Explodierende Heimentgelte ohne Kontrolle

Die Medien berichten von monatlich gestiegenen Pflegekosten der Bewohner in Heimen von 500 bis 1.000 Euro.  Kein Wort über die zusätzlichen Zahlungen der Pflegekassen, die notwendige Qualität, die gesetzliche Mitwirkung der Bewohnerbeiräte. Abgedruckte Leserbriefe halten die Kosten für überzogen und fordern Kostentransparenz und Übernahme der Kosten.

Steuergelder fließen nur zu einem geringen Anteil in die stationäre Pflegeeinrichtung.

  • In Form des Pflegewohngeldes, wenn die Investitionskosten vom überörtlichen Sozialhilfeträger anerkannt sind.
  • In Form der Sozialhilfe nach SGB XI, als Restzahlung.

Die Kalkulation wird den Beiräten nur offengelegt, wenn sie dies nach § 85 Abs. 3 Satz 2 SGB XI (Pflegeversicherungsgesetz) aktiv eingefordert wird. Zur Prüfung und Vorbereitung der notwendigen Stellungnahme, können Sachverständige per Beschluss hinzugezogen werden.  Dazu unser Beitrag nach dem BSG-Urteil vom 26.09.2019. Siehe auch:

Pflegekosten, Leistungen, Transparenz – aktiv altern in NRW und überall (unser-quartier.de)

Die fehlende Kontrolle und ihre Folgen – aktiv altern in NRW und überall (unser-quartier.de)

Am 13. Juli erschien im Lokalteil Oberhause der NRZ/WAZ der Beitrag: „Heimbewohner zahlen 800 Euro mehr“ Der Sprecher der 19 Einrichtungsleiter kam zu Wort.

Kein Wort über die

  • 2.151 Bruttoplätze oder gar die durchschnittliche Auslastung, die Anzahl der Bewohner.
  • 3.000 Pflegebedürftigen in der Häuslichkeit. Pflegende Angehörige fühlen sich nicht betroffen aber darin bestärkt, in der Häuslichkeit zu pflegen.

Unser Kommentar:

Die Medien verniedlichen das Problem. Wo bleibt, dass sich Kümmern für die 90% in der Häuslichkeit und deren An- und Zugehörigen.

Im Jahre 2024 erhalten die 95 sozialen Pflegekassen insgesamt 66 Mrd. Euro. Im Jahre 2022 waren es noch 55,84 Mrd. € für 4.875.337 anerkannt Pflegebedürftige. In der Häuslichkeit wurden 4.044.126 oder 83% gepflegt und erhielten 40,24 % vom Kuchen. In Einrichtungen wurden 831.211 Personen gleich 17 % gepflegt und die Betreiber erhielten 49,7 % = 27,73 Mrd. Euro. Im Jahr 2024 erhalten die Träger mindestens 5 Mrd. Euro mehr.

Die Heimentgelte werden ohne belastbare Nachweise mit den Pflegekassen verhandelt. Ein Korrektiv bildet allein der Heimvergleich der Einrichtungen in der Nachbarschaft nach § 92 a SGB XI. Eine Transparenz der Kostenbestandteile Pflege, Unterkunft und Verpflegung und Investitionskosten sind für den Bewohner, die Angehörigen nicht gegeben. Die gewählten Bewohnerbeiräte kommen ihrer gesetzlichen Pflicht der Stellungnahme zu den „Wunschentgelten“ nach § 85 Abs. 3, Satz 2 SGB XI nicht nach. Die Pflegekassen geben sich mit einer Unterschrift, die dem Bewohnerbeirat zugerechnete wird, zufrieden.

Die Frage an den Vorstand Caritas Dortmund e.V und  Deutschland:

Wie halten Sie es mit den notwendigen Stellungnahmen der Bewohnerbeiräte?

Antwort: „Wir Träger nehmen die Aufgabe sehr ernst, dass alle Betroffenen über die finanziellen Aspekte der Pflege informiert sind und sich darauf verlassen können, dass wir unseren Verpflichtungen in dieser Hinsicht nachkommen. Näheres dazu ist im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) als gesetzliche Grundlage für den Heimvertrag geregelt. Dessen Einhaltung wird von den zuständigen Aufsichtsbehörden kontrolliert.“ 

„Dementsprechend werden die Bewohnerinnen und Bewohner bzw. ihre Vertretungsberechtigten im Vorfeld der Entgeltverhandlungen über die Absicht der Aufnahme der Verhandlungen informiert. Die Einrichtungsleitungen beziffern darin die voraussichtlichen Kosten und auch die Gründe der Veränderung. Nach abgeschlossener Verhandlung mit den Kostenträgern werden die Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren Vertretungsberechtigte erneut über die tatsächlich anfallenden Kosten informiert. Das Vertragsrecht räumt im Übrigen den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Sonderkündigungsrecht ein, wenn diese die neuen Vertragsbedingungen (in der Regel Preiserhöhungen) nicht akzeptieren. Auch wenn Pflegebedürftige bzw. ihre Angehörigen mit uns in Kontakt treten, erhalten sie selbstverständlich alle notwendigen Informationen über die Kosten in unseren Einrichtungen.“

Ob

  • die strengen Anforderungen hinsichtlich einer Erhöhung des Entgelts sowie für die Mitteilung einer solchen Entgelterhöhung (§ 9 WBVG) eingehalten werden, siehe bei der BIVA
  • die Stellungnahme nach § 85 Abs.3 Satz 2 SGB eingehalten wurde? Nichtwissen kann für die Zukunft nicht eingewandt werden. 

Gut zu wissen: Der Heimträger darf nicht mit einer Kündigung drohen, wenn die Bewohnerin oder der Bewohner der Preiserhöhung Widerstand entgegensetzt (§ 12 Abs. 1 Satz 3 WBVG):

Der Vergleich mit Schweden und Dänemark ist ein notwendiger Ansatz. Investitionskosten zwischen 300 Euro und 980 Euro pro Monat würden pro Bewohner entfallen, die heute größtenteils durch das Pflegewohngeld bereits aus öffentlichen Kassen gezahlt wird.

Ein noch größerer Effekt wird erreicht, wenn die effektiven Pflegekosten, die Nebenkosten für Unterkunft und Verpflegung je Einrichtung wirklich aufgedeckt und wie vor 1995 durch den überörtlichen Sozialhilfeträger echt verhandelt werden. Dazu käme

1.) der Wegfall des Gewinnzuschlages,

2.) eine Verrechnung oder Rückzahlung, wenn die verhandelten Pflegekräfte nicht vorgehalten werden oder andere Kosten sich gegen die Kostenannahme verringerten.

Die Kosten sind für die Einrichtungen ein Bestandteil, über die Gegenleistung der Pflegequalität wird geschwiegen. Die erforderliche Atmosphäre und die Würde des Pflegebedürftigen und der Angehörigen werden oft nicht beachtet. Pflege kann uns alle zu jeder Zeit treffen. Wir müssen uns beizeiten kümmern, wollen wir nicht am Fließband behandelt werden. Wer weiterhin die Pflegekatastrophe negiert und sich nicht kümmert, macht sich mitschuldig, darf sich als Babyboomer und Single über die weitere Kostenexplosion nicht wundern.

Warum sich nicht aktiv einbringen?

Die Stärkung der Mitwirkung der Interessenvertretung ist in den Wohn- und Teilhabe Gesetzen (WTG) der Bundesländer bereits angelegt. Doch die Betreiber verschweigen die gewählte Vertretung und auch, dass kommunale Seniorenvertreter neben Betreuer und Angehörige in den Heimbeirat gewählt werden können. Eine entsprechende Aufklärung ist nicht im Sinne der Einrichtungsleitung. Die WTG-Behörden, sehen sich, außer in Bremen, nicht in der Pflicht die Beiräte aktiv zu unterstützen und die Seniorenvertretungen aufzuklären.

Alle Bürger sind mehr oder minder von Pflege betroffen und brauchen notwendige Unterstützung. Gesetzesänderungen brauchen Zeit und Engagement!

Damit die Forderung der Mitwirkung verweisen wir auf die erschienenen Beiträge:

  • Verordnete Beruhigungspille oder notwendiges Engagement?          23. Februar 2024
  • Bayern ist überall                                                   22. März 2024
  • Seniorenrecht ein „neues“ Rechtsgebiet           26. April 2024
  • Netzwerk bürgerschaftlichen Engagements     17. Mai 2024
  • Die Gesundheitsvorsorge geht uns alle an        28. Juni 2024
  • Kommunale Gesundheitskoordination             12. Juli 2024

Die Serie „Seniorenvertretung“ wird fortgesetzt.

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1 Gedanke zu „Explodierende Heimentgelte ohne Kontrolle“

  1. Das Problem der Intransparenz und Mangelversorgung existiert leider schon seit Jahrzehnten! Bereits 2001 haben engagierte Menschen vor dem UN-Menschenrechtsausschuss in Genf über die gravierenden Menschenrechts- verletzungen in deutschen Pflegeheimen berichtet und 10 Jahre später erneut vor der UN die weiterhin bestehenden Probleme beklagt. Siehe dazu http://www.heimmitwirkung.de/smf/index.php?topic=1582.0

    Es gab sogar Verfassungsbeschwerden gegen den Pflege-Notstand – die alle mit äußerst fragwürdigen Begründungen nicht angenommen oder eingestellt wurden, z.B. siehe https://www.uni-regensburg.de/assets/rechtswissenschaft/oeffentliches-recht/graser/sammelband_pflegeverfb_doku.pdf

    Viele Publikationen weisen auf Verbesserungsnotwendigkeiten für pflegebetroffene Menschen seit vielen Jahren immer wieder hin, z.B. das Deutsche Institut für menschenrechte: „Analyse – Menschenrechte in der Pflegepraxis – Herausforderungen und Lösungsansätze in Pflegeheimen“ (2016)

    FAZIT: Wenn nicht viel mehr Menschen, also am besten WIR ALLE, uns für deutliche Verbesserungen und andere Finanzierung der Pflege einsetzen, werden WIR SELBST früher oder später es zu spüren bekommen.

    ALSO: ENGAGIEREN WIR UNS !!!
    (Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es)

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