Wie ich die Zeit von 1948 bis 1972 in der DDR und der späteren BRD erlebte*  

Das Wirtschaftswunder

Währungsreform (DM) in den Westzonen: 20. JUNI 1948 

 

Währungsreform in der Ostzone: 23. Juni 1948 RM gekennzeichnet.  

 

Berliner Blockade vom 24. Juni 1948 bis 12. MAI 1949 

 

Neue Banknoten (Mark der deutschen Notenbank) 24.07.1948 

 

Luftbrücke vom 26. Juni 1948 bis 3. September 1949 

 

Gründung der Bundesrepublik Deutschland 23. Mai 1949 

 

Gründung der DDR 07.10.49 

 

Berliner Mauerbau in der Nacht zum 12. auf den 13. August 1961 

 

 

 

Vorweg: Das sogenannte Wirtschaftswunder fiel nicht urplötzlich vom Himmel, sondern brauchte lange, bis der Begriff „Wunder“ seine endgültige Berechtigung erlangte, auch wenn es sich völlig normal erklären ließ. 

 

Offiziell fand diese „Wundervolle Zeit“ zwischen 1948 bis 1970 statt. 

 

Zum besseren Verständnis bedarf es eines kurzen Rückblicks auf diesen Abschnitt vor dem Wunder, also zwischen 1945 bis 1948. 

 

Deutschland war in Zonen aufgeteilt. 

 

Die Siegermächte bedienten sich unterschiedlicher Vorgehensweisen gemäß ihrer politischen Systeme.  

 

                                               

 

Die westlichen Alliierten betrachteten Deutschland als Wirtschaftsobjekt, welches schnellstens wieder funktionsfähig gemacht werden sollte. 

 

Die Sowjetunion dagegen war bestrebt, möglichst viele Reparationen herauszuholen, alles was nicht niet – und nagelfest war zu demontieren und Deutschland trotzdem nach außen hin demokratisch wirken zu lassen. 

 

Nun, wie erlebte ich die Zeit vor dem Wunder? 

 

Seit Ende 1946 lebte ich als Junglehrer in einem Dörfchen in Thüringen mit ca. 600 Einwohnern, wobei die Hälfte davon aus ostpreußischen und sudetendeutschen Flüchtlingen bestand. 

 

Ich wohnte kostenlos in der kleinen Schule des Ortes und wurde in wöchentlichem Wechsel von einer Bauernfamilie beköstigt, wie es die Tradition der Gemeinde mit ledigen „Kantern“, so nannte man hier in der Gegend den Lehrer, vorsah. 

 

An meinem leiblichen Wohl gab es keinen Mangel. Nicht weniger wichtig war die Tatsache, dass meine Wirkungsstelle weit vom Schuss des Kreisbildungsamtes lag und man von der russischen Besatzung nicht viel zu sehen bekam.

 

Mein bayrischer Kollege und ich, konnten uns insofern manche Freiheit herausnehmen, zumal unsere schulische Arbeit, als auch die aktive Mitwirkung am Dorfgeschehen bei der Gemeinde als auch bei der Schulbehörde vollauf gewürdigt wurde. 

 

Während ich meine Entscheidung, anders als die meiner Eltern, in Thüringen geblieben zu sein, für richtig hielt, sollte sich dies im Laufe der nächsten Jahre wesentlich ändern, woran nicht zuletzt das Wirtschaftswunder im Westen mitgewirkt hatte. 

 

Mein Vater und meine evakuierte Mutter waren nach Mülheim zurückgekehrt. Alles, was sich dann im Westen abspielte, erfuhr ich über den Postweg, denn nur im Bürgermeisteramt gab es ein Telefon.

 

 

 

Was sonst in der Welt passierte, erfuhr man nur zensiert über die sowjetisch kontrollierten Sender Berlin, Leipzig oder Weimar. 

 

Um realistischere Informationen zu erhalten, bediente man sich des Senders RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor), dessen Abhören aber mehr oder weniger streng verboten war. (Ich erinnerte mich an ähnliche Verhältnisse im 2. Weltkrieg, wo es der Londoner Rundfunk BBC war, auf dessen Abhören sogar die Todesstrafe stand).  

 

Es war am 20. Juni 1948, als ich mal wieder über den Sender RIAS authentische Neuigkeiten aus dem Westen in Erfahrung bringen wollte. 

 

Ich traute meinen Ohren nicht, als der Sprecher eine Sensationsmeldung bekannt 

 

gab, wo sinngemäß zum Ausdruck kam, dass in den Westzonen einschließlich Westberlin die bisherige Reichsmark wertlos geworden und durch das neue Zahlungsmittel „Deutsche Mark“, ersetzt worden war. 

 

Jeder Bürger musste mit D-Mark 40,00, dem sogenannten Kopfgeld, den Anfang machen. 

 

Alle Kommentare und Gespräche des Westsenders drehten sich um das eine Thema: Währungsreform und deren Folgen. 

 

Diese Meldung schlug auch unter den Dorfbewohnern wie eine Bombe ein. 

 

Ein gefährliches Wissen, denn dadurch wurde offenkundig, wie viele Bürger diesen verbotenen Sender hörten. 

 

Die Sensation bestand allerdings darin, dass durch die Währungsreform ein sogenanntes Wirtschaftswunder ausgelöst worden war. 

 

Das Wunder bewirkte nämlich, dass es schlagartig – man höre und staune – alles wieder zu kaufen gab, worauf bis dahin verzichtet werden musste und nur geträumt werden konnte. 

 

Dabei ging es – ich nenne nur einige Beispiele – um: Butter, Fleisch und Wurstwaren, Zigaretten, alkoholische Getränke sowie Gebrauchsgegenstände aller Art, von Bekleidung angefangen bis hin zu Fahrrädern und Rundfunkgeräten etc. 

 

Wie dies so plötzlich möglich war? 

 

Nun, es handelte sich dabei um Artikel, die von den Geschäftsleuten gehortet worden waren und jetzt in den Verkauf gelangten. 

 

Kurz und gut, man konnte alles bekommen, soweit man genügend von dem „neuen Geld“, der DM in der Tasche hatte. 

 

Mit dieser Währungsreform wurde aber nicht nur ein Wunder vollbracht, sondern die Teilung Deutschlands in zwei Staaten vollzogen. 

 

Die Reaktion der Sowjetunion auf die Währungsreform in den drei Westzonen erfolgte stehenden Fußes. 

 

Am 23.06.48 wurde bei uns, in der sowjetischen Besatzungszone ebenfalls eine Währungsreform durchgeführt, jedoch gab es zu dieser Zeit noch keine neuen Banknoten. 

 

Die Reichsmarkscheine erhielten zunächst einen Couponformaufdruck „Mark der deutschen Notenbank“. 

 

Wir bekamen RM 70,– im Verhältnis 1:1, gewechselt, höhere Summen konnten im Verhältnis 1:5 und Beträge ab RM 1.000 im Verhältnis 1:10. umgetauscht werden.  

 

Als der sowjetische Versuch scheiterte, diese neue Ostwährung auch auf ganz Berlin auszudehnen, begann die Berliner Blockade, das hieß, alle Zugänge nach Westberlin bis auf einen schmalen Luftkorridor, wurden von den Sowjets gesperrt, um die Bevölkerung quasi auszuhungern. 

 

Die Antwort der Westalliierten war die Bildung der sogenannten Luftbrücke. 

 

Ein Jahr lang zogen über unseren Köpfen viermotorige amerikanische Transportflugzeuge, die liebevoll den Namen „Rosinenbomber“ erhielten, nach Berlin. 

 

Sie waren beladen mit allen lebenswichtigen Gütern, im Winter sogar Brennmaterial. 

 

Das war eine tolle Leistung der Amerikaner, die dadurch die Herzen der Deutschen eroberten. 

 

Ihnen war es zu verdanken, dass sich der Lebensstandard in Westberlin mit dem im Westen messen konnte.  

 

Was unternahm zur gleichen Zeit die inzwischen neugegründete DDR? 

 

Wer dachte, die Währungsreform hätte hier ebenfalls kurzfristig etwas gebessert, lag total daneben. 

 

Daran änderten auch nichts die 5-Jahrespläne, Wettbewerbe und Hennecke Bewegungen, die dies mit der Überfüllung des Plansolls bewirken sollten.

 

 

 

Der Großteil der Bevölkerung wurde über die Konsumgenossenschaften versorgt. Überall entstanden kleine Läden, die solche Ware führten, welche es auf Lebensmittelkarten gab. Private Geschäfte existierten so gut wie gar nicht mehr. 

 

Um auch höheren Ansprüchen zu genügen, gründeten man die sogenannten Läden der staatlichen Handelsorganisation (H0). 

 

Diese führten Qualitätsware, die aber nur mit der neuen West DM erworben werden konnten. Und die gab es – hauptsächlich von Westbesuchern stammend – nur unter der Hand. 

 

Es begann die Phase der Unzufriedenheit und Abwanderungen. Noch hatte die Bevölkerung die Möglichkeit, dies über die beschränkt durchlässige westliche Staatsgrenze oder aber Westberlin durchzuführen. 

 

Obwohl zunächst im Westen auch noch nicht nach Berichten meiner Eltern alles Friede, Freude, Eierkuchen war, machte sich doch langsam, aber eine immer deutlicher, eine Verbesserung der Lebensverhältnisse bemerkbar. 

 

Die mir auf dem Postweg übersandte modische Lumberjacke, schick aus Cord, geschnitten mit Reißverschlüssen besetzt, wirkte auf die Dorfbewohner provozierend, denn ein Großteil der Bevölkerung lief noch 1949 in den zerschundenen Kriegsklamotten herum. 

 

Wir qualmten normalerweise Zigaretten aus Eigenbau oder heimischen Ressourcen. 

 

Eine Zigarettenfirma in Bad Langensalza hieß „Clemens“. Über diese wurde der Schlager, die Räuberballade, gesungen von Bully Buhlan, spotthaft umgedichtet. Der richtige Text lautete: „Es war einmal ein Räuber, der lebte tief im Wald. Er liebte alle Mädchen, jung und alt usw.“ umgedichtet wurde daraus: „Es war einmal ein Räuber, der lebte tief im Wald. Er rauchte Clemens Tabak und starb bald.“ 

 

Im Westen rauchte man amerikanische Zigaretten. Die schmeckten durch eine Spezialfermentierung völlig anders als unsere Deutschen. 

 

Schon vor dem Wirtschaftswunder waren sie als Zahlungsmittel auf dem Schwarzmarkt überaus begehrt. 

 

Sie hießen:  Chesterfield, Colli, Peter Stuyvesant, Lucy Strike, Camel etc. Jetzt waren sie für jedermann erhältlich. 

 

Mit eine dieser Sorte wurde ich von meinen Eltern gut versorgt. Aber nicht nur ich, sondern auch meine Freienbessinger Freunde profitierten davon. 

 

Ich meine, mich erinnern zu können, dass auch der SED-Parteivorsitzende ein solches Produkt aus dem kapitalistischen Ausland nicht verschmähte.  

 

Die großen Ferien verbrachte ich, solange es die „Grüne Grenze“ zuließ, meistens in Mülheim bei meinen Eltern. 

 

Das Überqueren war nicht ungefährlich, da diese von Rotarmisten bewacht wurde, die so manchen Grenzgänger zu „Vermisste“ machten. 

 

Zweimal wurde ich auf dem Rückweg erwischt, aber nur jedes Mal für eine Nacht eingebunkert. 

 

Während meiner Aufenthalte in Mülheim konnte ich mir ein objektives Bild über die westdeutschen Verhältnisse verschaffen. 

 

Ich erlebte die Mülheimer Pfingstkirmes, die auf die ganze Stadt verteilt in den Trümmerlücken aufgebaut war, wo die Hauptgewinne an den Losbuden aus Fresspaketen, die aus mehreren Stücken abgepackter Butter und Wurstringe bestanden. 

 

 Mir fielen die modern gekleideten Menschen auf, wie sie über die Schlossstraße gut gelaunt flanierten. 

 

Welch riesiger Unterschied machte die Lebensqualität hier gegenüber der Zone aus.  

 

Die alten Mülheimer Freunde gaben sich jedes Mal große Mühe, mich zum Bleiben zu überreden. 

 

Ihre Argumente reichten mir aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht aus, denn die Kinder, das Dorf und ein Teil der Menschen dort, waren mir inzwischen ans Herz gewachsen. 

 

Darüber hinaus schien es mir ungewiss, ob ich die Lehramtslaufbahn in der hier jetzt geläufigen Form hätte weiter fortsetzen können. 

 

So trat ich mehrmals den risikoreichen Rückweg über die vom „Iwan“, so hieß der Spottname für die Russen, bewachte Grenze an. 

 

Das Wirtschaftswunder in Westdeutschland wirkte inzwischen magisch auf die DDR-Bürger. 

 

Innerhalb kürzester Zeit flüchteten sie zu Tausenden über die westliche Grenze, hauptsächlich aber über West-Berlin. 

 

 Dazu verschärften sich die Einflussnahme des Staates auf die Bevölkerung in immer drastischerer Form. 

 

Auch aus unserem Dorfe flohen die Bauern über Nacht, weil sie ihr Soll nicht erfüllen konnten. Die Bespitzelungen nahmen zu. 

 

Auch mir wurden die Produkte aus dem „Golden Westen“ vor allem aber zu enge Familienbindung angekreidet. 

 

Es kam nicht zuletzt so weit, dass meine Privatpost geöffnet und zensiert zum Kreisbildungsamt in Langensalza gelangte. 

 

Ich wurde vorgeladen, wo mir der Schulrat in Gegenwart von vermutlich Stasiangehörigen zur Auflage machte, die DDR in meinem Briefwechsel positiver darzustellen. 

 

Auch ging mir die Verherrlichung der Sowjetunion und der damit verbundene Personenkult, immer mehr an die Substanz, sodass in mir und meinem Kollegen der Gedanke reifte, dem Arbeiter- und Bauernstaat für immer den Rücken zu kehren. Allerdings hat auch die Verlockungen des Wirtschaftswunders eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. 

 

An einem Sommertag im Juni, kurz vor Sonnenaufgang, schafften wir dann in der Nähe von Fulda die Grenzüberschreitung, wurden nicht von den Russen geschnappt, sondern von den Amerikanern und in das Flüchtlingslager Gießen verfrachtet. 

 

Der Weg zum Wirtschaftswunder führte dann über steinige Pfade und Schluchten, flankiert von Hindernissen, Rückschlägen und Enttäuschungen. 

 

Da existierte keine Willkommensgesellschaft, die Wünsche ohne Gegenleistung erfüllte. Da hieß es anpacken, denn „ohne Moos nichts los!“. 

 

Um an das nötige Kleingeld zu kommen, gehörten Beziehungen oder ein ordentlicher Beruf, den ich zu haben glaubte, aber dieser wurde in der Bundesrepublik nicht voll anerkannt. 

 

Hier waren bekanntlich noch die alten Nazilehrer in Amt und Würden, man hatte nicht auf Neulehrer aus dem Osten gewartet. 

 

Von meinen Eltern unterstützt, erlernte ich mit 23 Jahren von der Pike auf den Großhandelskaufmannsberuf, der in der Wirtschaft größere finanzielle Chancen als der Lehrerberuf bot. 

 

Den ersten Wunsch mit selbst verdientem Geld erfüllte ich mir mit der Anschaffung einer Lambretta, die im Gegensatz zu dem damals gebräuchlichen Motorrad auch in Sonntagskleidung gefahren werden konnte. 

 

Ganz abgesehen davon bot sich mit diesem Modell schneller die Möglichkeit, etwas Weibliches für den Soziussitz zu kommen. 

 

Die folgenden Jahre verliefen dann mehr oder weniger normal, aber jedenfalls so, dass man gut leben und sich einiges leisten konnte. Nach Auskosten der Junggesellen Zeit lernte ich meine Traumfrau kennen. 

 

Ein Jahr nach der Verlobung erfolgte die Hochzeit. 

 

 Als junges Paar wohnten wir 4 Jahre beengt bei den Schwiegereltern in einer Krupp`schen Wohnung auf der Heimaterde in Mülheim-Heißen. Bevor unsere Tochter das Licht der Welt erblickte, schaute ich mich intensiv nach einer Wohnung um. Die fand ich in Styrum. Obwohl ich diesen Stadtteil unter allen Umständen meiden wollte, 72 m² groß, in einem Neubau, verkehrsgünstig und ruhig. 

 

In ihr wohne ich, allerdings inzwischen alleine, nach 61 Jahren (heute 2024) immer noch und werde hoffentlich auch mein Leben unter diesem Dach beenden. 

 

Fazit: Ich habe vieles aufgeben müssen, habe aber auch vieles durch harte Arbeit wieder dazugewonnen, wobei das sogenannte Wirtschaftswunder mit einem Großteil daran beteiligt war.  

 

                                              

*In diesem Zeitzeugnis sind viele Fakten eingearbeitet, die es dem Leser ermöglichen sollen, das Erlebte einordnen zu können. Der Begriff "Wirtschaftswunder" ist ein in den 1950-er und 1960-er Jahren benutzter Begriff, der sich Laufe der Jahrzehnte verselbstständigte und so wie allgemein üblich angewandt von Wirtschaftshistorikern nicht genutzt wird. Er wird heute oft als allgemeine Referenz genutzt, um sich an Zeiten zu erinnern, in denen es Deutschland wirtschaftlich gut ging. (Anmerkung der Administratorin)
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