Ich bin den Krieg eigentlich erst 1958 richtig innerlich losgeworden, als wir mit den Roten Falken nach Brüssel fahren konnten, wo eine riesige Versammlung war. Vorher, das war schwer. Dazu kam etwas, das sollte man vielleicht auch wissen, die ganzen 1950er Jahre hatte ich Angst vor dem nächsten Krieg. Da war nämlich immer so viel im Umfeld, die Sowjets, die Amerikaner, alle mit ihren schweren Atomwaffen.
Dann bauten sie sogar bei uns die Armee wieder auf. Ich wollte damals sogar aus Deutschland abhauen, in die USA, weil ich hier kein Soldat werden wollte. Die Schnauze hatte ich voll, ich habe als Kind gesehen, was das bedeutet. Ich war 6 Wochen zu alt, deshalb konnte ich hier bleiben und wurde nicht eingezogen. Aber das ganze Leben, das hatte eine ganz andere Sicht. Auch die Arbeit, wenn man morgens um 6 Uhr anfing als 13- oder 14-Jähriger, kam dann knapp vor 5 Uhr abends nach Hause, da hat man erst ein paar Stunden geschlafen, und es dauerte fast 1 ½ Jahre, bis sich der Körper dran gewöhnt hatte.
Im November 2011 war ich Mitbegründerin der Zeitzeugenbörse Mülheim an der Ruhr.
Eins meiner vielen Interessen war immer schon, das aktuelle politische Geschehen in einem größeren historischen Zusammenhang zu sehen. Was mit Einzelschicksalen in ihrer jeweiligen Zeit passiert, habe ich schon in die Wiege gelegt bekommen, denn beide Eltern waren nach dem 2. Weltkrieg Flüchtlingskinder, mein Vater sogar noch Kindersoldat. Erst nach meiner Pensionierung konnte ich mich mit den Folgen dieser schrecklichen Zeit in der deutschen Geschichte beschäftigen und damit auch mit den Ursachen.
Bei meiner Arbeit ist mir ganz wichtig, immer auf das Alter der Erzählenden zu achten und immer danach (auch der Zuhörer sich selbst in seiner Biografie) zu fragen, inwieweit das politische Bewusstsein schon vorhanden war; und das ist bei jedem Menschen verschieden. Ich möchte ein Mosaikstückchen dazu beitragen, dass junge Menschen ihr persönliches politisches Bewusstsein bilden können; deshalb ist mir die Arbeit an Schulen eine Herzensangelegenheit.
Die Zeitzeugen fühlen sich manchmal unverstanden, wenn aus dem Heute Rückschlüsse nach Gestern geschlossen werden, frei nach dem Motto Warum habt ihr nichts gemerkt?, Wie konnte das passieren?, usw. Und genau hier ist der Punkt, an dem ein Austausch mit der jüngeren Generation stattfinden kann. Indem es den Zeitzeugen gelingt, dass sich die Schülerinnen und Schüler in die damalige Zeit versuchen hineinzuversetzen, können auch Bilder für das eigene Leben, für die eigene Zukunft entstehen.