Betreuungskräfte in der Pflege aus dem Ausland

24 Stunden Pflege in der Häuslichkeit – Wunsch und Wirklichkeit –

Wer bei Google sucht, findet Ergebnisse, auch Hilfe oder nur Versprechungen?

Aktuell sorgt ein BAG-Urteil für große Aufregung in der Branche und bei Betroffenen, zur grundsätzlichen Einordnung einige Anmerkungen.

Zahlreiche Agenturen werben mit 24 Stunden-Pflege oder Rund um die Uhr Betreuung. Gemeint ist, dass eine Betreuungskraft im Haushalt des Pflegebedürftigen lebt und ihn rund um die Uhr versorgt. Das klingt vielversprechend, ist aber eine Mogelpackung.

Bei Menschen, die rund um die Uhr beaufsichtigt oder betreut werden müssen, stoßen die  genannten Hilfeleistungen an Grenzen.

Denn sie bieten zwar wertvolle, aber immer nur punktuelle Unterstützung. Haushaltshilfen und Betreuungskräfte aus dem Ausland versprechen eine Lösung zu sein. Benötigt ein Mensch regelmäßige Betreuung, sind in der Regel die Angehörigen gefragt. Viele kümmern sich über Jahre hinweg und merken irgendwann, dass sie es nicht mehr alleine schaffen. Andere Familien können sich nicht 24 Stunden am Tag um einen pflegebedürftigen Angehörigen kümmern, weil sie selbst berufstätig sind, kleine Kinder betreuen müssen oder zu weit weg wohnen. Sie stehen vor einem Dilemma. Theoretisch lässt sich zwar über Pflegedienste eine umfassende Betreuung sicherstellen. Faktisch können sich das aber nur wenige Menschen leisten. Deshalb weichen sie auf andere Lösungen aus: Die teilweise illegale, teilweise legale Beschäftigung von ausländischen Haushaltshilfen, Betreuungshilfen und Pflegekräften, vornehmlich aus Osteuropa.

Vorsicht, nach deutschem Arbeitsrecht ist eine ununterbrochene Betreuung durch eine einzige Person nicht erlaubt. Auch für ausländische Haushaltshilfen und Betreuungskräfte gelten die deutschen Arbeitsschutzregeln. Und die besagen: Arbeitskräfte dürfen maximal acht bis zehn Stunden beschäftigt werden, zuzüglich der Pausen und Ruhezeiten. Zwischen zwei Schichten müssen mindestens 11 Stunden Freizeit liegen. Berücksichtigt man zusätzlich die Urlaubsansprüche, müssen für eine Rund- um-die Uhr-Betreuung (365 Tage x 24 Stunden 8.760 Tage plus 24 Arbeitstage Urlaub je Kraft/Jahr ) fünf bis sechs Arbeitskräfte beschäftigten oder Angehörige springen als gemeldete pflegende Angehörige mit allen Rechten ein. 

Kommender Beitrag: „Soziale Absicherung der Pflegeperson“ 

Vielen Familien hilft es schon, wenn sich jemand zuverlässig tagsüber um ihren Angehörigen kümmert. Auch hier kommen die ausländischen Hilfskräfte in Betracht. Sie erledigen den Haushalt und übernehmen einfache pflegerische Aufgaben. Sie helfen zum Beispiel beim Anziehen oder bei der Körperpflege. Außerdem sind sie Ansprechpartner, beschäftigen den Pflegebedürftigen und passen auf, dass er sich und andere nicht gefährdet.

Für eine solche Hilfe gibt es verschiedene Beschäftigungsmodelle.

Beim Entsendemodell schließen Sie einen Vertrag mit einem ausländischen Unternehmen ab. Die Vermittlung erfolgt in aller Regel über Agenturen. Die ausländische Firma entsendet dann eine bei ihr angestellte Haushaltshilfe oder Betreuungskraft für maximal zwei Jahre nach Deutschland und sorgt für eine Vertretung im Urlaubs- oder Krankheitsfall. Sie schließen also zwei Verträge ab; einen mit dem ausländischen Unternehmen, das eine Hilfskraft schickt, und einen weiteren mit dem Vermittlungsunternehmen, das die Organisation und Kommunikation übernimmt.

Wichtig zu wissen: Nur der Arbeitgeber im Ausland ist weisungsbefugt. Er bestimmt die Arbeitszeiten, Inhalte und deren Durchführung. Haben Sie Änderungswünsche, müssen Sie sich an den ausländischen Arbeitgeber wenden. Bei diesem Modell ist es sehr wichtig, in einem Dienstvertrag genau festzulegen, welche Aufgaben wie erfüllt werden sollen. Dabei müssen die deutschen Arbeitsschutzregeln eingehalten werden. Außerdem sollten Sie sich unbedingt vergewissern, dass die sogenannte A1 Bescheinigung vorliegt. Sie ist der Nachweis dafür, dass die Betreuungskraft im Ausland sozialversichert ist. Fragen Sie nach dem Arbeitsvertrag zwischen der ausländischen Haushaltshilfe und Betreuungskraft und dem ausländischen Unternehmen.

Für die Organisation und eine Vertretung bei Krankheit und Urlaub ist gesorgt.

Nachteil: Die Beschäftigungszeit ist auf zwei Jahre begrenzt. Nur der Arbeitgeber im Ausland darf Weisungen geben. Als Auftragnehmer können Sie also keinen direkten Einfluss auf die Ausführung der Arbeit nehmen.

Selbstständige Haushaltshilfe und Betreuungskräfte,

dürfen ihre Dienstleistung in einem anderen EU-Land anbieten. Eine selbstständige Haushaltshilfe in Polen kann also in einer deutschen Familie arbeiten, wenn Sie in Polen oder Deutschland sich entsprechend angemeldet hat. Häufig stellen Agenturen den Kontakt her. Achtung: Sie schließen aber als Auftraggeber direkt mit der Haushaltshilfe und Betreuungskraft einen Vertrag ab. Darin sind oft nur die Tätigkeiten, die Vertragsdauer und die Vergütung geregelt. Ein Problem: Arbeitet die ausländische Haushaltshilfe ausschließlich in einer Familie, handelt es sich um eine Scheinselbstständigkeit, die in Deutschland verboten ist. Die Konsequenzen müssen Sie als Auftraggeber tragen. Es drohen empfindliche Bußgelder.

Sie schließen direkt mit der Haushaltshilfe einen Vertrag ab und müssen nicht mit einer übergeordneten Firma verhandeln. Die Beschäftigung ist zeitlich unbegrenzt.

Achtung: Soll sich die Haushaltshilfe umfassend um einen Angehörigen kümmern, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine verbotene Scheinselbstständigkeit und Sie werden im Nachhinein Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten.

Beim Arbeitgebermodell treten Sie oder Ihr Angehöriger als Arbeitgeber auf und schließen mit einer ausländischen Haushaltshilfe oder Betreuungskraft eine Arbeitsvertrag.

Darin regeln Sie die Tätigkeit, Arbeitszeit und Vergütung. Als Arbeitgeber sind Sie dafür verantwortlich, dass deutsches Arbeitsrecht eingehalten wird. Sie müssen Steuern und Sozialversicherungsabgaben abführen und eine Unfallversicherung abschließen. Während des Urlaubs oder bei einer Krankheit hat die ausländische Pflegekraft Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Als Arbeitgeber haben Sie dafür ein Weisungsrecht und können Inhalt und Ausführung der Tätigkeiten, aber auch bestimmte Regeln festlegen. Bei der Vermittlung half bisher die Zentrale Auslands und Fachvermittlung der Agentur für Arbeit (ZAV). Teilweise stellen auch die Diakonie und die Caritas Kontakte zu ausländischen Betreuungskräften her. Bedenken Sie: Als Arbeitgeber fallen ungefähr weitere 25-30 % an Nebenkosten 500 Euro pro Monat an.

Als Arbeitgeber

können Sie flexibel mit der Betreuungskraft aushandeln, was sie wann wie erledigen soll. Aber maximal 48 Stunden Arbeit bei 6 Tagen.

Die Nachteile: Sie müssen eine geeignete ausländische Haushaltshilfe finden. Sie müssen sich um einigen „Papierkram“ als Arbeitgeber kümmern, an deutsches Arbeitsrecht und Tarifrecht halten

Unabhängig davon, wie Sie eine ausländische Haushaltshilfe und Betreuungskraft beschäftigen: Sie hat Anspruch auf den Mindestlohn von derzeit 9,35 Euro pro Stunde (Stand 01.01.2020)

Beim Entsendemodell müssen Sie ungefähr mit 2.500 bis 3.500 Euro Personalkosten im Monat rechnen.  Nicht zur vergessen immer kommen Kosten für Unterkunft und Verpflegung, Reisekosten und eventuell die Gebühren für eine Vermittlungsagentur hinzu. Weder die Krankenversicherung noch die Pflegeversicherung beteiligen sich direkt an diese Kosten. Beim Arbeitgebermodell können Sie einen Teil der Kosten als haushaltsnahe Dienstleistungen von der Steuer abziehen und das Pflegegeld des jeweiligen Pflegegrades nutzen.

Selbstständige, mit freie Zeiteinteilung, haben durchschnittlich einen Stundenlohn von 15 – 25 €uro. Bei 172 Stunden (40 x 4,3 ) zwischen 2.600 und 4.300 Euro im Monat gezahlt.

Nutzen Sie alle Informationsmöglichkeiten, holen Sie sich Rat von den Stellen der Gemeinde, der Pflegekasse, Minijobzentrale, Verbraucherzentrale, Beratungsstelle Faire Mobilität.

Zum Schluss:

„Wir brauchen einen Ordnungsrahmen für Dienstleistungsagenturen, die ausländische Betreuungskräfte vermitteln: mit klarer Vertragsgestaltung, verbindlichen Arbeitszeitregelungen und Qualitätsstandards“, so Heike Baehrens, Pflegebeauftragte der SPD, im Expertentalk am 7. Juli 21 auf der Altenpflegemesse.

Das oben zitierte BAG-Urteil hat eine für alle haushaltsnahen Dienstleistungen wichtige Signalfunktion – darin sind sich die Teilnehmerinnen des Expertentalks einig. Haushaltsnahe Dienstleistungen müssen rechtlich abgesichert erbracht werden und die Dienstleister:innen über die Sozialversicherungen abgesichert arbeiten, so die Forderungen der Deutschen Gesellschaft für Hauswirtschaft. Für die Betreuungskräfte besteht der Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn, ebenso die Verpflichtung zur Einhaltung arbeitsrechtlicher Regelungen.  Fachleute sind sich über die notwendige Regelung und Unterstützung in der Häuslichkeit einig, doch bleibt es bei weiter bei „Kosmetik“. Die Brisanz wird durch die veralteten Statistiken aus dem Jahre 2019 überdeckt. Über 80 Prozent der Pflegebedürftigen müssen zu Hause gepflegt werden, größtenteils ohne fachliche Unterstützung.

Wir brauchen eine Reform.

Die Unterscheidung nach Pflegeort, ambulant oder stationär, kann nicht weiter ein Kriterium der Unterstützung sein. Die Pflegebedürftigen haben den Anspruch auf Geldleistung je nach Pflegegrad.  Die Qualität darf nicht weiter ungeprüft, einseitig von den Anbietern definiert werden. Individualisierte Pflegepläne müssen eingefordert und eingehalten werden. Reicht eine Reparatur oder braucht es mehr?

Nachtrag 25.10.22:

Migrantinnen aus Zentral- und Osteuropa als Betreuerinnen älterer Menschen in Privathaushalten  in der Schweiz

Was heisst es, als Betreuerin in einem Senior:innenhaushalt zu leben und zu arbeiten? Wie war das während der Corona-Pandemie? Welche Bedeutung haben die jüngsten Gerichtsentscheide in diesem Arbeitsfeld und wie kämpfen die Care-Arbeiter:innen selber für eine Verbesserung ihrer Situation? Diese Fragen erörtern Sarah Schilliger und Karin Schwiter, die sich seit Jahren mit dem Thema befassen, im 46 Minuten Gespräch mit Ruth Gurny.

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