Wo sie nicht wissen, was sie tun

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat Grundrente eingebracht (Respektrente)

Warum der Grundrentenvorschlag ungerecht ist 

Teil 2

Lebensleistung, Respekt, das sind ideologische Verbrämungen (positive, abgeschwächte Darstellung von etwas Negativem), mit denen ohne Erfolg versucht wird, die neue Leistung zu rechtfertigen. Es geht darum, dass diejenigen, die für das Alter, wenn auch unzureichend vorgesorgt haben, im Alter mehr haben sollen, als diejenigen, die jede Vorsorge unterlassen haben. Die Abgrenzung anhand der Versicherungszeit von 35 Jahren ist aber willkürlich. Bei den Vorschlägen von Ursula von der Leyen waren es noch 45 Jahre, bei Andrea Nahles 40 Jahre.

Einen sachlichen Grund für eine Abgrenzung bei 35 Jahren gibt es nicht. Wer nur 34 Versicherungsjahre mit niedrigem Einkommen aufweisen kann und auf Grundsicherung angewiesen ist, soll keine Grundrente bekommen. Verdient er keinen Respekt? Der Grundansatz, dass sich Vorsorge im Alter auch bei der Grundsicherung lohnen soll, trifft auch auf ihn zu. So hat in Entgeltpunkten ausgedrückt derjenige, der 34 Jahre in Vollzeit gearbeitet hat, eine respektablere Lebensleistung erbracht, als derjenige der 35 Jahre lang nur etwa mehr als geringfügig beschäftigt war, aber mit der Grundrente eine insgesamt höhere Altersleistung erhalten soll. Hubertus Heil reagiert auf diese Kritik nun mit der Bereitschaft, darüber nachzudenken, den Übergang etwas fließender zu gestalten. Die Voraussetzung der 35 Jahre soll also abgeschwächt und der Personenkreis dadurch erweitert werden. Diese Bereitschaft zeigt, wie beliebig die vorausgesetzten 35 Jahre sind. Dass diejenigen, die weniger als 35 Jahre Pflichtversicherung aufweisen, bei der Grundrente leer ausgehen, ist nicht nur ungerecht, es lässt das gesamte Modell verfassungswidrig werden.

Heils Vorschlag benachteiligt Rentenversicherte gegenüber Personen, die eine betriebliche oder private Zusatzrente beziehen. Für diese Renten ist, wenn sie bei der Sozialhilfe anzurechnen sind, 2018 ein Freibetrag für Altersvorsorge eingeführt worden. Er soll ein Anreiz für Geringverdiener sein, mehr zusätzlich für das Alter vorzusorgen. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und bei der Grundsicherung werden bis zu 212 Euro (2019) monatlich aus einer freiwilligen zusätzlichen Altersvorsorge des Berechtigten nicht als Einkommen angerechnet und erhöhen somit über die Grundsicherung hinaus das Alterseinkommen. Besondere zeitliche Voraussetzungen gibt es dafür keine. Zuständig sind die Sozialhilfeträger. Heils Vorschlag sieht zwar auch einen Freibetrag bei der Grundsicherung vor, er setzt aber einen Anspruch auf die Grundsicherung und damit auch insoweit 35 Jahre mit Grundrentenzeiten voraus. Pflichtversicherte, die diese Voraussetzung nicht erfüllen und somit leer ausgehen, werden also deutlich benachteiligt, das ist mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren.

Keine Grundrente erhält auch derjenige, der nach 30 Versicherungsjahren erwerbsunfähig geworden ist. Er bekommt zwar eine seit2019 nochmals verlängerte Zurechnungszeit zugebilligt, die ihn so stellt, als ob er bis zum Rentenbeginn gearbeitet hätte, doch er erfüllt damit die geforderten 35 Jahre nicht, weil die Zurechnungszeit dem Faktenpapier nach keine Grundrentenzeit ist. Das bedeutet, dass die meisten Bezieher von Erwerbsminderungsrente von dem Bezug der Grundrente ausgeschlossen sind.

Grundrente unabhängig von der Bedürftigkeit

Der Verzicht auf eine Bedürftigkeitsprüfung hat mit dem von Heil geforderten Respekt gegenüber dem Versicherten nichts zu tun. Wer bei denen, die trotz einer langjährigen Beschäftigung keine auskömmliche Rente beziehen, eine Bedürftigkeitsprüfung für unzumutbar hält, muss auch erklären können, warum Mütter, die Kinder erziehen, warum Erwerbsgeminderte, warum Behinderte, wenn sie auf Sozialhilfe angewiesen sind, ihre Bedürftigkeit offenlegen müssen. Diese Ausnahmebehandlung der Rentner ist nicht nur ungerecht, sie führt auch dazu, dass das System der Sozialhilfe (Grundsicherung) immer mehr abgewertet wird. Darunter leiden dann auch diejenigen, die auf diese Leistungen angewiesen bleiben.

Da der Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung so absurd ist und das den Verfassern des Modells auch nicht verborgen geblieben sein dürfte, kann er wohl nur taktisch zu erklären sein. Der letztlich nicht durchzuhaltende Verzicht ist die Verhandlungsmasse, bei der man dem Koalitionspartner entgegenkommen kann, um das Modell im Übrigen durchzubringen, zumal im Koalitionsvertrag eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung ausdrücklich vorgesehen ist. So soll in der Koalition bereits über eine Bedürftigkeitsprüfung diskutiert werden, bei der es nur auf das Haushaltseinkommen der beiden Ehegatten ankommt und Vermögen, Lebensversicherungen und Immobilien unberücksichtigt bleiben.

Jede Ausnahme bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen schafft neue Ungleichheiten. So kann nicht gerechtfertigt werden, dass die, die freiwillig Vorsorge betrieben haben, besser gestellt werden, als die, die der Gesetzgeber dazu verpflichtet hat. Es dürfen nicht immer die gesetzlich Versicherten die Dummen sein. Wenn die Rente des anderen Ehegatten angerechnet wird, muss auch die Lebensversicherung angerechnet werden und wenn sie angerechnet wird, müssen zwangsläufig auch andere Vermögenserträge berücksichtigt werden. Wird die Witwenrente aus der Rentenversicherung angerechnet, kann die Witwenpension aus der Beamtenversorgung oder der betrieblichen Altersversorgung nicht besser gestellt werden. Die meisten dieser Gleichheitsprobleme sind bei der Anrechnung von Einkommen auf die Witwenrente durchdiskutiert worden mit dem Ergebnis, dass es inzwischen fast keine Ausnahmen mehr gibt. Eine Bedürftigkeitsprüfung wird keine Lösung sein.

Was Kostet uns die Finanzierung des Grundrentenvorschlags

Es ist erstaunlich, aber nicht überraschend, dass das Faktenpapier des Ministeriums zu den Kosten des Vorschlags nichts aussagt. In der SPD-Papier ist von einem einstelligen mittleren Milliardenbetrag die Rede. 

Wirtschaftsforschungsinstitute kommen auf deutlich höhere Beträge. Das kann derzeit, weil viele Details des Vorschlags noch offen sind, nicht seriös überprüft werden. Im Vergleich zu den Vorgängermodellen werden die Kosten schon wegen des Verzichts auf die Bedürftigkeitsprüfung viel höher sein. Würde sie durchgeführt, würde sich der Kreis der potenziell Berechtigten deutlich verringern, da nur 1% der Rentner mit mehr als 35 Versicherungsjahren ergänzend auf Sozialhilfe angewiesen ist. Bei den Kosten gibt es erhebliche zusätzliche Risiken. Weil die Rentenzugänge in den nächsten Jahren deutlich zunehmen werden, muss, gleich wie das Model gestaltet wird, mit einer steigenden Zahl von Anspruchsberechtigten gerechnet werden. Auch weil bei der Respektrente auf die Prüfung der Bedürftigkeit verzichtet werden soll, muss die neue Grundrente in das EU Ausland exportiert werden, wobei vergleichbare Zeiten in anderen Mitgliedstaaten als Grundrentenzeiten zu bewerten sind. Das wird sich dort herumsprechen und die Zahl der Anspruchsberechtigten deutlich ansteigen lassen.

Eine Grundrente würde zudem die Bereitschaft, vorzusorgen, untergraben. Sie könnte 2019 maximal 597 Euro betragen und eine Rente von 300 Euro auf 897 Euro aufstocken. 597 Euro haben einen Beitragswert von rund 135. 000 Euro. Der Rentner mit einer beitragsfinanzierten Rente von 900 Euro würde zu Recht fragen, warum er die hohen Beiträge gezahlt hat, wenn er die gleiche Leistung großenteils hätte umsonst bekommen können, und die andere Rente auch noch mitbezahlen muss. Dies wäre ein nicht zu unterschätzender Anreiz, nur das Minimum an Arbeit legal zu erbringen und den Rest schwarz, denn jeder Euro Verdienst mehr, mindert die Grundrente.

Die neue Grundrente lässt sich mit dem die Rentenversicherung prägenden Grundprinzip der Beitragsäquivalenz nicht vereinbaren. Deshalb ist ihre Finanzierung anders, als das Papier des Ministeriums es sieht, keine Aufgabe der Solidargemeinschaft. Diese trägt keine Verantwortung dafür, dass es einen Niedriglohnbereich gibt, der mit zu niedrigen Renten verbunden ist. Die Grundrente ist Aufgabe der Gesamtgesellschaft und mit Steuern zu finanzieren. Bei allen Vorgängermodellen war der Widerspruch der Finanzpolitiker vehement der amtierende Finanzminister ist insoweit eine Ausnahme, obwohl er auf die künftigen Belastungen des Bundeshaushalts hinweist, und immer ist bislang die Sozialpolitik eingeknickt und hätte sich mit einer marginalen Erhöhung des Bundeszuschusses abgefunden, um das Modell zu retten. Beamte, Abgeordnete, Selbständige und Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze und aus Vermögen bräuchten sich an diesen Kosten dann auch wieder nicht zu beteiligen. Die Gefahr ist groß, dass vor allem künftige Rentnergenerationen die Kosten der Grundsicherung mit höheren Beiträgen und mit niedrigeren Anpassungen finanzieren  müssen. Noch fehlt die Verabschiedung im Bundestag, noch fehlt die Zustimmung der CDU-Parteibasis.

Selbst wenn, etwa als Ergebnis eines Kompromisses, die Bedürftigkeit geprüft würde, wäre die Grundrente kein taugliches Modell. Zur Armutsbekämpfung taugte es auch nicht, wenn es bei den vorausgesetzten 35 Jahren mit Grundrentenzeiten bliebe. Die Einführung einer Bedürftigkeitsprüfung ließe die neue Leistung eindeutiger zu einer Sozialhilfe de luxe werden, weil man den Berechtigten den Gang zum Sozialamt nicht zumuten will.

Der Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung änderte auch nichts daran, dass die neue Leistung Rentenversicherte gegenüber Personen, die eine betriebliche oder private Rente beziehen, verfassungswidrig benachteiligen würde. Der Freibetrag in der Grundsicherung, der ihnen eingeräumt wurde, ist von einer zeitlichen Voraussetzung unabhängig, während bei den gesetzlich versicherten Rentnern noch wie vor 35 Jahre mit Grundrentenzeiten gefordert würde.

Wie bei allen Harz IV Empfängern, ist das täglich gängige Praxis, einschließlich stetiger Vorlage aller Kontobewegungen. Hier muss kein neues Bürokratiemonster erfunden werden, Also Gleichbehandlung sieht auch unser Grundgesetz vor!

Finanzminister Scholz von der SPD, bittet Kleinaktionäre für die Grundrente zur Kasse, wo bleiben die großen Börsenplayer.

Die Unsolide Finanzierung für die Grundrente (Finanztransaktionssteuer) gibt es noch nicht. Es ist daher falsch, dass Menschen, die privat mit Aktien fürs Alter Vorsorgen, herangezogen werden, um die Grundrente zu finanzieren. Union und SPD missbrauchen damit weiterhin die Sozialsysteme, um gemeinsam weiter zu regieren. Sie untergraben nicht nur dass Sozialsystem, sondern auch dass Grundgerüst der Rentenversicherung. Manchmal ist die einfachste Lösung die beste. So auch bei der Finanzierung des Sozialstaats im Allgemeinen und der  Grundsicherung und der Rente im Besonderen. Und die Lösung lautet hier: Umlageverfahren. Am besten klappt es dann, wenn die gesamte Gesellschaft einbezogen wird, wenn also alle leistungsfähigen Mitglieder des Staates mit ihren Beiträgen für die Bedürftigen einstehen. Der Charme liegt nicht allein darin, dass kein langer Vorlauf benötigt wird, um einen Kapitalstock aufzubauen. Es ist zudem ein erstaunlich flexibles und sicheres Verfahren.

Achtung:

Grundrente könnte noch viel teurer werden.

Denn nicht nur EU-Ausländer hätten Anspruch auf Grundrente, heiße es in dem Papier. Vielmehr könnten Staatsbürger aus mehr als 40 europäischen Ländern von der Grundrente profitieren. Zu diesen Ländern zählen etwa die Schweiz und Norwegen. Hinzu kommen Staaten, mit denen Deutschland Sozialversicherungs abkommen geschlossen hat, zum Beispiel Brasilien, Japan oder Kanada. Sogar nach Indien müsste Deutschland die Grundrente überweisen. 8,4 Millionen Ausländer könnten womöglich Anspruch anmelden. Für den Zugang zur Grundrente seien alle Pflichtbeitragszeiten und vergleichbare gleichgestellte Zeiten aus diesen Staaten mitzuzählen und zusammenzurechnen. Um wie viele Personen es theoretisch geht, wird aus Zahlen der Rentenversicherung deutlich. Demnach haben derzeit 6,6 Millionen Personen aus berechtigten Ländern in die deutsche Rentenkasse eingezahlt, 1,8 Millionen beziehen bereits jetzt deutsche Renten.

Beispiel

Ein Pole etwa, der zehn Jahre in Deutschland gearbeitet und Rentenbeiträge gezahlt hat, könnte die Grundrente erhalten, wenn er Belege über 25 Arbeitsjahre in seinem Heimatland nachweisen kann. Sein Rentenzuschlag würde dabei natürlich nur für die zehn deutschen Arbeitsjahre berechnet werden. In diesem Beispiel wäre das Knapp ein Drittel des Grundrentenbetrages.

Es fehlt an einem zukunftsfähigen Gesamtkonzept.

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