Die (eigenständige) Seniorenvertretung

Verordnete Beruhigungspille oder notwendiges Engagement?

Die Corona-Pandemie hat die Pflegekatastrophe aufgezeigt, den notwendigen Ausbau der Gesundheitsversorgung verdeutlicht, doch die Daseinsvorsorge ist eine Kannleistung.

 1/3 der Wähler sind über 60 Jahre, ihre Interessen werden selten gesehen. Die Seniorenvertretungen der Parteien sind nicht wahrnehmbar. Die Fraktionen in den Rathäusern rufen selten die Meinungen oder gar die Expertise der Senioren ab. Demokratisch gewählte Seniorenvertretungen sind eine Seltenheit.

In nachfolgenden Beiträgen wollen wir den Gegebenheiten nachspüren. Wie können wir den Respekt im Alter in der Gesellschaft wiederfinden. Erklärte Absichten allein helfen nicht weiter. Nur wer sich rechtmäßig zu öffentlichen Problemen äußern und mitentscheiden darf, lebt in der Gemeinschaft. Die Pflegekatastrophe ist nicht vom Himmel gefallen, es fehlt die sorgende Gemeinschaft der Gesellschaft.

Die Pflegekatastrophe

In der Politik und den Medien werden Lobbyinteressen aufgenommen. Über die 10 % der Pflegebedürftigen in den Einrichtungen wird laufend direkt oder indirekt berichtet. Die 4,5 Millionen Pflegebedürftigen in der Häuslichkeit und die An- und Zugehörigen werden in ihrer physischen und psychischen Not nicht gesehen, verschämt verschwiegen; sie haben keine Lobby und werden auch nicht dabei unterstützt eine Lobby zu bilden. Die Benachteiligung und das oftmals Fehlen gesetzlich zugesagter Leistungen ist Teil wachsender Resignation und Frustration. 66 Mrd. € sind jährlich im Pflegeversicherungstopf.  Nicht fehlendes Geld, fehlende nachhaltige Planung, fehlende verantwortlich kontrollierte Verteilung der Mittel stehen in der Kritik. Die Insolvenzen der Einrichtungsträger der Pflege müssen ein Weckruf für alle sein. Die Unsicherheit in der Gesellschaft wächst. Für eine wirkungsvolle Umsetzung müssen die betroffenen Bürger einbezogen werden. Alle Bürger sind von der sich polarisierenden Gesellschaft betroffen, zahlen die Zeche. Statt Beruhigungspillen annehmen, müssen wir Senioren uns auch gegen Widerstände zur eigenen Sicherheit einbringen. Was hindert uns bisher?

Die Verschiebung der Verantwortung

Nach § 9 des Sozialgesetzbuches XI (SGB XI) sind die Länder verantwortlich für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur, nicht die Bundesregierung. Die Planungsaufgabe ist per Gesetz an die Kommunen delegiert. So heißt es z.B. in § 69 im bayrischen Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) „Die zuständigen Aufgabenträger stellen im Benehmen mit den Gemeinden, den örtlichen und regionalen Arbeitsgemeinschaften der Pflegekassen, den überörtlichen Trägem der Sozialhilfe und den Trägern der Pflegeeinrichtungen den für ihren Bereich erforderlichen längerfristigen Bedarf an Pflegeeinrichtungen fest.“ Gleichlautende Ausführungen haben andere Bundesländer erlassen, § 7 Alten- und Pflegegesetz (APG NRW). Warum die (Eigen-)Verantwortung etwa durch Kontrolle wahrnehmen, Pflichten einfordern, wenn es doch geregelt ist.

Die Kommunalverwaltung verfasst einen Bericht und der Rat nimmt zur Kenntnis. Gleiches gilt für den zweijährigen Tätigkeitsbericht der Heimaufsicht (WTG-Behörde). Vorsichtshalber werden die betroffenen Bürger vorher nicht gefragt und auch nicht informiert. Wer sucht schon uninformiert die Verantwortung der Länder, des Sozialministers, des Bürgermeisters, der Ratsmitglieder. Versäumnisse werden an andere in der Ferne geschoben, nach Berlin, nach Brüssel. Eine Konsequenz bei Land, Rat und Kommunalverwaltung ist nicht vorgesehen. Gesetze werden formal eingehalten, notwendige Schritte der Verbesserung, Kosten für Bürger werden optimiert vermieden. Warum nachfragen, wenn’s läuft.

Müssen Pflegebedürftige, ihre Angehörigen, Senioren auf der Strecke bleiben?

HinweisDie Unzufriedenheit wächst. Die ehrenamtlich gewählten Gremienvertreter sehen vielleicht den Frust, erkennen oft nicht die Tragweite.  Wissen selten um die Grundlagen, die Möglichkeiten ihrer notwendigen Mitwirkung zur entsprechenden nachhaltigen Planung und Ausschreibung nach den jeweiligen Landesgesetzen. Die Aufgaben der Zukunftsgestaltung und Zusammenarbeit ist in der Kommunalen Konferenz Alter und Pflege geregelt § 8 APG NRW. Die Umsetzung wird von der Verwaltung vorgegeben. Ob und wie dies geschieht und gelebt wird, erkennen bei Bedarf Insider, nicht die Bürger. Eine entsprechende formulierte Regelung ist in Bayern nicht gegeben. Dies ist kein Hinderungsgrund, bürgernah die notwendige Planung und Gestaltung verantwortlich umzusetzen. Ein weiteres Abwarten oder Verzögern durch Scheinlösungen verschlimmert die Pflegekatastrophe. Wir Bürger müssen das aktive Handeln einfordern, uns einbringen. Das gesundheitliche Wohlbefinden darf nicht länger aus Kosten- und Refinanzierungsgesichtspunkten oder gar aus Gründen des Einflusses ignoriert werden. Die notwendige Planung und Umsetzung kann nicht länger den Kostenträgern (Pflegeversicherung und Sozialhilfe) und Anbietern überlassen werden. Wir Versicherte brauchen Mitspracherecht; die Pflegekatastrophe besteht auch wegen fehlender Kontrolle und Sanktionen. Der einseitige Ruf zur Finanzierung der Einrichtungsträger lenkt von eigenen Versäumnissen des nachhaltigen Wirtschaftens, der fehlenden, gar verhinderten Kontrolle und Planung der letzten Jahrzehnte ab. Es ist auch unser Versäumnis, nachhaltige Planungen einzufordern und uns rechtzeitig einzumischen.

Kein weiter so

Der Ruf der Investoren nach mehr Geld vom Bundesgesundheitsminister, letztendlich auf Kosten der Versicherten, hilft nicht den zu Pflegenden. Die Coronabeihilfen wurden ohne entsprechende Nachweise und Kontrollen ausgeschüttet. Die nachfolgenden Insolvenzen könnten ein Indiz für das fehlende wirtschaftliche Handeln der Betreiber sein, aber auch ein Ausnutzen bestehender gesetzlicher Möglichkeiten der Finanzierung. Die Mehrkosten, oft bei verminderter Qualität, müssen von den Versicherten ohne Gegenleistung aufgebracht werden. Wir brauchen eine nachhaltige Gesundheitsstruktur in den Kommunen mit gesetzlichen Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten, statt Beratungsleistungen der Träger durch die WTG-Behörden, Stärkung der Bürgerrechte.

Jeder kann in den Medien die Bestrebungen im Krankenhausbereich und die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und den Ländern verfolgen. Den Bürger wird nicht vermittelt, dass die Länder Bundesmittel fordern und gleichzeitig die Krankenhäuser vor der notwendigen Transparenz schützen wollen. Nicht zu vergessen die Baustellen des Rettungsdienstes, der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und andere. Es geht bisher nicht um die erforderliche Qualität mit und am Menschen, es geht um die Verteilung der Gelder.

Die Reformen im Gesundheitsbereich seit 1975 waren immer von der Kostendämpfung geprägt, dies war und ist das ausgegebene Zielen, nicht ein optimiertes Gesundheitswesen. Ein Überblick.

Seit dem Übergang zu wettbewerbsorientierten Reformen im Gesundheitswesen, 1995 mit dem Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI), ist für jeden der Privatisierungstrend im Gesundheitswesen deutlich erkennbar. Die versprochene Wirkung des Marktes, einer besseren und preiswerteren Versorgung, ist nicht eingetreten. Die notwendigen Angebote als Voraussetzung eines funktionierenden Marktes werden bisher nicht eingefordert. Die Gewinnmargen wurden auch im Wohlfahrtsbereich zu Lasten der Versicherten verhandelt. Ärzte zur Umsatzausweitung wurden eingestellt, die notwendigen Pflegekräfte im Krankenhaus wurden abgebaut und dienten zur Finanzierung. Der wachsende Pflegebereich wurde weder im Krankenhaus- noch im Bereich der stationären Pflege mit den notwendigen Kräften durch entsprechende Ausbildung  seitens  der Anstellungsträger aufgebaut. Die Pflegekräftekatastrophe ist nicht vom Himmel gefallen. Bis heute gibt es in der Bundesrepublik keine flächendeckende Erhebung über notwendige, nicht einmal über bestehende Pflegekräfte. Die gravierenden Personalengpässe sind für jedermann sichtbar. Lassen wir länger die Devise gelten:

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Wir brauchen eine Abkehr vom Handeln nach Teilbereichen im Gesundheitsbereich unter Erlösgesichtspunkten. Ein rückwärtsgerichtetes Denken mit veralteten Statistiken ist nicht Zielführend. Die Daseinsvorsorge der immer älter werdenden Bevölkerung darf nicht länger eine Kann-Leistung bleiben. Gesundheit muss wieder ein allgemeines Gut werden, keine Gnade der Einrichtungsträger nach Finanzierungsmitteln und zufälliger Ausbildungsbereitschaft. Müßten nicht gerade Pflegekonzerne stolze Vorreiter in der Ausbildung, der Nachwuchsförderung und nicht Leuchtfeuer der Kritik sein.

Die Bürger sind als Betroffene zur Lösung miteinzubeziehen, damit die Angebote unter den gegebenen Bedingungen der fehlenden Fachkräfte in der Pflege optimiert werden. Verlangt und notwendig ist ein Gesamtkonzept im Gesundheitsbereich unter Einbeziehung aller Beteiligter. Bürger dürfen nicht Zahler und Bittsteller sein. Ein weiteres Abwarten auf gesetzliche Lösungen verzögert und verschlimmert die Lage in den Kommunen und kostet im Nachhinein mehr.

Warum auf den großen Wurf oder weitere Zusammenbrüche in der gemeindlichen Versorgung warten? Gestalten wir in unserem Gemeindebereich nach unseren Vorstellungen, bringen wir uns endlich in die Gemeinschaft als Betroffene ein, warten nicht auf die Gnade anderer.

Oft bestehen unbekannte Gremien und Ausschüsse im Rat. Die Vorentscheidungen werden in den Parteien getroffen, oft auch hier unabhängig von den betroffenen Gruppen. Wer kennt schon die AG SPD 60plus, die Seniorenunion der CDU, gegründet in den 1970 Jahren, oder entsprechende Gruppen der Wohlfahrtsverbände, der Gewerkschaften. Bezeichnend sind die unverbindlichen Positionen mit dem Hinweis auf andere zuständige Gliederungen, im nicht öffentlichen Bereich.

Fordern wir eine lebhafte Seniorenvertretung. Wer sich kümmert, hört vielleicht, brauchen wir nicht, haben wir schon. Wenn dem so ist, fehlt die notwendige Transparenz. Forderungen der Bürger werden oft aus Kostengesichtspunkten formal abgelehnt. Die Angst gegen nachhaltiges demokratisches Mitwirken hat vielerlei Gründe.

Nehmen wir die Worte als bare Münze

Die Position der CDU/CSU Fraktion im Bundestag vom 10.10.23: „Es braucht mehr kommunale Verantwortung für die Pflege und die Pflegestrukturen – ohne die Kommunen dabei finanziell und personell zu überlasten. Deshalb braucht es eine faire Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und den relevanten Kostenträgern.“

Nehmen wir die Parteien in die Pflicht. Nach Art. 21 GG wirken sie bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Dies bedeutet nicht, dass der Bürger sich nicht einbringen darf. Lassen wir nicht länger allgemeine, unverbindliche Parteiforderung zu, die sich allein nach den Finanzen richten und den Bürger zwischen den Wahlen entmündigt und vergisst.

Notwendiges Engagement oder eine verordnete Beruhigungspille  

Die Pflege ist ein Wirtschaftsfaktor und kein soziales Angebot, wie es das Beispiel Ameos zeigt. „Auch für Bayern gilt – so ein Befund des aktuellen Monitorings – dass insbesondere viele stationäre Pflegeeinrichtungen aufgrund des Personalmangels nicht alle Pflegeplätze belegen können. Die in Bayern immer noch vergleichsweise gut und flächendeckend verteilten Pflegedienste müssen angesichts des Personalmangels Anfragen von Klientinnen und Klienten ablehnen.“

In Bayern wird mit dem Entwurf des Seniorenmitwirkungsgesetzes (BaySenG) und den Wahlen zum Landesseniorenrat ein „neuer Einstieg“ in die ehrenamtlich unterstützte Seniorenvertretung ausgerufen.  Ob die aktuelle Studie über den Pflegepersonalbedarf in Bayern eine Rolle spielt, die Demokratie gestärkt wird?

Dann sollte übergreifendes Ziel des Gesetzes sein, die Beteiligung von Seniorinnen und Senioren an allen wesentlichen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens zu fördern. Ein Vergleich mit dem Hamburgischen Seniorenmitwirkungsgesetz, welches den Ländern Berlin und Mecklenburg-Vorpommern folgt, hilft das Fragezeichen nachzuvollziehen. Siehe dazu die Erläuterungen ab Seite 38ff der Broschüre zum HambSeniorenmitwg.

Beitrag wird fortgesetzt.

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