Pflegenotstand durch fehlende (Mit)-Verantwortung

Fordern, meckern, ohne Alternativen aufzuzeigen, ist zu wenig.

Wir befinden uns für alle sichtbar in einer Ära wachsender Ressourcenkonflikte und Versorgungsengpässe. Damit umzugehen, also Mangellagen zu managen, müssen wir in den Wohlstandsgesellschaften wieder lernen. Die Bürger erwarten eine tragfähige Umsteuerung von ihrer Regierung im Bund, den Ländern und Kommunen.

Damit sich die Sachlage verändert und nicht weiter verschlimmert, dürfen notwendige Entscheidungen nicht länger aus einem falsch verstandenen Individualismus und vor der Angst fehlender Wiederwahl verschleppt oder gar blockiert werden. Die Realität lässt sich nicht durch abgeworbene Arbeitskräfte im Ausland, durch Aktionismus ändern oder dadurch, dass überfällige Änderungen, wie die Krankenhausplanung, solitär im Bundesrecht umgesetzt werden. Wir brauchen eine breite Akzeptanz durch offene Diskussion auch in der Kommune.

Was ist geschehen

Nach dem Fall der Mauer fielen die Schranken der sozialen Marktwirtschaft. >>Privat vor Staat<< war und ist angesagt. Nach 12 Jahren der Diskussion trat im Mai 1994 die Pflegeversicherung (SGB XI) in Kraft. Der Bund privatisierte die Bahn 1994, die Post. Die Abgeordneten des Bundes  entledigte sich der Daseinsvorsorge und gleichzeitig von einem großen Teil der Sozialleistungen. In die Pflegeversicherung werden derzeit 66 Milliarden € im Jahr durch Arbeitnehmer eingezahlt.  

Ulrich Bauer 2006 in APuZ schrieb in „Reformen des Sozialstaates“

>>Die Privatisierung von Gesundheit ist für die Zukunft der Sozialsysteme von hoher Relevanz. Mit dem Rückgang in der Stabilität des gesundheitlichen Versorgungssystems steht die „Gesundheit“ einer auf demokratischen Grundsätzen verfassten Gesellschaft auf dem Spiel<<

Allen voran – positioniert sich die FDP weiterhin lautstark gegen verbindliche Regelungen seitens der Politik und hält stattdessen die individuelle und unternehmerische Freiheit hoch. Gleichzeitig fordert der ehemalige FDP-Minister Brüderle und Präsident des bpa Arbeitgeberverband: „Eigenanteile senken, wettbewerbliche Ausgestaltung erhalten, Entgeltverhandlungen klären“ und führt weiter aus: „Wer Markt und Wettbewerb in der Pflege in Frage stellt, verschärft die Probleme weiter.“

  • Mangelverwaltung im Gesundheitsbereich

Wenn man feststellt, dass die demokratische Politik auf drängende, existenzielle Krisen zu langsam und nicht immer kompetent reagiert, bleibt als Autorität die Wissenschaft. Auf die vielen Gutachten, insbesondere von Prof. Rothgang der Uni Bremen und andere ist hinzuweisen. Es fehlt nicht an den notwendigen Erkenntnissen, es fehlt am konsequenten Umsetzungswillen, an der notwendigen Umsteuerung. Fachkräfte aus dem Ausland sind keine Antwort auf die fehlende universitäre Ausbildung zur Übernahme der notwendigen Verantwortung.

Der Schutz der Investoren im Gesundheitswesen ist aufzubrechen. Pflegekonzerne dürfen nicht weiter bevorzugt werden. Wer eine Leistung anbietet, muss nachweisen, dass er die notwendigen finanziellen Eigenmittel vorhält, Fachkräfte auf eigene Kosten zuvor ausgebildet hat oder entsprechende Leistungen aus ureigenen Finanzmitteln aufwendet. Seit Anbeginn müssen anerkannte Pflegebedürftige bei Inanspruchnahme gewerblicher Pflege eine anteilige Ausbildungsumlage zahlen. Diese beträgt im stationären Bereich 3 – 6 €uro/pflegetäglich. Ist ein  Markt gegeben, wenn die Grundvoraussetzungen von den Versicherten und späteren Nachfragern gestellt werden und die Preisverhandlungen zu Lasten von 87 % der später betroffen Versicherten getroffen werden.

  • Gesundheit in Eigenverantwortung

Die qualitativ hochwertige ganzheitliche Versorgung ist nicht in einen freien Markt oder in ein solidarisches Vergabeprinzip eingebettet. Hochwertige Versorgung muss bezahlt werden, private Beiträge und Zusatzaufwendungen sind hier längst die Regel, nicht mehr die Ausnahme. Die verminderte, oft unzureichende gesundheitliche Versorgung betrifft vor allem sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Das eingeschränkte Solidarsystem für Arbeitnehmer zerfällt in der Praxis zusehends. Die Bürger leisten ihre Zwangsbeiträge im gesetzlich vorgegebenen Rahmen an die Sozialkassen. Die Einrichtungsträger suchen ihre Gewinnmöglichkeiten direkt und indirekt.

  • Gesundheit als Verantwortung der Gemeinschaft

Fordern wir die Einhaltung der Gesetze.  § 8 SGB XI formuliert in Absatz 1: Die pflegerische Versorgung der Bevölkerung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

(2) Die Länder, die Kommunen, die Pflegeeinrichtungen und die Pflegekassen wirken unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes eng zusammen, um eine leistungsfähige, regional gegliederte, ortsnahe und aufeinander abgestimmte ambulante und stationäre pflegerische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. 

Ein Mitwirken bedeutet in Entscheidungen eingebunden sein. Erkennen was die anderen Beteiligten wollen. Ein Mitarbeiten in den gegebenen Freiheiten, der Gesetze im Schutze der freien Marktwirtschaft. Investoren im Gesundheitsbereich nutzen Gesetze gegen gleichberichte Marktteilnehmer, Konkurrenten in vollem Umfang auch gegen sozial versicherte Arbeitnehmer zur Gewinnerzielung.

Überfällige  Gesetzesänderungen:

Bundestagsabgeordnete können dies im Gesundheitswesen leicht ändern.

  • Die größenabhängige Erleichterung nach dem HGB (§§ 276ff) sind ersatzlos zu streichen, damit die notwendigen Entgeltverhandlungen auf testierten Zahlen der Einrichtungen erfolgen und nicht im Konzern untergehen. So können gleichzeitig die Einhaltungen der Krankenhaus- und Pflegebuchhaltungsverordnungen gewährleistet werden.
  • Bei den Verhandlungen sind frei gewählte Patienten- / Bewohnerbeiräte mit Rechten am Verhandlungstisch vorzusehen. § 85 Abs. 3 Satz 2 SGB XI ist umzusetzen.

Der Bund ist mit in die Verantwortung zu nehmen, es reicht nicht eine Bundesgesetzgebung ohne entsprechende Verantwortung. Länder müssen mit den notwendigen Mittel zur Bestandssicherung ausgestattet werden.

Wenn die Parteien und deren Abgeordneten sich nicht kurzfristig, wie im Ampelkoalitionsvertrag versprochen, zu einer sozialen Gesundheitsversorgung in der Legislaturperiode durchringen können, müssen sie den Versicherten die volle Eigenverantwortung zurückgeben und im SGB XI die Sachleistungsmöglichkeit zu Gunsten der Geldleistung streichen. Geld ist genügend im System. Mit der Geldleistung von über 66 Mrd. € kann eine Pflege in der Häuslichkeit gewährleistet werden. Kein weiteres Geld in Modellversuche, Untersuchungen oder Gutachten aus Geldern der Versicherten.

Den Pflegebedürftigen, den pflegenden Angehörigen und Pflegekräften muss die Würde und notwendige Anerkennung  und Mitsprache zurückgegeben werden.

Der Gesetzgeber ist gefordert, das Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) verfassungsgemäß neu zu gestalten.

Fordern, meckern, ohne Alternativen aufzuzeigen, ist zu wenig. Eine notwendige Mitsprache erfordert verständliche Informationen und Transparenz durch fachliche und wissenschaftliche Unterstützung der Gremienvertreter. Nur Gremienvertreter mit Sachverstand und Bürgernähe sind die Garanten der Demokratie. Überlassen wir unser zukünftiges Wohl nicht „Lautsprechern“.

Fordern wir die politische Willensbildung Parteien nach Art. 21 Absatz 1 Grundgesetz ein.

Wir sind auf Ihre Kommentare gespannt, auch unter dem Aspekt der Forderung der Wohlfahrtsverbänden zu einer „solidarischen Pflegevollversicherung“ bei fehlenden examinierten Pflegekräften.

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