Die Pflege verlagert sich in die Häuslichkeit.
Die Unterscheidung in Leistungsentgelt und Geldleistung im Pflegeversicherungsgesetz ist nicht mehr zeitgemäß noch gerecht?
In Pflegeheimen gibt es deutlich mehr Nachfragen als freie Plätze, damit ist kein Markt vorhanden. Zum Stichtag 31. Dezember 2024 konnten nach Angaben der Thüringer Heimaufsicht 283 Plätze wegen Personalmangels nicht belegt werden. Bereits am 15.7.24 meldete die Thüringer Allgemeinen Zeitung, dass in den 329 stationäre Pflegeeinrichtungen von den 25.843 Plätzen nur 23.616 belegt waren. Eine Minderbelegung von 2.227 oder 8%. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist eine tragfähige Auslastung gegeben, die Refinanzierung der Investitionen ist gesichert.
Gleichzeitig ist bundesweit festzustellen, werden ältere Menschen nach einer Operation pflegebedürftig, findet sich für sie keine Nachsorge, kein Heimplatz. Die Kosten für den weiteren Krankenhausaufenthalt steigen. Der Zerfall klassischer Familienstrukturen wird das Problem weiterhin verstärken; das Bauen auf „ehrenamtliche“ Pflege entfällt.
Anspruch und Wirklichkeit fallen immer weiter auseinander.
Die Pflege nach dem Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) stagniert seit Jahren bei 800.000 Bettplätzen. Träger flüchten vermehrt in Richtung Seniorenwohnen, betreutes Wohnen und ambulant betreute Wohngemeinschaften, um den klaren Forderungen nach den Wohn- und Teilhabegesetzen zu entkommen. Träger nutzen die Situation der jährlich steigenden Pflegebedürftigkeit, fordern die Entgeltsicherung wie im stationären Bereich, Stichwort „stambulant“. 34 Bürgermeister aus Baden-Württemberg und Bayern fordern, die „stambulante“ Versorgung zur bundesweiten Regelleistung zu machen.
Regional ist die Heimquote unter anderem in Nordrhein-Westfalen bereits unter zehn Prozent gesunken. Im Jahre 1995 lag die Quote bei 40% und sollte nach dem Willen des Gesetzgebers nicht unter 30 Prozent fallen.
Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) bezeichnet das „Betreute Wohnen“ bereits 2022 in seiner Studie „Betreutes Seniorenwohnen“ als „zukunftsweisendes altersgerechtes Wohnangebot“, das selbstständiges Wohnen mit modular wählbaren Leistungen kombiniere. Die Leistungen können sehr weit gehen: Es beginnt mit dem Servicemodell mit Freizeitangeboten und kleinen technischen Alltagshilfen und reicht über das Betreuungsmodell mit Notruf und zeitlich begrenzten Pflegeleistungen bis hin zum Verbundmodell mit umfassenden Pflegeleistungen und einer 24-Stunden-Betreuung. Es folgte keine klarstellende Gesetzgebung zur Refinanzierung. Die gesetzlichen Lücken und Widersprüche werden zur Optimierung ausgenutzt.
Das „Betreute Wohnen“ ist für Pflegeunternehmen interessant.
Die Wohnform ist baulich und personell weniger reglementiert als das klassische Pflegeheim. Die Finanzierung ist in mancher Hinsicht vorteilhafter. Statt eines Vertrages mit einem Entgelt, werden drei bis vier Verträge abgeschlossen.
- Mietvertrag über die Kaltmiete der Räumlichkeit
- Nebenkosten von Wasser, Strom, Wärme
- Serviceleistungen wie: Hausmeister-, Büroservice, Betreuung, Notruf
- Grundpflege: (SGB XI), gesondert werden Leistungen von examinierten Pflegekräfte nach SGB V mit der zuständigen Pflegekasse abgerechnet.
Serviceleistungen (3) werden pauschal abgerechnet, unabhängig davon, ob man sie tatsächlich nutzt, ist das Leistungspaket zu zahlen. In der Regel sind die Verträge, 1-3 nicht zu trennen, Die Entscheidung bleibt, entweder in das gesamte Paket 1-3 einzuwilligen oder eben nicht zu unterschreiben.
Vergleichen Sie: verschiedene Anbieter bzw. verschiedene Verträge eines Anbieters, es lohnt sich. Eine Klausel, auf die man in jedem Fall achten sollte: Was geschieht, wenn Pflegebedürftigkeit der Ziffer 4 eintritt. Viele Anbieter behalten sich vor, in einem solchen Fall selbst über den Verbleib des Mieters zu entscheiden. Zumindest die Konsultation eines Arztes sollte notwendig und vertraglich vereinbart sein. Der Gesetzgeber muss klare Linien und Bedingungen und eine neutrale Schiedsstelle benennen, wenn er Sonderregelung der Refinanzierung schafft. Gebrechliche Mieter dürfen nicht schutzlos dem freien Markt überlassen werden.
Wie pflegebedürftig dürfen die Bewohner sein?
Die Betreuung von Senioren mit Pflegegrad 5 bedeutet ’schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen für die pflegerische Versorgung‘. Ohne eine bestens verzahnte Rund-um-Versorgung im Betreuten Wohnen, beispielsweise durch das Zusatzangebot von Tages- und Nachtpflege, oder auch Verhinderungspflege, wenn die Versorgung teilweise durch Angehörige erfolgt, ist das kaum möglich, um nicht ernsthafte gesundheitliche Folgen zu verursachen. Die Krankheitsbilder und komplexen pflegerischen Bedarfe sind im Pflegegrad 5 sehr hoch und bedürfen der fachlichen Unterstützung. Die in der Häuslichkeit mangels ambulanter Fachkräfte nicht gegeben oder gar abgelehnt wird. Ungelernte Hilfskräfte müssen „ehrenamtlich“ fachliche Pflege übernehmen. Beratungsgespräche nach § 37 Abs. 3 SGB XI sind keine Hilfe.
Pflege nach SGB XI
Das Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) wurde 1995 nach 12jähriger Diskussion und zur Entlastung des Sozialsystems und im Hinblick der alternden Gemeinschaft in Vollzug gesetzt. Die damalige Heimbedürftigkeitsbescheinigung wurde aufgehoben. 2024 wurden durch die sozialversicherten Arbeitnehmer 66 Mrd.€ aufgebracht. Die Hoffnung des Gesetzgebers, dass durch die Zulassung von privaten Trägern genügend stationäre Plätze geschaffen werden, ist nicht eingetroffen. Die Heimbedürftigkeitsbescheinigung wurde wieder eingeführt. Wer in dem „Betreuten Wohnen“ untergebracht ist, wird die „Heimbedürfigkeitsbescheinigung“ selten erhalten. Notfall Krankenhaus ist der Ausblick.
Die Einrichtungsträger nehmen nach rein betriebswirtschaftlichen Erwägungen neue Bewohner auf und selten Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad 5. Wer einen der seltenen Plätze ergattert, hat das große Los gezogen und erhält das volle Programm nach dem SGB XI von der Grundpflege über die Betreuung bis zur Vollverpflegung mit 5 Mahlzeiten. Die Differenz zahlt die Sozialhilfe zuzüglich einem Barbetrag von 152,01 € (Taschengeld) im Jahre 2025.
In der Häuslichkeit bemühen sich An- und Zugehörige rund um die Uhr die Grundpflege zu leisten. In der stationären Einrichtung können sich 6 Pflegekräfte ablösen und erhalten der Einrichtungsträger erhält rund das doppelte Entgelt der Geldleistung je Pflegegrad in der Häuslichkeit. Die Belastung der Familienangehörigen erlaubt keine Betreuung und muss die Formalien mit den Behörden dazu noch stemmen. Neben der geminderten Geldleistung erspart sich die Pflegekasse das Geld für die Betreuungsleistung. Dazu kommt, dass nach bewilligten Anträgen die Ausgaben vorfinanziert werden müssen. Hilfe durch die Sozialhilfeträger und Unterstützung und Beratung sind selten, oft nicht gegeben.
Die Pflegeversicherung muss klar und verständlich geregelt werden. Eine Unterscheidung in stationär und ambulant ist nicht mehr gerechtfertigt. Dazu gehört auch, dass der Pflegebegriff eindeutig definiert werden muss und nicht mehr synonym im SGB V und SGB XI-Bereich Verwendung findet. Die Arbeit von examinierten und zwangsverkammerten Pflegekräften können nicht weiterhin mit der notwendigen Grundpflege und Betreuung von An- und Zugehörigen gleichgesetzt und finanziert werden. Gilt der gesetzliche Pflegehilfskräftemindestlohn allgemein, entfällt auch die Unterscheidung in Sach- und Geldleistung. Die notwendige Klarheit bringt eine Vereinfachung. Sie erspart gleichzeitig die Verhandlungen mit den Einrichtungsträgern und die notwendigen Verwaltungs- und Kontrollhandlungen. Die soziale Pflegekasse ist nur den Versicherten verpflichtet. Dazu gehört auch, die Pflegebedürftigkeit durch Vorsorge entsprechend hinauszuzögern. Deswegen fordert der Pflegewissenschaftler von der Universität Bremen, Prof. Heinz Rothgang, eine einheitliche Versorgung mit gleichen Regeln und Finanzierung. Initiator von „stambulant“ Benevit-Chef Kaspar Pfister legt dagegen öffentlichkeitswirksam Investitionen auf Eis. Wird der Erpressungsversuch gelingen?
Die pflegenden An- und Zugehörigen in der Häuslichkeit sind der „ehrenamtliche“ Spielball, sie haben keine Stimme. Gewerbliche Anbieter fordern direkt und indirekt eine allgemeine Pflegereform. Die Diskussion darf nicht länger nur den Pflegekassen, Anbietern und der Wissenschaft zu überlassen werden. Formale Verbesserung in der Häuslichkeit scheitern an der Kenntnis, spätestens an den Hürden der Verwaltung. Allein durch Transparenz kann eine Akzeptanz der Versicherten hergestellt werden. Keine weiteren Geheimverhandlungen und Wunschentgelte zu Lasten der Versicherten; sie sind undemokratisch.
Bestehende stationäre Einrichtungen sind in Rehaeinrichtungen, notwendige Stationen für Demente, die in der eigenen Häuslichkeit nicht mehr versorgt werden können, und in gemeinnützige Palliativeinrichtungen umzugestalten.
Die notwendige Reform nach 30 Jahren ist überfällig. Sie darf nicht dazu dienen, die bestehenden Strukturen weiter auf Kosten der sozialversicherten Arbeitnehmer und der An- und Zugehörigen zu stützen und gleichzeitig über fehlende Fachkräfte in der Pflege und der Industrie zu jammern.
Wir brauchen eine zukunftsfähige Altenversorgung, die teure „Zwischenlagerungen“ im Krankenhaus vermeidet und die letzte Lebensphase ohne Schmerzen begleitet. Das Aufzeigen und Benennen bestehender Fehlentwicklungen aus Sicht der Versicherten ist erforderlich.
Stichpunkte zur Diskussion
Im 12jährigen Gesetzgebungsverfahren des SGB XI war Ziel die Sozialhilfe einzusparen, die Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände zu erhalten, private Investoren zuzulassen, damit die notwendigen 30% von vollstationären Plätzen auf Dauer erreicht werden.
- Die Einsparung der Sozialhilfe beträgt derzeit 66 Mrd.€ jährlich.
- Die Refinanzierungsmodalitäten wurden weitgehend beibehalten und mit einem Gewinnaufschlag versehen.
- Die einseitigen Qualitätsversprechen der Einrichtungsträger sind nicht einklagbar.
- Die zuständigen ordnungsbehördlichen Wohn- und Teilhabeaufsichten, sehen sich durch fehlende Alternative als Beratungsaufsicht der Einrichtung.
- Das gesetzliche Kontrollorgan der Bewohner nach § 83 Abs. 3. Satz 2 SGB XI wird durch die Pflegekassen nicht eingefordert.
- Unterstützungsleistungen nach SGB XI dürfen, so lange nicht jeder seinen Anspruch auf die Leistung durchsetzen kann, nicht länger in abgekürzter Zahlung direkt als „erhöhtes Leistungsentgelt“ erfolgen. Der einzelnen Person wird die Würde zurückgegeben mitzuwirken und über Geld zu verfügen.
Fazit
Die notwendige Aufarbeitung der intransparenten Kostenspirale mit allen Beteiligten, fördert die notwendige Akzeptanz und den Einsatz in einer älter werdenden Gesellschaft. Erwartungen der Bürger müssen mit der Wirklichkeit zu einem realistischen Ziel formuliert werden. Es darf nicht länger sein, dass die Umlage für sozialversicherte Arbeitnehmer durch nicht betroffene Abgeordnete ständig zum Vorteil der gewerblichen Anbieter erhöht werden. Die Erlöse weiterhin zu 42 % der Einrichtungsträger mit Gewinnaufschlag zugutekommen, 48% auf die übrigen anerkannt Pflegebedürftigen verteilt werden. Die Verbesserung der Lebensumstände dürfen sich nicht länger nach dem möglichen Kapitaleinsatz bemessen werden und nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben enden. Ansprüche dürfen nicht deshalb entfallen oder gar verweigert werden, weil sie nicht vorfinanziert werden können.
Wir brauchen nicht nur eine Verbesserung im Pflegefall für die Versicherten und die gesellschaftliche Unterstützung durch die gewählten Interessenvertreter und Verbände. Eine frühzeitige Aufklärung und Vorsorge verhindern Kosten. Eine bessere Abstimmung zwischen den Gesetzen SGB V, SGB IX und SGB XI in einer Verantwortlichkeit trägt zur Transparenz und Verschlankung bei.
Lasst uns Rentner nicht weiter ins Bergfreie fallen!
Mit diesem Beitrag wollen wir im Interesse der demokratischen Gesellschaft mit wenigen Stichpunkten eine breite Diskussion im Pflege- und Gesundheitsbereich anstoßen, die in Seminaren zu vertiefen wären. Es reicht nicht Missstände zu benennen, Änderungen anzukündigen. Erfahrungen aus Modellförderungen sind gegeben. Wir brauchen eine schnelle allumfassende tragfähige Lösungen. Das Töpfedenken nach Erlösen dient nicht der Allgemeinheit. Jede Familie ist irgendwann von einem Notfall und der Pflege betroffen.
Solidarisches Handeln darf nicht länger eine Einbahnstraße sein.
Nur wenn die Letztverantwortlichkeit in der Kommune gegeben ist und der heutige Verschiebebahnhof beendet wird, kann die Not der Rentner gemildert, die Demokratie gestärkt werden.