Sterbehilfe vor dem Bundesverfassungsgericht

Große Verantwortung der Gesellschaft für schwerstkranke und alte Menschen

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verkündet heute, am 26.2.2020 um 10:00 Uhr, seine mit Spannung erwartete Entscheidung über die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung. In der mündlichen Verhandlung vor dem Zweiten Senat,16+17.April 2019, hat sich angedeutet, dass der 2015 neu eingeführte Paragraf 217 im Strafgesetzbuch in der jetzigen Form keinen Bestand haben wird.

Hintergrund: Der Freitod und die Beihilfe sind strafbefreit.

Der Bundestag wollte mit der 2015 verabschiedeten Regelung das Auftreten von Sterbe­hilfevereinen eindämmen. Dagegen haben Ärzte und Schwerkranke vier (4) Verfassungsbeschwerden (Aktenzeichen: 2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16) eingereicht – allerdings mit unterschiedlichen Argumenten.

Erkrankte machen geltend, dass sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ableiten lasse. Dieses Recht müsse die Inanspruchnahme der Hilfe Dritter in Deutschland umfassen. Die Sterbehilfevereine sehen Grundrechte verletzt, weil ihre Mitglieder nicht tätig werden können, die Erkrankten gezwungen sind in die Niederlande oder die Schweiz zu fahren.erstellt von Mathias Brandt statista

Ärzte argumentieren, der Paragraf 217 StGB stelle nicht sicher, dass im Einzelfall geleistete Suizidbeihilfe straffrei bleibe. Auch sei unklar, ob die Neuregelung bislang straffreie For­men der Sterbehilfe und Palliativmedizin erfasse. Dies verhindere in der Konsequenz eine am Wohl der Patienten orientierte Behandlung. Laut Paragraf 217 StGB drohen Freiheits­strafen von bis zu drei Jahren; nahe stehenden Personen eines Kranken sind davon allerdings ausgenommen.

Wie gehen wir mit dem Sterbewunsch um

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) verweist auf eine große Verantwortung der Gesellschaft für schwerstkranke und alte Menschen. Wie wir mit dem Sterbewunsch eines schwerkranken Menschen umgehen, sagt sehr viel über uns als Gesellschaft. Die Äußerung eines Sterbewunsches als konkrete Handlungsaufforderung zu verstehen, sei viel zu kurz gegriffen.

Wir alle hoffen Alt, nicht gebrechlich zu werden und hoffen auf einen leichten, schnellen Tod. Alles planen und überlegen wir, nur nicht unseren letzten Weg. Wir hinterlassen die Sorgen den Überlebenden. Setzen wir uns dafür ein, dass die Gesellschaft sich öffnet und alten und kranken Menschen einen Rahmen dafür bieten muss, sich frühzeitig über die Gestaltung ihrer letzten Lebensphase Gedanken zu machen und darüber zu reden.

Die Äußerung eines Sterbewunsches ist oftmals ein Hilferuf oder drückt das Anliegen aus, über das Leiden unter einer unerträglichen Situation und die persönliche Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit zu sprechen. Ein vertrauensvoller Gesprächsprozess über den Wunsch zu sterben, sorgt für Entlastung und eröffnet fast immer auch Perspektiven zum Umgang mit den Belastungen.

Bestimmen wir über uns selbst

Unabhängig vom Urteil und der Klärung des Standes für die Palliativmedizin, brauchen wir dringend für ein würdevolles Sterben und Abschiednehmen eine breite gesellschaftliche Diskussion über Rahmenbedingungen am Lebensende in Pflegeheimen, Krankenhäusern und im häuslichen Umfeld . Der Fachkräftemangel in der Pflege fordert über kurz oder lang Jeden.

Das Recht des Einzelnen geht weit über eine adäquate Hospiz- und Palliativ­ver­sorgung hinaus.

  • Warum wurde und wird beim Thema Organspende die Diskussion nicht unter dem Wert des Lebens, nicht unter ethischen Gesichtspunkten geführt.
  • Wir müssen gesellschaftliche und unsere Tabus zum Sterben, Tod und zur Trauer infrage stellen.
  • Suchen wir rechtzeitig unseren Standpunkt, unseren Ort des Wohlbefindens und der Zufriedenheit. Überlassen wir die Entscheidung nicht Anderen.
  • Informations- und Diskussionsangebote nehmen wir in den Veranstaltungskalender auf.

Lange haben wir den Tod verdrängt

Nachtrag: Bundesverfassungsgericht kippt § 217 StGB

Anmerkung:

Wer Hilfe sucht, auch als Angehöriger, findet sie etwa bei der Telefonseelsorge unter der Rufnummer 0800 – 111 0 111 und 0800 – 111 0 222. Die Berater sind rund um die Uhr erreichbar, jeder Anruf ist anonym, kostenlos und wird weder auf der Telefonrechnung noch dem Einzelverbindungsnachweis erfasst. Weitere Beratungsangebote sind etwa hier auf den Seiten der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention zu finden.

Hilfe für Angehörige Suizidgefährdeter bietet auch der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker unter der Rufnummer 01805 – 950 951 und der Festnetznummer 0228 – 71 00 24 24 sowie der Emailadresse seelefon@psychiatrie.de 

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