Fremdarbeiter auf einem Bauernhof

Pommern 1940 – 1945

Meine Eltern hatten einen Bauernhof von etwa 40 bis 60 Morgen Land, 10/12 Hektar so in der Richtung, und sie brauchten immer Hilfskräfte zum Bewirtschaften. Zum Haushalt gehörten meine Eltern, meine Oma und wir zwei Töchter.  Nach der Kriegserklärung wurden die männlichen Helfer bereits eingezogen und durch Fremdarbeiter ersetzt.

Wir hatten zunächst einen jungen Mann aus Oberschlesien bei uns als Hilfe für den Hof, er wurde später eingezogen. Er war Volksdeutscher (3).Dann war noch der Kurt da, der sich bald zum Militär meldete. Ein Jahr später kriegten wir einen Ukrainer, Michel. Der konnte auch kein Deutsch, aber er konnte mit Pferden umgehen. Mein Vater war ein höflicher Mensch, und so brachte er ihm allerlei Arbeiten bei, und er begriff schnell. Es war ein gutes Arbeitsklima, denke ich mal. Arbeitskleidung hatten beide nicht, die mußte für ihn und dieses Hausmädchen besorgt werden. Kleiderkarten, glaube ich, gab es auch dafür (4). Der Ukrainer kriegte  einen Arbeitsanzug. 

Als im November 1939 zudem noch mein Bruder geboren wurde, wurde meiner Mutter die Arbeit zu viel. Ich nehme an, sie hat dann einen Antrag bei der NS-Frauenorganisationen gestellt, wo sie Mitglied war. Wir bekamen eine Polin, ein 15-jähriges Mädchen, als Hilfe für den Haushalt. Sie sprach kein Deutsch, und wir konnten kein Polnisch. Wir haben uns aber gut vertragen, und sie hat sich nach und nach auch eingelebt. Aber sie hatte viel Heimweh. Wenn man 15 ist und entfernt von der Familie, dann ist das Heimweh sehr groß. Wir Kinder hingen sehr an ihr und haben mehr mit ihr gespielt als wir eigentlich durften; da ging es ihr besser. Sie begleitete uns auch zur Schule, transportierte den Tornister auf dem Fahrrad und andere Dinge. Die Verständigung war zunächst sehr schlecht, aber so allmählich kam das mit der Sprache. Wir haben gegenseitig bald Polnisch/Deutsch gelernt. Sie hat uns polnische Lieder vorgesungen, wir haben diese nachgesungen; und sie hat dann die deutschen Lieder und die deutsche Sprache geübt, das war dann eigentlich ein ganz gutes Verhältnis. 

Unsere Familie hat Pella, so hieß sie bei uns, sehr gemocht. Deswegen kaufte meine Mutter ihr eine Fahrkarte und ermöglichte ihr so eine Reise nach Gollub in Westpreußen (1), denn sie hatte schweres Heimweh. Sie musste irgendwie begründen, warum Pella nicht mehr zu sehen war und erzählte überall, Pella sei schwer krank und läge oben im Bett. 

Bei unserer Pella fällt mir noch ein, sie musste immer in der Öffentlichkeit ein P (2)auf der Jacke tragen – das mussten die Polen alle, damit jeder sah, das ist ein Pole. Sie hatte das  Zeichen so angenäht, dass, wenn jemand kam, sie den Kragen hochmachte und derjenige konnte  dann das P sehen. Danach klappte sie den Kragen wieder runter  und verdeckte das P wieder. Aber ansonsten war das keine  so schlechte Zeit für sie – denke ich. Wir haben uns immer gut mit ihr verstanden.

Der Winter war sehr kalt und es fiel auch bald Schnee. Weil beide Schlafräume, d.h. der von Pella und Michel, nicht beheizt werden konnten, waren sie oft bei uns in der Hinterstube, das war das alte Wohnzimmer. Der Michel hielt sich auch oft im Pferdestall auf.

Weil wir den Verkauf unserer Produkte  nicht auf der Straße hatten, fuhren wir  mit Pferd und Wagen in die Stadt und verkauften dort. Der Michel, der fuhr dann mit, den Anzug zu kaufen. Er ging mit meiner Mutter ins Geschäft, dann wurde anprobiert. Er  zog die Jacke an – ganz vorsichtig – meine Mutter hatte Angst, er reißt die Nähte alle auseinander, weil er so kräftig war. – Nach einem Jahr wurde Michel ausgewechselt, er kam zu einer anderen Stelle. Das wurde ganz willkürlich gehandhabt.

 Als nächstes bekamen wir einen französischen Arbeiter. Ja, das war ein ganz feiner Herr! Er hatte studiert, war Rechtsanwalt, und er durfte auch nicht bei uns auf dem Hof  oder in einem unserer Gebäude schlafen. Er musste ins Lager gehen. Jeden Abend um 6 Uhr marschierte er ins Dorf ins Lager und morgens um 8 war er wieder da. Am Samstag war sein letzter Arbeitstag, Sonntag hatte er frei, dann ging er mit Pomade im Haar und schick gekleidet in die Stadt Kolberg, die schon damals eine Bäderstadt war. Er sprach nie mit uns Kindern. Wir haben ihn mal gefragt, wie er denn heißt. Da hat er sich totgelacht, da wir  seinen Namen nicht aussprechen konnten. Diese Nasallaute waren uns fremd. Er hieß Claude Longrivin – heute kann ich das aussprechen, aber wir haben lange ‚Reveng‘ gesagt. 

Die Franzosen hatten eine Sondergenehmigung, sie durften auch Post erhalten,  auch Pakete mit Schokolade aus Frankreich bekamen sie geschickt, aber er gab uns nie ein Stückchen davon ab.  Aber bei meinem Onkel nebenan, da war jemand, dem wir geholfen haben Kartoffeln aufzusammeln oder irgendwelche Kleinigkeiten, und er hatte dann immer ein Stückchen Schokolade für uns. Also, das war schon toll.

 Als die Front immer näher kam, ging alles ein bisschen durcheinander bei uns. Die Fremdarbeiter, die setzen sich ab, und dann kamen die Russen. Die räuberten in den Häusern herum, durchwühlten alles, bestahlen uns und holten das Vieh aus dem Stall. Wir konnten noch was retten – aber die Zeit war so. Die Russen sagten: zapzerrap.  Jeder nahm mit, was er brauchen konnte. Wenn wir unterwegs waren und ein Schaf sahen, wurde es mit genommen und zu Hause geschlachtet.

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