Das Versagen in der Pflege

Übergabe der Verantwortung

Über Vier Fünftel (83 %) der Pflegebedürftigen wurden im Jahre 2020 zu Hause versorgt, die meisten von ihren Angehörigen. Nicht umsonst werden pflegende Angehörige als „größter Pflegedienst der Nation“ bezeichnet.

Im weißen Licht eines Dienstzimmers sitzt und steht eine Handvoll Pflegerinnen und Pfleger zusammen, die einen kommen, die anderen gehen, sie tauschen die notwendigen Neuigkeiten aus, gute Nachrichten, und schlechte Nachrichten. Dass sie ihre Arbeit hernach in langen Checklisten dokumentieren müssen, raubt ihnen Zeit und Nerven, gehört aber längst als Pflicht dazu. Wenn etwas nicht erfasst wurde, ist Ärger mit Einrichtungsleitung wegen der Pflegekasse programmiert, jeder Handgriff ist im deutschen System und hat einen exakten Wert in Cent und Euro. Es werden, während Menschen zu pflegen sind, Erbsen gezählt. Leicht ist das alles nicht. So wird es in den Medien verbreitet, es ist tradiertes NARRATIV.

Richtig ist: Pflegedokumentationen werden in der EDV erfasst. Die monatliche Abrechnung erfolgt in stationären Einrichtungen nach Anwesenheits- und Abwesenheitstagen, nicht nach täglich erfassten Einzeltätigkeiten.

Wer schreibt der bleibt

Das deutsche System der Altenpflege ist in seiner Anlage ein Wunder nach Art der biblischen Speisung der Fünftausend. In der Bibel reichen zwei Fische und fünf Brote, um am See Genezareth eine große Menschenmenge satt zu machen. In Deutschland reichen seit Jahrzehnten öffentliche Ausgaben im Umfang von rund einem Prozent der Wirtschaftsleistung, um eine stetig wachsende Zahl Bedürftiger zu pflegen. Völlig egal, ob zwei Millionen Menschen Unterstützung brauchen wie im Jahr 2016 oder 4,57 Millionen wie im Jahr 2020, der Pflegekassenanteil bleibt gleich. So geht jedenfalls die Theorie. Aber in der Praxis gibt es solche Wunder nicht.

In der Praxis hat sich ein „staatsseitig“ stark unterfinanziertes System ausgebildet, dessen Löcher die Gepflegten selbst, ihre Angehörigen, ihre Familien ständig mit frischem Geld stopfen müssen. Es ist ein System, das verantwortungsvolle Pflegeheimbetreiber zwingt, jeden Cent zweimal umzudrehen oder aber kräftig bei den Kunden hinzulangen. Alle Budgets sind derart auf Kante genäht, dass in manchen Heimen Windeln und Klopapierrollen rationiert werden. Es wird Outsourcing ( Auslagerung bezeichnet in der Ökonomie die Abgabe von Unternehmensaufgaben) um jeden Preis betrieben, jede Dienstleistung muss so billig sein wie nur irgend möglich.

Niemand, außer den jeweils zuständigen Sozialministern, bestreitet im Ernst, dass das vom Staat für die Pflege aufgewandte Geld, für den stets so salbungsvoll formulierten humanen Auftrag, hinten und vorn nicht reicht. Es ist nicht einmal übertrieben zu sagen, dass sich der deutsche Staat keineswegs, wie ein gütiger Vater verhält, sondern wie ein Geizkragen, der mit der Pflege der Alten nichts zu tun haben will. Gewählte Vertreter in Land und Kommunen schauen weiter weg.

Die große Pflegereform von 1994/95 (Die Blüm-Reform) nahm den Staat als Planer und Verantwortlichen aus dem Spiel und übereignete die Pflege dem Geist der damaligen Zeit (Walter Lippmann 1938) gehorchend den Kräften des Marktes. Die neue Pflegekasse, als Anhängsel der jeweiligen Krankenkassen, handelte von nun an mit Heimbetreibern und Ambulanzanbietern aus, wie die Milliarden, neu aufgebracht von den Arbeitnehmern und zur Entlastung des Staates in den Sozialausgaben, aus der sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) zu verteilen sind.

Gut war es von Anfang an nicht. Die Entscheidung, den Pflegemarkt als teils staatlich in Form der Anstalt öffentlichen Rechtes (AÖR), teils privat finanziertes Zwitterwesen zu etablieren, dass sich auch noch selbst verwalten soll, sorgt aus der Sicht der Versicherten als endloses Tohuwabohu. Die theoretisch getrennten Pflegekassen (SGB XI) und Krankenkassen (SGB V) bewegen sich gemeinsam durch eine trübe Grauzone, in der niemand mehr die Hand vor Augen sieht. Wenn ein alter Mensch, was am Lebensende ja vorkommt , zwischen Pflegeheim und Krankenkassen hin und hergeschickt wird, muss für ihn mal die eine, mal die andere Kasse zahlen, man stelle sich allein den Verwaltungsaufwand vor, geschweige denn die Möglichkeiten zum Missbrauch der Leistungserbringer.

Vorrangig am Geld und an Kostenkontrolle orientiert, verfehlt es die Menschen, für die es nach dem Gesetzestext gedacht ist.

  • Die pflegebedürftigen Alten, die sich unwürdigen Begutachtungen zur Bestimmung ihres Pflegegrads unterziehen müssen, um mit dem System um ein paar Hundert Euro zu feilschen.
  • Danach die
    • Familien und vor allem die Frauen, die aufgrund eines überkommenen Familien- und Rollenbilds in Deutschland als Angehörige (2.1 Millionen in 2019 ohne ambulante Hilfe) weiter in die Lücken springen müssen.
    • über eine Million Beschäftigten, die als stationäre (796.489) und ambulante (421.550) Pflegerinnen und Pfleger unter den gegebenen Umständen kaum anders, denn als Ausgebeutete, zu bezeichnen sind.
    • Arbeitnehmer, die eine Pflichtversicherung mit Beiträgen speisen müssen, deren (Teil-)Leistungen insgesamt völlig inakzeptabel sind.

Es braucht keine weitere Reform, es braucht einen Neuanfang. 

Ein entscheidender Weckruf „Die 24-Stunden-Pflege gerät ins Wanken“. So wurde ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Juli 2021 in der Presse kommentiert, darf nicht länger ignoriert werden.

Wir wollen unsere Zukunft zurück.

Eine Bundesregierung, die seine Alten geringschätzt, hat keine Zukunft.

Wo bleibt die Verantwortung der Gewählten?

„Pflegeversicherung verfassungswidrig“  Beitrag folgt

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