Pflege ist ein Wirtschaftsfaktor, der Pflegebedürftiger ein sicherer Erlösbringer. Angehörige billigste Pflegekräfte.
Die Würde des Menschen sollte Maßstab sein. Skandinavier sehen Pflege als staatliche Aufgabe. Die Niederlande orientieren sich am Wohl des Menschen.
Der Pflegenotstand in Deutschland beherrscht nicht erst seit der Pandemie die medialen Schlagzeilen und Talkshows, sondern auch den Alltag von immer mehr pflegebedürftigen und pflegenden Menschen. Die Koalitionsvereinbarung der GroKo enthält eine Fülle von Einzelvorschlägen auch für die Gewinnung von Pflegekräften. Allerdings beschränken sich diese eher auf ein Herumkurieren an Symptomen. Die Wurzeln des Pflegenotstands können sie kaum anpacken ohne ausgebildete Pflegekräfte. Den pflegenden Angehörigen wird immer noch mehr zugemutet.
Kann durch Corona die Not in der Pflege in den Kommunen weiter auf die lange Bank geschoben werden?
Die Aufstockung der Vollzeitstellen für Pflegekräfte als Sofortprogramm wäre ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn die Pflegekräfte verfügbar wären, ebenso die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn oft verkündete Verbesserung der Entlohnung. In der Pandemie wurde das Arbeitzeitgesetz außer Kraft gesetzt. Die Mehrarbeit und Mehrbelastung wird mit maximal 1.500 € abgegolten. Um die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge ist es still geworden. Die Wohlfahrtsverbände haben sich zu einem Arbeitgeberverband zusammengeschlossen. Über 50 % der Einrichtungsplätze werden von Privatkonzernen betrieben. Bisher gilt das Veto von Ex-FDP Chef Rainer Brüderle als Präsident des Verbandes der Privatanbieter bpa e.V. zu einem Pflege-Tarifvertrag. Er spricht sich damit gegen einen Konsens und für die reine Marktmacht bei fehlendem ausreichenden Angebot aus.
Wer will die Einhaltung der Entlohnung ernsthaft prüfen, das Gewinnstreben ist derzeit gesichert. Die derzeit gewählten Bewohnerbeiräte können bei neuen Entgelterhöhungen schwer das Zahlenwerk überprüfen und werden die notwendige Unterschrift wie bisher „blind“ leisten und sich nicht die mögliche Hilfe nach dem Gesetz holen.
Wer weiß schon um die Unterschiede in den Kommunen, dass in Oberhausen bereits über 82 % in der Häuslichkeit gepflegt werden und nur 40 – 30 % von ambulanten Pflegeanbietern fachlich unterstützt werden können. Es bedarf mehr als Hoffnung und Ankündigung, es bedarf einer grundsätzlichen Reform des Pflegesystems, wie es insbesondere in Schweden schon seit Jahren praktiziert wird. Im Münsterland ist mit Buurtzorg ein Anfang nach niederländischem Vorbild gegeben.
In Schweden besteht seit vielen Jahren eine Vollversorgung in der Kranken und Altenpflege, die durch die Kommunen bürgernah organisiert und aus Steuern finanziert wird. Das Geld bleibt im System zum Wohle der Pflegebedürftigen und des Personals. Die gekappte beitragspflichtige Pflegeversicherung in Deutschland ist hingegen nur eine Teilkostenversicherung im Bereich Pflege. Nicht alle zahlen in eine Pflegekasse ein, jede Krankenkasse hat eine Pflegekasse im Schlepptau. Entsprechend gering sind in Deutschland die finanziellen Ressourcen und damit auch die mögliche Unterstützung zur Pflegeleistung. Gemessen am Bruttosozialprodukt sind die Ausgaben für die öffentliche Pflege in Schweden etwa dreimal so hoch. Dafür machen die privaten Kosten nur wenige Prozente aus, während sie in Deutschland etwa die Hälfte betragen und nach wie vor 80 Prozent der Pflege in den Familien selbst geleistet werden muss und vor allem von Frauen erbracht wird. Nicht zu vergessen: die (Verpflegung und Unterkunft und Investition =) Hotelkosten kommen noch zu den Pflegekosten dazu.
Besonders eklatant ist der hohe Anteil kommerzieller Pflegeeinrichtungen in Deutschland mit den bekannten gravierenden Nachteilen für Pflegebedürftige und Pflegekräfte, die aber nicht in der Tagespresse erscheinen und damit nicht ins öffentliche Bewusstsein gelangen. Dagegen sind in Schweden, wie in den übrigen skandinavischen Ländern, die Altenpflegeeinrichtungen in öffentlicher Verantwortung. Der Personalschlüssel nur der Hälfte der Pflegebedürftigen auf eine Pflegekraft ist erheblich günstiger. Das ist eine wesentliche Voraussetzung sowohl für die Qualität der Pflege als auch die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte.
Besondere Herausforderungen ergeben sich in Schweden, wie in Deutschland, bei der Integration von Migranten in die Gesundheits- und Pflegeberufe. Trotz höherer Geburtenrate steigt auch in Schweden der Bedarf an Pflegeleistungen, schon allein durch die Erhöhung der Lebenserwartung, von der Geisel Demenz ganz abgesehen. Zudem gibt es auch hier den Brain Drain durch Abwanderung von Fachkräften in andere skandinavische Länder und die Schweiz mit besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen.
Dabei ist Schweden anderen Ländern bereits einige Jahre voraus in der Ausschöpfung der fachlichen Potenzial von Migranten, vor allem was den Erwerb sprachlicher Voraussetzungen und der erforderlichen Qualifikationen beziehungsweise deren Anerkennung betrifft.
Gravierende Unterschiede gibt es auch in der Aus-und Weiterbildung, in Deutschland eine besondere Schwachstelle. Erste Schritte der Verbesserungen sind formal eingeleitet, zur größeren Transparenz, Gemeinsamkeit und öffentlicher Finanzierung. Notwendige Änderungen an der scharfen Abgrenzung zwischen praktischer und akademischer Ausbildung sind bisher nicht zu erkennen. Während die Ausbildung in Deutschland für die Gesundheitsberufe und Pflegeberufe weitgehend unterhalb einer akademischen Bildung erfolgt, ist dies in Schweden umgekehrt. So liegt gerade ein Schwerpunkt der akademischen Bildung mit Bachelorabschlüssen, Masterprogrammen sowie weiterführenden Studiengängen bis zur Habilitation darauf, hoch qualifizierte Arbeitskräfte für die Pflegeberufe zu gewinnen. Die Rothgang Studie aus Bremen lässt hoffen. Die Zwangsverkammerung der Pflegekräfte in NRW wird, wenn überhaupt, verspätet Hilfe aufzeigen aber nicht schaffen können.
Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition wäre gut beraten zur Sicherung des sozialen Friedens, an Stelle eines wenig überschaubaren Aktionismus in Gesetzgebung und Praxis, nachhaltige Lösungen zu suchen, wie sie in den nordischen Ländern gang und gäbe sind. Damit würde sie die Tarifpolitik der Gewerkschaften für bessere Löhne, Arbeitsbedingungen und Ausbildung wirksam unterstützen. Dies ist die beste Strategie zur Bekämpfung des Pflegenotstandes.
Auch in Oberhausen gibt es, wie in anderen Kommunen, Einrichtungen, die einem Belegungsstopp unterliegen müssen. Wie anders lässt sich erklären, dass von 2.200 Einrichtungsplätzen keine 1.900 zum Stichtag belegt waren.
Wer hoffte, dass in der 38. Ratssitzung (Oberhausen) am 8. Juli 2019, 15:00 Uhr, die Zahlen der Pflegekassen per 31.12.2017 präsentiert und entsprechenden Berichte der WTG-Aufsicht über die aktuellen Anlassprüfungen und Maßnahmen in den Einrichtungen erörtert wurden, irrt. Versteht der Bürger, die pflegenden Angehörigen die Tragweite der formalen verwaltungsrechtlichen Aussage: „Bei der Betreuung durch ambulante Dienste handelt es sich um ein Angebot des freien Pflegemarktes, welches sich durch Angebot und Nachfrage regelt.“ Es gilt allgemein „Privat vor Staat“. In der Kommune bedeutet es, die „bewährten“ Strukturen nicht zu hinterfragen, eventuelle Missstände zu verschweigen. Sie kennen bestimmt pflegenden Angehörige und vielleicht auch jemanden in einer Pflegeeinrichtung und die Nöte.
Die Kommunalwahl sollte eine Möglichkeit des Nachdenkens und Prüfen der nächsten 5 Jahre, der Wahlprogramme und Oberbürgermeisterkandidaten sein. Gibt es Aussagen für Senioren zum Beispiel im Hinblick auf
- ärztliche Versorgung,
- Pflege,
- Nachbarschaft
Sprechen Sie mit Ratsmitgliedern/Seniorenbeiräten noch vor der Kommunalwahl am 13. September 2020. Senioren stellen mit über 30 % die größte Wählergruppe.
Die Zeit zum Umsteuern war noch nie so ernst und gleichzeitig so kostengünstig. Landes- und Bundesanleihen haben einen Negativzins. Gespartes Geld bringt keine Zinsen. Heimbetreiber sichern sich mindestens 5 % Reingewinn und sei es auf Kosten der Bausubstanz, dies zu Lasten der Bewohner und der Allgemeinheit.
Noch sind viele Fragen offen:
Wird es einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag geben?
Kommt ein neues Personalbemessungsverfahren?
Was passiert mit den explodierenden Eigenanteilen?
Überlassen wir die Diskussion nicht den Anbietern. Die Grenzen zwischen stationär, teilstationär und ambulant verschwimmen immer mehr. Neue Wohn- und Betreuungsformen für alle Bürger, nicht nur für betuchte, sind gefragt.
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Sehr geehrte Ratsmitglieder,
dem Artikel stimme ich voll und ganz zu. Als langjährige Pflegefachkraft kenne ich die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen nur zu gut. Der Pflegenotstand ist schon viele Jahre ein Thema und es wird immer schlimmer, statt besser. Der Pflegenotstand wird sich nicht mit privatwirtschaftlichen Mitteln lösen lassen. Ein gesellschaftlicher Bereich wie die menschliche Gesundheit und die Pflege von Menschen kann nur zu einem ganz bestimmten Preis auf Gewinnerwirtschaftung getrimmt werden. Zum einen für den Preis der rücksichtslosen Ausbeutung der in diesen Bereichen Beschäftigten. Zum anderen durch für den Preis der gnadenlosen Reduzierung von Patienten und Pflegebedürftigen zu reinen Kostenfaktoren. Das Ergebnis sind asoziale Arbeitsverhältnisse und entmenschlichte Pflege. Da wo private Finanzinvestoren Rendite orientiert Millionen Gewinne machen, geht es meist zu Lasten der Pflege. Deswegen ist es kein Wunder, wenn immer weniger Menschen in der Pflege arbeiten wollen und diese verlassen. Jetzt wird Pflegenden in drei Bundesländern noch Geld für eine Zwangs-Pflege-Kammer abgenommen. Pflegekräfte haben keinen Nutzen durch eine Kammer und Pflegekräfte gehören sicher nicht zu einem gut verdienenden Personenkreis. Wie schlimm ist das denn? Noch ein Grund mehr die Pflege zu verlassen! So geht es nicht weiter, die Politik muss handeln. Der Gesundheitsbereich gehört wieder zu 100 % in die öffentliche Hand. Der Pflegenotstand geht uns alle an!!! Nein zur Pflegekammer! Marita S per Mail