Ist die Rente sicher?

Endlich sagen sie uns die Wahrheit

Die Rente ist nicht sicher. Nicht die Höhe der Ruhestandsbezüge. Und auch nicht das Alter, ab dem wir sie bekommen. Zu diesem Schluss kommen nahezu alle unabhängigen Wissenschaftler. Wir müssen länger arbeiten, erhalten trotzdem weniger Rente, zahlen höhere Beiträge und brauchen immer mehr Steuerzuschüsse. Besonders plakativ meldete sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium zu Wort. Sein Vorschlag, eine Rente mit 68 Jahren. Die Experten schildern die Situation der gesetzlichen Rentenkassen nüchtern, aber schonungslos. Die deutsche Bevölkerung altert  rasch immer weniger Beitragszahler finanzieren immer mehr Rentner, die zudem immer länger leben.

In Zahlen: Ein männlicher Ruheständler bezieht seine gesetzliche Rente im Schnitt 18,2 Jahre lang, eine Frau sogar 21,7 Jahre. Früher waren es lediglich 10,2 beziehungsweise 12,5 Jahre, so die Statistiken der Rentenversicherung aus dem Jahre 1969. Aus diesem Grund leert sich die staatliche Rentenkasse heute viel schneller als erwartet. Spätestens ab 2025 müssten daher die Rentenbeiträge der Beschäftigten auf bis zu 24 Prozent steigen (aktuell 18,6 Prozent) und gleichzeitig das Rentenniveau der Ruheständler auf 43 Prozent des Durchschnittslohns sinken (bisher 48 Prozent)

Schockartige steigende Finanzierungsprobleme

All das lässt sich, so die Wissenschaftler, nur vermeiden, wenn die Regierung folgende drei Maßnahmen ergreift: Die Rente orientiert sich künftig an der Inflationsrate und nicht mehr an den Gehältern, Besserverdiener bekommen für ihre Rentenbeiträge weniger ausgezahlt als durchschnittlich entlohnte Beschäftigte (bisher: jeder eingezahlte Euro garantiert für alle denselben Rentenanspruch), und das Rentenalter steigt auf 68 Jahre. Wenn hingegen nichts geschehe, drohten der gesetzlichen Rentenversicherung schockartig steigende Finanzierungsprobleme. Dabei müssen die Deutschen schon jetzt länger arbeiten. Seit 2012 klettert das offizielle Rentenalter (Regelaltersgrenze) schrittweise von ursprünglich 65 Jahren auf 67 Jahren (für alle ab 1964 Geborenen). Bei einer Rente mit 68 Jahren dürften die jüngeren Generationen ihren Ruhestand noch später antreten: Die 1965 Geborenen mit 67 Jahren und drei Monaten, die 1966 mit 67 Jahren und vier Monaten usw. Bis alle Deutschen ab Jahrgang 1974 tatsächlich bis 68 arbeiten müssten.

Unsozial, Horrorszenario, Falsch gerechnet

Die Politik reagierte sofort. Vor allem auf die Formel Rente mit 68 Jahren, Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) unterstellte den Wissenschaftlern Inkompetenz: Die Vorschläge dieses sogenannten Expertengremiums sind falsch gerechnet und unsozial. Mithilfe der Horrorszenarien sollten wohl Rentenkürzungen begründet werden. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) wiegelte ab, dass die Rente natürlich immer sicher sein werden, da sie eine zentrale Säule für die Altersabsicherung unserer Gesellschaft ist. Er schränkte aber selbst ein: Das wird sie aber nicht immer in unveränderter Form sein. Im Klartext: Irgendeine staatliche Rente gibt’s  immer, sie dürfe aber deutlich niedriger sein als heute, und wohl erst später ausgezahlt werden. Auch CDU Kanzlerkandidat Armin Laschet bereitet die Deutschen schon einmal vorsichtig auf härtere Zeiten vor. Für ihn steht zwar die Rente mit 67 Jahren, und er sehe auch nicht, dass eine Rente mit 68 Jahren jetzt umgesetzt wird. Klar sei aber auch, dass wir irgendwann möglicherweise mal nachdenken müssen, auch Lebensarbeitszeiten zu verändern. Genau das ist die Aufgabe der nächsten Bundesregierung. Sie muss die gesetzliche Rente sichern, sie stabiler machen. Gabriel Felbermayr, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, sagt: Wenn die Politik das Rentensystem nicht reformiert, werden die Lasten für den Haushalt massiv ansteigen. Wenn die Politik hingegen so tut, als sei zwei und zwei fünf, belügt sie sich selbst und auch die Wähler. Auch seine Kollege Klaus Schmid, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium rügt die Regierung: Sie habe ihre Hausaufgaben in der Rentenpolitik nicht gemacht, daran wollten wir sie mit dem Gutachten erinnern. Er wollte den Rentenbericht unbedingt noch vor der Bundestagswahl veröffentlichen, damit die Inhalte in den kommenden Koalitionsverhandlungen diskutiert werden.

Dabei gab es um die Rente schon vor dieser Veröffentlichung Streit. Auch in puncto Steuern. So war die Doppelbesteuerung kürzlich Thema am Bundesfinanzhof. Es geht um die Frage, wie der Fiskus vermeiden kann, dass er gleich zweimal abkassiert, einmal während des Arbeitslebens und dann noch einmal im Ruhestand. Die Klage von zwei Rentnern hat der Bundesfinanzhof zwar abgewiesen. Er warnte aber gleichzeitig: Wer später in Rente geht, könnte sehr wohl doppelt belastet werden. Die Folgen: Die nächste Bundesregierung muss nachbessern und für Entlastung bei künftigen Rentnern sorgen.

Rente mit 68? Andere EU-Länder haben sie schon

Nicht nur Deutschland muss die gesetzliche Altersvorsorge reformieren. Auch andere Staaten stehen vor dieser Generationenherausforderung. Vor allem beim Renteneintrittsalter. So gilt schon jetzt für alle Niederländer eine Altersgrenze von 67 Jahren. Und die Dänen müssen sich darauf einstellen, ab 2030 ihre stattliche Rente erst mit 68 zu bekommen.

Vor diesem Hintergrund regt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft für die fernere Zukunft sogar eine Rente mit 70 Jahren an. Nur so ließen sich die steigenden Beiträge bremsen und die Höhe der Rente stabilisieren. Ganz gleich, was die Politik beschließt: Niemand ist der gesetzlichen Rente oder der Regelalterszeit von 67, 68 oder 70 Jahren hilflos ausgeliefert. Viele Deutsche wollen stattdessen sogar einige Jahre früher in Rente gehen.

Früher in Rente:

Der Boom geht weiter: Nur eine Minderheit der Deutschen möchte noch bis zum offiziellen Rentenalter arbeiten. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA). Die Forscher befragten exklusiv für Focus, 1438 Bürgerinnen und Bürger zwischen 18 und 65 Jahren. Das Ergebnis: 58,6 Prozent können sich vorstellen oder haben sogar die feste Absicht, vor dem gesetzlichen Rentenalter in Rente zu gehen. Nur 27,7 Prozent wollen definitiv bis zur Regelaltersgrenze arbeiten. Knapp 14 Prozent wissen es noch nicht. Ihren Worten lassen die Deutschen Taten folgen. Der Run auf die gesetzliche Rente mit 63 Jahren beschleunigt sich: Seit 2014 haben sie rund 1,7 Millionen Versicherte beantragt, und auch bekommen. Ohne Abschlag, weil sie mindestens 45 Beitragsjahre gesammelt haben. Allein 2020 kamen fast 261.000 dieser neuen Vorruheständler dazu, so viele wie noch nie zuvor. Die Regierung hatte für 2014 das Startjahr der Rente mit 63 Jahren, hingegen höchstens 200.000 Anträge pro Jahr eingeplant.

Dabei haben die Statistiker in diesen Rekordzahlen noch nicht einmal die vielen anderen Möglichkeiten der Frühpensionierung berücksichtigt, die zwei Jahre eher mögliche Rente mit 63 Jahren (für Versicherte mit 35 Beitragsjahren), die Variante der gekürzten Rente mit 63 Jahren (bei vorzeitigem Beginn des Ruhestands) oder die zahlreichen Altersteilzeitmodelle in den Unternehmen.

Weniger Rente? Na und!

Viele wollen, um jeden Preis früher aufhören zu arbeiten. Selbst dann, wenn ihnen der Staat im Gegenzug die Rente kürzt. Fast 184.000 Rentenversicherte nahmen 2019 deutlich niedrigere Ruhestandsbezüge in Kauf, wenn sie dafür nur eher Kuli oder Kelle fallen lassen durften. Dabei sind die Abschläge für diese Eilrentner ziemlich happig, 0,3 Prozent weniger für jeden Monat, den sie sich früher zur Ruhe setzen, als es ihnen ihr reguläres offizielles Rentenalter erlauben würde. Das kann im Höchstfall ein sattes Minus von bis zu 14,4 Prozent bedeuten. Bis ans Lebensende. So etwa für einen Angestellten, der seine gesetzliche Rente mit 63 statt 67 Jahren beantragt. Wer als Frührentner trotzdem das volle Ruhestandsgeld bekommen möchte, muss dafür aber etwas tun, freiwillig in die Rentenkasse einzahlen. Allein 2020 überwiesen Arbeitnehmer der Rentenversicherung aus eigenem Antrieb fast 573 Millionen Euro das sind 38 Prozent mehr als im Jahr zuvor (415 Millionen Euro) Am Run auf die (Früh-)Rente dürfte auch der Rentenflop 2021 nichts ändern: Die alljährliche Erhöhung zum 1. Juli fällt für die meisten Ruheständler aus.

Wie viel kürzt der Staat bei dieser Rente mit 63 Jahren

Ziemlich viel: 0,3 Prozent für jeden Monat, den Sie sich früher zur Ruhe setzen, als es Ihr offizielles Rentenalter erlaubt. Beispiel: Sie müssten eigentlich bis 67 arbeiten, hören aber schon mit 63 auf, dann bekommen Sie 14,4 Prozent weniger Rente (48 Monate mal 0,3 Prozent) Bis ans Lebensende.

Was bedeutet das in echten Zahlen?

Ein Gutverdiener mit 5068.88 Euro im Monat bekäme mit 67 Jahren 2051.40 Euro Rente. Setzt er sich schon mit 63 Jahren zur Ruhe, hätte er also rund 1756 Euro im Monat (14,4 Prozent weniger). Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Denn diesem Frühpensionär fehlen vier Jahre Beiträge in der Rentenkasse, und diese fehlenden Beiträge mindern seine Rente erheblich. Mit 63 Jahren beträgt sein Anspruch lediglich 1846,26 Euro (statt 2051,40 Euro). Und diese niedrigere Summe kürzt der Staat zusätzlich um 14,4 Prozent, selbst dem Gutverdiener bleiben also nur noch 1580,40 Euro Rente im Monat. Das sind fast 23 Prozent weniger, als wenn er bis 67 arbeiten würde. Fazit: Wer unbedingt mit 63 in Rente gehen will, zahlt doppelt.

Solange einzig die Partei der Linken, die von vielen noch immer als politisches Schmuddelkind angesehen wird, mit der klaren Forderung nach einer deutlichen Anhebung des Rentenniveaus und Einführung einer Mindestrente antritt, ist mit einem Schulterschluss für bessere Renten nicht zu rechnen. Es besteht damit die Gefahr, dass trotz einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit der Rentenfortschritt nicht vorankommt. Es scheint als SPD und CDU/CSU sich nicht zu sehr aus der Deckung wagen wollen. In der Rentenpolitik haben Sie von Anfang an ein Netz aus Lügen gesponnen und das immer größer und enger gestrickt.

 

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