Dienen für ein vergelt’s Gott, war gestern
Pflegeeinrichtungen werden in der Bevölkerung oft nicht als Unternehmen gesehen. Das Denken im Gesundheits- und Sozialwesen ist eher geprägt durch die Begriffe des Dienens, Helfens, Unterstützens, die Formen einer uneigennützigen Fürsorge. Doch während der letzten 200 Jahre hat sich das Bild gewandelt „Von der Altersversorgungs-Anstalt zum modernen Seniorenzentrum“ 150 Jahre Schenkel-Schoeller-Stift.[1]
Ist die Revolution 1848 so manchem als Geschichtsjahr in Erinnerung, war dies nur eines der schlimmen Jahre. In der obigen Festschrift zum 150 jährigen Bestehen der Stiftung heißt es: „1833 bedrohte die Cholera Düren und 1841 das „Nervenfieber“ eine ansteckende Gehirnentzündung, die nicht selten tödlich endete, wiederum vor allem Arme und Alte.“ Es gab in der Zeit eine Tradition der Stiftungen. Viele wissen, dass in der aufkommenden Industrialisierung Marx und Engels agierten, wenige sehen die Verbindung zu Adolph Kolping. Er übernahm die Ideen des Lehrers Breuer aus Elberfeld und gründete 1852 das erste Gesellenhaus in Köln. Es war die Zeit der Auseinandersetzung der beiden Kirchen und deren Antwort auf die Verelendungstheorie von Marx.
Bereits 1822 kam Pastor Fliedner nach Düsseldorf-Kaiserswerth und schrieb 1833 einen Entwurf einer Satzung zur 1836 gegründeten Diakonissenanstalt[2] 1850 besuchte Florence Nightingale Kaiserswerth, sie gilt bis heute als die Reformerin der neuzeitlichen weltlichen Krankenpflege.1849 wurde das evangelische Krankenhaus Düsseldorf gegründet. In der Stiftungsurkunde heißt es: „Von der Überzeugung ausgehend, daß die Krankenanstalten hiesiger Stadt dem täglichen wachsenden Bedürfniß nicht mehr genügen, ferner, daß diesem Bedürfniß am besten durch Stiftungen von Privat-Wohltätigkeitsanstalten entgegengekommen werde,…“.[3]
„Privat vor Staat“
1994/1995 mit der Einführung der Pflegeversicherung (SGB XI) von langer Hand, ist der bisher letzte Schritt „Privat vor Staat“ umgesetzt. Es wurde das Merkmal der wirtschaftlichen Zielsetzung, Erfolg, Gewinnstreben, Eigennutz etc. bewusst eingeführt. Flankiert durch die Pflegebuchführungsverordnung, in Anlehnung an die Krankenhausbuchführungsverordnung, wird der Bewohner formal als Kostenträger und Erlösbringer behandelt. Der Staat verlagerte ein Teil des Sozialstaatsrisikos auf die Arbeitnehmer als neue Pflegeversicherte und gliederte seine Verantwortung auf die Pflegekassen aus. Der Pflegemarkt wurde zugleich für Privatinvestoren geöffnet. Um private Gewinne zu rechtfertigen, wurde das bis dahin herrschende „Selbkostendeckungsprinzip“ für die Kommunen und Wohlfahrtsverbände formal aufgegeben. Gesundheit, Fürsorge und Soziales wurden lange als Gegensatz zur Ökonomie und knappen Ressourcen betrachtet. Zur Beruhigung wurde der Begriff „Qualität“ eingeführt, um vordergründig den Gegensatz zu Ökonomie abzumildern. Die Wirklichkeit zeigt, das Selbstkostendeckungsprinzip gilt weiter, ein Gewinnzuschlag ist dazu gekommen.
Pflegeeinrichtungen müssen Qualitätseinrichtungen (§§ 112ff.SGB XI) sein
Was hilft ein Organisationsleitbild mit allgemeinen Grundsätzen einer Organisation/Einrichtung, das sich nach innen an die Mitarbeiter*innen und Ehrenamtliche und nach außen an die Bewohner und ihre Zugehörigen bzw. Kooperations- und Netzwerkpartner*innen sowie die gesamte Öffentlichkeit wendet, aber nicht gelebt wird. Was hilft ein übergestülptes Qualitätsmanagement, was von den Mitarbeitern nicht täglich umgesetzt wird.
Der Gesetzgeber hat aus gesellschaftlicher Verantwortung ein formales Gremium der Bewohner in den Pflegeeinrichtungen indirekt vorgeschrieben. Nach § 85 Absatz 3 Satz 2, zweiter Halbsatz SGB XI, vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen darzulegen; es hat außerdem die schriftliche Stellungnahme der nach heimrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Interessenvertretung der Bewohnerinnen und Bewohner beizufügen. (Vertiefender Beitrag zu „Heimbeirat und Entgelterhöhung“ folgt am 18.3.2020)
Nach über 20 Jahren von Heimentgeltverhandlungen muss ein Bundesgericht auf die Einhaltung des Gesetzes pochen.
Bundessozialgericht stärkt Heimbeirat
mit Urteil vom 26.09.2019 – B 3 P 1/18 R. Der Tenor lautet: Der Interessenvertretung der Heimbewohner/innen muss zwingend die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zu der Forderung nach Erhöhung der Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung eingeräumt werden, und zwar grundsätzlich schon vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen.
War die Mitwirkung und Mitbestimmung in der Bonner Republik beim Wiederaufbau unverzichtbar, hat sich die Mentalität des Alleinherrschers in den Unternehmen und Einrichtungen wieder breit gemacht. Die Mitarbeiterführung ist gerade in Zeiten der Personalknappheit ausschlaggebend.
Verantwortung der Bürger
Aufsichts- und Verwaltungsräte oder Beiräte haben die verantwortungsvolle Aufgabe die Unternehmensleitung zu beraten und zu überwachen; der Wirtschaftssektor weist hier eine lange und gefestigte Tradition auf. In den letzten Jahren haben auch die Träger von Krankenhäusern, Pflegeheimen sowie anderer Einrichtungen und Leistungserbringer im Gesundheitswesen begonnen, ihre Management-Strukturen, Betriebsformen und Aufsichtsgremien den wachsenden wirtschaftlichen und rechtlichen Herausforderungen anzupassen. Denn es stellt sich zunehmend – auch im Spannungsfeld von Ökonomie und Ethik – die Frage, in welcher Art und Weise – insbesondere die Aufsichts- und Verwaltungsräte heutiger Unternehmen – in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft dazu beitragen können, dass dort ziel- und qualitätsorientiert, bedarfsgerecht, und verantwortungsbewusst gearbeitet wird und damit der Fortbestand der am Gemeinwesens orientierten Aufgaben gesichert werden.[4]
Weitere Korrekturen des SGB XI helfen nicht weiter.
Die Pflegekassenstruktur als Anhängsel an die jeweilige Krankenkasse ist gescheitert. Der von den Verbänden geforderte sogenannte „Sockelspitze Tausch“ ist reine Kosmetik. Gewinne mit der Altenhilfe dienen kurzfristig den Privatinvestoren. Bürger zahlen zweimal die Zeche.
Zur Vertiefung dienen die Fussnoten
[1] Schenkel-Schoeller-Stift „Von der Altersversorgungs-Anstalt zum modernen Seniorenzentrum“ ISBN 3-927312-61-7
[2] Felgentreff, Ruth „Das Diakoniewerk Kaiserswerth 1836-1998 ISBN 3-925680-28-4
[3] Ackermann, Helmut „Ich bin krank gewesen“ Das Evangelische Krankenhaus Düsseldorf 1849-1999 ISBN 3-933749-09-3
[4] Halbe, Bernd, Rudolf Schmid Aufsichts- und Verwaltungsrat in Gesundheits- und Sozialunternehmen Aufgaben, Herausforderungen, Handlungsempfehlungen
Wir hoffen auf rege Diskussion: [contact-form][contact-field label=’Name‘ type=’name‘ required=’1’/][contact-field label=’E-Mail‘ type=’email‘ required=’1’/][contact-field label=’Kommentar‘ type=’textarea‘ required=’1’/][/contact-form]