Schulzeit

Wie schon erwähnt, wohnten wir genau an einer Grenzlinie zwischen Oberhausen und Mülheim an der Ruhr, meine Großeltern auf Oberhausener Seite, meine Eltern auf der Mülheimer Seite. Den Mülheimer Teil des großen Grundstücks, das meinem Großvater gehörte, kauften meine Eltern ihm ja ab. In unserer Straße standen weitere 5 Häuser auf der Mülheimer Seite, im angrenzenden Teil von Oberhausen waren es mit geräumigem Abstand 6 Häuser. Bis zur Stadtmitte von Oberhausen war die Bebauung auf den ersten 2 Kilometern immer noch sehr spärlich. Es gab zwischen den wenigen Häusern viele Freiflächen, meist von hohen Hecken umzäunt. Es war also eine recht einsame Gegend bei uns.

Als die Zeit kam, dass ich zur Schule angemeldet werden sollte, wollten mich meine Eltern den Weg zur Schule nicht alleine gehen lassen, denn ich hätte als Mülheimerin normalerweise in Mülheim-Oberdümpten zur Schule gehen müssen. Der Weg nach Mülheim gestaltete sich jedoch so, dass der Weg im ersten Abschnitt ca. für 30 Minuten nur durch Felder verlief.

Die Volksschule in Oberhausen dagegen war ganz in unserer Nähe. Dieser Weg von unserer Wohnung bis zur Schönefeld Schule betrug höchstens 5 Minuten. Deshalb stellten meine Eltern einen Antrag an der Oberhausener Schule für den anstehenden Schulbesuch. 

Schulbesuch in Oberhausen

Im Herbst 1955 ging meine Mutter mit mir deshalb zum dortigen Rektor. Dieser sprach zunächst mit meiner Mutter und anschließend mit mir. So wollte er wissen, ob ich gerne zur Schule gehen möchte und ob ich schon schreiben könne. Ich musste eine Blume zeichnen und einige kleine Rechenaufgaben lösen: 1+3, 4-2 usw.. Ferner fragte er mich nach persönlichen Dingen, z.B wie oft ich meine Hände waschen würde, wie die Fingernägel auszusehen hätten, wann ich abends ins Bett müsste. Während der gesamten Zeit war er uns freundlich zugewandt. Zum Schluss sah er sich meine Hände an und danach konnten wir, mit dem Hinweis, meine Eltern bekämen Bescheid, wieder gehen.

Nach 2 Wochen Ungewissheit kam die erlösende Nachricht, dass ich in Oberhausen in die Schönefeld Schule gehen konnte, was innerhalb der Familie mit großer Erleichterung aufgenommen wurde. Somit hatte ich nur einen Schulweg von knapp 5 Minuten und fieberte dem Tag meiner Einschulung entgegen; der war endlich 1956 nach den Osterferien.

Einschulung 1956

Für diesen besonderen Tag bekam ich einen Tornister in mittelbraunem Leder und war richtig stolz, als ich ihn zum ersten Mal aufsetzen konnte. Meine Mutter hatte mir viele Tafelläppchen aus weißer Baumwolle gehäkelt. Eines davon hing an einer ebenfalls gehäkelten Schnur außen am Tornister und tanzte bei jedem meiner Schritte hin und her.

In dem Tornister befand sich meine Schiefertafel in einer Schutzhülle, ein Gummidöschen mit einem nassen Schwämmchen zur Reinigung der Tafel, ausserdem eine Griffeldose mit Einschulungentsprechenden Griffeln sowie meine Fibel.

Zur damaligen Zeit war es so, dass nur ein Elternteil das Kind zur Einschulung begleitete. Somit ging meine Mutter mit mir zur Schule. Wir wurden in meinen zukünftigen Klassenraum geführt. Ich aber war gänzlich enttäuscht, denn ich hatte mir meine Schulklasse ganz anders vorgestellt. 

Danach mussten die Mütter und Väter die Klasse verlassen. In den nächsten beiden Stunden wurden uns Verhaltensregeln aufgezeigt, der Stundenplan ausgehändigt und weitere Dinge erklärt. Danach wurden vor der Schule von einem Fotografen noch Bilder gemacht, die einige Tage später in seinem Atelier abgeholt werden konnten.

Ab jetzt an so einem verschmutzten Platz sitzen zu müssen, beschäftigte mich die gesamte Zeit, und ich konnte kaum zuhören. Meine Stimmung besserte sich erst, als meine Mutter mich mit einer großen Schultüte abholte. Andächtig trug ich sie nach Hause, denn nun konnte jeder sehen, dass ich eine Schülerin war.

Schönefeld Schule

Die Schönefeld Schule war eine sehr kleine und alte Schule mit 4 Klassenzimmern für die unteren Stufen, einer Aula im alten Teil der Schule und einem Anbau für die höheren Klassen. Die Aula wurde seinerzeit ebenfalls als Klassenzimmer genutzt, wenn keinerlei andere Aktivitäten stattfanden. Zwar hatte  die Schule ein großes Portal zur Straßenseite hin, aber wir gingen durch einen Seiteneingang hinein. Dies war ein aus Glasbausteinen bestehender lang gezogener Gang mit Überdachung, an dessen Ende die Toiletten für uns Schüler und das Lehrerkollegium waren. Der Gang war wie eine Arkade zum Schulhof hin offen. 

Jeden Morgen zum Schulbeginn und nach der täglichen großen Pause mussten wir uns auf dem Schulhof nach dem Läuten unserer Klassenzugehörigkeit entsprechend in Zweierreihen aufstellen. Danach wurden wir von unserem Lehrpersonal in die Klasse geordnet begleitet. Die Klassenräume mit ihren hohen Decken wirkten durch ihre hohen und zahlreichen Fenster recht hell.

Die Lehrer

Meine erste Lehrerin unterrichtete uns nur eine kurze Zeit. Sie war sehr streng, hatte ständig den Zeigestock in der Hand und drohte uns, dass diejenigen diesen Stock zu spüren bekämen, die nicht gehorsam wären, den Unterricht störten oder die  Hausaufgaben nicht machten. Nach etwa 3 Wochen hieß es, sie sei erkrankt. Sie kam nie wieder und damit auch nicht mehr die Drohgebärden mit dem Zeigestock. 

Einige Monate später bekamen wir eine neue Klassenlehrerin, die wir Schüler alle auf Anhieb mochten. Bis dahin unterrichtete uns meist unser Rektor. 

Unser Rektor war schon älter, wirkte unnahbar, und wir bekamen ihn kaum zu sehen. Bei ihm mussten wir unter seiner Aufsicht die Sütterlin-Schrift erlernen, was vielen sehr schwer fiel. Besonders das Lesen solcher Texte brachte einige an ihre Grenzen. – In meinem späteren Beruf kam mir die erlernte Schriftart zugute, denn extrem viele Patienten schrieben ihre Wünsche und Briefe in dieser Form.

Ein Einzelkind zu sein, war zur damaligen Zeit ungewöhnlich; dabei waren drei Schülerinnen unserer Klasse auch ohne Geschwister. Ich konnte mir nicht erklären, warum uns von unseren älteren Lehrern Vorbehalte entgegengebracht wurden, etwa in der Art, dass Einzelkinder sich einbildeten, etwas Besonderes zu sein, sie könnten schließlich nicht teilen, da sie nicht gelernt hätten, was es bedeutet, in der Gemeinschaft einer Großfamilie zu leben. Dabei habe ich soziales Verhalten von meinen Eltern vorgelebt bekommen.

Eines Tages wurde es mir zu viel, ich fühlte mich ungerecht behandelt. Ich stand auf, stellte mich vor unseren Rektor hin und machte meiner Empörung Luft. Ich fragte ihn ganz ruhig, wo er denn seine Augen hätte, schließlich teilte ich mein Pausenbrot immer wieder zur Hälfte mit einem Schulkameraden. Außerdem würde ich immer wieder meinen Kakao teilen, mein Obst abgeben. Und was ich außerhalb der Klassengemeinschaft täte, könne er ja gar nicht wissen. Ich bat ihn, seine Worte über mich als Einzelkind nicht mehr zu wiederholen. Dann begab ich mich wieder auf meinen Platz. Seither haben meine Schulfreundinnen und ich nie wieder etwas zu diesem Thema gehört. 

Das Lehrerkollegium war insgesamt schon nahe dem Rentenalter und darüber hinaus. Das änderte sich mit meinem 2. Schuljahr. Innerhalb kurzer Zeit wurde das gesamte Lehrerkollegium ausgewechselt, was bedeutete, es folgte eine neue Generation von jungen Lehrern. Ich war sehr froh, dass unsere Klassenlehrerin bleiben konnte. Sie war eine entspannte und eine uns Kindern zugewandte freundliche Person, und wir mochten sie alle. Leider blieb sie nur ein Jahr.

Nichtsdestotrotz fand ich auch die Lehrer, die nach ihr kamen, unheimlich toll, weil sie ein ganz anders Lehrkonzept hatten. Der Unterricht selbst wurde lebhafter, wir wurden auf Dinge eingestimmt, die früher überhaupt nicht denkbar waren. War der Stundenablauf bis dahin eher stupide, so wurde es jetzt abwechslungsreicher. Auch der Umgangston mit uns Schülern wurde lockerer, und wir sahen die Lehrer häufiger freundlich lächeln. Im Unterricht wurden die Themen nun intensiv gemeinsam durchgesprochen; wir haben uns also nicht nur gemeldet, um entweder die richtige oder aber eine falsche Antwort zu geben. Aufsätze wurden nicht nur benotet, sondern wir haben sie vorgelesen. Anschließend konnten die anderen Schüler Stellung dazu beziehen, ob ihnen der Text gefallen hat oder nicht. Es stand auch das Arbeiten in Gruppen an, wo jeweils 4 bis 6 Schüler ein bestimmtes Thema bearbeiteten und einer anschließend der Klasse darüber berichtete. An heißen Sommertagen wurde der Unterricht auch schon mal nach draußen verlegt, was wir besonders mochten. 

Auch unser neue Rektor war uns Schülern gegenüber freundlich zugewandt. Er war bedeutend jünger als sein Vorgänger und hatte immer ein offenes Ohr für die Bedürfnisse und Wünsche für uns Schüler. Selbst wenn man ihn nach Schulschluss auf der Straße traf, grüßte er nicht nur freundlich, sondern unterhielt sich auch mit uns, was für uns eine neue Art der Begegnung war. Außerdem organisierte er Schulfeste, war bei den Bundes-Jugendspielen, die wir absolvierten, anwesend. Auch in den großen Pausen war er oft auf dem Schulhof, sodass er dort auch für uns zu sprechen war. – Mit den neuen Lehrern zog auch eine neue Bestuhlung ein, das gesamte Klassenzimmer änderte sich.

Negative Erfahrungen mit meinen Lehrerinnen und Lehrern machte ich während meiner gesamten Schulzeit keine. Ich erfuhr nie Strafen, wurde nicht im negativen Stil ermahnt oder gemaßregelt und mußte auch nie Nachsitzen. 

Allerdings gab es eine Ausnahme: Ich mußte einige Male, wenn ich einen Lachkrampf bekam, vor die Klassentür gehen, bis dieser vorbei war. Aber dies war keine Strafe, sondern ich lachte ja nicht alleine; aber die schlimmste „Lachtaube“ musste den Raum halt verlassen. Manches Mal standen wir sogar zu Dritt dort.

Betonen möchte ich noch, dass ich persönlich nichts Negatives an Erfahrungen mit unserem älteren Rektor erlebt habe, ausser der Sache mit den Einzelkindern. Ich fand es schade, dass der Kontakt zu ihm mehr als dürftig war.

Der Unterricht

An unsere Handarbeitsstunden erinnere ich mich gerne. Die wurden nach dem Auswechseln des Lehrkörpers nämlich auch schöner. Damals besuchten nur die Mädels den Handarbeitsunterricht. Eine junge Lehrerin brachte uns vom Flicken, Stopfen und Häkeln weg und erarbeitete mit uns andere Formen der Handarbeit. So gehörte auch die Kreativität und die Anregung der Phantasie für bestimmte Arbeiten, wie z. B. Gestaltung und Entwurf einer Tischdecke oder Patchwork-Arbeiten, dazu. Auch war es uns möglich, dass wir Wünsche äußern konnten, welche Art der Handarbeit wir gerne ausführen würden. Wer nicht stricken konnte, dafür aber lieber häkelte, konnte dies tun. Dies wäre zuvor undenkbar gewesen. Einige von uns Mädels wollten gerne das Nähen erlernen, so konnte sich jede ein gewisses Teil aussuchen, welches sie anfertigen wollte.

Als das Schreiben mit dem Griffel auf der Schiefertafel eingestellt wurde, durfte ich mir einen wunderschönen Füllfederhaltern in dem bekannten Schreibwarengeschäft Gentzsch in Oberhausen aussuchen. Dieser Füller begleitete mich während meiner gesamten Schulzeit. Selbst dann, als es die moderneren Füller gab, bei denen die Feder nur halb zu sehen war, benutzte ich meinen ersten Füllfederhalter, besonders beim Schreiben von Klassenarbeiten und Briefen, da er so gut in der Hand lag und eine hervorragende Goldfeder besaß und mit Leichtigkeit über das Papier glitt.

Jutta Loose
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