Demokratie in Pflegeeinrichtungen
Fortsetzung von Teil 2
Unterstützung durch den (Einrichtungs-)Träger
Ein Großteil der Regelungen zur Unterstützung des Heimbeirates betrifft die vertrauensvolle Zusammenarbeit des Trägers von Einrichtungen mit der gewählten Interessenvertretung in der Einrichtung. Er wurde verpflichtet, auf die Bildung von Heimbeiräten hinzuwirken sowie die Bewohner*innen über ihre Rechte und die Möglichkeiten eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens im Heimbeirat aufzuklären (§ 2 Abs. 1 Bundesheimmitwirkungsverordnung). Sollte das Hinwirken auf die Bildung eines Heimbeirates nicht erfolgreich sein, war der Träger verpflichtet, dies unverzüglich unter Angabe der Gründe für das Nichtzustandekommen an die zuständige Behörde zu wenden (§ 11 Abs. 1Bundesheimmitwirkungsverordnung vgl. auch Giese in Heimrecht 2002, § 11, Rz. 7).
Zudem gilt für die Träger, dem Heimbeirat diejenigen Kenntnisse zum Heimgesetz und seinen Verordnungen zu vermitteln, die für ihre Tätigkeit erforderlich sind, sowie entsprechend Kosten in angemessenem Rahmen zu übernehmen (§ 2 Abs. HeimmwV). In § 21 HeimmwV (Bundesheimmitwirkungsverordnung) wurde die Unterstützung des Trägers und der Einrichtung bzgl. der Bereitstellung von Räumlichkeiten, erforderlicher Hilfen, der Ermöglichung von Mitteilungen des Beirats an alle Bewohner*innen sowie der Übernahme von Kosten in der Ausführung der Tätigkeit festgelegt.
(1) Der Träger gewährt dem Heimbeirat die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Hilfen und stellt insbesondere die Räumlichkeiten zur Verfügung.
(2) Dem Heimbeirat sind in dem Heim geeignete Möglichkeiten für Mitteilungen zu eröffnen, insbesondere sind schriftliche Mitteilungen an alle Bewohner*innen zu gewährleisten sowie Plätze für Bekanntmachungen zur Verfügung zu stellen.
(3) Die durch die Tätigkeit des Heimbeirates entstehenden angemessenen Kosten trägt der Träger.
Gleichermaßen gilt, dass die Leitung des Heims die Vorbereitung und Durchführung der Wahl in dem erforderlichen Maße personell und sächlich zu unterstützen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen hat (§ 8 Bundesheimmitwirkungsverordnung)
Die verpflichtende Unterstützung des Trägers und der Heimleitung bzgl. der Mitwirkung der Bewohner*innen wird in allen Heimgesetzen in vergleichbarer Weise wie in der Bundesheimmitwirkungsverordnung festgeschrieben. Dabei geht die in einigen Bundesländer (beispielsweise in Hessen und Schleswig-Holstein) vom alten Heimgesetz übernommene Pflicht des Trägers bzw. der Leitung, auf die Bildung eines Beirats hinzuwirken, über das bloße Verteilen einer Informationsbroschüre hinaus (Wulff in Praxiskommentar HGBP und HGBPAV2019, $ 23 Rz. 2) In einigen Heimrechtkodifikationen wird dabei explizit die Übernahme von Schulungskosten für Heimbeiräte durch den Träger festgelegt (z. B. in Baden-Württemberg: § 3 Abs. 6 Bundesheimmitwirkungsverordnung, Berlin, § 5 Abs. 3 WTGMitwV, NRW § 22 Abs. 9 WTG( Wohn-und Teilhabegesetz Nordrhein-Westfalen), Schleswig-Holstein § 16 Abs. 1 SbStG( Selbstbestimmungsstärkungsgesetz Schleswig-Holstein) eine Forderung, die im HeimG noch nicht bestand (Kreutz in Heimrecht 2002 § 16, Rz. 15) Vorschriften wie diese sollen Informationsasymmetrien ( Asymmetrische Information ist ein wirtschaftswissenschaftlicher Begriff und bezeichnet den Zustand, in dem zwei Vertragsparteien bei Abschluss und/oder Erfüllung eines Vertrags oder Marktteilnehmer nicht über dieselben Informationen verfügen.) zwischen Beirat und Heimleitung bzw. -träger ausgleichen und als Schutzinstrument gegenüber dem der Natur der Sache nach stets bestehenden Informationsvorsprung des Trägers bzw. der Einrichtungsleitung (Heimrecht 2002 § 16, Rz. 15) dienen. Darüber hinaus werden beispielsweise in der Hamburger Mitwirkungsverordnung in § 12 Abs. 2 Wohn- und Betreuungsmitwirkungsverordnung Hamburg detaillierte Unterstützungsformen des Trägers benannt. Diese umfassen z. B. die Möglichkeit, Kontaktmöglichkeiten für alle Bewohner*innen bereitzustellen, beispielsweise durch ein Postfach oder Briefkasten (§12 Abs. 5 Wohn- und Betreuungsmitwirkungsverordnung Hamburg) oder bei Bedarf eine externe Unterstützungsperson zu stellen, für die Vorbereitung und Durchführung der Wahl, dass Verfassen von Schreiben und die Verbreitung von Informationen (§ 12 Abs. 6 Wohn- und Betreuungsmitwirkungsverordnung Hamburg). Auch die Ermöglichung einer Mitgliedschaft in Interessenverbänden oder eine Rechtsberatung muss der Träger in gewissem Umfang finanziell unterstützen oder übernehmen.
Er hat dem Wohnbeirat zur Hinzuziehung fach- und sachkundiger Personen sowie für Mitgliedsbeiträge für überregionale Interessenverbände einen angemessenen Beitrag zur Verfügung zu stellen, der zumindest die Kosten für eine Rechtsberatung im Jahr sowie für die Mitgliedschaft in einem Interessenverband deckt, im Falle mehrerer Wohnbeiräte in einer Wohneinrichtung ist dieser Beitrag anteilig zu leisten (§ 12 Abs. 2 Nr.Wohn- und Betreuungsmitwirkungsverordnung Hamburg).
Die advokatorische Rolle der Heimbeiräte
Der Heimbeirat hatte bereits im alten Heimgesetz die Aufgabe anwaltschaftlich für die Rechte der Bewohner*innen einzutreten, indem er Beschwerden entgegennimmt und erforderlichenfalls durch Verhandlungen mit der Leitung oder in besonderen Fällen mit dem Träger auf ihre Erledigung Hinwirkt (§ 29 Nr. 2 Bundesheimmitwirkungsverordnung) Diese Aufgabe ist inhaltlich unverändert in allen aktuellen Heimgesetzen übernommen worden. Auch einige Rahmenbedingungen für den Umgang mit Beschwerden des Heimbeirats wurde im alten Heimgesetz vorgegeben. Anträge oder Beschwerden des Heimbeirates sind von der Leitung oder vom Träger in angemessener Frist, längstens binnen sechs Wochen, zu beantworten. Der Träger hat die Antwort zu begründen, wenn er das Anliegen des Heimbeirates bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat (§ 32 Abs. 4 Bundesheimmitwirkungsverordnung)
Diese Regelungen des alten Heimgesetzes wurden auf ähnliche Weise in allen Heimgesetzen der Länder übernommen. Einige Landesgesetze verkürzen die Rückmeldefrist, so beispielsweise in Schleswig-Holstein, wo die Einrichtungsleitung Beschwerden des Heimbeirats innerhalb von zwei Wochen beantworten muss. Eine längere Frist muss durch die Leitung schriftlich begründet werden (§ 15 Abs. 2 Durchführungsverordnung Schleswig-Holstein). Auch in Nordrhein-Westfalen ($ 13 Abs. 2 Wohn- und Teilhabegesetz-Durchführungsverordnung NRW) muss innerhalb von zwei Wochen auf Beschwerden geantwortet werden, in Hamburg (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Wohn- und Betreuungsmitwirkungsverordnung Hamburg), Baden-Württemberg (§ 3 Abs.4. Bundesheimmitwirkungsverordnung) und Brandenburg ( § 3 Abs. 2 Nr. 2 Einrichtungsmitwirkungsverordnung Brandenburg) beträgt die Rückmeldefrist bei Beschwerden vier Wochen. Der Heimbeirat wie auch die Bewohner*innen haben darüber hinaus die Möglichkeit, sich mit Beschwerden an die zuständige Behörde zu wenden.
Wichtige Aufgaben im Zusammenhang mit Kontaktierungsmöglichkeiten des Heimbeirats nach außen übernehmen in einigen Bundesländern die Senior*innen Vertretungen, beispielsweise der Landesseniorenrat in Baden-Württemberg über die gebildeten Seniorenvertretungen in der Kommune. In Bremen etablierte die Senior*innen Vertretung einen Kreis ehrenamtlich in der Heimmitwirkung engagierter Bürger und organisiert Schulungen, Informationsveranstaltungen und Austauschtreffen. Auch in Hessen führt die Landesseniorinnenvertretung zusammen mit der Heimaufsicht Schulungen für externe Beiratsmitglieder durch. Nicht zuletzt können Mitglieder von Senior-innenvertretungen Heimbeiräte in ihrem Hinwenden nach außen unterstützen, indem sie selbst Teil des Beirats werden oder als Ombudspersonen fungieren (wie beispielsweise in Brandenburg). Diese Möglichkeit ist in den meisten Landesgesetzen explizit vorgesehen.
Frauenbeauftragte
In vier Landesheimgesetzen ist zusätzlich zu den Heimbeiräten eine Frauenbeauftragte bzw. Vertrauensfrau in stationären Einrichtungen vorgesehen, die sich, insbesondere mit dem Themenfeld der sexualisierten Gewalt gegen Frauen befassen sollen. In Hessen und Rheinland-Pfalz sind diese Frauenbeauftragten lediglich in Einrichtungen der Behindertenhilfe vorgeschrieben, in Bremen und Thüringen hingegen in allen stationären Einrichtungen. Die gesetzlichen Regelungen hierzu sind in diesen beiden Ländern weitgehend identisch.
Der Leistungsanbieter wirkt darauf hin, dass zur Wahrnehmung und Vertretung der Interessen und besonderen Belange der Nutzerinnen eine Frauenbeauftragte gewählt wird. Die Frauenbeauftragte ist Ansprechpartnerin und berät die Bewohnerinnen insbesondere bei psychischer oder körperlicher Gewalterfahrung oder sexueller Belästigung (§ 7 Abs. 4 ThürWTG unnd § 13 Abs, BremWoBeG)
Die Frauenbeauftragte soll aus dem Kreis der Bewohnerinnen gewählt werden und kann externe Unterstützung für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Anspruch nehmen. In Thüringen wird zudem festgelegt, dass für den Fall, dass sich keine Bewohnerin für das Amt findet, dieses von einem externen Mitglied des Heimbeirats wahrgenommen wird.
Teilhabe und Öffnung in das Wohnumfeld
Die UN-Behindertenrechtskonvention spricht jedem Menschen mit Behinderung die rechtliche Handlungsfähigkeit zu (Art. 28 UN-BRK), betont die Selbstbestimmung (Art. 14 UN-BRK) und räumt das Recht auf ein Leben in der Gesellschaft ein (Art. 19 UN-BRK). All diese universalistisch angelegten Menschrechtskodifikationen gelten auch für Bewohner*innen von Pflegeheimen, denn auf Pflege angewiesene und ältere Menschen sind auch als Menschen mit Behinderung i. S. d. § 2 SGB IX zu sehen. Sie haben das Recht auf einen
Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen gemeindenahen Unterstützungsdiensten, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist. Art. 19 Abs. 1 Buchstabe b UN-BRK)
Für die Beachtung von Menschenrechten wie für die Sicherung von Teilhabe sind keinesfalls nur die Einrichtungsträger verantwortlich. Es ist auch eine zivilgesellschaftliche Aufgabe und zugleich ein Zeichen von Zivilität einer Gesellschaft, sich als Bürger*innen für die Einhaltung von Menschenrechten in ihren sozialen Lebenszusammenhängen einzusetzen, sei es durch eine anteilnehmende Wahrnehmung der Lebensbedingungen von auf Pflege Angewiesenen Menschen, die in engerer oder fernerer Beziehung stehen, sei es durch die Übernahme advokatorischer Rollen, wie die des Ehrenamtes der gesetzlichen Betreuung oder sei es durch die Mitwirkung in Beiräten in Heimen. Die Einhaltung von Menschenrechten in der Pflege ist somit in einen wohlfahrtspluralistischen Kontext, eingebunden.
Teilhabeorientierung und Öffnung in das Gemeinwesen sind zumindest semantisch im alten Heimgesetz unbekannt gewesen, in den landesrechtlichen Kodifikationen haben die Länder ihren Beitrag zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in nationales recht leisten können und müssen. Am konsequentesten ist dies im Wohn- und Teilhabegesetz-Durchführungsverordnung NRW geschehen. Entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Bundesteilhabegesetz ist die hauptsächliche Motivation des Gesetzgebers für die ausdrückliche Verpflichtung die Tatsache, dass ein menschenwürdiges Leben ohne die Teilhabe am Leben der Gemeinschaft und Gesellschaft nicht denkbar ist. Darüber hinaus zielt die Öffnung in das Gemeinwesen auf einen konzeptionellen Wandel, weg vom klassischen Pflegeheim, Abkehr von Merkmalen totaler Institution. Der Begriff des Gemeinwesens ist umfassend zu verstehen und kann sich nur im Einzelfall konkretisieren. Öffnung in das Gemeinwesen ist die Fortsetzung des Gedankens der Abkehr vom bisherigen Heimbegriff, als einer Organisation, die in sich selbst lebt und in dieser Struktur die Menschen betreut.
Nicht alle Landesheimgesetze beinhalten Regelungen, die auf die Teilhabe der Heimbewohner*innen abzielt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das LWTG Rheinland-Pfalz, in dem die Öffnung der Einrichtung eines der wesentlichen Merkmale für die Qualität der Einrichtung ist (§ 2 Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe Rheinland-Pfalz).
Auch die Regelungen zur Teilhabe und Öffnung ins Gemeinwesen stehen in der Gesetzeslogik nur indirekt in Zusammenhang mit den Bestimmungen zur Mitwirkung der Bewohner*innen und den Tätigkeiten des Heimbeirats. Da aber Teilhabe und Mitwirkung sich gegenseitig bedingen und fördern, werden auch teilhabeorientierte Innovationsansätze der Landesgesetze skizziert.
Einrichtungen öffnen sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen in das Wohnquartier und müssen die Bewohner*innen bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unterstützen und dabei externe Akteur*innen wie beispielsweise Ehrenamtliche einbeziehen. Einzigartig ist die Regelung, dass eine entsprechende Konzeption zusammen mit Bewohner*innen der Einrichtung erstellt werden muss. Die Benennung ehrenamtlicher Paten ist dagegen eine Kann-Bestimmung.
Ähnlich sind die Bestimmungen zur Teilebeförderung in Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Diese Landesgesetze sehen die Hinwirkung der Einrichtung auf die Teilhabe der Bewohner*innen am Gemeinwesen durch den Einbezug verschiedener externer Akteur*innen vor (unter Einbeziehung der lokal bestehenden Angebote und Netzwerke, § 15 BremWoBeG BremischesWohn- und Betreuungsgesetz) und fordern Erstellung einer Konzeption (im Wohn- und Teilhabegesetz-Durchführungsverordnung NRW, Kann-Bestimmung).
Damit die Entgeltverhandlungen mit den Pflegekassen nach § 85 Abs.3 SGB XI vereinbart werden können, muss die Unterschrift der Interessenvertretung formal gegeben sein. Deshalb sind in 95 % der Einrichtungen Heimbeiräte oder – (Ersatz-)Sprecher der WTG-Aufsicht und den Pflegekassen benannt. Ob die erforderliche Mitwirkung des Beirates per Beschluss immer gegeben ist, bezweifelt das Bundessozialgericht im Urteil vom 26.9.2019 -B 3P 1/18 R.
Hier endet die theoretische Betrachtung. Weitergehend der Leitfaden „Der Bewohnerbeirat“.
Theorie muss vertrauensvoll in der Praxis umgesetzt werden.
Die Einrichtungsträger werden mit September 2022 neue Entgelte mit den Kassen vereinbaren. Bis zum 28.2.2022 mussten sie die tarifliche Grundlage für die Gehälter den Pflegekassen melden. Sie gilt als Basis für das
85 SGB XI Pflegesatzverfahren
Die Entgeltvereinbarung von der Prüfung bis zur Unterschrift
Wege aus der Pflegenot
Die Pandemie zeigt, nur durch Zusammenhalt und Vorsorge kann die Zukunft gemeistert werden. Wenn eine Pflegekasse verkündet: Es allein in NRW 35.000 Betten, es fehlen 31.000 Pflegekräfte am Bett. Müssen wirklich 425 Einrichtungen gebaut werden oder gibt es nachhaltigere Möglichkeiten. Diskutieren Sie mit uns „Wege aus der Pflegenot – Sorglos und unbeschwert im Alter“ vom 18.-20.Juli 2022 in Königswinter. Übrige Voraussetzungen wie vor.
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