Willkommen im Wirtschaftswunderland

Dann wurden für die Baustellen im Ruhrgebiet und Umgebung über die Feiertage immer Monteure gesucht. Das Wirtschaftswunder verlangte, dass die Werke voll in Betrieb sein sollten. Deswegen wurde es notwendig, an den Feiertagen die anfälligen Wartungen und Reparaturen in den Berg-, Walz- und sonstigen Werken durchzuführen. Mein Arbeitgeber war damals der AEG-Generator-Bau. Ich war damals froh, die harte und sehr beschwerliche Arbeit annehmen zu können. So verbrachte ich die nächsten fünf ‚heiligen Nächte‘ in Ruhrort oder Bochum. Von 19 Uhr bis 7 Uhr in der Früh ging die Schicht.

Es wurde hart gearbeitet, gut bezahlt, und die Kollegen weinten nicht, so wie meine Familienmitglieder zu Hause. Zwischen meinem 19. und 24. Lebensjahr hatte ich Weihnachten zu arbeiten. Da es in der damaligen Zeit noch kein Urlaubsgeld gab, konnte ich damals meine sommerlichen Radtouren vom Weihnachts-Mehrverdienst finanzieren.

Arbeitskollegen unter sich

Es hat uns nichts geschadet, dass wir hart arbeiten mußten. Ich bin in einer großen Firma ausgebildet worden, und später beim Einsatz im Kraftwerk musste man unbedingt zu den Kollegen Vertrauen haben, denn unsere Arbeit war lebensgefährlich. Folgende Dinge gehörten mit zur Disziplin, wenn es da hieß: Zeigt mal eben die Hände, ob die kräftig und schwielig sind. Das haben wir nie irgendwie übel genommen, das war einfach normal, das war auch wichtig in unserem Sinne. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass die Männer keine andere Arbeiten hatten, nicht so sehr zu Hause beschäftigt waren. Draußen auf den Baustellen waren die Kollegen äußerst wichtig. Wir haben 4 Tote in einem Jahr gehabt, als ich die Lehre beendet hatte. Darunter waren zwei – die kamen nicht von hier, die kamen aus dem Saarland – die haben nicht mitgespielt. An solchen Ereignissen wächst man – es ist selbstverständlich, diszipliniert mit den Kollegen zu arbeiten.

Kraftwerks Union

In den letzten Jahren meines Berufslebens arbeitete ich bei der KWU (Kraftwerks Union) in Mülheim. Wir testeten unter anderem neu entwickelte Generatoren mit Supraleitung. Supraleitung bedeutet, dass in den Kabeln und Wicklungen des Generators ganz tiefe Temperaturen verwendet werden, daher geringer elektrischer Widerstand. Dadurch können die Maschinen deutlich kleiner und leichter gebaut werden. Supraleitende Maschinen brauchen aber eine Kühlung durch flüssiges Helium. Dies heißt wieder eine umfangreiche Anlage zur Herstellung des flüssigen Heliums. Die Betreuung der Test- und Mess-Stände während der Entwicklungsarbeiten war Teil meiner Aufgaben bei der KWU.

Werkswohnungen

Werkswohnungen gehörten der Firma und wurden in der Firma selbst verteilt. Ich habe auch in mehreren gewohnt. Da gab es eine ganz interessante Sache in den 1960er Jahren, denn es war hier sehr, sehr schwer Wohnungen zu bekommen; die Wohnungsnot nach dem Krieg war einfach groß. 

Wir hatten dann Arbeiten bei der AEG, Konkurrenz von Siemens – später sind wir zusammengeführt worden. Dann war mein Kollege so weit, der ging zum Chef und sagte: „Ich brauche eine Wohnung.“ Der war ein bisschen dumm, der Mann, hatte auch bei seiner Arbeit nicht besonders viel geleistet. „Wenn Sie mir keine Werkswohnung geben, werde ich sofort kündigen.“ Wobei das damals so war, Facharbeiter, die wurden dringend gebraucht, da war vor jeder großen Firma ein großes Schild: Wir brauchen Maschinenschlosser, Dreher und Schweißer usw. 

Von der Firmenseite her wurden wir nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst, aber man wurde gut behandelt. Dann sagte der Chef: „Nein, erpressen lassen wir uns nicht, wenn Sie gehen wollen, dann gehen Sie.“ Jetzt kam ich an der Reihe, bin zu dem gleichen Chef hin und sagte: „Ich brauche ein Zwischenzeugnis.“ –„Wie“, sagte der, „Sie wollen aufhören?“ Meine Mutter wohnte noch in einer Firmenwohnung, das war auch eine Werkswohnung von der Hütte, die ich gerne gehabt hätte. „Ich werde heiraten im kommenden Jahr, und meine Mutter wohnt in einer Wohnung, die dem Werk gehört“, erwiderte ich. Da versicherte er mir, sie hätten lieber einen Arbeitenden drin als eine alte Frau. „Ja“, sagt er, „wollen Sie denn unbedingt ein Zeugnis? Wenn ich mich jetzt hier um Sie bemühe, bleiben Sie dann bei uns?“ Zwei Tage später wurde ich zu dem Fachmann gerufen, der das Ganze bearbeitete, und der tat dann so, als hätte ich mich schon vor mehr als zwei Jahre angemeldet … und: 3 Monate später hatte ich eine Wohnung von unserer Abteilung!

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