Schulzeit

Einschulung

Im September 1945 bin ich in die Schule gekommen. Halle war ja durch Kriegszerstörung nur zu 10 % betroffen; unser Schulgebäude stand also noch. Eine Zuckertüte bekam ich auch, diese war von einer Hausbewohnerin geliehen. Aus der Ledertasche von meinem Vater wurde ein Ranzen beim Schuster angefertigt. Der Schuster hat aber als Lohn die Reste, die übrig blieben, für sich behalten. Meinen Schulranzen habe ich 8 Jahre getragen. Der war aus so 3 mm dicken Rindsleder, das war zwar schwer, aber der Ranzen ließ sich im Winter auch als Schlitten nutzen. 

Das 1. Schuljahr wurde bald aus Mangel an Kohle bereits im November unterbrochen und als „Weihnachtsferien“ verlängert. Das heißt: Bereits im November 1945 war die Schule für mich schon zu Ende. Zu dieser Zeit gab es in Ostdeutschland kaum Brikett, es gab nur Braunkohle. Die Braunkohle aus den Revieren aus Mitteldeutschland, das war sogenannte Salzkohle, die war klitschnass und hatte einen ganz geringen Heizwert. Und da im November in unserer Schule nicht mehr geheizt werden konnte, saßen wir die letzten Tage mit Mantel und Schal im Unterricht, und es war saukalt. Bis zum Februar gab es deshalb verlängerte Weihnachtsferien. Die größeren Kinder wurden in eine zentrale Schule geschickt, wo die 6., 7. und 8. Klasse weiter Unterricht in großen Klassen bis nachmittags um 18 Uhr hatten. 

Neuanfang

In der Schule gab es einen Neuanfang  bedingt durch die Anpassung des Lehrstoffs an die neue Zeit. Die alten Lese- und Lehrbücher waren durch Schwärzungen und durch fehlende Seiten auf den neuen Standard korrigiert. Mit Beginn des neuen Jahres hatte sich durch eine Schulreform eine einheitliche achtjährige Grundschule durchgesetzt. Danach war ein Wechsel auf eine vierjährige Oberschule oder eine dreijährige Berufsausbildung möglich. Alle anderen Schulformen sowie Privatschulen wurden verboten. Damit wurde auch der Religionsunterricht in den Schulen untersagt.

In meiner Schulzeit hatte ich von 1950-1952 eine Lehrerin (man nannte die  neuen Lehrer tatsächlich Neu-Lehrer), die war so 45-50 Jahre alt, und sie war sehr streng. Wir hatten in der Klasse 3 Jungs; wir sagten Russen zu ihnen, es waren aber Wolgadeutsche, die auf der Flucht waren. Sie waren im Schnitt so 2-3 Jahre älter als wir. Der eine war ein richtiger Kerl, den haben wir Bulle nannten. Die drei tanzten ein bisschen aus der Reihe, und die Lehrerin langte immer wieder mal zu. Sie schlug sie auch hin und wieder mit dem Lineal auf die Hände, auch uns. Ich weiß noch, ich bekam mal von ihr eine Ohrfeige, die summte noch am Nachmittag, als ich nach Hause kam. Natürlich erzählte ich meiner Mutter nichts davon, dem Vater hätte ich es schon gar nicht erzählt. – Eigentlich war die Prügelstrafe ja verboten. 

Die Klassen waren alle mit Zweierbänken eingerichtet. Neben mir saß ein guter Freund. Damals wurden mit Schiefertafel und Schiefergriffel die ersten Schreibübungen unternommen. 

In der DDR war es üblich, dass die Einschulung der Kinder am 1. September stattfand. Nach 8 Jahren war die Grundschule beendet, und es kam dann die Trennung: entweder Beruf oder Oberschule. Dabei legte das Lehrerkollektiv fest, wer auf die Oberschule durfte, die Entscheidung ging rein nach Noten. Wer gute Leistungen hatte, der wurde von der Schule an die Schulbehörde gemeldet, so dass er auf die Oberschule weitergehen konnte. – Das war bei mir der Fall. Meine Eltern waren auch der Meinung, dass es gut wäre, wenn ich die Oberschule besuchte. 

Probleme beim Verzehr der Schulspeisung

Es gab in der Schule eine tägliche Schulspeisung auf den Fluren zwischen dem Knaben- und Mädchenbereich, die in Kübeln angeliefert wurde, meistens Suppen, irgendwelche Pudding- oder Nudelsuppen. Die Nudelsuppe sah auch weiß aus, die haben wahrscheinlich die Nudeln in Wasser und Brühe gekocht. Wir hatten Schüsseln, mit denen wir zur Essensausgabe gingen, und dort kriegten wir einen Schlag rein, und auch einen zweiten. 

Ich war sowieso kein großer Esser, meine Schüssel war meist nur so halb voll. Eines Tages kam der bullige Russe (Spitzname, er war  ja ein Wolgadeutscher) zu mir und meinte, ich solle ja meine Schüssel vollmachen lassen, da er das Essen haben wollte. Meine Mutter hatte sich dort engagiert und das Essen ausgeteilt und wunderte sich immer, was ich für ein guter Esser war.

Das Schlimmste war: Es gab auch mal Milchsuppe. Als Kind wäre ich fast gestorben, weil ich eine Milchunverträglichkeit gegen Kuhmilch hatte. Als ich von der Mutterbrust abgesetzt wurde, bin ich bald hopps gegangen, als die Kuhmilch in mich reingefüllt wurde, denn es kam hinten sofort wieder raus. 

Meine Milchunverträglichkeit war sehr schlimm. Meine Mutter hatte mich einmal, als ich schon älter war,  zum Milchholen in eine Milchhalle geschickt. Dort standen die Milchkannen allesamt aufgereiht. Kaum angekommen musste ich mich sofort übergeben, als ich die Milch roch. Milch war für mich also tabu. 

Als ich nun also bei der Schulspeisung meine Schüssel mit Milchsuppe bis zum Rand füllen ließ, wurde meine Mutter stutzig. Sie bekam dann sehr schnell spitz, dass der Russe immer meine Suppen gegessen hatte. Das hatte aber auch einen Vorteil, denn ich hatte einen Bodyguard, der stand mir immer zur Seite, und das blieb so bis zur 8. Klasse. 

Die drei Wolgadeutschen Jungs hatten auf Grund ihres gebrochenen Deutsch zwar die ganze Zeit arge Schwierigkeiten, in der Schule mitzukommen, die Lehrer haben allerdings ein Auge zugedrückt, so dass sie die Schulzeit abschließen konnten. Für uns waren die drei damals einfach nur Rabauken, die sich nur mit ihrer Muskelkraft durchsetzten.

Gründung der Pioniere

Ab 1948 wurde staatlicherseits die Jugendorganisation „Junge Pioniere“ gegründet. Eines Tages kam der Direktor mit einer jungen Frau, die ich bereits bei den Schuberts in der Brotfabrik in der Wohnung gesehen hatte. Er stellte sie vor als die neue Pionierleiterin, ihr  Name war Margot Feist. Margot Feist wurde später mal die First Lady der DDR, Margot Honecker. Die war bei uns die ersten Wochen als Pionierleiterin eingesetzt und hatte teilweise unser Interesse geweckt. Alles fing recht harmlos an. Sie unternahm mit uns viele Wanderungen mit Übernachtungen in Scheunen. Es gab die Pfingsttreffen, auf denen nicht nur gewandert, sondern auch viel gesungen wurde. Vor allen Dingen machten wir über das Wochenende  Ausflüge in die Umgebung, wo wir ebenfalls in einer Scheune schliefen. Auch Nachtwanderungen standen auf dem Programm. Das hat uns natürlich mächtig begeistert. 

In diesen Pionierstunden stand nun die Pionierleiterin vor der Klasse. Wir wurden so geschult, dass die Russen – Russen durften wir nicht sagen, das waren Sowjetmenschen – unsere Freunde sind, und Stalin war der Allergrößte. – Ich kann mich entsinnen, als der 1953 gestorben war, hatte es tatsächlich welche gegeben, die Tränen vergossen hatten. Ja, das war das Abbild nochmal, was die Älteren vielleicht erlebt hatten bei der Hitlerjugend. Das Gleiche wurde wieder gemacht.

An bestimmten Jahrestagen, z. B. am Tag der Befreiung, das war der 8. Mai, mussten wir immer zu Demonstrationen mitgehen, die Kinder waren dann somit die Staffage, die die ganze Sache ein bisschen auffüllten. Interessant war, wenn Margot Feist aus ihrem Leben berichtete. Ihr Vater war im KZ, er war schwerkrank, er war irgendwann zu einer Kur, die Mutter hatte im Gefängnis in Halle – in dem roten Ochsen, nennen das die Leute – im Gefängnis gesessen. Sie und ihr Bruder waren im Erziehungsheim, und dies hat sie uns alles so ein bisschen erzählt, von den KZs und was ihre Mutter im Gefängnis erlebt hatte. Später konnte ich es immer nicht fassen, dass Menschen, die am eigenen Leib erlebt hatten, wie das ist, dann selbst die Augen zugemacht haben und dasselbe an den Menschen, über die sie dann Macht hatten, ausübten.

Die Zielsetzung der Pionierorganisation war die Erziehung der Kinder im Sinne einer sozialistischen Ideologie. Ein Ziel dabei war die Freundschaft zur Sowjetunion. Hierzu wurde durch Literatur, Spielfilme und Kulturveranstaltungen ein großer Beitrag geleistet. Manchmal sah man in der Stadt unsere russischen Freunde, Offiziere, die mit ihren ‚Burschen‘ unterwegs waren. Nur: Zu einem persönlichen Kontakt mit den Sowjetsoldaten kam es in den ersten Nachkriegsjahren nicht.

Russisch in der Schule

Die weitere Neuigkeit war, dass wir ab der 5. Klasse Russisch lernten. Es gab außer Russisch keinen anderen Fremdsprachenunterricht. Russisch war schwer zu lernen. Erstens waren die Russen nicht gerade sympathisch. Die kyrillischen Buchstaben waren ja auch was völlig Neues. Bei uns kam noch verschärfend hinzu, dass wir eine ältere Dame als Russischlehrerin hatten, die kam in der 5. Klasse zu uns und sprach uns immer an mit ‚Ihr lieben Kinderchen‘. Da war die natürlich bei uns schon durch.

Mit Russisch habe ich mich eher stolpernd durchgearbeitet. Wenn ich damals gewusst hätte, was mein Klassenlehrer immer gesagt hatte: Ihr lernt nicht für die Schule, sondern ihr lernt fürs Leben, dann hätte ich besser gelernt. In meinen Berufsjahren war ich im Jahr 2-, 3-, 4- mal in der Sowjetunion und hatte dann doch Schwierigkeiten, mit der russischen Sprache irgendwie weiterzukommen. 

Erste Schulkameraden verschwanden

Es war aber so, dass wir im Herbst 1952, also mit Beginn der achten Klasse, umgezogen sind. Ich ging weiter in meine alte Schule, hatte einen 3 km Fußweg, jeden Tag in der Frühe und jeden Abend retour. Mit der Straßenbahn war das zu umständlich, denn ich hätte erst zum Zentrum fahren müssen, vom Zentrum aus dann zu der Schule. Dabei war die Straßenbahn nicht teuer, die kostete damals nur 15 Pfennig. 

Nach Weihnachten wunderte ich mich, dass ein Schulfreund nicht in die Schule kam. Ich dachte, er sei krank und wollte ihn besuchen. Ich wusste, die Eltern hatten eine Brotfabrik. Ich war da eigentlich immer gerne hingegangen, weil ich beim Nachhauseweg immer was von seiner Mutter unter den Arm gedrückt kriegte, mal war es eine Tüte mit Plätzchen, die ein wenig angebrannt waren, mal war es ein halbes Brot oder paar Brötchen. – Ich traf sie aber nicht mehr an. Sie hatten sich in den Westen abgesetzt.

Durch den Umzug hatte ich natürlich auch andere meiner Freunde nicht mehr so nah bei mir. In der Zwischenzeit war auch in der Weihnachtszeit 1952 einer meiner besten Freunde über Nacht verschwunden. Der Vater war Arzt, die waren also kurz vor Weihnachten irgendwie weg, wir hatten das gar nicht gemerkt. Ich hatte an ihrer Haustüre geklingelt, es machte aber niemand auf, irgendwann kam eine Nachbarin raus und sagte: „Die sind nicht mehr da, die sind bei Nacht und Nebel verschwunden.“

Ein anderer Freund, dessen Eltern getrennt waren – der Vater war nach dem Krieg in Kiel geblieben, während die Mutter mit den Kindern in Halle geblieben war –, dieser Freund hatte mir dann unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesagt: „Also, wenn die Schule zu Ende ist, ziehen wir auch nach Kiel. Mein Vater will uns bei sich haben, er besorgt uns eine Wohnung, in der wir mit unserer Mutter da wohnen können.“ 

Dass die Freunde mehr oder weniger wegfielen, das kam auch ein bisschen durch den Umzug zustande. Ich hatte mich deshalb auch einige Zeit vorher für den Fußballverein angemeldet, und wir hatten einmal in der Woche Training. Samstags oder sonntags Vormittag hatten wir dann auch ein Spiel. Durch den Fußball hatte ich neue Freunde gefunden.

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