Sorglos und unbeschwert im Alter leben

Hilfe und Pflege auf Augenhöhe

Es darf nicht wieder nur ein Wahlkampfthema bleiben. Viele Pflegekräfte in Langzeiteinrichtungen sind am Ende. Studien gibt es genug. Den Investoren am Markt geht es nicht um Menschlichkeit, sondern um hohe zweistellige Renditen. Das Gefährdungspotential für die Pflegebedürftigen wächst, dies bei steigenden Heimentgelten. Wer denkt an die 85 %  (2019 waren es 82%) Pflegebedürftigen in der Häuslichkeit und deren Angehörige?  Zur Erinnerung: 1995 bei der Einführung der Pflegeversicherung hatten 40% der Pflegebedürftigen einen Platz in einer stationären Pflegeeinrichtung.

Unter den Einschränkungen von Covid 19 litten und leiden nicht nur Pflegebedürftige und deren Angehörige, auch Singels leiden erheblich unter psychischen Belastungen durch die Isolation. Nachbarschaftshilfen wurden eingestellt. Wer kennt nicht den Ausspruch: Auf keinen Fall ins Heim. Die Sorge abgeschoben zu werden, ist unberechtigt; es fehlen die entsprechenden Heimplätze. 82%  müssen bereits kostengünstiger für die Pflegeversicherung zu Hause gepflegt werden, weil sich keine Alternative findet. Auch in ambulanten Diensten fehlen Pflegekräfte. Die gesetzliche Vorgabe: „Ambulant vor Stationär“ trägt. Nur wer Glück hat, erhält einen der begehrten Heimplätze, eine Auswahl ist längst nicht mehr gegeben. Die Investoren weichen zudem aus in „ambulante Wohnformen.“ Dies hat die Politik erkannt, fordert und fördert die (kostenlose) Ehrenamtlichkeit. Gleichzeitig soll durch die systematische Erfassung von Pflegekräften in Landes-Pflege-Kammern offiziell der Grundstein gelegt werden, „um regionale Bedarfe früh­zei­tig zu erkennen und so die Qualität in der Pflege zu verbessern“, so die Verlautbarung.

Appelle reichen nicht, wir brauchen tragfähige Zukunftspläne.

Was nutzt:

Wer verpflichtet sich freiwillig in der wirtschaftlich ausgerichteten Marktwirtschaft, in der vormals ausgebildete Menschen den Beruf verlassen. Wie weit reicht die religiöse Hilfsbereitschaft. Die Worte „Caring Communities“ – „Sorgende“ Gemeinschaften oder lokale Verantwortungsgemeinschaften haben bei Caritas und Diakonie Konjunktur: Sie verstehen darunter menschenwürdige Versorgung und Teilhabe älterer Menschen und Unterstützung von Personen mit Einschränkungen. Dahinter steht und steckt:

Die Not der pflegenden Angehörigen

Wenn sie ihren Partner oder ihr Familienmitglied pflegen, bedeutet es immer eine große Umstellung. Nehmen ihnen ausgebildete Pflegekräfte die Arbeit in der Häuslichkeit ganz oder teilweise ab, ergibt sich eine weitere Umstellung und Gewöhnung im Alltag und Ablauf. Einerseits kann es eine Erleichterung sein, dass man nicht mehr alles selbst machen muss. Auf der anderen Seite werden die ausgebildeten Kräfte die Arbeit anders machen, als sie es als Angehörige gewohnt sind. Deshalb ist es gut und notwendig, sich auszutauschen und zu beraten. So kann sich ihr persönlicher Pflegeanspruch verändern. Welche Erleichterung nehmen sie für sich auf, was werden sie weiterhin tun? Möglicherweise möchten Sie bestimmte Pflegemaßnahmen erlernen, damit sie und die examinierten Helfer mehr Freizeiten haben. Die Hilfen könnten ihnen, als Angehörige, das Gesundheitspersonal beibringen. Eine praktische Umsetzung der ehrenamtlichen Pflegehilfe/Betreuung vor Ort ist durch Video-Angebote der Pflegekassen gegeben, persönliche Hilfen und Unterstützung ist selten in Sicht, oft in Form einer zeitlich bezuschussten Maßnahme, ohne nachhaltigen Effekt. Dieser Umstand muss und darf nicht so bleiben; in den Niederlanden ist die quartiernahe Hilfe ohne Pflegeversicherung bereits gelebter Alltag.

Hilfe für pflegende Angehörige und Verantwortung teilen

Das Pflegeteam sieht die Angehörigen und Freunde nicht als störende Personen in einer durch und durch getakteten Tätigkeit. Sie sehen sie als notwendige Unterstützer ihrer Liebsten, indem sie sie regelmäßig besuchen. Sie sind ihre Stimme, wenn diese sich nicht mehr ausdrücken können oder sich sonst um sie kümmern. Auch das Wohlbefinden der Angehörigen liegt dem gesamten hauptamtlichen Team am Herzen und zeigt den ganzheitlichen Ansatz auch im Ausdruck: Zorgbalans. Wie fühlen sich Angehörige, wenn ihr Partner plötzlich nicht mehr in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen? Wie erklärt man Freunden die Folgen einer Demenz? Wie entspannen sich die Ehepartner und nehmen sich Zeit für sich? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, innerhalb von Zorgbalans (ausgewogene) Hilfe zu erhalten:

Egal wie gut eine Krankenschwester oder ein Arzt ist, die Augen von Pflegebedürftigen beginnen erst nach dem Besuch eines Enkelkindes oder Freundes zu glänzen. Deshalb müssen Freunde und Familie ermutigt werden mitzukommen, sich einbringen. Sie können einen Teil der Pflege (weiter) als Pflegeperson übernehmen oder hin und wieder als Betreuer auf eine Tasse Kaffee kommen. Auf diese Weise bleiben Freunde und Ihr geliebter Mensch am Leben des anderen aktiv beteiligt. Dies kann nicht eingefordert werden, es muss wieder ein Bedürfnis sein, sich zu kümmern. Eine gesellschaftliche Anerkennung drückt sich auch darin aus, dass finanzielle Einbußen nicht hingenommen werden müssen.

Wir brauchen einen ganzheitlichen Pflegeansatz

Ein notwendiges Bindeglied bildet eine Tandem-Organisation, sie unterstützt informelle Pflegende unter anderem mit Ratschlägen und Antworten und vermitteln zwischen Ihnen und den Freiwilligen. Der Gedanke ist nicht neu: früher gab es die sorgenden Gemeindeschwestern. Berater und Investoren in Deutschland denken weiter in gewohnten Bahnen: „Vom vollstationären zum vernetzten Pflegeangebot: Aufbau und Umsetzung des sektorenübergreifendes Gesamtversorgungsvertrag.“ Dabei wird das Quartier als weiterer Erlösbringer gesehen. 

Ein notwendiger Baustein sind die  Begegnungszentren in den Quartieren mit einem niederschwelligen kostenfreien Angebot. Hier erhalten Hilfesuchende die Unterstützung jeglicher Art. So kommen Nachbarn zusammen zum Austausch und sei es zum „Abschalten“ oder zur Absprache, wer und wie zu Hause betreut werden soll. Die Möglichkeit ergibt sich, dass Pflegebedürftige oft nicht nur eine, oft mehrere, informelle Pflegepersonen haben.

Der Einsamkeit vorbeugen.

Zugehörigkeit, Gemeinschaft und das Ausleben von persönlichen Interessen sind Urbedürfnisse des Menschen. Sie sind die Würze im Alltag und schenken Lebensfreude. Oft erschweren Alter, Krankheit oder Behinderung die Teilhabe am sozialen Leben. Hier fehlt bisher ein Bindeglied. Dieser Ansatz der Teilhabe wird mit Quartiersmanager durch Unterstützung mit NRW Landesmittel verfolgt. Landesmittel erhalten dabei die Wohlfahrtsverbände vor Ort. Die Erfahrung in NRW zeigt, dass selten eine unabhängige und durchgängige Beratung und Hilfe erfolgt. Eine Begründung kann die Abhängigkeit vom Anstellungsträger sein. Sobald die Finanzierung der befristeten Maßnahme entfällt, wird das Angebot eingestellt. Begegnungszentren in den Quartieren müssen auf Dauer ohne jegliche Schwellenängste von jedermann/-frau zur Information und Hilfe als Daseinsvorsorge angenommen werden können. So kann eine niederschwellige Hilfe ermöglicht werden. Die heutige „Kannleistung“ in der Gemeindeordnung muss in eine Pflichtaufgabe umgewandelt werden.

  • Die Stadt Essen verfolgt einen diesbezüglichen Ansatz. Seniorenbeiräte sind für feste Bezirke Ansprechpartner.
  • Der Kreis Wesel wirbt: Warum nicht einen “Stammtisch” zur eignen Unterstützung mit Hilfe von Profis organisieren. Nutzen Sie das kostenfreie Angebot des Kontaktbüros im Kreis

Dahinter steckt der Gedanke:

  • Das Ausüben von Hobbies und ein den persönlichen Gewohnheiten angepasstes Sozialleben stärkt das Selbstwertgefühl, schenkt schöne Momente und trainiert das Gedächtnis.
  • Informelle Pflegepersonen sind Menschen, die sich um einen geliebten Menschen kümmern, der lange Zeit Hilfe benötigt. Dies sind oft Freunde oder Familie, weshalb sie als „Zorgbalans“ (ausgewogene) Pflege, als Familie- und Freundespflege bezeichnet wird.

Der Verdacht liegt nahe, dass der theoretische fachliche Ansatz nicht in der Öffentlichkeit getragen und diskutiert wird, damit die notwendigen Geldmittel weiterhin eingespart werden können. 

Informelle Betreuung bei Demenz

Viele Betagte haben Demenz und leben mehr in der Vergangenheit. Diese Personen brauchen Austausch mit Nachbarn und Bekannten, die sich in „Meeting Center“ treffen können, dies ist auch mit (fortgeschrittene) Gedächtnisprobleme möglich. In diesem Fall ist die Kenntnis informeller Pflegepersonen und anderer Familienmitglieder unabdingbar. Oft können nur sie sagen, was dem „Kunden“ gefällt. Welche Musik er gerne hört, was er mag und was nicht, was ist sein Morgenritual? Zur guten Betreuung durch ausgebildete Mitarbeiter gehört ein Kennenlernen. Dafür werden die Angehörigen gebraucht; sie kennen die Gewohnheiten und Vorlieben Ihrer Liebsten. Die Kapazitäten der Tagespflegen, als Teilstationäre Einrichtungen nach SGB XI, reichen nicht aus und können wegen fehlenden finanziellen Mitteln oft nicht im benötigten Umfang in Anspruch genommen werden.

Dieses ist auch in deutschen Fachkreisen seit 2019 angekommen, doch wird es nicht aus der Sicht der Pflegebedürftigen geführt. Diskutiert wird es im Rahmen der fehlenden Pflegefachkräfte durch die Betreiber und Arbeitgeber. Es bedarf eines ganzheitlichen Denkansatzes unter Mitwirkung aller Beteiligten. Um die notwendige Akzeptanz zu erarbeiten, bedarf es einer breiten Diskussion ohne Tabus.

Kommunikation in der Pflege

Zur Steigerung der Lebensqualität ist es für gepflegte Personen wichtig, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse von den sie betreuenden Personen verstanden werden. Für Angehörige, wie für Fachkräfte, ist es gleichermaßen notwendig, ihre Kommunikationsfähigkeiten zu trainieren. Gerade im Alter wird die Kommunikation erschwert, wenn beispielsweise die Hörfähigkeit eingeschränkt ist oder eine demenzielle Erkrankung vorliegt. Die Soziale Betreuung gewinnt immer mehr an Bedeutung im Pflegealltag. Die gegeben gesetzlichen Möglichkeiten, wie Betreuungskräfte nach §43b SGB XI, müssen ein fester Bestandteil in der Häuslichkeit werden. Alle Beteiligten sind gefordert Tag für Tag neue Konzepte und individuelle Betreuungsangebote zu entwickeln, um die Senioren zu begeistern.

Vertrauenswürdige Gesichter im Pflegeheim

Der Umzug in eins der wenigen Pflegeheim ist ein großer Schritt. Plötzlich in einer fremden Umgebung zu leben, kann gewöhnungsbedürftig sein. Nicht umsonst gibt es denn Spruch: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Für Angehörige ist es oft schwierig sich abzusprechen, sich die Betreuung zu teilen. Familie und Freunde sind nach dem Umzug deshalb oft sehr wichtig. Es ist gut, sich weiterhin zu sehen und weiterhin eine große Rolle im Leben des anderen zu spielen. Als Familie oder Freund können sie eine neue Rolle für sich selbst finden. Helfen sie beispielsweise weiterhin beim Anziehen, dem Essen. Feste Besuchstage sind wichtig, sei es zum gemeinsamen Kochen oder für eine Partie Schach. Feste Zeiten sind vorteilhaft. Das ist schön und vertraut für den „Kunden“ und für die Betreuer. Realität ist in den durchorganisierten und getakteten Pflegeeinrichtung oft, dass Angehörige als Störenfriede gesehen werden.

Entscheidend für Wohlbefinden ist nicht, wie Dritte (Mitarbeiter, Pflegeeinrichtung, Leistungsträger, Prüfagentur) Lebensqualität beurteilen oder messen, sondern das subjektive Erleben des Bewohners. Wohlbefinden wird eingeschränkt, wenn belastende Diskrepanzen bestehen oder sich auftun zwischen dem, was eine Person in ihrer Werte- und Zielhierarchie anstrebt, und dem, was tatsächlich der Fall ist.

Wer nun meint, die Gedanken sind neu, gar frei erfunden oder nicht umsetzbar, der irrt. Dies wird in den Niederlanden erfolgreich ohne Pflegeversicherung praktiziert. Es gibt auch den Nachbarschaftspflegeansatz „Buurtzorg“ in Deutschland, der 2006 in den Niederlanden mit bewusst flachen Hierarchien gegründet wurde. Pflegerinnen und Pfleger arbeiten selbstbestimmt in kleinen selbst organisierten Teams und achten darauf, dass pflegebedürftige Menschen in ihrem sozialen Umfeld eingebettet sind. (Beispiel 87 Seite 111 „Wir wollen unsere Zukunft zurück„). Der große Unterschied ist, Leistungen werden nach Zeit am und mit dem Menschen und nicht nach vorgegebenen Leistungs-Modulen abgerechnet. Siehe hierzu Vortrag bei der Arbeitnehmerkammer Bremen, TAZ 16.9.2019.

Fazit

Damit sich das Konzept einer einheitlichen, ganzheitlichen Pflege der „Caring Communities“ der Kirchen oder „Zorgbalance“ nach Buurtzorg durchsetzen kann, muss ein Bewusstsein für die Relevanz in der Gesellschaft geschaffen werden. Gesundheit und Pflege muss ein fester Bestandteil in den Medien werden, wie der Wirtschaftsteil. Wir brauchen ein Manifest für eine menschliche Pflege.

Dieses Thema “ Sorglos und unbeschwert im Alter leben“ wollen wir in einem Seminar vom 18. bis 20. Juli 2022 , im Johannes Albers Bildungs- und Tagungshaus in Königswinter mit Ihnen und Experten  diskutieren und vertiefen. Vormerkungen zur Teilnahme können gebucht werden über den Veranstaltungskalender.

In allen Überlegungen wird die Finanzierung ausgespart, nicht thematisiert. Nach dem Motto „über Geld spricht man nicht“. Wir bleiben am Ball. Die Umsetzungsmöglichkeiten können im Seminar vom 19. bis 21. Sept. 2022 diskutieren werden. Eine Vormerkung ist bereits >> hier << möglich

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