Insolvenz der Pflegeeinrichtungen – Zufall oder Systembedingt –

In der Zeit steigender Zahlen anerkannter Pflegebedürftiger und von gesicherten hohen Pflegeentgelten sind die Insolvenzen der Pflegeeinrichtungen unverständlich.

Die optimale Gewinnerzielung auf Kosten der Not der Pflegebedürftigen und Pflegenden sind gegeben. In der Diskussion sind die stationären Einrichtungen, nicht die pflegenden Angehörigen.  In Einrichtungen wurden 2022 13 % von vormals 1995 von 40 % der Pflegebedürftigen gepflegt, zu Entgelten in doppelter Höhe als „Sachleistung“ gegenüber der Geldleistung in der Häuslichkeit. Gesetzliche Möglichkeiten seit 2012 erlauben die Insolvenz in Eigenverantwortung. Die soziale und ökologische Verantwortung des Eigentums zum Wohle der Allgemeinheit bleiben ein Wunsch. Die Pflege ist und bleibt zu Lasten der 87% anerkannten Pflegebedürftigen und der pflegenden Angehörigen in der Häuslichkeit eine „Black Box“.  Dies muss nicht sein.

Von Januar 2023 bis Ende April 2023 wurden für über 200 Einrichtungen Insolvenz angemeldet, davon drei Beispiele:

Die „Curata Care Holding GmbH“, Betreiber von mehr als 40 Pflegeeinrichtungen in Deutschland mit über 3.000 Mitarbeitern, ist nach eignen Angaben in finanzielle Schieflage geraten. Sie hat für sich und mehrere, nicht alle Tochtergesellschaften, Insolvenzantrag in Eigenverwaltung gestellt und ist in Liquidation. 2013 bilanzierte sie einen Gewinn von 1.473.136 €.  Im Jahre 2016 gehen die Werte durch Gewinnabführung an die „Curata Beteiligungsgesellschaft mbH“ für Interessierte unter. Die weitere Recherche zeigt, die Bilanzen der Beteiligungsgesellschaft gehen in der „360 Operator GmbH“ Konzernbilanz weiter verloren. Der Investor Capital Bay bleibt vorsichtshalber ungenannt. Ein gesetzlich mögliches Versteckspiel. Dies passt zum sicheren Geschäft in der Pflege und zum Schutze der Investoren. Unternehmen sind gewollt undurchsichtig.

Über das Vermögen von 58 Gesellschaften mit über 100 Einrichtungen der „Convivo-Gruppe“ wurde im März vor dem Amtsgericht Bremen das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Newcare Holding Essen, gegründet 2019 mit 25.000 € Stammkapital, sicherte sich Convivo Standorte in Bremen, Niedersachsen und NRW. Weitere Zukäufe von kleineren bis mittelgroßen Gruppen sind geplant. 

„DOREA GmbH“ hat am 20. April ein Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung beantragt. Die Unternehmensgruppe der Gesellschafterin Groupe Maisons de Famille betreibt in Deutschland 76 stationäre Einrichtungen, neun ambulante Dienste sowie Tagespflegen und betreute Wohnanlagen. Rund 5.500 Mitarbeiter pflegen und versorgen 7.500 Menschen. Dazu kommen weitere 84 Einrichtungen in Frankreich, Italien und Spanien mit 5.800 Mitarbeitern und 11.354 Pflegebedürftige.

18.600 vollstationäre Pflegeplätze sind im Jahr 2023 bis Ende April von den bisherigen Großinsolvenzen und Schutzschirmverfahren betroffen. Nicht eingerechnet sind dabei die vielen kleineren Insolvenzen oder auch bereits geschlossene Pflegeheime.

Das Karussell dreht sich, es liegt nicht am Geld.

Zur Erinnerung:

Alten- und Pflegeheime wurden auf Grundstücken der Kirche gebaut und von der Caritas und Diakonie betrieben. Mit dem Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) hatten Private Einrichtungen ab 1995 die Möglichkeit, zur allgemeinen Pflege durch Vertrag zugelassen zu werden. 25 Jahre später wird die Pflege zu 50% von Privatbetreibern ausgeführt. Internationale Investoren finanzieren die Ausstattung der Einrichtungen der Pflege und suchen sich geeignete Betreiber zur Sicherung der Verzinsung der Investition.

2019 wurden in Deutschland 23 Milliarden Euro für stationäre und weitere 11 (elf) Milliarden für ambulante Pflege ausgegeben. Die direkte Pflege ist nur ein Erlösteil. Die Pflegekosten betragen maximal 50 %, die Unterkunft & Verpflegung wären weitere 25%, dazu kommen die Investitionskosten (Kaltmiete) in einer Bandbreite von monatlich 300 € bis 1.000 €, die nicht mit den Pflegekassen vereinbart werden.  Den wachsenden Teil des Kuchens schneiden sich private Unternehmen über Fondgesellschaften aus dem Kaltmietenbereich ab. So investierten Finanzinvestoren 2018 in Europa 10,9 Milliarden Euro in der Pflegebranche. Der Großteil entfiel auf deutsche Altenheime.

Das schwedische Private-Equity-Unternehmen Investor Nordic Capital übernahm 2017 den Pflegeheimbetreiber „Alloheim Senioren-Residenzen SE“ für 11,3 Milliarden Euro mit 200 Einrichtungen (derzeit ca. 250 Einrichtungen) und 18.410 Bettplätzen (aktuell 23.400) und 23 ambulanten Pflegediensten mit über 22.000 Mitarbeitern. Die französische Investorengruppe „Primonial“ kaufte ein Portfolio 20 Pflegeheime mit knapp 2000 Betten in sechs Bundesländern des Pflegedienstleisters „Charleston Holding GmbH“, listet derzeit 53 Einrichtungen. Marktexperten schätzen den damaligen Übernahmewert der 20 Einrichtungen auf rund 250 Millionen Euro.

Interessant für Investoren

Der Private Betreiber garantiert den Investoren den Rückfluss des Kapitals mit garantiertem Zins. Dies ist insbesondere in NRW durch die nicht gedeckelten gewerblichen und oft indexierten Mieten möglich. Angelehnt an die effektiven Gestehungskosten erhalten die Wohlfahrtsverbände die notwendigen Investitionskosten für Darlehen, Zins und Instandhaltung durch einen Bescheid der öffentlichen Hand. Durch die gezahlte Investitionskostenpauschale der Bewohner und die Vorgaben der Pflegebuchführungsverordnung ist formal die Masse durch Gebäude und Rücklagen in der Insolvenz je Einrichtung vorhanden. Eine Auflösung des Konzerns als Ganzes ist durch den Insolvenzantrag nicht vorgesehen. Geplant ist sich von einzelnen Einrichtungen zu verabschieden bei gleichzeitig optimierten Erlösen, wie die Kostenerstattung der Gehälter der Mitarbeiter für drei Monate durch die Bundesanstalt für Arbeit, die damit gehalten werden und in andere Einrichtungen übernommen werden können.

Der Zentrale Immobilienausschuss, der Verband der Immobilienbranche, rechnet mit 30 Milliarden Euro an Investitionen, die bis dahin für neue Einrichtungen nötig sind. Weitere 40 Milliarden müssten in die Erhaltung der bestehenden Heime investiert werden. Diese 40 Milliarden werden nicht, wie betriebswirtschaftlich gefordert, in der Bilanz zurückgestellt, sondern oft als Gewinn entnommen. Die Nachfrage nach Sozialimmobilen steigt weiter ungebrochen. Die Betreiber investieren in „Betreutes“ – oder „Service Wohnen“, um den gesetzlichen Auflagen und der Kontrolle weitgehend zu entkommen. Das Ziel ist die Sicherung der Großinvestoren hinter den großen Betreibern. Sie halten ihr Investment für überschaubare und planbare 5 bis 10 Jahre und veräußern dann mit Gewinn weiter. Die neuen Mieten werden gesichert refinanziert.  In der Not der fehlenden Bettplätze springt die Sozialhilfe in den Kommunen ein.

Warum die Investition nicht durch eine Insolvenz in Eigenverwaltung schneller sichern.

Die Geschäfte werden weitergeführt, das Gericht bestellt einen „Aufpasser“. In Verlautbarungen werden die tariflichen Löhne der Mitarbeiter, die Inflation, die Energiepreise als Grund genannt. Dann wäre es schlechtes Management. Unbekannt ist, dass die Entgeltverhandlungen und Steigerungen nicht auf tatsächlich nachgewiesenen Kosten aus der Buchführung beruhen. Die Staatshilfen für Corona und Energie werden den Einrichtungen gesetzlich gewährt. Die Konzerne verstecken die wahren Zahlen in der konsolidierten Konzernbilanz. Damit es so bleibt, wird durch den Betreiber ein Schutzschirmverfahren in Eigenregie beantragt.

Der Investor einer gesamten Pflegeimmobilie oder nur eines Pflegeapartments verliert maximal den Betreiber. Die Investition bleibt bewahrt; der pflegebedürftige Bewohner bleibt erhalten, die Erlöse sind gesichert.   Eine weitere Rettung bei Pflegeobjekten ist für den Betreiber/Investor die „staatliche Fürsorgepflicht“.

Notwendige Einrichtung der Bürger

Pflegeimmobilien sind in Deutschland bei gegebener Gesetzeslage der Zukunftsmarkt. Die Bürger der Kommune treten voll in das Risiko ein. Die Auswirkungen können in England bereits beobachtet werden. Die Betreiber überweisen einen optimalen vertraglich garantierten Kapitalzins. Zusätzliche Gewinne bleiben dem Betreiber, wenn er die laufenden Instandhaltungen und Erneuerungen nicht durchführt, obwohl diese in den Investitionsgeldern refinanziert sind. Verantwortliche Eigentümer erhalten die Substanz der Einrichtungen, wie jeder Haus-, Wohnungseigentümer oder Pächter.

Ja, es fehlen Pflegekräfte und die Unterstützungen auch in der Häuslichkeit.

Wir brauchen eine schnelle Richtungsentscheidung

  • freier Marktwirtschaft: Abschaffung des Sachleistungsprinzips, keine Subvention der Träger, eine WTG-Aufsicht mit entsprechender personeller und materieller Ausstattung zur ordnungsrechtlichen Umsetzung. Einheitliches Pflegegeld je nach Pflegegrad. 
  • staatliche Daseinsvorsorge: Umsetzung nach niederländischem Quartiers-Prinzip der Bezugspflege. Weitergehend ist das dänische Modell.

Die Zeit drängt. Ein weiteres Abwarten bis zur nächsten Legislatur verschlimmert die Lage. Die Träger handeln bundesweit und suchen sich die entsprechenden Rosinen je nach Bundesland. Die Abgeordneten in Bund und den Ländern müssen sich öffentlich entscheiden: Soll die Pflegeversicherung weiter das Kapital oder endlich die Versicherten, die Pflegebedürftigen und deren pflegenden Angehörigen schützen?

Am 30.6.23 folgt der Beitrag: Pflegenotstand durch fehlende Verantwortung

In Vorbereitung: Die nächste Pandemie steht vor der Tür

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Unternehmen im Gesundheitswesen sind gewollt undurchsichtig – aktiv altern in NRW und überall (unser-quartier.de)

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