Die Armut hat ein Gesicht in Deutschland

Wer bisher also über Hartz IV redet, muss auch über die hohe Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland sprechen. Was soll das Bürgergeld daran ändern?  

Zur Erinnerung:

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 hat sich nicht stark bemerkbar gemacht. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass Beschäftigte mit einem niedrigen Monatseinkommen von 450 Euro mit rund 40 Prozent einen großen Anteil der Aufstocker ausmachen. Zum anderen zählen zur Gruppe der Beschäftigten mit einem höheren anzurechnenden Einkommen  relativ viele alleinstehende Personen, die allein durch eine Vollzeitbeschäftigung mit Mindestlohn ein Existenzminimum hätten sichern können. Bei größeren Bedarfsgemeinschaften ist selbst ein Mindestlohn bei Vollzeiteinkommen in der Regel nicht existenzsichernd.

Anders als die Zahl der erwerbsfähigen und erwerbstätigen Leistungsberechtigten ist die Zahl der Kinder unter 18 Jahren in Bedarfsgemeinschaften im vergangenen Jahren nicht kontinuierlich zurückgegangen. Sie stieg zunächst einmal unmittelbar nach der Einführung von Hartz IV an,  und dann wieder bis etwa 2012 zu sinken. Seitdem zeigt sich ein leichter aufwärtsgerichteter Trend.

Seit 2012 liegt die Zahlen der Hartz-IV-Empfänger/innen relativ konstant bei knapp sechs Millionen. Einen Zuwachs erlebt dagegen seit einigen Jahren die Gruppe der nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, zu der zu fast hundert Prozent Kinder unter 14 Jahre zählen. Aber auch die Gruppe der Erwerbsfähigen, die nicht arbeitslos sind, wächst. Sie bildet mit rund 3 Millionen Leistungsberechtigten die mit Abstand größte Gruppe. Darunter fallen zum Beispiel Alleinerziehende, die wegen unzureichender Betreuungsangebote für die Kinder nicht arbeiten können, vor allem aber rund 2,5 Millionen sogenannte Aufstocker/innen, die auf Hartz IV angewiesen sind, weil ihr Einkommen aus Erwerbstätigkeit nicht ausreicht.

Wer also über Hartz IV redet, muss auch über die hohe Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland sprechen. Die Zahl der Aufstocker/innen ist trotz der Einführung des Mindestlohns 2015 gleichgeblieben. Wie kann das sein, dass in einem Land, das sich seit 2009 in einem Aufschwung befindet, fast jeder vierte abhängig Beschäftigte einen Niedriglohn verdient und die Mehrheit der Gering Verdienenden über die Zeit auch bei niedrigen Löhnen bleibt, es also offensichtlich zu wenig Aufstiegschancen gibt?

So groß die Gruppe der Hartz-IV-Empfänger/innen ist, so vielseitig und differenziert muss auch eine Reform der Grundsicherung sein. In der aktuellen Diskussion dreht sich viel um Regelsätze und Sanktionen, also Ausgestaltungsdetails. So umfasst das von der SPD vorgeschlagene Konzept durchaus sinnvolle Ansätze wie eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I, zum Beispiel für ältere Menschen oder für Erwerbslose, die sich in Fortbildung und Qualifizierung befinden. Die Grünen wollen Hartz IV überwinden, indem sie ein Garantiesystem einführt, mit höheren Hartz-Sätzen und ohne Sanktionen. Neben den Regelsätzen sollten aber vor allem die Zuverdienstgrenzen angehoben und die unterschiedlichen sozialen Leistungen besser aufeinander abgestimmt werden. Derzeit haben Hartz-IV-Empfänger/innen die hinzuarbeiten, in manchen Fällen nicht mehr in der Tasche als nur mit der Grundsicherung, Notwendig sind aber mehr Anreize, sich in den Arbeitsmarkt einzubringen.

Weitere wesentliche Kritikpunkte an Hartz IV sind die Sanktionen und die Ausstattung der Jobcenter. Selbst Peter Hartz, der das Konzept im Auftrag der SPD-geführten Bundesregierung schrieb, war mit der Umsetzung nicht zufrieden. Herausgekommen ist ein System, mit dem die Arbeitslosen diszipliniert und bestraft werden sagte Peter Hartz.

Doch die Wurzeln der Probleme liegt nicht in den Regelsätzen, den Sanktionen oder der schlechten Ausstattung der Jobcenter, sondern im Arbeitsmarkt selber. Jedwede Reform der Grundsicherung wird kontraproduktiv sein, wenn sie Arbeit weniger lohnenswert macht. Eine notwendige Verbesserung der Hartz-IV-Leistungen  muss zwingend mit einer Verbesserung der Bedingungen des Arbeitsmarkts und mit höheren Löhnen einhergehen. So sollte der Mindestlohn auf 16,50 Euro angehoben werden und dessen strikte Einhaltung stärker kontrolliert werden. Noch immer erhalten fast 2,5 Millionen Arbeitnehmer/innen, die Anspruch auf den Mindestlohn haben, eine geringere Bezahlung. Sinnvoller wäre eine stärkere Tarifbindung, insbesondere im Niedriglohnbereich, die dafür sorgen würde, dass die Interessen der Geringverdienenden besser, aber maßvoll durchgesetzt werden. Teile der Menschen, die Hartz IV beziehen, tut dies nicht aus Faulheit, sondern weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können oder ihnen die erforderlichen Qualifikationen fehlen. Nötig wäre neben dem regulären Arbeitsmarkt ein sozialer Arbeitsmarkt, das Konzept sollte sein, dass alle Langzeitarbeitslose ein Anrecht auf einen Arbeitsplatz haben, zumindest zum Mindestlohn und in Vollzeit, um letztlich Armut zu vermeiden, und den Weg in den sogenannten regulären Arbeitsmarkt zu finden.

Fazit:

Ein kluges Sozialsystem darf nicht nur fordern, dass Menschen sich durch ihre Arbeit einbringen, es muss ihnen auch die Chancen dazu geben. Der Schlüssel dazu wird in der Qualifikation liegen. Unzureichende Qualifikation ist einer der häufigsten Gründe, warum Menschen nicht erwerbstätig sind. Ein sinnvoller Ansatz, dem einen Riegel vorzuschieben, kann nur in der Prävention liegen, also in der Verbesserung des Bildungssystems. Zu häufig werden Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien schon früh abgehängt. Die Qualität der frühkindlichen Bildung ist noch unzureichend, es fehlen Ganztagsschulplätze, und zu viel Jugendliche ohne Schulabschluss oder ohne Berufsabschluss versuchen, in den Arbeitsmarkt zu kommen. Eine potenziell wirksame Maßnahme könnte die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl an Kita-Plätzen darstellen, was besonders den vielen Alleinerziehenden unter den Hartz-IV-Empfänger/innen helfen würde. Fortbildung und lebenslanges Lernen sollten in Deutschland selbstverständlicher verankert und finanziell gefördert werden, und zwar nicht erst im Fall der Arbeitslosigkeit. Es kann nicht sein, dass ganze Generationen heranwachsen, die genau wie ihre Eltern nie erwerbstätig sein werden und Sozialleistungsbezug als Berufswunsch angeben. Arbeit muss wieder lohnenswert werden und Abrutschen in Hartz IV verhindert werden. Das Prinzip der Unterstützung, nicht mehr das Prinzip der Bestrafung, muss in den Mittelpunkt der Sozialsysteme zurück.

Wer sich dafür interessiert, wie Hartz-IV-Empfänger im Zeichen einer Zweiteilung der Gesellschaft in Beschäftigbare und Nicht-Beschäftigbare mit den Zumutungen dieser stigmatisierenden Situation umgehen, zeigt, wie sich Betroffene in der Grauzone von Respektabilität und Nicht-Respektabilität einrichten müssen und wie sie das teilweise unter Ausnutzung aller verfügbaren materiellen und symbolischen sourcen tun. Eine Chance, diesem Dilemma endlich zu entkommen, wäre die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, wie es seit vielen Jahren und in vielen verschiedenen Varianten kontrovers diskutiert wird. In den Debattenbeiträgen zu diesem Thema tauchen Argumente auf, wie sie auch gegen die Unterstützung der andeserving poor (unverdiente Arme/ arme Menschen, von denen angenommen wird, dass sie einen schlechten moralischen Charakter haben und es nicht verdienen, geholfen zu werden) immer wieder vorgebracht wurden. Das Grundeinkommen würde die Universalisierung der sozialen Hängematte bedeuten, es wäre, so etwa, als würde heute der Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil, die Menschen mit Geld abfinde, anstatt sie zur Arbeit zu motivieren. Der niederländische Historiker Rutger Bregman lehnt solche Einwände ab und hält die Ergebnisse zahlreicher Pilotstudien und Experimente dagegen. Er zitiert unter anderem den Ökonomen Charles Kenny mit dem einprägsamen Satz: Wenn Menschen arm sind, so liegt das vor allem daran, dass sie nicht genug Geld haben. Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Geschichte moralisierender Diskurse über die Unterklasse wäre die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ein wahrhaft historischer Einschnitt. Ein solches Model würde die alten Denkmuster von welfare und workfare ( die englische Bezeichnung workfare ist in Anlehnung an Work und Social Welfare=Workfare, also Arbeit und Sozialhilfe, letzteres in den USA auch als Wohlfahrt bezeichnet, entstanden. Das Modell ist ein wichtiges Element der Sozialsysteme, vor allen in den USA.) überwinden und vor allem ein neues Verständnis von Eigenverantwortung etablieren (helfen). Eigenverantwortung würde dann nicht mehr bedeuten, im Rahmen staatlicher Disziplinierungsmaßnahmen kooperieren und die eigene Arbeitskraft oft weit unter Wert verkaufen zu müssen, sondern sie wäre eine Chance, das Leben auch unter schwierigen Umständen mit sanktionsfrei zur Verfügung stehenden Mitteln und damit in voller Respektabilität in die Hand nehmen zu können.

Ein neuer Begriff wird mit dem „Bürgergeld“ eingeführt. Welcher heutige Hartz IV Empfänger kann mit seiner prekären Arbeit sparen, geschweige bis zum 1.1.2023 60.000 € ansparen? Es bleibt dabei der SPD Arbeitsminister lindert für einen Teil der Wähler die harten Einschnitte, ändert aber nichts an dem Gangsterkapitalismus seit 2008.

In der Theorie der Politiker sind auch viele politische Beschlüsse ganz akzeptabel, wenn die Politiker nur an sich denken!

Es folgt demnächst der Beitrag: „Ungleichheit im Alter“

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