Die Verwertung des Kindesvermögens

Notwendige Anschaffungen und Notgroschen

Einführungsfall:

Das Auto, mit dem Roswitha regelmäßig zur Arbeit fährt, haucht allmählich sein Leben aus. Roswitha hatte schon vor einiger Zeit angefangen, für einen neuen Pkw zu sparen. Außerdem ist die Heizungsanlage ihres Hauses defekt. Für die Beschaffung einer Ersatzanlage hat sie ebenfalls Rücklagen gebildet. Da Roswitha über Immobilienvermögen und neben ihren Rücklagen für Auto und Heizungsanlage noch über Ersparnisse verfügt, befürchtet sie, dass sie nun ihre Rücklagen für den Unterhalt zu Verfügung stellen muss.

In seinem Urteil vom 30.08.2006 (Az. XII ZR 98/04) hat der BGH entschieden, dass Rücklagen für notwendige Anschaffungen nicht aufgelöst werden müssen, um damit den Elternunterhalt zu bestreiten. In dem entschiedenen Fall konnte das unterhaltspflichtige Kind darlegen, dass es den Pkw für die Fahrt zur Arbeit benötigt und dass ihr alter Pkw dringend ersetzt werden musste. Der BGH gestand ihr daraufhin einen weiteren Freibetrag von ca. 22.000 Euro für den Kauf des neuen Pkw zu. Die Argumentation des BGH lässt sich ohne Weiteres auch auf Renovierungen und Erhaltungsmaßnahmen am selbst genutzten Eigenheim übertragen. Roswitha wird also ihre zusätzlichen Rücklagen behalten dürfen, ferner ihre Ersparnisse, wenn diese die Grenzen des Altersvorsorgevermögens nicht überschreiten. Neben den Rücklagen und dem Altersvorsorgevermögen steht dem Kind auch noch ein Notgroschen zu, wie der BGH in seiner Entscheidung vom 07.08.2013 klargestellt hat. Wie dieser Betrag zu berechnen ist, hat der BGH nicht mitgeteilt, in seiner Entscheidung aber einen Betrag von 10.000 Euro akzeptiert.

Tipp: Sie als Unterhaltspflichtiger müssen beweisen, dass die Rücklagen zweckbestimmt und notwendig sind. Sorgen Sie also entsprechend vor. Planen Sie Baumaßnahmen, die Anschaffung eines neuen Pkw o. Ä. und lassen Sie sich Finanzietungsangebote oder Kostenvoranschläge machen, die Sie dem Sozialamt oder dem Unterhaltsbedürftigen vorlegen können. Sind Sie Miteigentümer  einer Eigentumswohnung, achten Sie auf notwendige Beschlüsse zur erforderlichen Rücklage oder Sonderumlage.

Unterhaltspflichtige Geschwister

Regelfall: Quotenberechnung

Geschwister haften für den Unterhalt der Eltern anteilig nach ihren jeweiligen Einkommens- und Vermögensverhältnissen (§ 1606 Abs. 3 BGB). In einer Patchworkfamilie, in der zwei Partner mit Kindern aus früheren Beziehungen und ggf. gemeinsamen Kindern zusammenleben, haften die Halbgeschwister natürlich nur anteilig für den Unterhalt des Elternteils, von dem sie gemeinsam abstammen. Jedes Kind muss nur für die Unterhaltsquote einstehen, die seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen entspricht. Für jedes Geschwisterkind wird zunächst ermittelt, in welcher Höhe es maximal leistungsfähig ist. Die jeweilige Quote am Gesamtbetrag entspricht dem Anteil des jeweiligen Kindes am Gesamtunterhalt. Das bedeutet aber auch, ist nur eines von mehreren Geschwistern leistungsfähig, trägt es auch die Unterhaltslast der Eltern allein.

Einführungsfall: Die Geschwister Tanja und Oliver sind ihrem Vater unterhaltspflichtig. Ihr Anteil am Unterhalt ist wie folgt grob zu berechnen.

Leistungsfähigkeit Tanja: Tanja hat ein bereinigtes Einkommen von monatlich 2.900 Euro. Abzüglich des Mindestselbstbehalts von 1.800 Euro verbleibt ihr ein Einkommen von 1.100 Euro. Die Hälfte davon kann sie für ihren Lebensunterhalt verwenden, die andere Hälfte steht für den Unterhalt ihrer Eltern zur Verfügung.

Zu Berechnung.

Bereinigtes (Netto)Einkommen                2.900 Euro

Mindestselbstbehalt                                   – 1.800 Euro

Verbleibendes Einkommen                          1.100 Euro

Einkommensabhängiger Selbstbehalt

(1.100 Euro : 2)                                                – 550 Euro

Für den Elternunterhalt einzusetzen

(1.100 Euro : 2)                                                   550 Euro

Selbstbehalt insgesamt                                  2.350 Euro

Die Berechnung des Selbstbehalts eines verheirateten Kindes kann von diesem Grundsatz ganz erheblich abweichen.

Leistungsfähigkeit Oliver: Oliver hat ein Einkommen von 1.565 Euro. Sein Anteil am Familienselbstbehalt beträgt 1.285,20 Euro. Die Differenz von 279,80 Euro kann Oliver zum Unterhalt beisteuern. Quote am Gesamtbetrag, der für den Elternunterhalt zur Verfügung steht. Es ergibt sich eine Verteilmasse von insgesamt 830 Euro, an der Tanja mit 66 % (550 Euro) beteiligt ist und Oliver mit 34 % (280 Euro) beteiligt ist.

Unterhaltsquote: Hat Herr Siebert einen Unterhaltsbedarf, zum Beispiel von den Heimkosten, von monatlich 360 Euro, müsste Tanja 66 % hiervon tragen (237,60 Euro) und Oliver 122,40 Euro). Hätte Her Siebert einen Unterhaltsbedarf von 1.300 Euro, würde sich eine Rechnung erübrigen: Tanja müsste 550 Euro beisteuern, und Oliver 280 Euro.

Das Gesetz spricht in § 1603 BGB bewusst von einer anteiligen Haftung und nicht etwa von einer gemeinschaftlichen. Der Unterhaltsberechtigte kann bei jedem Geschwisterkind deshalb nur dessen jeweilige Unterhaltsquote einfordern. Weigert sich eines der Kinder, seinen Anteil zu zahlen, muss er für jedes einzelne dessen Anteil am Unterhalt gerichtlich geltend machen. Wie oben gesehen, nennt man diese Art Anspruch eine Teilschuld.

Gegenbegriff ist die sog. Gesamtschuld. Sie liegt vor, wenn ein Gläubiger sich von mehreren Schuldnern einen aussuchen kann, den er in Anspruch nimmt. Dieser ist zumeist der solventeste Schuldner, er muss dann bei den anderen auf eigenes Risiko deren Anteil an der Gesamtschuld eintreiben. Die Gesamtschuld trifft man häufig im Vertragsrecht an, etwa bei Darlehensverträgen, Mietverträgen, Gesellschaften bürgerlichen Rechts etc.

Da Geschwister teilschuldnerisch haften, müsste es Tanja nicht kümmern, wenn Oliver aus irgendwelchen Gründen die Zahlung seines Anteils verweigert. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch eine wichtige, durchaus unangenehme Ausnahme.

Ausnahme: Ersatzhaftung

Einführungsfall: Als auch noch Frau Siebert pflegebedürftig wird, stellt Oliver seine Erwerbstätigkeit aus Ärger über den Elternunterhalt vollständig ein und teilt dem Sozialhilfeträger mit, er sei nun nicht mehr leistungsfähig. Das Sozialamt weigert sich jedoch, Oliver Unterhaltsanteil zu reduzieren. Oliver leistet keinerlei Zahlungen mehr. Vermögen hat er nicht. Daraufhin fordert das Sozialamt Tanja auf, zusätzlich zu ihrem eigenen nun auch noch Oliver Anteil an den Heimkosten der Eltern zu übernehmen. Als Tanja dem Sachbearbeiter telefonisch lautstark ihre Meinung sagt, versucht er, sie mit dem Hinweis zu beruhigen, sie könne doch alle Unterhaltszahlungen, die sie an Oliver Stelle leiste, hinterher von Oliver erstatten lassen, und legt schnell den Hörer auf.

Das Sozialamt hat grundsätzlich recht: Nach § 1607 Abs. 2 BGB muss ein Geschwisterkind auch für den Unterhaltsanteil des anderen geradestehen, wenn dieses sich der Leistung entzieht. Diesen Vorgang nennt man Ersatzhaftung. Der Leistung entzieht man sich, indem man z. B. untertaucht oder wie Oliver in unserem Beispiel, Oliver hat sein Einkommen und Vermögen so reduziert, dass der Unterhalt nicht vollstreckt werden kann. Dies soll bei geschiedenen Ehen beim Kindesunterhalt nicht selten vorkommen.

Sich der Geltendmachung des Unterhalts zu entziehen, ist jedoch nicht so einfach, wie unser Fallbeispiel vermuten lässt. Vollstreckungsmaßnahmen sind nicht nur menschlich belastend, sondern auch wirtschaftlich unangenehm, selbst wenn es nichts zu holen gibt. Denn Auskunftsdateien wie etwa die Schufa registrieren Pfändungen und eventuelle eidesstattliche Versicherungen (früher: Offenbarungseid). Dadurch verschlechtert sich die Risikoeinschätzung des Bewerteten. Bei der Schufa nennt man dies Score. Oliver würde es schwerfallen, vor Löschung der fraglichen Einträge ein Darlehn oder einen Mobilfunkvertrag zu erhalten. Wer sich mutwillig der Zahlung von Unterhalt entzieht, riskiert überdies eine Strafanzeige. Die Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht wird mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet (§ 170 Abs. 1 StGB). In der Praxis würde Oliver für ein paar hundert Euro Unterhalt im Monat wohl kaum derart weitreichende Folgen riskieren und vermutlich einlenken.

Zwangsvollstreckung durch das Sozialamt

Das Sozialamt darf es sich natürlich nicht zu leicht machen. Es muss zunächst versuchen, den Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Dazu muss es beim Familiengericht einen Unterhaltsantrag stellen. Das Gericht wird dem Sozialamt sicherlich recht geben, wenn es argumentiert, dass Oliver sich illoyal seiner Unterhaltspflicht entzieht. Den Beschluss des Gerichts, einen sog. Unterhaltstitel, kann das Amt vollstrecken, indem es Oliver gesamtes verfügbares Einkommen und Vermögen verwertet. Bei fiktiven Einkommen wird dies allerdings schwierig. Hat er auch kein Vermögen, könnte allenfalls noch in seinen eventuellen Taschengeldanspruch vollstreckt werden. Dieser wird aber sicherlich nicht ausreichen, um den Unterhalt der Eheleute Siebert gänzlich zu decken. Außerdem gibt es Pfändungsfreigrenzen, spezielle vollstreckungsrechtliche Selbstbehalt, die dem Vollstreckungsschuldner in jedem Fall zum Leben verbleiben müssen. Tanja muss also auch Für Oliver den Anteil am Unterhalt mittragen, wenn die Sozialbehörde nachweisen kann, dass die Vollstreckungsversuch erfolglos waren.

Ausnahmsweise kann das Amt auch auf das Unterhaltsverfahren und Vollstreckungsversuch verzichten, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass dies mangels vollstreckungsfähigem Einkommen oder Vermögen von vornherein keinerlei Aussicht auf Erfolg hätte.

Rückständigen Unterhalt muss Tanja erst ab dem Zeitpunkt zahlen, zu dem sie zur Ersatzhaftung aufgefordert worden ist.

Der Anspruch gegen Oliver ändert sich bei der Ersatzhaftung nicht. Auch wenn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Ersatzhaftenden besser oder schlechter sind als die des eigentlichen Unterhaltsschuldners, der Anspruch geht unverändert über. Zahlen muss der Ersatzhaftende nur dann, wenn und soweit er leistungsfähig ist.

Weigert sich Tanja, Oliver Anteil mitzubezahlen, kann der Elternteil oder der Sozialhilfeträger aber nicht einfach einen Vollstreckungstitel, der gegen Oliver in der Welt ist, gegen Tanja verwenden. Die Ersatzhaftung ist davon unabhängig. Das Sozialamt müsste Tanja ggf. gesondert auf Ersatzhaftung verklagen.

Soweit Tanja an Oliver Stelle Unterhalt zahlt, erfolgt eine gesetzlicher Forderungsübergang. Tanja kann dann versuchen, die im Rahmen der Ersatzhaftung verauslagten Beträge von Oliver wiederzubeschaffen.

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