Überleben in der Nachkriegszeit

Nach Beendigung des Krieges wurde die Versorgung der Bevölkerung katastrophal. Manchmal gab es Lichtblicke. In Selbeck an einem Tag Ende 1945 kam Bauer Kocks – den Hof gibt es heute noch – zu uns in die Schule und bat beim Rektor um Hilfskräfte zum Kartoffelauflesen. Die komplette Klasse war natürlich bereit und auch sofort. Wir haben als Lohn für diese Arbeit jeden Tag 10 kg Kartoffeln bekommen. Es waren aber immerhin 6 bis 7 Stunden Arbeit. Gut, wir freuten uns jedenfalls damals sehr in 3 Tagen 30 kg Kartoffeln mit nach Hause zu nehmen.

Schwarzmarkt

Es entwickelte sich ein gut florierender Schwarzmarkt, bei dem man alles noch Brauchbare  in Lebensmittel umtauschen konnte. Es war zwar streng verboten und es wurden auch schon mal von der Polizei – Militärpolizei – Razzien gestartet und alles wurde beschlagnahmt. Es kam oft vor, dass man sich mitten in der Nacht beim Bäcker anstellte, um morgens ein Brot auf Brotmarke zu bekommen. Trotz  der Brotmarke konnte es aber geschehen, dass der letzte Anstehende kein Brot mehr bekam und man hungrig nach Hause ging, da der Bäcker kein Mehl mehr hatte, um mehr Brote zu backen.

Hamsterfahrten

Im Spätherbst des Jahrs 1946 bekamen meine Mutter und ich im Elternhaus meiner Mutter eine 2 Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von gerade mal 12 qm (wobei die Wände noch schräg waren) in einem Pastorratshaus.

Derzeit fuhr meine Mutter mit ihrer Schwester monatelang jeden Montag ins Paderborner Land, um dort bei einem Bauern 3 Tage zu arbeiten. Nicht für Geld, sondern für Lebensmittel, sei es Kartoffeln, Gemüse oder auch schon mal für ein Stück Fleisch. Sie mussten sich jedes Mal beim Bürgermeister des jeweiligen Ortes eine Bescheinigung besorgen, dass es keine Hamsterware war, sondern Deputat, also Arbeitslohn, war. Auf der Bahnfahrt nach Hause wurden auf vielen Bahnhöfen Razzien abgehalten, wobei alle sogenannte Hamsterware beschlagnahmt wurde. Dank dieser Bescheinigung vom Bürgermeister kam meine Mutter aber immer ungeschoren nach Hause.

Das heißt aber nicht, dass wir immer satt wurden. Meine Mutter und alle Menschen mussten ihre Zeit mit Tricks und „Organisationen“ einsetzen – organisieren war ein Hauptwort in dieser Zeit – um über die Runden  zu kommen. 

Getränke

Was gab es zu trinken? Wasser und ein Gebräu mit dem Namen „Muckefuck“. Muckefuck war ein Kaffee aus gerösteter Gerste. Später hieß dieses Getränk Kathreiner Malzkaffee. Eine kurze Anekdote dieser Zeit: Es gab ja schon wieder Gaststätten, jedoch das Bier hatte keinen Alkoholgehalt. Man schickte eine Probe an eine Lebensmitteluntersuchungsstelle. Das Ergebnis dieser Untersuchung – ihr Pferd ist hochgradig zuckerkrank.

Herr Rübenkamp spricht über das Organisieren von Essen und Lebensmitteln in der Vorkriegszeit

Lebensmittelkarten nach 1945

Landwirte und Leute mit großen Gärten wurden als Selbstversorger eingestuft und bekamen nur Lebensmittelkarten für Nahrungsmittel, die sie selbst nicht erzeugen konnten, Zucker, Salz, Mehl usw. 

Die Ausgabe von Lebensmittelkarten endete erst 1950, obwohl die Währungsreform 1948 stattgefunden hatte. Anekdote: 1945 auf unserer Flucht aus der Tschechei hatten wir quasi gar nichts zu essen. Die Aufteilung des Brotes beim Bauern Biebl war problematisch, denn man hatte keine Waage und jeder dachte: bloß nicht kleiner. Ein Brot in 12 gerechte Teile aufzuschneiden war nicht einfach. Der eine hatte eine Scheibe von 150g und der andere von143 g. Dies war, wenn man Hunger hatte,  schon  ein nennenswerter Unterschied. Also war die Aufteilung schon  problematisch.

Hausschlachtung

Ein Onkel von mir hatte 1947 ein Schwein zu schlachten. Es war eine Hausschlachtung. Ich kam von der Arbeit, und die beiden Metzger waren unten in der Waschküche. Im Kessel kochte die  Wurst und die beiden aßen Schwarzbrot mit Bauchspeck. Sie stellten mir die Frage, ob ich auch eine Schnitte wollte. Ich dachte, was die essen, das kannst du auch. Ich habe es gegessen und war anschließend eine ganze Woche todkrank. Mein Körper war nicht mehr an dieses kräftige und fettige Essen gewöhnt. Er konnte eine Tasse Fleischbrühe mit einer Scheibe  Schwarzbrot sowie dickem  Bauchspeck nicht mehr problemlos  verarbeiten. Ich habe gedacht, ich sterbe.

Zugfahrt in die Oberpfalz

Eine andere Begebenheit, welche die damaligen Zustände beschreibt war folgende: Im Sommer wollte ich in meinem Urlaub nach Kitzenried in die Oberpfalz fahren. Um mit der Eisenbahn zu fahren, brauchte man einen Berechtigungsschein. Den gab es auch am Fahrkartenschalter. Ich ging also zum Bahnhof, um mir eine Fahrkarte und einen Berechtigungsschein zu holen. Der Bahnbeamte schaute mich fragend an und erklärte, es gäbe keine Berechtigungsscheine mehr, denn der Zug wäre ausgebucht. Ich ging unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Onkel Felix gab mir eine Packung mit 10 Zigaretten. Mit diesen 10 Zigaretten ging ich wieder zum Bahnhof und zum selben Bahnbeamten. Ich forderte noch einmal einen Berechtigungsschein, legte still und leise die Zigaretten durch den Schalter … und oh Wunder, ich hielt eine Fahrkarte und den Berechtigungsschein in der Hand. 

Herr Rübenkamp spricht über seine Erinnerungen an die Währungsumstellung 1948
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