Die Alten als faule Ausrede bei den Gesundheitskosten

Mehr Untersuchungen und Behandlungen bewirken nicht mehr Gesundheit.

Gesundheitspolitiker, Ärzte, Ärztinnen und Krankenhaus- und Pflegeverantwortliche begründen die Kostenexplosion häufig – und oft wider besseres Wissen – an erster Stelle mit der «Alterung der Bevölkerung» beziehungsweise dem «demografischen Wandel». Das scheint auf Anhieb plausibel, weil der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung steigt. Für die Politiker, Aktionäre, Investoren und Vertreter der Gesundheitsbranche ist dies eine bequeme Ausrede, um die stetigen Forderungen der Krankenhaus- und Pflegeheimbetreiber nicht kritisch zu hinterfragen und an den fetten Pfründen festzuhalten. Die Lobby ist übermächtig. Patienten und Pflegebedürftige leiden still vor sich hin. Angehörige funktionieren.

Eine Studie aus dem Jahre 2012 des Gesundheitsökonomen Professor Friedrich Breyer schätzt, dass die Pro-Kopf-Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland wegen der Alterung der Bevölkerungspyramide bis 2060 um jährlich knapp 1 Prozent steigen werden. Dazu kämen das Doppelte an Kosten, also 2 Prozent pro Jahr, aufgrund der steigenden Kosten des medizinischen Angebots. Insgesamt rechnet Breyer also damit, dass «die Pro-Kopf-Ausgaben pro Jahr um 3 Prozent steigen». 

Im Jahr 2020 lagen die gesamten Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei 249,3 Mrd. € und damit um 5,6 % über den Ausgaben des Vorjahres (KV 45). Zu den größten Ausgabenposten gehören Krankenhausbehandlungen mit einem Anteil von 30,6 %, gefolgt von den Arzneimitteln mit einem Anteil von 16,1 %. Die Patientenzahlen stiegen von 305.00 im Jahre 2012 auf 551.055 im Jahre 2019.

Überbehandlungen beziehungsweise Behandlungen ohne Nutzen.

Das Deutsche Gesundheitssystem ist rein wirtschaftlich aufgestellt. Mehr Untersuchungen und Behandlungen bewirken nicht zwangsläufig mehr Gesundheit. Die Bruttowertschöpfung ist von 271 Milliarden im Jahre 2011 auf 372,6 Milliarden €uro in 2020, damit um mehr als 100 Milliarden Euro angewachsen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass ökonomische Zielsetzungen das Patientenwohl durch Fehl- bzw. Überbehandlungen gefährden. Dazu eine Studie über Medizinische Versorgungszentren im Eigentum von Finanzinvestoren. Weitergehend und differenzierter Studie zur Überversorgung der Bertelsmann-Stiftung. Mit Überversorgung eng verbunden sind Überdiagnostik und Überdiagnose. Durch Screening und Diagnostik in symptomlosem Zustand erhalten eigentlich gesunde Menschen möglicherweise eine Krankheitsdiagnose und daraus resultierende Maßnahmen.

Spezialpraxen

Unbemerkt haben Finanzinvestoren – die auf hohe Gewinne spekulieren – hunderte Arztpraxen in Deutschland aufgekauft. Internationale Investmentfirmen haben die deutschen Arzt-Praxen als Renditeobjekte entdeckt. Ein Bereich, der für Investoren offenbar besonders attraktiv erscheint, ist die Augenheilkunde. Das Magazin Panorama hat Recherchen dazu durchgeführt und ermittelt, dass mehr als 500 Augenarztpraxen in Deutschland inzwischen internationalen Finanzfirmen gehören. Wie berichtet wird, hat sich die Zahl innerhalb von drei Jahren bereits verdreifacht.D ie Recherchen des Magazin Panorama – zeigen das ein Londoner Finanzinvestor seit 2019 über einen Fonds in Luxemburg mehrere regionale Verbünde in Schleswig-Holstein aufgekauft und zu einer Kette mit dem Namen „Sanoptis“ zusammengeführt hat. Derzeit gehört das Unternehmen der britischen Finanzfirma Telemos – die laut dem «Handelsblatt» allerdings einen Käufer dafür sucht.  Zum Münchner Unternehmen Veonet, gehören in Deutschland, den Niederlanden und Grossbritannien 180 Betriebe. Die schwedische Nordic Capital veräußerte die Münchner Augenklinik-Kette Veonet an den kanadischen Pensionsfonds Ontario Teachers‘ Pension.

Aufgebaut worden war Veonet von der Private-Equity-Firma Nordic Capital mit Sitz in Stockholm; im Dezember verkauften die Schweden es dann an einen kanadischen Pensionsfonds und eine französische Investment-Gesellschaft. Den Preis vermuten Experten bei 2 Milliarden Euro.

«Buy and build», so der Name des Verfahrens, welches das NDR/BR-Team bei Opthalmologie, Radiologie, Gynäkologie, Orthopädie, Nephrologie, Zahnheilkunde sowie bei Internisten und Allgemeinmedizinern festmachen konnte.

Medikamente

Mit einem Anstieg von 5,7 % auf nun 46,7 Mrd. € im Gesamtmarkt setzt sich der Trend zu höheren Umsätzen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel stärker fort als in den Vorjahren. Die Anzahl der Verordnungen ist dabei nur geringfügig angestiegen. Eine Verordnung hat im Jahr 2019 durchschnittlich 67,73 € an Bruttoumsatz gekostet, was einem Anstieg um 4,5 % gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Vermeidbare Fehler.  – Behandlungsfehler

Jährlich gibt es in Deutschland rund 20 Millionen Krankenhauspatienten. Geschätzt kommt es bei diesen Behandlungen zu ein bis zwei Millionen unerwünschten Ereignissen. Dazu gehören etwa 200.000 Behandlungsfehler und 20.000 vermeidbare Todesfälle.

Der größte Anteil der vermeidbaren Schäden fiel auf medikamentöse Behandlungen (25 Prozent) und andere Behandlungen (24 Prozent). An dritter Stelle lagen chirurgische Eingriffe (23 Prozent), gefolgt von Infektionen im Krankenhaus (16 Prozent) und Diagnosefehlern (16 Prozent).

Vermeidbare Einlieferung aus Pflegeeinrichtungen

Viele gesundheitliche Probleme von Pflegeheimbewohnern wären grundsätzlich im Heim behandelbar und müssten nicht in einem Krankenhaus versorgt werden. Wissenschaftler analysierten Daten von sechs Krankenkassen aus dem Jahr 2017: Die 58 PSK machten dabei über 40 Prozent aller Krankenhausfälle bei Pflegeheimbewohnern aus, das sind insgesamt 270.000 Fälle. Dadurch entstanden Kosten in Höhe von 951,7 Millionen Euro. Interessant wäre eine Studie bezogen auf die Träger der Pflegeeinrichtungen. Krankenhausaufenthalte bergen verschiedene Risiken für Bewohner von Pflegeheimen. Die Bewohner können nach ihrer Rückkehr in das Pflegeheim eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit erfahren (Post-Krankenhaus-Syndrom). Im Krankenhaus erworbene Erkrankungen können beispielsweise auftreten, wenn bestimmte Krankenhauskeime zu Infektionen führen.

Blutige Entlassung von Senioren

Die Politik hat auf die Probleme reagiert und verlangt vom Krankenhaus seit 2015 ein Entlassungsmanagement nach § 39 Abs. 1a  „Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Versorgungsstärkungsgesetz).“
Das Gesetz beinhaltet die Verpflichtung zur Verordnung von notwendigen Leistungen bei der Krankenhausentlassung:

  • Je nach Pflegebedürftigkeit und Hilfebedarf müssen Hilfsmittel, Medikamente usw. in ausreichendem Maße vom Krankenhaus verordnet oder mitgegeben (bis zum nächsten Arztbesuch) werden
  • Mögliche Überleitung in Kurzzeitpflege (in Pflegeeinrichtung); bei Notwendigkeit auch ohne Pflegegrad genehmigungsfähig
  • Pflegeüberleitung in Pflegeheim
  • Pflegeüberleitung in Rehabilitation
  • Entlassungsbrief an behandelnden Arzt
  • Rezept für nötige Medikamente, VO für Hilfsmittel, Medikationsplan/Änderung nach Krankenhausaufenthalt.
  • Das Krankenhaus ist verpflichtet, die weiterbehandelnden Ärzte, Pflegeeinrichtungen usw. über die notwendige Anschlussversorgung zu unterrichten.
  • Der Pflegeeinrichtung ist der Entlassungstermin mitzuteilen.

Soweit die Theorie. Dies hindert die Krankenhausverantwortlichen nicht, Patienten innerhalb der Verweildauer zu entlassen und kurz darauf wiederaufzunehmen. Der Patient wird entlassen und gegen seinen erklärten Willen zuhause >>zwischengelagert<< (Seite 167 in Krankenhaus im Ausverkauf Thomas Strohschneider). Bis ein entsprechender Platz in einer Reha Einrichtung, Kurzzeitpflege gefunden ist oder er wieder eingeliefert wird.

Ist der Patient bereits Pflegebedürftig und stationär in einer Einrichtung untergebracht, ist das Risiko der Entlassung für den Arzt gering. Die Pflegekräfte sind es gewohnt die Bewohner in das Krankenhaus zu überweisen. Damit kann im Krankenhaus der Patient mit einer neuen Ziffer abgerechnet werden. Da kein Geldverlust eintritt, liegt es nicht im Interesse der Betreiber von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, eine Statistik über die Häufigkeit einer Verlegung zu führen. 

Fazit:

Mit diesem Beitrag wollen wir sensibilisieren: Patienten sollten stärker für potenzielle Schäden und Risiken von Untersuchungen und Behandlungen sensibilisiert werden. Der Staat hat nach Artikel 2 des Grundgesetzes eine objektive Schutzpflicht für die Gesundheit der Patienten. Uns allen sollte bewusstwerden, dass es besser sein kann und genauso viel Fürsorge bedeutet, wenn eine medizinische Maßnahme unterlassen wird. Es bedarf einer gesamtheitlichen Sicht und einer Vorsorge. Es muss das Wort von Papst Franziskus wahr werden. >>Gesundheit ist ein primäres Gemeingut und keine Ware<<. Anders ausgedrückt: Mehr Ethik statt ausufernde Monetik.

Angehörige sollten sich vor der Entlassung an den Krankenhaussozialdienst, der gut weiterhelfen kann und muss.
Wurden ggf. die nötigen Hilfsmittel beantragt und nach Hause geliefert? Und weitere Fragen finden Sie auf der Checkliste. Die Gesundheit des Angehörigen und Ihre sind wertvoll. Prüfen Sie sich, ob Sie die notwendigen Hilfen wirklich leisten können. Nutzen Sie die gesetzlichen Hilfen!

Den Beitrag wollen wir fortsetzen und näher beleuchten. „Unzählige Körperverletzungen in Krankenhäusern und Altenheimen ….“

Literatur:

Heile und Herrsche! Eine gesundheitspolitische Tragödie  Buchbesprechung

Krankenhaus im Ausverkauf  Buchbesprechung

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