Die letzte Zeit des irdischen Lebens

Pflegeeinrichtungen werden Sterbehäuser

Einrichtungsleitungen, Bewohnerbeiräte, Angehörige sind aufgerufen, das Ende würdevoll zu gestalten. Theorien gibt es zur Genüge.  Fehlt es wirklich an praktischen Beispielen?

Wurden im Jahr 1999 noch 40 % aller Pflegebedürftigen in Pflegeeinrichtungen gepflegt, können heute, zwanzig Jahre später, durch die fehlenden Bettplätze noch 15 % in Einrichtungen gepflegt werden. Eine Besserung ist nicht in Sicht, wahrscheinlicher ist eine dramatische Verschlechterung. Sehr viele sterben schon heute  in den Krankenhäusern ohne Beistand. In Pandemiezeiten  geschieht dies auch in Altenhilfeeinrichtungen, ohne von und mit den Angehörigen Abschied nehmen zu können .

Auf dem letzten Weg brauchen wir eine Begleitung.

Tod und Sterben 

Der Übergang vom Sterben zum Tod lässt sich nicht abschließend definieren. Ähnlich trifft dies auch beim Begriff „Würde“ zu. 

Den Tod betrachtet man als gegeben, wenn die lebenswichtigen Funktionen erloschen sind. Der Tod wird als das Ende des irdischen Lebens gesehen. Der medizinische Fortschritt lässt uns länger leben, aber oft auch länger sterben. Davor haben die Meisten Angst; es fehlt uns die Kunst des Sterbens (ars moriendi).

Das Sterben beginnt, sobald die Fakten bewusst sind oder sie akzeptiert werden. 

Das Sterben wird als Vorstufe zum Tod, als Prozess angesehen. Meist wird der Beginn des Sterbens frühzeitig von Ärzten und anderen professionellen Kräften erkannt. Die Anzeichen treten wenige Stunden bis Tage vor dem Tod auf. Der Beginn des Sterbens kann auch an anderen individuellen Punkten festgemacht werden.

Keine Angst vor der notwendigen Diskussion!

Eine Person wird dann zum Sterbenden, sobald sie sich über die Erkrankung mit den Angehörigen oder Nahestehenden austauscht und sich die „Eingeweihten“ gegenüber dem Betroffenen in einer bestimmten Form verhalten. Bei dieser Definition kommt die soziale Komponente stark zum Tragen.

Zwischen palliativer Begleitung und Sterbehilfe ist ein Unterschied.

Mit Sterbehilfe ist die Suizidhilfe gemeint, also die Begleitung von Menschen, die insbesondere aufgrund ihrer Krankheit oder ihres Leidenswegs freiwillig aus dem Leben scheiden möchten und zu diesem Zweck ein tödlich wirkendes Medikament benötigen. Im Jahr 2015 hatte der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die Unterstützung eines solchen Suizids faktisch verboten hatte. Dieses Gesetz – in Form des neu gefassten § 217 Strafgesetzbuch – ist vom Bundesverfassungsgericht am 26.2.2020 aufgehoben worden. Der Gesetzgeber wird zur Suizidhilfe erneut tätig werden. Abgeordnete des Deutschen Bundestags haben bereits zwei Gesetzentwürfe vorgelegt; doch wer kennt sie. Gleichzeitig hat der Bundesgesundheitsminister Spahn ein Gesetz über die Triage vorgelegt. Wohl verpackt als: Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG.

Jeder Mensch sollte das zugestandene Recht haben, über den Zeitpunkt des Endes seines Lebens selbst zu bestimmen und dann auch Handlungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen, die sein Leben tatsächlich beenden. Ein solcher Sterbewunsch muss freiverantwortlich sein; d.h. die Personen, die ihn äußern und auf seine Realisierung dringen, müssen zu eigenständiger, wohlbegründeter Willensbildung in der Lage sein.

Vorgaben für die sogenannte indirekte Sterbehilfe, also für die Fallkonstellation, dass die Gabe von Schmerzmedikamenten als unbeabsichtigte Nebenfolge eine gewisse Verkürzung der Lebenszeit bewirkt. Dazu äußerte sich das Bundesverfassungsgericht am 26.2.2020 eindeutig.

Am 11.1.2021 meinten drei evangelische Kirchenvertreter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, evangelisch  getragene Einrichtungen sollten sich der heutigen Realität, d.h. auch der Akzeptanz von Suizidbeihilfe öffnen und sogar selbst Suizidbeihilfe anbieten. Mit diesem Vorstoß wollte man das herkömmliche kirchliche Nein zur Suizidhilfe in Vergessenheit geraten lassen. Innerhalb der Kirchen wurde dem Vorstoß aber sofort breit und vehement widersprochen, u.a. am 25.1.2021 in der Frankfurter Allgemeinen von dem früheren Spitzenrepräsentanten der evangelischen Kirche W. Huber. Ein Selbstbestimmungsrecht, das Suizid und Suizidbeihilfe einschlösse, wurde erneut schroff in Abrede gestellt, weil das Leben von Gott geschaffen sei. Hilfreicher ist die Argumentation von Frau Coenen-Marx, ehemalige Oberkirchenrätin und Vorsteherin der Diakonissenanstalt Kaiserswerth in im Deutschlandfunk. „Denken wir rechtzeitig an unsere letzten Wünsche.“  Länge:  14:06 min Minuten MP3:   Audio abspielen

Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland in einem weltanschaulich neutralen Staat. Daher ist es unzulässig, dass der Staat als Gesetzgeber sich religiöse, ethische oder sonstige Maßstäbe zu eigen macht, die er den Bürgern – was ihre Einstellung und ihren Umgang mit dem Sterben anbelangt – dann autoritativ und verbindlich vorgibt.

Verständlich ist aus ökonomischen Gründen, dass die Krankenkassen ungern die stationäre Palliativversorgung bezahlen und ambulante Sterbehilfe bevorzugt gefördert wird. Ein guten Ein- und Überblick finden Sie >>hier<<.

Die Angst vor fehlender Finanzierung darf aber nicht dazu führen, dass sich Bürger mit ihren religiösen, ethischen oder philosophischen Standpunkten nicht in die notwendige Diskussion rechtzeitig einbringen. Jede Person hat einen eigenen Blickwinkel, wie sie in Würde sterben will. Dazu gehört insbesondere ohne Leiden und Schmerzen die letzten Stunden bei vollem Verstand zu verbringen.

Es ist die Zeit des Zuhörens und Verstehens.

In der heutigen hektischen Zeit besteht oft nicht mehr die Möglichkeit die Sorgen und Ängste untereinander frei und offen auszutauschen. Jeder verkauft sich als optimale Person. Ängste und Sorgen werden als Schwäche ausgelegt. Angst ist ein mächtiges Gefühl und steuert unsere Entscheidungen.

Würde

Ziel muss es sein, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen und die Würde des Menschen zu wahren. Die Forderung fand auch ihren Ausdruck im (Bundes-)Heimgesetz: „Ein Heim darf nur betrieben werden, wenn der Träger und die Leitung die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigung schützen“ (05.11.2001, §11,1), nun inhaltlich abgelöst durch Wohn-, Teilhabe- Pflegegesetze der Länder

Die Würde des Menschen wird herabgesetzt, sobald er vom Subjekt zum reinen Objekt, zum Mittel degradiert wird.

Das bedeutet, der Mensch verliert seine Würde, wenn er seiner Autonomie beraubt und fremdbestimmt wird. Ärzte müssen Patienten aufklären, damit der Patient frei entscheiden kann. Medizin ist nicht grenzenlos.  Die freie menschliche Persönlichkeit soll auf der höchsten Stufe der Wertordnung stehen. Auch wenn es in guter Absicht geschieht, darf nicht in die Selbstbestimmtheit eingegriffen werden, solange der Mensch in seinem Vernunftgebrauch nicht eingeschränkt ist. Bei Demenzkranken ist es sicherlich eine Gratwanderung, den freien oder mutmaßlichen Willen zu erkennen. Umso wichtiger sind rechtzeitige Vorsorgevollmachten, die den Willen erkennen lassen. Die Integrität des Menschen muss unbedingt gewahrt bleiben und geachtet werden.

Die Menschenwürde zu achten bedeutet, in jedem Menschen einen Wert in sich selbst anzunehmen, der von äußeren Merkmalen unabhängig ist und unter allen Umständen respektiert sein will. Würde zu haben bedeutet, um seiner selbst, nicht um fremder Zwecke willen in der Welt zu sein. Das Denken ist in Art. 1 Absatz 1 des Grundgesetzes eingegangen und in Art. 2 GG als persönliche Freiheitsrecht garantiert.

Hospizbewegung

1967 eröffnete Cicely Saunders in London das „St. Christopher’s Hospice“, das den sterbenden Menschen und ihren Angehörigen wieder einen Platz in der Gesellschaft geben wollte. Mit der Namensgebung erinnerte Saunders an die alte mittelalterliche Tradition der Hospize. Diese waren Herbergen, die von kirchlichen Orden geführt wurden, um Pilgern auf ihrer Reise Unterkunft, Verpflegung und Stärkung anzubieten. Ihr Hospiz sollte für die Menschen eine Herberge am Ende ihrer irdischen Pilgerreise sein, um gestärkt den letzten Weg zu gehen. Hospize bejahen das Leben. Hospize machen es sich zur Aufgabe, Menschen in der letzten Phase einer unheilbaren Krankheit zu unterstützen und zu pflegen, damit sie in dieser Zeit so bewusst und zufrieden wie möglich leben können. – Hospize wollen den Tod weder hinauszögern noch beschleunigen. Hospize leben aus der Hoffnung und Überzeugung, dass sich Patienten und ihre Familien so  weit geistig und spirituell auf den Tod vorbereiten können, dass sie bereit sind, ihn anzunehmen. Diesem Vorbild folgten in der Neuzeit als erstes Krankenhäuser der Caritas und Diakonie. So konnte das Evangelische Krankenhaus in Düsseldorf 1994, nach einer Spende von über 2 Millionen DM, ein Hospiz mit 14 Betten für Krebs- und AIDS-Patienten eröffnen und knüpfte so an die 150jährige Entstehungsgeschichte an. 

Wenn es so weit war, starb man früher im Kreise der Familie. Diesen Wunsch hegen auch heute noch viele Menschen, die Mehrheit stirbt jedoch in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen. Darum kann derzeit von einer Institutionalisierung und räumlichen Marginalisierung des Todes gesprochen werden. Sterben ist primär ein medizinisches Geschehen, soziale und religiöse Aspekte treten in den Hintergrund. Der Tod wird nicht mehr als natürliche Folge des Lebens hingenommen, sondern bekämpft.

Ziel ist ein möglichst langes Leben, koste es was es wolle.

Der Sterbevorgang wird tabuisiert und ist heute aus dem normalen gesellschaftlichen Alltag verschwunden. Aus diesen Gründen ist es verständlich, dass immer mehr Menschen aller Gruppen eine neue Sterbekultur fordern, in der man keine Angst davor haben muss, dass aus der Lebensverlängerung am Ende eine Sterbeverlängerung wird, unter der die Würde des Menschen leidet. Die modernen Entwicklungen in der Medizin rufen Ängste hervor. Die Finanzierung der Krankenhäuser durch Fallpauschalen birgt die Gefahr, lange leiden zu müssen, bevor man würdig sterben 1) kann oder sogar darf.

Die Sterbephase ist ein Einschnitt auch in das Leben der Angehörigen, der Familie.  Es erfordert einen offenen und ehrlichen Umgang aller Beteiligten miteinander, insbesondere auch mit dem Thema Sterben und Tod.  Wir müssen den Tod wieder in die Mitte der Gesellschaft holen. „Die Wiederentdeckung der Seele“ 2)

Der Mensch ist mehr als nur Materie

Ein Überblick über Informationen, die in der Palliativphase relevant sein können.

Im November 2015 hat der Bundestag ein Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung verabschiedet, mit Änderungen im SGB V. Im Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) wurde im § 28 Absatz 5 angefügt: „Pflege schließt Sterbebegleitung mit ein; Leistungen anderer Sozialleistungsträger bleiben unberührt.“

Was nutzt der gesetzliche Anspruch?

In den Pflegeeinrichtungen fehlt qualifiziertes Personal, um auch in der Praxis Fortschritte zu machen. So bleibt es weiter bei unnötigen Krankenhauseinweisungen, die das Sterberisiko von Heimbewohnern noch erhöhen.

1)Zimmermann, Johann Georg, 1728-1795/Friedrich II., Preußen, König, 1712-1786:  Ueber Friedrich den Großen und meine Unterredungen mit Ihm kurz vor seinem Tode, Frankfurt und Leipzig 1788  2) Die Wiederentdeckung der Seele | Rubikon

Wir hoffen auf eine lebhafte Diskussion und freuen uns auf Zuschriften und Reaktionen. So kann der Beitrag den Weg aus der Theorie in die Umsetzung in der Praxis finden. Positive Beispiele in und aus der Praxis zeigen den Weg.

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