Pflegekatastrophe – SGB XI ist gescheitert –

Vogel friss oder stirb!

Das Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung setzt sich für eine Pflegeversicherung ein, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt – unabhängig davon, ob es sich um die stationäre oder ambulante Pflege handelt. Kein Wort über die Ausgestaltung, wie sie Norbert Blüm bereits 1995 wollte. Die Medien wurden in der Bundespressekonferenz am 4.9.23 mit einer Umfrage bedient. Wer die Umfrage kritische liest, erkennt: die Pflegevollversicherung dient allein zur Sicherung der Erlöse der Anbieter, auf Kosten der Versicherten. Die pflegenden Angehörigen bleiben im Dunkeln.

Herr Staatssekretär a.D. Stroppe bringt am gleichen Tag im Tagesspiegel die heutige Situation provokant auf den Punkt. „Zukunftsgerichtete Lösungen im Gesundheitswesen könnten Exportschlager – Made in Germany – werden. Ein anderen Ansatz über die Herausforderungen im Interview Frau Prof. Dr. Martina Hasseler, Professorin an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaft >>HIER<<

Nachdenken über Gesundheit

Kein weiter so von Abschottung der Professionen zwischen Arzt, Pflegekräften und Angehörigen. Keine weiteren Reparaturversuche zum Schutze der Anbieter von Pflege. Es geht nicht mehr um Verbesserung, es geht um Katastrophenmanagement. Die Abgeordneten, die Regierungen (Bund und Länder) müssen ihrer Verpflichtung nach Artikel 1 des Grundgesetzes zum Schutze der Menschenwürde nachkommen. Parteien, Gremienvertreter müssen das Heft des Handelns übernehmen. Die Übertragung zur Sicherstellung der Pflege an die Pflegekassen (§ 12 SGB XI) ist gescheitert.

Eine Pflege-Vollversicherung wäre möglich und finanzierbar. Sie war auch schon 1995 möglich, als gegen das Votum des Arbeits- und Sozialministers Norbert Blüm (CDU) nur die Pflege-Teilkaskoversicherung eingeführt worden ist. Blüm wollte eine Pflege-Vollversicherung für alle, die im Umlageverfahren von allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus ihren Beiträgen ohne Bemessungsgrenzen finanziert werden sollte. Diese Pflege-Vollversicherung hätte nach dem Vorbild Dänemarks für alle Alten, alles das, was sie jemals an Pflege brauchen würden, vorgehalten und gewährt. Die FDP verhinderte dies. Sie wollte und will, dass die Alten selbst dafür verantwortlich bleiben, wie sie sterben. Zum Kompromiss blieb die Mitwirkung des Bewohnerbeirates (§ 85 Abs. 3 Satz 2, zweiter Halbsatz SGB XI) erhalten. Nur am Rande bemerkt: Ein Häftling kostet den Steuerzahler pro Monat 6.000 Euro ohne Pflege. 

Pflege betrifft uns alle[1], von Geburt an, nicht nur im Krankenhaus. Wenn wir nicht sofort umsteuern, droht die Postwachstumsgesellschaft in katastrophaler Kälte zu versinken. Wir haben keinen Pflegenotstand, wir haben eine Pflegekatastrophe. 

Es kann dahingestellt bleiben, ob mit dem SGB XI durch die Privatisierung des Pflegemarktes bewusst ein Notstand oder eine Katastrophe von den Parteien 1995 eingeleitet wurde. Klar ist, es ist ein Pflegedesaster seit über einem Jahrzehnt durch die fehlende Pflegekräfte ein unhaltbarer Zustand geworden. Die Pflege ist zur gegenwärtigen Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der zu pflegenden Personen geworden. Die WTG-Behörden (frühere Heimaufsichten) nehmen überwiegend die rechtlich geschützten Interessen der Betreiber wahr und nicht die der betroffenen Bewohner. So werden die Kosten zur Abwendung des Notstandes auf Kosten der Betreiber vermieden. Folgekosten tragen die Bewohner, Angehörigen und die Sozialbehörden. Wir brauchen die ökonomische Vernunft der Solidarität.

Wir dürfen als Gesellschaft nicht länger einseitig auf professionelle, bezahlte Dienstleistung und andererseits auf Familienpflege setzen. Damit wäre die Pflege unrettbar an die Idee vom Wachstum gebunden: teurere Pflege, teurere Investitionen in Technologie und Verwaltung. Der Pflegekollaps ist vorprogrammiert. Lassen wir die pflegenden Angehörigen nicht weiter allein.

Es liegt nicht an fehlendem Geld, es  fehlt an Zusammenarbeit auf Augenhöhe!

Das wirtschaftliche Wachstum ist zum Scheitern verurteilt, wir müssen schnellstens umdenken. Bereits heute werden jährlich 66 Mrd. €uro durch die Versicherten für die Pflege zur Teilkostenfinanzierung der Pflege aufgebracht. Die Forderung nach vollständiger Übernahme der vollen Pflegekosten wird von der Politik gefordert. Die Forderungen kommen nicht von den 87 % Pflegebedürftigen in der Häuslichkeit, die überwiegend ohne Fachpflege durch Angehörige versorgt werden, nein direkt und indirekt von den Betreibern der stationären Einrichtungen. Nicht zu vergessen, die Unterkunft & Verpflegung und die Mietkosten müssen weiterhin, wie in der Häuslichkeit, zusätzlich aufgebracht werden.

Es reicht den Betreibern nicht, dass auf ihr Betreiben hin die Kosten der Pflege durch die Berechnung eines Einrichtungs-Einheitlichen-Entgeltes (EEE) der Kosten auf alle Bewohner, unabhängig von dem tatsächlichen Aufkommen, umgelegt werden. Nein sie fordern jetzt pauschal den vollen Ausgleich, dies weiterhin ohne Nachweis der effektiven Kosten.

Solange das SGB XI gilt, sind die Versicherten zur Zahlung verpflichtet. Die Pflegekassen sind der Beitragsstabilität nach (§ 70 SGB XI) genötigt, es darf nur so viel ausgegeben werden, wie eingenommen wird. Das führt dazu, dass jährlich über 12 Mrd. €uro den in der Häuslichkeit gepflegten nicht bewilligt werden.

Eine staatliche Subvention kann keine Dauerlösung sein, für 2024 ist vom Bundesfinanzminister Linder (FDP) vorgesehen, den 2022 eingeführten Bundeszuschuss von 1. Mrd. Euro zu streichen.

Wir brauchen

  • keine weiteren Experimente oder Gutachten, sie liegen vor, aber
  • eine breite gesellschaftliche Diskussion und Neuordnung in der Pflege.
  • Ordnung in die Zahlungsströme Kranken-, Pflegekassen durch Zusammenlegung.

Gesundheitswirtschaft

Blicken wir auf das gesamte Gesundheits- und Pflegewesen, dann sprechen wir über eine Wertschöpfung von rund 392 Milliarden Euro in der Gesundheitswirtschaft mit einem Anteil von über zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Damit sich Gremienvertreter in den Kommunen nicht länger wegducken können, weil die Verwaltung den gesetzlichen Forderungen einer realistischen Planung nicht nachkommt. Wenn wir Bürgern uns länger den Heilsversprechen der wirtschaftlichen Machbarkeit des Geldes hingeben, den Versprechen der Parteien vertrauen, wird sich die Katastrophe auswachsen. Wir dürfen Care-Arbeit nicht nur neu denken, wir müssen die Parteien nach dem Handeln ihrer Gremienvertreter wählen.

Wir brauchen einen gesunden Mix der vielfältigen Kompetenzen und professioneller Hilfe, wir alle sind gefordert.

Beispiele gibt es, siehe: Hilfe und Pflege auf Augenhöhe; Qualität der Pflege(-einrichtung); Vorbildliche Altenpflege in Dänemark

Nachtrag 16.9.23: Rückmeldungen zeigen, der Beitrag kann wegen fehlender Hintergrund-Information nicht immer nachvollzogen werden.

Es folgt demnächst: „Pflegevollversicherung für die Pflegebedürftigen!“

Wird im Gesetz drin sein, was drauf steht? Oder kommt es nur den maximal 20% der Pflegebedürftigen zu Gute, denen gewerbliche Unterstützung zukommt.  

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[1] Die Rettung der Pflege: Wie wir Care-Arbeit neu denken und zur sorgenden Gesellschaft werden   von Reimer Gronemeyer, Oliver Schultz

Als nächster Beitrag folgt:

Finanzinvestoren im Gesundheitssektor und die Insolvenzen

Wir wollen die Logik der Investoren verständlich aufarbeiten.

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