das Sars-Cow-2 entwickelte, forschte das Unternehmen bereits viele Jahre an neuartigen Krebstherapien. Derzeit würde die ersten Patienten mit dem Wirkstoff BNT111 behandelt, teilte Biontech mit.In der Studie mit 120 Patienten werde die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit des Mittels zur Behandlung einer Form von Hautkrebs untersucht. Mehr als ein Dutzend weitere Arzneimittelkandidaten seien in der Entwicklung. Genau wie der Covid-19-Impfstoff von Biontech nutzt auch das Krebsmittel die neuartige Boten-RNA-Technologie (mRNA). Sie gibt den menschlichen Zellen die genetischen Informationen, um Proteine zu produzieren, die den Krebstumor bekämpfen sollen. So wird das Immunsystem des Körpers dazu gebracht, den Tumor zu bekämpfen oder zumindest sein Wachstum zu stoppen, erklärt Sebastian Bauer. Die Impfung basiert darauf, dass man dem Immunsystem Proteine präsentiert, die es nicht in den gesunden Körperzellen, sondern nur im Tumor gibt, um diesen dann anzugreifen. Die Arbeit der Essener Mediziner besteht vereinfacht gesagt  zunächst darin, eine Tumor probe zu gewinnen, um in dieser mittels Genanalyse nach Tumorspezifischen Mutationen zu suchen. Diese werden dann durch Biontech in die Boten-RNA übertragen, speziell verkapselt und den Krebspatienten wieder injiziert. Die Methode ist erprobt und technisch ausgereift. Zudem lässt sich das Verfahren rasch auf verschiedene Tumorarten übertragen, erklärt Bauer. Das ist ein sehr vielversprechender Weg, weil wir wissen, wie unfassbar effektiv das Immunsystem bei manchen Patienten Tumoren in Schach halten kann. Bei der Impfung werden Antigene in hoher Dosis verabreicht, die typisch sind für den Erreger, um das Immunsystem gegen ihn zu mobilisieren. Antigene sind Stoffe, die eine Abwehrreaktion hervorrufen. Dadurch kommt es zur Bildung von Antikörpern, die gegen fremde und bedrohliche Antigene, etwa Corona-Viren, produziert werden. Dabei passt der Antikörper zum Antigen wie ein Schlüssel zum Schloss: Verbinden sich Antigen und Antikörper, wird im Idealfall die Vernichtung des Erregers auslöst. Das ist auch die Impfstrategie gegen Krebs. Die Frage dabei ist, ob das Immunsystem tatsächlich auf die Tumorzellen losgeht. Das passiert weniger leicht als erhofft, sagt Tumorspezialist Sebastian Bauer. Ein Problem sei die unglaubliche Vielfalt und Wandlungsfähigkeit der Tumorzellen, erklärt Bauer. Sie verfügen über eine Vielzahl von Antigenen, auf die das Gegenmittel (Antikörper) nicht immer wie der besagte Schlüssel ins Schloss passt. Zuweilen erkennt das Immunsystem die bedrohlichen Zellen überhaupt nicht, da sie sich als gesund tarnen. Bauer nennt das den Fluchtmechanismus der Tumorzellen. Daher müssten die Vakzine künftig sicher laufend angepasst werden.

Biontech ist zuversichtlich

Biontech ist dennoch zuversichtlich, dass es bereits bis 2033 erste Zulassungen von Krebs-Impfstoffe geben wird. Weitere Vakzine würden folgen. Bauer stimmt dem zu. Doch glaubt er nicht, dass Impfungen in naher Zukunft die bisherigen Krebstherapien komplett ersetzen könnten. Es wird einige Krebsarten geben, wo das gut funktioniert und andere, bei denen es nicht so gut klappt, prognostiziert der Mediziner. Die besten Heilungserfolge gelingen derzeit immer noch mit der Chemotherapie. Impfungen würden daher in den kommenden Jahren eine von mehreren Behandlungsmethoden werden für einen Teil der Tumorpatienten. Eine einmalige Impfung wie gegen Masern oder Mumps, das bleibt ein schöner Traum.

Moderna

Ebenso wie das Mainzer Unternehmen Biontech hat auch die US-Firma Moderna mit seiner mRNA-Technologie noch Großes vor. Diese Woche kündigt Moderna im Rahmen seines Quartalsberichts an, mRNA-Kandidaten für fünf große therapeutische Bereiche in der klinischen Entwicklung zu haben. Infektionskrankheiten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Autoimmunerkrankungen und seltene Erkrankungen. Zudem arbeitet das Unternehmen an anderen pharmazeutischen Formulierungen, um die mRNA Medikamente auch bei normalen Kühlschranktemperaturen stabil zu halten und zum Beispiel subkutan zu verabreichen. Derzeit listet Moderna auf seiner Website 30 klinische Studien.

Vor Kurzem begonnen hat die Dosisfindungsstudie (Phase I) mit mRNA-1010, einem mRNA-basierten quadrivalenten Grippeimpfstoff. Ebenfalls in Phase I befindet sich mRNA-6231, die theoretisch bei einer ganzen Reihe von Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden können. Sie kodiert für modifiziertes Interleukin-2, das mit humanem Serumalbumin fusioniert ist (HSA-IL2m). Ziel ist es, damit regulatorische T-Zellen so zu stimulieren, dass das Gleichgewicht einer gestörten Immunantwort wieder hergestellt wird. Konkret Indikationen nennt Moderna noch nicht. Es ist unser erster mRNA-Autoimmun-Kandidat und der erste, der subkutan angewendet wird.

Gegen das Zikavirus ist ein Kandidat mit dem Kürzel mRNA-1893 bereits in der Phase II. Mit Chikungunya steht ein weitere tropische Krankheit auf der Liste (mRNA-1944 und VAL-181388).

Zudem soll eine Phase-III-Studie mit mRNA-1647, einem hexavalenten Impfstoff gegen das Zytomegalievirus (CMV), noch in diesem Jahr starten. Außerdem gab die US-Arzneimittelbehörde FDA grünes Licht für eine klinische Studie mit dem Impfstoff mRNA-1345 gegen das respiratorische Synzytialvirus (RSV) bei Personen ab 60 Jahren. Der Kandidat soll auch bei Kindern ab zwölf Monate getestet werden. Darüber hinaus findet eine Studie mit Kindern und Erwachsenen statt, die mit mRNA-1653 gegen humane Metapneumoviren (hMPV) immunisiert werden soll.

Im Bereich Covid-19 läuft eine Phase-I-Studie mit einem mRNA-Impfstoff der nächsten Generation (mRNA-1283), der bei Kühlschranktemperatur transport- und lagerfähig ist. Die Booster-Kandidaten mit leicht abgeänderter mRNA aufgrund der Virusmutanten sind bereits in Phase II. Außerdem laufen noch die Studien mit Spikevax für jüngere Kinder.

Modernas Vision sei eine Kombinationsimpfung gegen Covid,19, die Grippe und RSV, die als jährliche Auffrischung Erwachsene vor allen drei Atemwegserkrankungen schützen soll, kündigt Moderna Chef Stephan Bancel an.

In der Onkologie ist mRNA-2752 der führende Kandidat, der aus drei mRNA besteht, für die zwei Zytokine IL23 und IL 36y sowie OX40L, einem Molekül, das auf der Oberfläche verschiedener Immunzellen zu finden ist. Er wird derzeit bei Patienten mit Lymphomen und Urothelkarzinomen (malignen Tumoren des Überganggewebes der ableitenden Harnwege) getestet. mRNA-4157 ist ein weiterer Kandidat, mit dem eine Studie bei Patienten mit soliden Tumoren sowie bei Hautkrebs läuft. mRNA-2416 soll ebenfalls bei soliden Tumoren sowie Lymphomen und Eierstockkrebs helfen.

Und auch bei seltenen Erkrankungen läuft die erste Studie, und zwar mit Patienten mit der Stoffwechselkrankheit Propion-Azidämie (PA). Für diese sowie eine weitere seltene Erkrankung, die Methylmalon-Azidämie (MMA), ist eine Studie mit mRNA-3704 geplant. Bei MMA soll noch ein weiterer Kandidat getestet werden: mRNA-3705.

Bislang keine klinische Studie listet Moderna im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Auch CureVac aus Tübingen und andere

forschen auf der gleichen Basis. CureVac N.V. (Nasdaq: CVAC), ein globales biopharmazeutisches Unternehmen, das in klinischen Studien eine neue Klasse von transformativen Medikamenten auf der Basis von Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) entwickelt, gab die strategische Entscheidung bekannt, sich bei der Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffs auf mRNA-Impfstoffkandidaten der zweiten Generation in Zusammenarbeit mit GlaxoSmithKline (GSK) zu fokussieren. CureVac geht davon aus, dass für CVnCoV mit einer Zulassung frühestens im zweiten Quartal 2022 gerechnet werden kann und konzentriert sich, wie die vorgenannten, auf drei Bereiche: Prophylaktische Impfstoffe, Krebsimmuntherapien und molekulare Therapien. Im Rennen um Covid hat CureVac bisher verloren.

Viele Krankheiten – von Infektionskrankheiten über Krebs bis hin zu genetischen Leiden – sind auf Proteine zurückzuführen. Die mRNA kann zu einem bemerkenswerten Therapeutikum mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten werden.

Andrew Lofts Gray, Dozent für Pharmakologie an der Universität KwaZuluNatal in Südafrika, plädierte für die Patentfreigabe und findet: „Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Maßnahmen.“ Vonnöten seien Technologietransfer sowie der Zugang zu Know-how. Das Mainzer Pharma-Unternehmen BioNTech kontert und hat in den vergangenen Monaten an schlüsselfertigen Produktionsanlagen für mRNA-Impfstoffe gearbeitet, die nach Afrika gehen sollen. Dem Unternehmen zufolge ist der BioNTech/Pfizer-Corona-Impfstoff nur eines der möglichen Produkte, die darin hergestellt werden können. Es gehe beispielsweise auch um potenzielle Malaria- oder Tuberkulose-Vakzine.

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