Flucht ins Betreute-/Service Wohnen

Betreutes Wohnen ein neuer Run oder nur eine Umschichtung der Investorengelder. Wir alle brauchen Abbau von Barrieren und mehr Wohnkomfort durch kommunale Planung und eine entsprechende Finanzierung.

Wohn- und Betreuungseinrichtungen werden immer größer und teurer. Um hilfebedürftigen Personen bereits früh einen gewissen Service ermöglichen zu können, ohne später aufwendige Umzüge in Kauf nehmen zu müssen, bieten viele Träger ganze Versorgungskomplexe an.

Anbieter von Service-Wohnanlagen schließen die gesetzliche Mitwirkung der Bewohner größtenteils aus. Der Sächsische Landtag hat am 20.03.2024 das „Gesetz zur Reform des Sächsisches Wohnteilhabegesetz“ (SächsWTG) (Drs 7/14987) beschlossen, dass in anbieterverantworteten Wohngemeinschaften, das heißt solchen ohne Selbstbestimmungsgremium, reicht eine Pflegekraft auf Abruf, eine ständige präsente Pflegefachkraft ist nicht erforderlich. So kann gespart werden. Politiker sehen einen Handlungsbedarf in der Finanzierung, nicht aber den Schutz der Bewohner und der eingesetzten Steuergelder? Wir brauchen auch keinen neuen Pflege-Sektor „stambulant“ zur Optimierung der Refinanzierung der Träger.

Die Pflege ist unabhängig von der Wohnform modular als Leistung nach einheitlichen Regeln abzurechnen.

In Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen, Definition § 24 WTG NRW bestehen in NRW (§29 WTG NRW) noch die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte insbesondere in Fragen der Unterkunft, Betreuung, Aufenthaltsbedingungen, Ordnung des Zusammenlebens, Verpflegung und Freizeitgestaltung. Diese werden gesetzlich durch eine mindestens jährlich stattfindende Versammlung aller Nutzerinnen und Nutzer oder deren Betreuer (Angehörige) wahrgenommen. Der Schutz der WTG-Behörde ist durch Personalmangel selten gegeben. Es kommt vermehrt auf das Engagement der Bewohner und Angehörigen an, sich den Schutz analog eines Heimes nach § 22 WTG NRW zu erkämpfen. Einen Überblick gibt die BIVA in kleinen Videos.

Die private Datenbank pflegemarkt.com listet die Veränderung auf:

  • 2021 wurden 95 Standorte mit mehr als 3.500 Wohneinheiten übernommen. Ein Sondereffekt durch die Übernahme der advita durch die DomusVi und der Zusammenschluss der PflegeButler und der Onesta.
  • 2022 nur 53 Standorte mit rund 1.100 Wohneinheiten.
  • 2023 wurden 167 Einrichtungen mit 2.600 Wohnungen übernommen. Darin sind 122 Standorte aus der Insolvenzmenge verschiedener Betreiber enthalten.
  • 2024 bisher 4 übernommene Einrichtungen für Betreutes Wohnen.

Belastbare Aussage über das Angebot von „Betreutem/Service Wohnen“ und die Bedingungen sind nicht ersichtlich. Investoren sehen die Not, den engen Markt, die fehlenden Kontrollen. Wo bleibt die notwendige Qualität, die Würde der Pflegebedürftigen, bei fehlenden Pflegekräften.

Was bedeutet eigentlich Betreutes Wohnen? Dies haben wir bereits im März 2018 beschrieben und am 28. Oktober 2020 neu problematisiert.

Ein erheblicher Anteil der Einrichtungen des Betreuten Wohnens entspricht einem ambulantisierten Modell, mit drei und mehr Einzelverträgen, statt einem Vertrag. Keine Verhandlungen mit den Pflegekassen, keine Pflicht die Entgelte zuvor einem Bewohnerbeirat vorzulegen. Kein Investitionskostenbescheid des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe. Der Bewohner kann Mieter oder Käufer sein. Er/sie ist direkter Vertragspartner:in und Zahlungsverpflichteter von Mietvertrag, Serviceentgelt und Pflege.  Näheres siehe auch HIER.

  • Angefangen beim Mietvertrag über durchschnittliche 54 qm mit einem Quadratmeterpreis von 5- 25 €,
  • den Nebenkosten,
  • dem pauschalen Serviceentgelt, der Verpflegung und
  • bei Pflegebedürftigkeit der Vertrag mit dem ambulanten Dienst. Dies ist auch gegeben, wenn das „Betreute Wohnen an eine stationäre Pflegeeinrichtung angegliedert ist. In diesem Fall ist nicht ausgeschlossen, dass die Service- und Pflegekräfte aus der Pflegeeinrichtung entsandt werden. Inwieweit eine Doppelfinanzierung erfolgt, kann schwerlich von der Pflegekasse oder anderen Außenstehenden kontrolliert werden. Lediglich die alle zwei Jahre gewählten Bewohnervertreter haben nach § 85 Abs. 3 SGB XI die gesetzliche Möglichkeit der Kontrolle. Eine diesbezügliche Aufklärung unterbleibt. Die Pflegekassen prüfen, auch nach dem BSG Urteil vom 26.09.2019 – B 3 P 1 /18, immer noch nicht, ob die vorglegte Unterschrift rechtmäßig zustande gekommen ist.

Anfang 2024 gibt es bei den größten 5 Anbietern von über 300 Anbietern 19.502 Plätze in 288 Einrichtungen. Eine Gesamtstatistik über alle Bundesländer wird es vielleicht geben.

Scheinbar ist bisher Niemandem aufgefallen, dass die Anzahl der anerkannt Pflegebedürftigen kontinuierlich steigt und die Zahl der Bettplätze in anerkannt stationären Einrichtungen sich verringern. Bei Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes wurde davon ausgegangen, dass mindestens 30% der Pflegebedürftigen in einer stationären Einrichtung gepflegt werden, die Form des „Betreuten Wohnens“ ist im SGB XI nicht vorgesehen.

Der Pflegemarkt ist seit Jahren in Bewegung.

Eine öffentliche Reaktion der Parteien ist nicht erkennbar. Unsere und entsprechende Fach-Beiträge werden in den Medien nicht aufgenommen. Bringen entsprechende Schlagzeilen keine Leser oder wer oder was soll geschützt werden? Die Landespolitik verweist auf -Privat vor Staat – und in den Kommunen werden die Nöte bisher noch ausgeblendet.

Im Jahre 2022 zeigen wir bei den 5 größten Anbietern insgesamt noch 20.422 Plätze. Die Victor´s Group ist mit 53 Einrichtungen und 3.583 Plätzen und die Korian Gruppe mit 65 Einrichtungen und 3.153 Plätzen vertreten. Diese beiden Anbieter sind abgelöst durch die Johanniter mit 94 Einrichtungen und 3.115 Plätzen und die Alloheim SE sind mit 101 Einrichtungen und 2.660 Plätzen vertreten. Beide halten auch stationäre Pflegeplätze vor.

Laut der Pflegmarkt Datenbank existieren in Deutschland im Jahre 2022 mehr als 7.500 betreute Wohnanlagen, die mehr als 379.100 Wohnungen für Pflegebedürftige zur Verfügung stellen. Der Großteil der Angebote für „Betreutes Wohnen“ (knapp 63 Prozent) werden dabei von gemeinnützigen Einrichtungen betrieben, darunter die Johanniter Unfallhilfe.

Die Anbieter sind zu 3% die Kommunen, zu 57 % Privatinvestoren und 40 % gemeinnützige Einrichtungsträger. Offizielle einsehbare Statistiken sind nicht bekannt. Private Datenbanken bereiten die Daten zur Entscheidungsfindung der Investoren auf. Mit dem Betreuten oder Service-Wohnen verlagert und streut der Investor sein wirtschaftliches Risiko. Das Angebot der stationären Pflegeeinrichtung ist rückläufig. 2021 waren es 793.461 Bettplätze. Das Angebot von Service/Betreutem Wohnen waren 379.134 Wohneinheiten. Diesem Angebot standen 4.961.146 anerkannt Pflegebedürftigen gegenüber.  Wenn man dazu weiß, dass nur 80 % der Wohnungen seniorengerecht ausgestattet sind, kann der Bedarf an altengerechten Wohnungen ermessen werden. Ohne entsprechendes Engagement und die Vorarbeiten der Seniorenvertretungen der Parteien und den Seniorenvertretungen in den Räten werden notwendige Anträge in den Parteien und Fraktionen nicht gefaßt. Müssen Senioren abwarten bis sie pflegebedürftig sind, damit die Pflegekasse vielleicht Hilfsmittel gewährt?

Stärkung der ambulanten Pflege durch die Politik

Durch die politische Stärkung der ambulanten Pflege (Pflegestärkungsgesetz II von 2017) gewinnen angeblich neue alternative Wohnformen, wie das betreute Wohnen, zunehmend an Bedeutung. Durch die politische Vorgabe im SGB XI seit 1995 „ambulant vor stationär“ und den verstärkt einsetzenden demografischen Wandel wächst der Bedarf an alternativen Wohnformen und Angeboten des betreuten Wohnens neben der weiterhin notwendigen vollstationären Pflege bei zunehmender Demenz. Diese Sicht wird von den Investoren, Beratungsfirmen und Spezialbanken gestützt. Was nutzt diese Einsicht dem einzelnen Sozialrenter als Eigentümer einer Etagenwohnung oder eines Reihenhauses oder gar als Mieter in seiner nicht seniorengerechten Wohnung. Notwendige Bankdarlehen werden, wenn überhaupt, überteuert ausgereicht.

Je Pflegegrad können bis zu 4.500 € an Umbaumaßnahmen durch die Pflegekasse in der Häuslichkeit genehmigt und bezuschusst werden. Doch wenn die Pflegebedürftigkeit anerkannt ist und dann der Antrag gestellt werden kann, ist es zu spät.

Vorsorge ist angesagt

Altersgerechtes Umbauen wird durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit Krediten bis zu 50.000 € je Wohneinheit für verschiedene Bereiche gefördert. Die Förderung erhalten auch Privatpersonen (Eigentümer/­innen, Wohnungseigentümer­gemeinschaften und Mieter/­innen, unab­hängig vom Alter). Sondertilgungen eines Teils des ausstehenden Kredit­betrages sind nicht möglich. Eine Teilablösung durch den Pflegekassenzuschuss entfällt. Aber daneben gibt es, so lange Fördermittel bereitstehen, einen Zuschuss bis zu 6.250 Euro.  Wichtig: erst nach Antraggenehmigung kann mit der Maßnahme begonnen werden und alle bereits erhaltenen Förderungen aus den Produkten Alters­gerecht Umbauen Kredit und Zuschuss (155, 159, 455-B und 455-E) werden auf den Förder­höchst­betrag angerechnet. Gegebenen­falls reduzieren sich dadurch Ihre förder­fähigen Kosten und der Zuschuss­betrag.

Machen Sie den Vorab-Check!

Was machen Senioren, die überwiegend zur Miete wohnen und bereits Wohngeld beantragen müssen?

Gehen Sie zur Wohnberatungsstelle, (Adressliste NRW) diese unterstützen Sie gern bei Ihrer Planung, Barrieren zu reduzieren und den Wohn­komfort zu erhöhen. Lassen Sie sich vor Ort kompetent beraten. Teilen Sie uns Ihre Erfahrungen mit. Fallen Wohngeldbezieher und Bürgergeldbezieher durchs Raster?

Die Politik reagiert erst, wenn die Not erfasst und deutlich wird. Viele Senioren müssen ihren Bedarf anmelden, sich beraten lassen. Die Daseinsvorsorge für Senioren ist eine Kann Leistung und abhängig von den Finanzen. Die Ruhrgebietskommunen sind überschuldet, dies darf nicht länger ein Grund sein, die Kumpels und Rentner schlechter zu stellen.

Planen wir die Zukunft

Wo bleiben die Erfahrungen aus dem Arbeitsleben, nur ein Zusammenhalt hilft. Forderungen allein an die Politik, bewirkt kein Umdenken, keine Hilfen. Wir brauchen aktive Senioren in den Parteien, in den Kommunen. Ein Weg sind Seniorenvertretungen. Nur in den Kommunen können die notwendigen Daten und Fakten erhoben und diskutiert werden.

Kommunale Konferenz Alter und Pflege

In NRW regelt  § 8 APG XII NRW die Aufgaben der Zukunftsgestaltung und Zusammenarbeit der Beteiligten in der Kommune. Welcher Bürger kennt die Beteiligten oder gar die Diskussionsergebnisse. Allein die Zusammensetzung des Gremiums ist nicht in allen Kommunen so ausgestaltet wie es das Gesetz verlangt. Erforderliche Ratsbeschlüsse über Planung, Vorgaben und Ausschreibungen sind bisher selten. Sie sind eher zu finden in Kommunen, in der eine Seniorenvertretungen in Urwahl durch die älteren Bürger gewählt wurden; sie bringen Sorgen und Nöte in den Rat ein. Zur fehlenden Kommunikation und Transparenz passt, dass die Arbeit, bei einer gesetzlichen Vorgabe, in der „Kommunale  Konferenz Alter und Pflege“ (KKAP) oder der Beschlüsse in den Landespflegekonferenzen in den Bundesländern, dem Bürger nicht näher gebracht werden. Kritiker sehen darin eine Absicht und begründen dies mit der fehlenden Einbindung, trotz gesetzlicher Vorgabe. Wir dürfen nicht länger unsere Augen verschließen und in die Katastrophe laufen.

Vertreiben wir die Ungewissheit und setzen wir uns in Bewegung.

Zu den Herausforderungen durch eine älter und weniger zahlungskräftiger werdende Bewohnerschaft kommt ein großer Modernisierungsbedarf; erst 20 % aller Wohnungen sind altersgerecht ausgestattet. Auch Immobilien des Betreuten Wohnens sind bereits mehrheitlich in die Jahre gekommen. Aktuelle Daten und Preise für Servicewohnangebote sind nicht zu finden. Warten Sie nicht, bis Ihre Not unaufschiebbar wird und Sie dankend jedes Angebot annehmen. Die Preise sind sehr unterschiedlich, wie auch die effektive Qualität. Papier ist geduldig, sprechen Sie rechtzeitig mit den Bewohnern und beraten Sie sich mit Angehörigen und Bekannten.

Forderungen an die Bundesregierung sind schnell gestellt, gehen aber fehl. Für die Pflege sind die Bundesländer verantwortlich, diese haben die Verantwortung an die Kommunen mit Planungshoheit weitergereicht. Nur wenn die Ratsmitglieder die Verwaltung zum Handeln mit Fristsetzung per Beschluss auffordern, kann sich die Situation ändern. Eine der konkreten Möglichkeiten ist es die zweijährigen Berichte der WTG-Behörde (frühere Heimaufsicht) nicht nur nickend zur Kenntnis zu nehmen. Die Einzelnen Positionen sind zu hinterfragen. So auch die Belegungssituation in den stationären Einrichtungen und Wartelisten. Wann welche Bewohnerbeiräte neu gewählt werden. Wurden Bewohnerbeiräte geschult, wann, wie lange. Wurde die ordentliche Beschlussfassung zur Unterschrift zur Entgeltverhandlung geprüft? Sie sehen Fragen über Fragen allein in der stationären Pflege, der letzte Aufenthaltsort eine Angehörigen.

Die Lobby der Anbieter ist stark. Lassen wir uns nicht vereinnahmen.

Wir werden alle älter und brauchen eine eigene Lobby der Betroffenen und zukünftig Betroffenen.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach plant eine Mischform zwischen ambulanter und stationärer Pflege, eine stambulante Pflegesäule. Der Gesundheitsökonom Heinz Rothgang findet das rückwärtsgewandt. Der Minister sagt, es gibt einen großen Bedarf an einer Langzeitpflege für Menschen, die nicht ins Heim wollten, aber aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit nicht mehr zu Hause leben könnten. Das „Betreute Wohnen“ soll für Anbieter gesichert und zementiert werden. Bewohner werden weiter nur als gesicherte Erlösfaktoren gesehen. Bringen wir uns ein, lassen wir nicht über uns bestimmen.

Start 1.6.24  Bitte verbreiten Sie den Text;Petition – Pflege –

auch Sie werden über kurz oder lang, direkt oder indirekt von der Pflege betroffen sein.

Die Petition benötigt über 50.000 Unterzeichner, damit sie Wirkung erzielt.

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1 Gedanke zu „Flucht ins Betreute-/Service Wohnen“

  1. Ein guter Beitrag – die den aktuelle Situation wie von der Bild-Zeitung berichtet, vorweg nimmt.

    Der schöne Schein trügt; ein Altenheim-Light-Version ist mit billigem Geld nicht optimal zu realisieren.
    Dumm nur, wenn dann Menschen mit eingeschränkte Gesundheitskompetenz Opfer des Systems werden, die jene „Betreuung“ nicht bieten kann, was sie mit dem Emblematisches „Betreutes Wohnen“ doch zu leisten verpricht.
    Beste Grüße von Ihr Leser

    Marten Wiersma

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