Flakhelfer
Bis 1942 war die Versorgung der Bevölkerung in Mülheim durch entsprechende Lebensmittelkarten gewährleistet. Alles änderte sich nach dem großen Luftangriff vom 22. auf den 23. Juni 1943, den auch Horst Heckmann in der Heinrichstraße erlebte. Es geschah alles so plötzlich, dass keine Zeit mehr blieb, den Bunker aufzusuchen. Er und seine Familie sahen vom Fenster aus, wie eine Leuchtrakete aufstieg, der jede Menge „Christbäume“ folgten. Es wurde taghell, und jedem war klar, heute ist Mülheim dran. Die Deutschen Röhrenwerke, die heute noch existierende Friedrich-Wilhelms Hütte, das Reichsbahnausbesserungswerk sowie der Eisenbahnknotenpunkt der märkischen und rheinischen Trassen waren die Angriffspunkte.
Während die Flak schoss, hörte man schon die ersten Flugzeuge anbrausen, und sofort flogen Splitter durch die Gegend. Man konnte nicht mehr vor die Tür, um einen Luftschutzraum zu erreichen. Alle blieben deshalb im Keller; die Jungen aber waren neugierig und schauten sich dann doch alles an, denn von Heißen aus hatte man einen wunderbaren Blick auf die Stadt, die ja im Tal lag. Dieses Inferno blieb im Gedächtnis.
Heute noch hat Horst Heckmann ein Tagebuch seines Kateraden Otto Ternieden, einem damals 14- oder 15-jährigen Flakhelfer in Mülheim-Menden, wo die Flakstellung war. Seine letzten Eintragungen lauteten: „Der Lärm am Abend dauerte etwa bis halb zwei. So etwas hatte ich noch nicht mit gemacht. Unsere Batterie verfolgt allein 367 Schuss.“ Ist Ternieden dabei umgekommen?
Nach dem Angriff liefen alle Kameraden von der HJ zur nahe gelegenen Augenklinik, die lichterloh brannte. Sie versuchten zu löschen, was mit ihren Feuerpatschen möglich war. Danach ging es sofort weiter zum Katholischen Krankenhaus. Die Kranken waren in ihren Betten auf die Grünflächen des alten Friedhofs gebracht worden. Aus Pflicht und der Notwendigkeit heraus haben sie geholfen, wo Hilfe benötigt wurde.
Auch die Schule von Horst Heckmann auf der Adolfstraße fiel dem Brand zum Opfer. Die anstehende Klassenarbeit konnten die Schüler vergessen. Die Schule auf der Kaiserstraße lag in Trümmern, nur die Fassaden waren noch da. Alle Schulen in Mülheim wurden geschlossen.
Schwerster Luftangriff auf Mülheim
Überbleibsel
Übrig blieben Dinge aus der Schulzeit, die in ein kleines Köfferchen der Erinnerungen passen: – ein Foto als stolzer Pimpf – seine Schülermütze (bei jeder Versetzung wurde ein Band aufgesetzt) – das Deutsche Lesebuch für Mittelschule, in deren Geschichten genau beschrieben wurde, wie Adolf Hitler die Macht übernommen hatte usw. – das Englischbuch für Mittelschule – Texte, die während des Krieges im Englischunterricht geschrieben wurden – englische Zeitungsausschnitte und Lieder usw. Texte aus dem Kindergottesdienst und Gottesdienstblätter von 1934 an, die später eingebunden wurden.
Emma Heckmann war es sehr wichtig, dass das alles aufbewahrt wurde; es gibt ganze Serien von Gottesdienstblättern aus den Jahr 1944.
Eins meiner vielen Interessen war immer schon, das aktuelle politische Geschehen in einem größeren historischen Zusammenhang zu sehen. Was mit Einzelschicksalen in ihrer jeweiligen Zeit passiert, habe ich schon in die Wiege gelegt bekommen, denn beide Eltern waren nach dem 2. Weltkrieg Flüchtlingskinder, mein Vater sogar noch Kindersoldat. Erst nach meiner Pensionierung konnte ich mich mit den Folgen dieser schrecklichen Zeit in der deutschen Geschichte beschäftigen und damit auch mit den Ursachen.
Bei meiner Arbeit ist mir ganz wichtig, immer auf das Alter der Erzählenden zu achten und immer danach (auch der Zuhörer sich selbst in seiner Biografie) zu fragen, inwieweit das politische Bewusstsein schon vorhanden war; und das ist bei jedem Menschen verschieden. Ich möchte ein Mosaikstückchen dazu beitragen, dass junge Menschen ihr persönliches politisches Bewusstsein bilden können; deshalb ist mir die Arbeit an Schulen eine Herzensangelegenheit.
Die Zeitzeugen fühlen sich manchmal unverstanden, wenn aus dem Heute Rückschlüsse nach Gestern geschlossen werden, frei nach dem Motto Warum habt ihr nichts gemerkt?, Wie konnte das passieren?, usw. Und genau hier ist der Punkt, an dem ein Austausch mit der jüngeren Generation stattfinden kann. Indem es den Zeitzeugen gelingt, dass sich die Schülerinnen und Schüler in die damalige Zeit versuchen hineinzuversetzen, können auch Bilder für das eigene Leben, für die eigene Zukunft entstehen.
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