Pflegeversicherung verfassungswidrig

Pflegeleistungen gerechter, einfacher für den versicherten und pflegebedürftigen Bürger

  • Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte am 24.6.2021 -Az.: 5 AZR 505/20 und fordert Politiker auf, Pflegebedürftige aus der Not zu führen.
  • Die Bevorzugung der Einrichtungsträger durch eine Sachleistung in doppelter Höhe ist nicht mehr gerechtfertigt
  • Bewohner müssen das erste Angebot eines Heimplatzes annehmen.

Für jeden wurde mit der Pandemie sichtbar, die für die professionelle Pflege grundlegenden, subjektiven Bedürfnisse und die situativen Bedarfe der zu pflegenden Menschen und deren An- und Zugehörigen konnten und können unter den geforderten Rahmungen immer weniger realisiert werden. Die gesetzlichen Fakten tragen nicht mehr. Die Notreparaturen gehen zu Lasten der Versicherten. Der „Markt“ raubt die Zukunft.

Einführung der Pflegeversicherung

1994/95 wurde die Pflegeversicherung nach 12jähriger Diskussion in Vollzug gesetzt. Der zuständige Bundesminister Norbert Blüm kannte das Pflegegesetz in Österreich. Der Pflegebedürftige hat je nach Pflegebedürftigkeit allein einen Geldanspruch. In Deutschland gibt es die Unterscheidung in Geld- und Sachleistung. Die Sachleistung, in doppelter Höhe zur Geldleistung, wird als abgekürzte Leistung dem professionellen Leistungserbringer direkt vergütet.

Die Unterscheidung in der Bezahlung ging davon aus, dass es genügend professionelle Leistungsanbieter gibt und eine freie Wahl zwischen Geld- und Sachleistung gegeben ist. Diese Wahl war 1995 durch 40 Prozent der Plätze in Einrichtungen für anerkannt Pflegebedürftige gegeben. Gleichzeitig wurde der Markt für Privatanbieter geöffnet. Durch professionelle Pflege in einem freien Markt der Anbieter wurde und wird Qualität für den Bewohner unterstellt. Wer die Fakten im Gesetz kennt, kann die Zukunft gestalten.

Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI)

§ 1 Absatz 4 SGB XI

Die Pflegeversicherung hat die Aufgabe, Pflegebedürftigen Hilfe zu leisten, die wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit auf solidarische Unterstützung angewiesen sind.

§ 2 Absatz 2 SGB XI

Die Pflegebedürftigen können zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger wählen. Ihren Wünschen zur Gestaltung der Hilfe soll, soweit sie angemessen sind, im Rahmen des Leistungsrechts entsprochen werden. Wünsche der Pflegebedürftigen nach gleichgeschlechtlicher Pflege haben nach Möglichkeit Berücksichtigung zu finden.

§ 12 SGB XI Aufgaben der Pflegekassen

  • Die Pflegekassen sind für die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung ihrer Versicherten Sie arbeiten dabei mit allen an der pflegerischen, gesundheitlichen und sozialen Versorgung Beteiligten eng zusammen und wirken, ….

§ 36 SGB XI Pflegesachleistung

(1) Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 haben bei häuslicher Pflege Anspruch auf körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Der Anspruch umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 genannten Bereichen Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sowie Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte.

(2) Häusliche Pflegehilfe wird erbracht, um Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten des Pflegebedürftigen so weit wie möglich durch pflegerische Maßnahmen zu beseitigen oder zu mindern und eine Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit zu verhindern. ……

§ 37 SGB XI Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen

(1) Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 können anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat …….

Der Notstand

Aus dem Können in § 37 Abs. 1 SGB XI wurde ein Müssen. Die überwiegende Anzahl (64 %) der Pflegebedürftigen müssen mangels professioneller Hilfe ein Pflegegeld in Anspruch nehmen. Die Wahlfreiheit für den Versicherten entfällt. Die Versichertenleistung ist gerecht auf alle Anspruchsteller aufzuteilen. So kann dem oben zitierten BAG-Urteil Rechnung getragen werden. 

Bereits im Jahre 2019 mussten über 80 Prozent der anerkannt Pflegebedürftigen in der Häuslichkeit gepflegt werden. In Zahlen 3,31 Millionen, davon wurden 2,12 oder 64 Prozent allein von Angehörigen ohne professionelle anerkannte ambulante Hilfe unterstützt.

Der Notstand durch die fehlenden professionellen Pflegekräfte hat sich für die Politiker spätestens seit 2012 gezeigt. Bereits 2007 wurde 100.000 illegal beschäftigte Pflegekräfte angenommen. Für 2021 wird geschätzt, dass zwischen 300.000 und 600.000 Pflegekräfte aus Ost- und Mitteleuropa ältere Deutsche in ihren eigenen vier Wänden versorgen, davon sollen 80 Prozent illegal beschäftigt sein. Die eingerichteten Wohngemeinschaften und Betreuten Wohnen sind ein Hilfsinstrument, nicht im SGB XI vorgesehen, und können die fehlenden Pflegekräfte nicht ersetzen. Freiwerdende Bettplätze in den Pflege-Einrichtungen werden durch den Sozialdienst der Krankenhäuser zur Entlassung belegt. Die zugesicherte Wahlfreiheit für den Pflegebedürftigen nach § 2 Abs. 2 SGB XI ist durch § 39 Abs. 1a S. 9 SGB V nicht mehr gegeben.

Ungleichbehandlung liegt vor

Die Vergleichbarkeit hängt von bestimmten Gesichtspunkten ab. Mit jeder Regelung eines bestimmten Sachverhalts ist immer auch eine Differenzierung verbunden. Letztlich hängt es von den für eine Differenzierung angeführten Gründen ab, ob eine gleichheitswidrige Behandlung vorliegt oder nicht. Ob eine Differenzierung den Gleichheitssatz verletzt und die Ungleichbehandlung dadurch verfassungswidrig wird, hängt davon ab, ob sie durch einen hinreichend gewichtigen Grund gerechtfertigt ist.

Die Unterscheidung ist unerheblich, wenn die Gesetzeslage objektiv nicht gegeben ist. Die Voraussetzungen der freien Wahl nach § 2 Abs. 2 SGB XI ist nicht gegeben.

Warum werden Einrichtungen gegenüber der notwendigen Eigenvorsorge durch An- und Zugehörige in doppelter Höhe entlohnt?

Die Ungleichbehandlung muss durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein, wobei dieser Rechtfertigungsgrund in einem angemessenen Verhältnis zu der Ungleichbehandlung stehen muss. Je schwerer die Ungleichbehandlung wiegt, desto gewichtiger müssen die Gründe sein, die dafür angeführt werden.

Bei der Einführung der Pflegeversicherung als Volksversicherung zur Entlastung der Sozialversicherung bestimmte der Gesetzgeber, dass alle krankenversicherten Bürgerinnen und Bürger auch pflegeversichert sein sollten. Er sah eine Versicherungspflicht für 98 Prozent der Bevölkerung vor, die gesetzlich oder privat krankenversicherten Bürgerinnen und Bürger waren.
Weil 2 Prozent der Bevölkerung – der nicht krankenversichert war – hatten keine andere Möglichkeit, in die Pflegeversicherung einzutreten. Das Bundesverfassungsgericht sah darin eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung: Der Gesetzgeber durfte diese Menschen, die gleichermaßen pflegebedürftig werden könnten, nicht generell vom Zugang zur Pflegeversicherung ausschließen, dann dürfen auch 20 Prozent nicht von der stationären Pflege ausgeschlossen und in ambulante Hilfskonstruktionen gezwungen werden. Dazu kommt weiter:

Durch fehlende examinierte Pflegekräfte kann derzeit keine adäquate gleiche Pflege für alle ermöglicht werden. Dem Pflegebedürftigen ist eine freie Auswahl nach § 2 Abs. 2 SGB XI nicht gegeben. Die erhöhten Sachleistungen werden unabhängig von der geleisteten Pflegequalität in anerkannten stationären Pflegeeinrichtungen gewährt.
Wer einen Angehörigen pflegt, dafür seinen Job ganz oder teilweise aufgibt hat große finanzielle Einbußen. Weder der Verdienstausfall noch der Zeitaufwand für die Pflege können bei der Steuer geltend gemacht machen.

Zusammenfassung

Die einseitige Bevorteilung der Anbieter und Träger von Einrichtungen durch

  1. eine erhöhte Sachleistung ist durch
    • die fehlende Auswahl von Einrichtungen,
    • die fehlende Ausbildung und Vorhaltung von genügend Pflegekräfte, um eine qualitativ hochwertige Pflege nach dem Stand der Forschung zu gewährleisten (Pflegenotstand)  nicht mehr gerechtfertigt.
  2. Die Pflegekassen sind ihrer gesetzlichen Sicherstellung nach § 12 SGB XI nicht nachgekommen.

Forderungen

  1. Die Politiker haben die Aufgabe, die notwendige Daseinsvorsorge im Sinne von § 1 Abs. 4 SGB XI solidarisch, zukunftssicher im Bündnis mit den Unternehmen zu gestalten.
  2. Als Zwischenlösung ist
    • die Bevorteilung durch Sachleistung zurückzunehmen,
    • die Altenhilfeausbildung als Teil der Daseinsvorsorge muss aus Steuergeldern erfolgen.

Die Leistungen der Pflegekasse sind allen Versicherten zu gleichen Konditionen und in Qualität für die betroffenen Personen unabhängig vom Leistungsort zu gewähren.

Durch die kostenneutrale Umgestaltung allein auf die Geldleistung, entfallen Erlöse für die anerkannten Pflegeeinrichtungsträger. Diese können und müssen durch die Vergütung der erbrachten Leistung der examinierten Pflegekräfte nach SGB V ausgeglichen werden.

Der deutsche Pflegemarkt lockt internationale Investoren. Nutzen wir Bürger solidarisch die Möglichkeiten auch in der Häuslichkeit!  Es folgt der Beitrag:

GELD IST GENUG IM SYSTEM

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