Wohnen im Nachkriegsdeutschland

Einen Krieg habe ich nicht erleben müssen, worüber ich sehr dankbar bin. Unser Leben verlief im Grunde genommen so, wie es nach dem Krieg überall halt war: bescheiden. Und meine Eltern waren damit beschäftigt, uns ein angenehmes Zuhause zu schaffen. Allerdings begleiteten mich die Folgen des 2. Weltkrieges und auch wegen der Kriegsbeschädigung meines Vater in meiner Kindheit und Jugend stets.

Mülheim oder Oberhausen?

Mein Großvater hatte von seinem Vater viel Land geerbt. Das Haus meiner Großeltern war nicht zerbombt, nur das Haus daneben. Wir lebten zum Teil in Oberhausen und zur anderen Hälfte in Mülheim, weil durch das Grundstück meines Großvaters die Grenze Oberhausen/Mülheim ging. Felder beherrschten die Gegend, und es gab drei große Bauernhöfe. Diese lagen – aus der damaligen Kindersicht  – relativ weit von uns entfernt, und die Straßen waren minimalistisch bebaut. So gab es das Haus von meinen Großeltern und rechts und links noch eines. Es folgten zwei große leere Grundstücke, dann folgten noch auf der gleichen Seite drei weitere Häuser, und schon war man an der ehemaligen B1, der heutigen A40. Die damalige B1 wies zwei unübersichtliche Kurven auf, was eine gefährliche Angelegenheit war, falls mal ein Auto kam. 

Ich wuchs in den 1950er Jahren in der damaligen Janshofstraße auf. Bis rauf zur Mellinghofer Straße / Kämpchenshof gab es nur Felder, unterbrochen von einigen Feldwegen, mal schmaler Art, mal von breiterem Format. Die nächsten Häuser standen dann in Richtung Mellinghofer Straße / Gathestraße.  Man musste also, um in die Stadt nach Oberhausen oder nach Mülheim zu kommen, lange Fußwege in Kauf nehmen. Es gab keine Möglichkeit in der näheren Umgebung, einen Bus oder eine Bahn zu benutzen.  

Heute verläuft an dieser Stelle die viel befahrene A40, welche höher gelegt wurde, als unsere Straße damals war. Als ich dort aufwuchs, gab es dort noch eine große Einsamkeit mit wenig Bebauung und keinerlei Industrieanlagen und Geschäftszentren, wie man es heute an dieser Stelle findet. Es herrschte vielmehr eine Idylle, auch wenn es deswegen etliche Einschränkungen im Alltagsleben gab.

Wohnen von 1947 – 1951 

Meine Eltern hatten nach ihrer Heirat 1947 die Möglichkeit, im Haus meines Großvaters ein Zimmer zu beziehen, welches mit Wasser und Strom versehen war. Allerdings gab es noch keine Kanalisation. Das Abwasser wurde in einer Sickergrube aufgefangen, die regelmäßig abgepumpt werden musste. Der Ausbau der Infrastruktur begann erst Ende der 1950er Jahre.

Die Mahlzeiten wurden gemeinsam eingenommen, und meine Eltern bekamen so die Möglichkeit, dass sie von den Bezügen meines Vaters Geld für ihre weitere Zukunft beiseite legen konnten.

Wohnen neben den Großeltern 

Als ich 2 Jahre alt war, sind wir in ein kleines Häuschen, welches auf dem Nachbargrundstück auf der Mülheimer Seite stand, gezogen. Es hatte keinen Keller, bestand aus einer winzigen Küche, einer kleinen Diele, einem Wohn- und einem Schlafzimmer. Die Fenster waren nicht sehr groß, und von draußen waren dunkelgrüne Blenden angebracht, die abends zugemacht wurden und eine Art von Sicherheit darstellten. Der Strom gelangte noch über richtig dicke Überlandleitungen in die Häuser. Unser Keller und auch die Waschküche befanden sich im Nebenhaus. Dort lagerten unsere Vorräte.

Beim Betreten des Häuschen stand man sofort in der kleinen Diele, sie bot Platz für eine Garderobe und ein kleines Tischchen als Ablage von Taschen. Viel Bewegungsfreiheit bot sie nicht, man konnte sich kaum darin umdrehen. 

Links neben der Haustür war die winzige Kochküche. Im Nachhinein ist es für mich rätselhaft, wie meine Mutter dort ihre schmackhaften Gerichte zaubern konnte, insbesondere dann, wenn wir Gäste hatten. 

Weil wir kein Badezimmer besaßen, wurde für mich abends eine kleine Badewanne in diese „Küche“ gestellt, damit ich nach dem Spielen gewaschen werden konnte. In der Küche gab es einen Spülstein mit einem Mülleimer darunter, einen Küchenschrank, einen elektrischen Herd, noch ein kleines Schränkchen, eine  kleine Arbeitsplatte und einige Regale an den Wänden. 

Das Haus war nicht unterkellert und deswegen natürlich im Winter sehr fußkalt. Aber wir hatten ja den schönen Kachelofen und Teppiche auf den Dielenböden. Wenn ich vom Spielen nach Hause kam, setzte ich mich in den Sessel, der in der Nähe des Ofens stand. Dann las ich oder handarbeitete oder unterhielt mich mit meiner Mutter. Auf dem Kachelofen stand immer schon meine Milchsuppe, entweder Milchreis oder mit Haferflocken. Das wurde auf der kleinen Oberfläche, die zur Verfügung stand, warmgehalten oder gegart. Meine Mutter gab dann  noch einen Stich Butter und Obst dazu. 

In unserem Wohnzimmer war Platz für eine komplette Wohnzimmereinrichtung mit Wohnzimmerschrank, Couch, drei Sesseln, einem Tisch sowie einer Musiktruhe. In der einen Ecke stand ein kleiner Kachelofen, der an kalten Tagen mit Holz und Kohlen beheizt wurde und eine kuschelige Wärme verbreitete. Das Wohnzimmer war der Mittelpunkt unseres Zusammenseins, wo wir uns aufhielten, wo wir aßen, bastelten, handarbeiteten, lasen und Spiele spielten und unser Alltagsleben stattfand. Im Wohnzimmerschrank auf der linken Seite bekam ich ein ziemlich großes Fach, wo meine Spielsachen unterkommen konnten. 

Das Schlafzimmer war so, wie man sich Schlafzimmer seinerzeit eben eingerichtet hatte. An einer Wand stand noch mein Kinderbett.

Unser Plumpsklo

Mit einer Toilette im heutigen Sinne konnten wir nicht aufwarten. Wir hatten das sogenannte „Plumpsklo“, was  zur damaligen Zeit bei uns und in unserer Nachbarschaft Standard war, da die Infrastruktur derartig vernachlässigt und die Kanalisation noch nicht verlegt worden war. Auch die umliegende Bebauung war damals ja noch sehr karg. 

Zur Toilette mussten wir ums Haus herumgehen. Unser Plumpsklo war für damalige Verhältnisse schon feudal. Es war ein kleines Steinhaus. Der Sitz selbst war aus edlerem Holz gearbeitet, nicht so, wie ich das bei anderen kennengelernt hatte aus irgendwelchen Billigmaterialien, sondern es war ein glattes glänzendes Holz; man kriegte also keine Splitter in den Po, wenn man sich darauf setzte, und es konnte sogar gut gereinigt werden. Aus dem gleichem Material war der Holzdeckel. Der Boden war mit Linoleum ausgelegt und konnte somit auch gut gereinigt werden. Da kein Strom lag, standen zwei dicke Kerzen bereit nebst Streichhölzern zum Anzünden. Ein kleines Fenster sorgte am Tag für etwas Helligkeit.

Aber es lag außerhalb des Hauses. Wenn man abends spät im Dunkeln rausmusste, war es stockfinster, denn es gab absolut keine andere Lichtquelle (z. B. Straßenlaterne). In meinen ersten Kinderjahren durfte ich natürlich nachts nicht alleine ums Haus gehen, da musste ich das sogenannte „Thrönchen“ (Kindertopf) benutzen – heute wahrscheinlich unvorstellbar, aber es war halt so.

Wenn meine Mutter das Plumpsklo reinigte, sagte sie manches Mal scherzhaft. „Was habe ich mir angetan, dass ich von Hamburg nach Dümpten kam. Ich bin vom Regen in die Traufe gekommen, von einer riesigen großen 5-Zimmerwohnung mit 2 Bädern auf ein Kuhdorf, wo ich ein Plumpsklo benutzen muss!“ Dann haben wir herzhaft gelacht. – Sie war mit meinem Vater verheiratet und glücklich, da war das Plumpsklo eine Nebensache. 

Die dazu gehörende Sickergrube befand sich unter einer großen Betonplatte auf dem Hof, in der das Wasser aufgefangen wurde und in regelmäßigen Abständen abgepumpt werden musste, eine zu der Zeit übliche Verrichtung, die mehrmals im Jahr stattfand. Erst etwa im Jahr 1957/1958 begann die Verlegung der Abwasserkanäle in unserer Straße. 

Zink- oder Badewanne?

Meine Großeltern kamen früher in den Genuss, dem Abwasser-Kanal System von Oberhausen angeschlossen zu werden, so dass wir zum Duschen durch den Garten in das neue Badezimmer meiner Großeltern gingen. Zuvor war immer das wöchentliche Baden in der großen Zinkwanne angesagt, und das war etwas, was ich nicht mochte. Wenn wir Kinder – mein Cousine und ich – zum Zeitpunkt des Badens bei den Großeltern waren, sollten auch wir die Badewanne nutzen. Dies hieß immer: Oma zuerst in die Badewanne, dann kam der Opa und zum Schluss sollten wir in das gebrauchte Wasser steigen. Dagegen wehrte ich mich mit Händen und Füßen und machte es einfach nicht. 

Meine Oma war immer sehr erbost, wenn ich Wert darauf legte, eigenes Wasser eingelassen zu bekommen. Jegliches gute Zureden und sämtliche Versprechungen auf Bonbons konnten mich nicht dazu bringen, in die Wanne zu steigen. Ich fand das so ekelhaft, und mir sträuben sich heute noch die Haare, wenn ich daran denke.  

Meine Eltern hatten Verständnis für mich und sorgten dafür, dass ich das nie brauchte. Waren meine Eltern nicht zu Hause und es war der sogenannte Badetag, versuchte meine Oma zwar immer wieder, mich unbedingt da reinzusetzen. Vergeblich! Ich wusch mich lieber mit dem Waschlappen. Richtig gewaschen wurde ich dann zu Hause.

Eingeschlossen bei Schneeverwehungen

In Richtung Mülheim zur Mellinghofer Straße hin führte der Weg in den 1950er Jahren nur durch eine Landschaft mit vielen Feldern. Insofern wohnten wir recht ländlich, was sich insbesondere im Winter erschwerend bemerkbar machte. Bei heftigen Schneeverwehungen verschwand unser Haus dreimal regelrecht hinter einer Schneewand, sodass ich tageweise nicht zur Schule konnte, weil auch niemand kam, der diese hohe Schneewand entfernte. Meine Eltern waren ebenfalls machtlos, denn wir besaßen kein Telefon, es konnte keine Hilfe von außen angefordert werden. 

Weil das Haus keinen Keller hatte und nicht alle Räume  beheizt werden konnten, sind bei tagelangem Frost die Wasserrohre zugefroren, sodass wir kein Wasser hatten. Auch bildeten sich in den Zimmern, in denen kein Kohleofen Wärme verbreiten konnte, Eisblumen an den Fensterscheiben. Bei drohendem Frost legte meine Mutter stets sicherheitshalber ein paar Wasser-Vorräte an.

Aber dennoch haben wir uns wohl gefühlt, und wenn wir eingeschneit waren, war es noch heimeliger, denn es war noch ruhiger, als es sonst schon war. Es war sowieso eine absolut ruhige Wohngegend, da damals die ehemalige B1 nur wenig frequentiert wurde, und meist nur Pferdefuhrwerke durch die Straße fuhren.  

Jutta Loose
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