Christel Lohmar

                              

Christel Lohmar (Jahrgang 1943)

Inhalte

Familie

Wohnen nach dem Krieg

Kindheit

Schulzeit

Auszug aus dem Elternhaus

Berufswahl

Neue Berufsperspektive

Ehrenamt

Resümee

Christel Lohmar

12.06.2023, Texte erzählt von Christel Lohmar

Profil

Christel Lohmar wurde als viertes Kind ihrer Eltern, Frieda Grete Rettig und Richard Paul Rettig, im November 1943 im Sudetenland geboren. Die Familie hatte ihr Zuhause in Duisburg. Die Mutter war Hausfrau und der Vater von Beruf Polizeibeamter bei der Reiterstaffel der Duisburger Polizei.

Da er NS-Gegner war, wurde er vom Polizeidienst entfernt. Er fand danach eine Tätigkeit in  einer Firma, in welcher er den Wachdienst übernommen hat.

Kurz vor Christels Geburt wurde ihre hochschwangere Mutter, wegen zunehmender Bombardierungen auf Duisburg, zur Entbindung in eine Niederkunft Klinik ins Sudetenland geschickt. Sieben Tage später hat ihr Vater ihre Mutter und Christel nach Duisburg geholt. 

Ende 1944 wurde ihnen eine Unterkunft in Vettelschloss bei Neuwied in Rheinland-Pfalz zugewiesen. Ihr jüngster Bruder, geb. am 31. 12. 1944, wurde dort bei einem Bombenangriff als Säugling verschüttet und verstarb. 

Christel Lohmar hat ihren Vater nie richtig kennengelernt, denn er wurde Anfang 1945 zur Wehrmacht eingezogen und starb bereits im März 1945 in den Niederlanden.

Ihre Mutter musste die vier Kinder unter schwierigsten Verhältnissen in der Nachkriegszeit in Duisburg durchbringen. Es war eine schwere Bürde und eine große Verantwortung, die sie zu tragen hatte. 

Nach einigen Jahren lernte Christels Mutter einen Mann kennen, den die Mutter ihren Kindern als „Onkel Hans“ vorstellte. Er blieb bei der Familie und übernahm die Rolle als Vaterersatz. Man nannte diese Beziehung eine sogenannte Onkelehe. Onkel Hans arbeitete, die Mutter führte den Haushalt.

Die vier Kinder, ihre zwei Schwestern, ihr Bruder und Christel teilten sich ein Zimmer. Da die älteste Schwester alleine in einem Bett schlief, musste Christel Lohmar mit der anderen Schwester ein Bett teilen. Zwei Jahre nach ihrer Schwester konnte auch Christel Lohmar mit achtzehn Jahren aus den beengten Wohnverhältnissen ausziehen. Sie zog in ein möbliertes Zimmerchen in Duisburg, aber jetzt mit einem eigenen Bett.

Die häusliche Erziehung war streng und der Alltag verlief einfach und spartanisch auf Sparflamme. Spielsachen gab es praktisch nicht. Gespielt wurde im Freien zwischen den Trümmern mit den Nachbarskindern. Privaten Musikunterricht konnte Christel Lohmar aus finanziellen Gründen nur kurzzeitig wahrnehmen.

Schon in ganz jungen Jahren wurden die Mädchen zur Hausarbeit herangezogen und erledigten den Großteil der anfallenden Arbeiten.

Christel Lohmar besuchte eine Volksschule in Duisburg, die sie nach der achten Klasse abschloss. Mit 14 Jahren begann sie eine Lehre, zwar nicht in ihrem Traumberuf als Köchin, sondern in einer Damenschneiderei. Erst beim dritten Versuch fand sie eine für sie passende Ausbildungsstätte und beendete nach drei Jahren erfolgreich ihre Berufsausbildung. Einige Monate arbeitet sie in verschiedenen Schneidereien, da nur nach Stücklohn gezahlt wurde.

Mit 16 Jahren lernte Christel Lohmar ihren Mann kennen, mit dem sie noch heute, 2022, glücklich verheiratet ist. Sie hatten eine gemeinsame Tochter.

Kurz nach der Geburt ihrer Tochter nahm sie ihren Beruf wieder auf. In Heimarbeit arbeitete sie für verschiedene Damenschneidereien. 

1971 fand sie über eine Kontaktanzeige in ihrer Kirchengemeinde den Weg in die Altenbetreuung. Nach einer 2-jährigen Fachausbildung zur Altenpflegerin fing sie ihren neuen Beruf in der Altenpflege an. Dieser Tätigkeit blieb sie bis zu ihrem 59. Lebensjahr mit Freude verbunden. Christel Lohmar hat ihre Entscheidung für diesen Beruf nie bereut. 

Christel Lohmar hat die schweren und mageren Jahre der Nachkriegszeit im zerstörten Duisburg erlebt und sich trotz der erheblichen Schwierigkeiten, Mängel und Einschränkungen durchgebissen.

Familie

Ich wurde als vorletztes Kind meiner Eltern, Frieda Grete Rettig, geb. Pranschke, und Richard Paul Rettig, geboren. Neben mir gab es noch drei ältere Geschwister, zwei Schwestern und einen Bruder.

Nach mir vergrößerte sich unsere Familie mit der Geburt meines jüngsten Bruders am 31.12.1944 um ein weiteres Familienmitglied.

Meine drei ersten Geschwister wurden in Duisburg geboren. Wegen der Bombardierungen wurde meine hochschwangere Mutter mit meinen drei Geschwistern – im Zuge der Geburtsunterstützung und der anschließenden Mutterkur – ins Sudetenland gebracht. Dort wurde ich in Nieder Falkenau, Kreis Tetschenbodenbach, geboren.

Der Jüngste von uns Kindern wurde nach unserer Rückkehr aus dem Sudetenland 1944 in Neuwied, in Rheinland-Pfalz geboren. Zu dieser Zeit war unsere Familie in Vettelschloss bei Neuwied evakuiert. Dort haben wir in einem Zweifamilienhaus gewohnt.

Kurz nach der Geburt seines jüngsten Sohnes wurde mein Vater Anfang 1945 zur Wehrmacht eingezogen. Er konnte leider nie mehr am gemeinsamen Familienleben teilnehmen, denn er verstarb nach einigen Monaten in den Niederlanden – wahrscheinlich als Folge von Unterernährung – einen Hungertod. 

Geheiratet haben meine Eltern im Jahr 1940.

           

Mutter

Meine Mutter, Frieda Rettig, bekam im Zeitraum von 1940 bis 1944 jährlich ein Kind. Nachdem mein Vater Anfang 1945 zur Wehrmacht eingezogen wurde, lag die gesamte Verantwortung für uns Kinder bei meiner Mutter, was eine ungeheure Aufgabe und Verantwortung für sie bedeutete. Meine Mutter durfte selber keinen Beruf erlernen, da sie im elterlichen Haushalt die Arbeit übernehmen musste, als ihre eigene Mutter verstarb. 

Meine Mutter war eine resolute und sehr bestimmende Persönlichkeit. 

Vater

Mein Vater, Richard Rettig, wurde 1907 in Breslau geboren, leider habe ich keine persönlichen Erinnerungen an ihn. Als er eingezogen wurde, war ich noch zu klein, um dies realisieren zu können.    

Bevor mein Vater meine Mutter heiratete, war er schon einmal verheiratet. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, es waren Zwillinge. 

Eines dieser Kinder verstarb jedoch schon im Mutterleib, wodurch das zweite Kind durch eine Leichenvergiftung behindert geboren wurde. Dieses Kind verbrachte sein Leben bis zu seinem Tod in einem Heim. Im Alter von 9 Jahren wurde es dort im Rahmen des Euthanasie-Programmes ermordet. Im Zuge des Euthanasie-Programmes wurden in der NS-Zeit vielen körperlich und geistig behinderte Personen in besonderen Anstalten mit medizinischen Mitteln das Leben genommen. 

Die erste Ehefrau meines Vaters erkrankte während einer Schwangerschaft an TBC, an deren Folgen sie verstarb. 

Nach dem Tod seiner ersten Frau hat er im Jahre 1940 meine Mutter geheiratet. 

Als er 8 Jahre alt war, verließ sein Vater, mein Großvater, die Familie. Wir wissen bis heute nicht warum und wohin er verschwunden ist. Seine Mutter, meine Großmutter, ließ sich scheiden und hat nochmals geheiratet.

Mit 16 Jahren ging mein Vater von Breslau ins Ruhrgebiet auf die Polizeischule. Später war er bei der berittenen Polizeistaffel.

Mein Vater war Nazikritiker und er wurde von seinem Dienst suspendiert, weil er nicht in die Partei eintreten wollte. Dies war vor der Heirat mit meiner Mutter, also vor 1940.

Da er danach als Werkmeister bei der Firma Kellermann in Duisburg arbeitete und für den Werkschutz zuständig war, hatte sein Chef ihn vom Kriegsdienst freistellen lassen. Nach einer Bombardierung 1944 in Duisburg, bei der auch die Firma Kellermann betroffen war, blieb mein Vater von Verletzungen verschont, da er sich zu dem Zeitpunkt des Angriffs nicht auf dem Werksgelände befand. Es war ein Sonntag und er war bei seiner Familie.

Seine 5 Kinder – aus der Ehe mit meiner Mutter – konnte er auch nicht aufwachsen sehen, denn kurz nach der Geburt seines jüngsten Sohnes, am 31.12.1944, wurde er zum Militär eingezogen. Schon nach wenigen Monaten, erhielt meine Mutter die traurige Nachricht, dass ihr Ehemann, unser Vater, verstorben ist. Als Todeszeit wurde der 1. März 1945 genannt.

Besonders tragisch war, dass, fast zeitgleich, sein jüngster Sohn einem Bombenangriff in Vettelschloss bei Neuwied zum Opfer fiel, er wurde verschüttet und starb. 

Wenn wir Kinder alleine waren, hat mein ältester Bruder uns immer etwas über unseren Vater erzählt. Vielleicht habe ich deshalb immer auf seine Rückkehr gewartet. Ich war erst 14 Monate alt, als Vater eingezogen wurde.

Geschwister

Nach dem Tode meines jüngsten Bruders blieben mir noch drei ältere Geschwister. Mein Bruder Heinz wurde im August 1940 geboren. Danach wurde meine Schwester Helga im Juli 1941 und die jüngere Toni im August 1942 geboren. Meine drei älteren Geschwister haben alle einen Beruf erlernt. Mein Bruder Heinz absolvierte als Erster die Maler/Anstreicher Lehre, eine ältere Schwester wurde Verkäuferin und meine andere Schwester erlernte den Beruf als Herrenschneiderin. Mit meinen Geschwistern verstand ich mich gut, man kann sagen, wir hatten ein gutes Verhältnis untereinander.

Onkel Hans, der Ersatzvater            

                     

1948, ich war 5 Jahre alt, und meine Mutter hatte unseren Vater nach dem Krieg für tot erklären lassen. Als ich eines Tages vom Spielen zurück in unsere Wohnung kam, stand vor dem Ofen ein fremder Mann. Meine Mutter sagte zu mir: „Dies ist der „Onkel Hans “ , der wohnt ab heute bei uns.“ Er übernahm die Vaterrolle, was zu verstehen mir damals schwerfiel, da er auch Aufgaben übernahm uns zu erziehen.

Das Zusammenleben mit Onkel Hans hatte zur Folge, dass meine Mutter durch den Zusatzlohn dieses Mannes, einen besseren Lebensstandard führen konnte, und wir als Familie so besser finanziell überleben konnten.

Diese Verbindungen liefen damals unter den Begriff Onkelehe.

Natürlich beinhaltete dies auch räumliche Veränderungen innerhalb unserer Wohnung. Im Zuge dessen wurde das dritte Zimmer unserer Wohnung als Schlafzimmer neu eingerichtet und dafür wurde unsere Küche als Wohnküche umgeändert. Der große Kohleofen in der Küche wurde entfernt. Dafür wurden als Ersatz ein Dauerbrenner und ein Gasherd angeschafft. Außerdem wurde auch ein Sofa hineingestellt. 

Meine Mutter und Onkel Hans haben nie geheiratet, wahrscheinlich wegen Mutters Hinterbliebenen – Rente. Vor 3 Jahren, 2019, ist Hans gestorben. Bis dahin hielten wir einen losen Kontakt aufrecht.

                

Wohnen nach dem Krieg

Wir sind nach dem Krieg wieder von Vettelschloss/Neuwied nach Duisburg zurückgekehrt und haben, woran ich mich als erstes erinnern kann, 1946 die Wohnung wechseln müssen. 

Wir zogen von der Düsseldorfer Chaussee nach Duisburg-Hochfeld in die Wörthstraße 21. Vater stand bis dahin eine Betriebswohnung zur Verfügung, die mussten wir jetzt räumen, weil unser Vater ja im März 1945 an Kriegsfolgen gestorben war. 

Unser gesamtes Hab und Gut wurden eingepackt und in ein Auto verladen. Wir 4 Kinder mussten zu Fuß den Weg von der alten zur neuen Wohnung zurücklegen.      

Die Möbel und unsere Mutter sind mit dem Möbelwagen transportiert worden. 

Der Umzug in die neue Wohnung war natürlich ein sozialer Abstieg, denn nach dem Ende des 2. Weltkrieges bestand eine erhebliche Wohnungsnot, die es erschwerte, eine halbwegs finanzierbare und gut erhaltene Wohnung zu finden. 

Wir bezogen in einem Mehrfamilienhaus, in dem zehn Parteien lebten, eine Dreizimmerwohnung, ohne Bad und Toilette. Die Toilette war eine halbe Etage tiefer im Treppenhaus, was dem damaligen Baustil entsprach. Allerdings war schon eine Toiletten-Wasserspülung vorhanden. Unzählige Häuser besaßen diesen Luxus nicht, da die Bewohner sogenannte Plumpsklos benutzen mussten, die sich außerhalb der Häuser befanden, was in den 50er-Jahren und teilweise auch noch darüber hinaus in vielen Gegenden üblich war. Sicherlich werden sich dies viele Menschen heute nicht mehr vorstellen können.

Mal war dieses Plumpsklo ein eigenes kleines Häuschen oder einfach in Ställen eingebaut. Die menschlichen Ausscheidungen wurden in einer Grube, der Jauchekuhle, gesammelt und regelmäßig mit einer Jauchekelle ausgeschöpft oder von einem entsprechenden Tank-Fahrzeug abgesaugt.

 Wohnverhältnisse

Wir hatten in der Dreizimmerwohnung nur einen Wasserhahn, an dem wir das Wasser für unseren täglichen Bedarf entnehmen konnten. Ob wir Wasser zum Aufbrühen von Kaffee, zur Zubereitung des Essens, zum Waschen, zum Putzen der Zähne oder wenn wir ein Bad nehmen wollten, so konnte es nur in der Küche entnommen werden.

 

Das Baden erfolgte in einer kleinen Zinkwanne, die in die Wohnküche gestellt werden musste. Diese wurde mitten in den Raum gestellt, mühsam mit heißem Wasser, welches auf dem Küchenherd in etlichen Töpfen und Kesseln erhitzt wurde, aufgefüllt. 

Nacheinander mussten wir 4 Kinder in dem gleichen Wasser baden. Dabei setzte sich auf der Oberfläche des Badewassers eine Emulsion aus Resten der Seife und der gelösten Körperfette ab, die, bevor der nächste von uns ins Wasser stieg, abgeschöpft wurde.

Die Letzte war ich, weil ich die Jüngste war. Dies war dann für mich kein Badevergnügen

mehr.

Irgendwann, die Jahreszahl ist mir nicht mehr geläufig, wurde das Duisburger Stadtbad Anfang der 50er-Jahre errichtet. Seit diesem Zeitpunkt haben wir Kinder ein Jahr den angebotenen Schwimmverein besucht. Ferner bot sich uns zusätzlich die Gelegenheit, dass wir dort – ein Mal in der Woche – in den Genuss kamen, die Dusche zu benutzen.

In unserem Schlafzimmer standen für uns 4 Kinder 3 Betten. Ich hatte nie ein Bett für mich alleine.

Anfangs hatte ich ein Kinderbett, bis es beim Herumtoben zerstört wurde. Mein Bruder war vom Kleiderschrank aus runter ins Kinderbett gesprungen und ist durch den heftigen Aufprall durchgebrochen, dabei wurde der Lattenrost gebrochen. 

Etwas später wurde eine neue Liege ins Schlafzimmer gestellt, auf der mein Bruder schlief. 

Wir drei Mädchen bekamen die alten Ehebetten, da unsere Mutter mit dem neuen Partner, dem Onkel Hans, ein neues Schlafzimmer angeschafft hatte.

Unsere Wohnung war in zwei Schlafzimmer und eine Wohnküche eingeteilt. Von meiner jüngsten Kindheit an musste ich mir mit meiner mittleren Schwester ein Bett zum Schlafen teilen. Das war ganz selbstverständlich, da es keine Alternative gab. 

Kindheit

Lüge oder Wahrheit 

Immer wurden wir Kinder von unserer Mutter dazu angehalten stets die Wahrheit zu sagen. Lügen waren tabu. Plötzlich galt dies nicht mehr, sondern wir wurden geradezu aufgefordert, die Wahrheit nicht zu sagen. Grund dafür waren die Fragen Dritter, die an uns hätten gestellt werden können.  

Unsere Mutter forderte uns auf: „Wenn euch jemand fragt, wieso Onkel Hans bei uns wohnt, so antwortet ihr, er sei ein Untermieter und er schläft mit eurem Bruder in einem Zimmer“. Natürlich stimmte diese Behauptung nicht, aber wir mussten es für die Nachbarschaft und besonders vor dem Jugendamt aufrecht halten, wenn es von offizieller Seite Fragen dazu gegeben hätte. 

Ernährung

In meiner Erinnerung gab es abends in der unmittelbaren Nachkriegszeit immer einen Teller Milchsuppe. Der tiefe Suppenteller war nur einmal bis zum Innenrand gefüllt. Damit hatten wir satt zu sein. Wenn es ganz gut war, dann bekamen wir eventuell noch eine Scheibe Brot. Aber das war sehr, sehr selten. Unser Essen war generell sehr dürftig. 

Eines Sonntagmorgens kam unser Pastor zu Besuch, um nachzuschauen, ob wir bedürftig seien. In dieser Zeit gab es die Care Pakete aus den USA und der Pastor hatte zu entscheiden, welche Familie davon etwas erhalten sollte. Er fand uns beim Frühstück vor und sah, dass jedes Kind ein ganzes Frühstücksei auf dem Teller hatte. Daraus schloss er, dass wir keine zusätzlichen Nahrungsmittel nötig hatten.                    

                          

Neben der Waschküche hatten wir anfangs noch einen Kaninchenstall. Wir Kinder haben die Kaninchen aber zu viel gefüttert. Sie starben daran. Dadurch durften sie unseren Mittagstisch bereichern. 

Es wurde an allem gespart. Bei den Mahlzeiten wurden für uns die Portionen von Mutter immer verteilt. Wenn im Eintopf durchwachsener Speck mit gekocht wurde, gab es den einen Tag später aufgeschnitten als Brotbelag. Nach der Währungsreform bekamen wir 10 Pfennig Taschengeld in der Woche.

Eine Vorratshaltung von Nahrungsmitteln war bei uns bis Mitte der 50er-Jahre nicht möglich, da wir zu der Zeit noch erhebliche Schwierigkeiten bei der Lebensmittelbeschaffung hatten. Ebenfalls hätten wir auch keine Staumöglichkeiten gehabt.

Besorgung von Lebensmittel

Zum Einkaufen von Lebensmitteln wurden wir Kinder immer dann geschickt, wenn das Geld nicht mehr bis zum Monatsende gereicht hat. Unsere Mutter gab uns eine Einkaufsliste, auf dieser sie die notwendigen und nötigsten Nahrungsmittel aufgeschrieben hat, die wir zum weiteren Überleben benötigten.

Der Kaufmann schrieb die von uns mitgenommenen Lebensmittel und die Rechnungssumme in ein sogenanntes Anschreibebuch.

 

Am Ende des Monats, wenn die Rente ausgezahlt wurde, ging Mutter wieder selber einkaufen und bezahlte die angeschriebene Summe bei dem Lebensmittelhändler. Wurde das Geld erneut knapp, waren wir Kinder wieder an der Reihe. So ging es Monat für Monat. 

Zur damaligen Zeit wurde dieses Angebot des Anschreibebuches von vielen finanzschwachen Familien in Anspruch genommen.

       

Spielen

          

Kreative Spiele, mit denen man gleich loslegen konnte – so wie heute – die gab es überhaupt nicht bei uns. Es gab nur ein Kartenspiel, ich vermute, das war ein Skatspiel. Als Kind waren es Karten für mich, anders kannte ich es nicht. Damit wurden folgende Spiele gespielt: Du lügst, mau/mau oder Tausendeins. Mit den Karten wurde allerdings nur im Winter gespielt.

 

An Spielzeug für meinen Bruder kann ich mich nicht erinnern. 

Wir Mädchen hatten alle eine eigene Puppe, so 40 bis 45 cm groß. Die Puppen hatten ihren festen Platz und jedes Jahr Anfang Dezember verschwanden unsere Puppen. Am 24. Dezember standen sie dann wieder fertig eingekleidet mit gehäkelt oder gestrickten Sachen auf dem Gabentisch.

 

Ich hatte noch eine kleine Puppe, woher diese allerdings war, weiß ich nicht mehr. Da meine Cousine sehr krank war, wurde ich von meiner Mutter aufgefordert, diese kleine Puppe meiner Cousine ins Krankenhaus zu bringen und ihr als Geschenk zu überlassen, denn die Cousine hatte ansonsten keinerlei Spielsachen.

Danach habe ich mir eine neue Puppe gewünscht, und zwar eine Baby-Puppe, nicht eine Barbie wie heute. Babypuppen waren Puppen, die Anfang der 1950er-Jahre von der Firma Schildkröte hergestellt wurden und sich binnen kürzester Zeit bei den Kindern an großer Beliebtheit erfreuten. Die Puppen hatten krumme Arme und krumme Beine. Eine solche Puppe geschenkt zu bekommen, wurde zu meinem größten Wunsch. Der wurde ungefähr 1953 erfüllt.

Kurz danach kamen die Lego-Bausteine auf, die mein Bruder dann gesammelt hat, und damit er sich ab und zu welche kaufen konnte, hat er Alteisen gesammelt und verkauft. Dann gab es noch ein Spiel, was wir zu Hause oft gespielt haben, das war: „Ich sehe etwas, was du nicht siehst.“

In der Schulzeit lernte ich dann noch durch andere Kinder auch andere Spiele kennen, z. B. Mensch ärgere dich nicht, Mühle und Dame oder auch das sogenannte Beamtenspiel Mikado. 

Spielen im Freien

Das Spielen draußen mit einem Ball ging nur, wenn andere Kinder ihren Ball mitgebracht hatten. 

Wir spielten oft in einer Seitenstraße, dies war ein Fußweg im Grünen und dort wurde Bauschutt und Erde für die neuen Häuser gelagert. Dort bauten wir Burgen und Höhlen.

 

Wir sprangen am Wochenende, wenn keine Arbeiter auf den Baustellen waren, auch in die Baugruben. Dies war leicht und machte auch Spaß. Nur das Rauskommen aus den Gruben war nicht leicht, denn man rutschte an dem glatten Lehmboden immer wieder ab. Eine Narbe an meinem Schienbein ist heute noch sichtbar.

Echte Freundschaften konnten wir nicht schließen, da wir keine Kinder mit nach Hause bringen durften. 

Außerdem hatten wir auch im Haushalt zahlreiche Arbeiten zu verrichten und konnten nur selten draußen spielen.

  

Auch Fahrrad fahren, Rollschuh fahren und so etwas, das gab es alles bei uns nicht. 

  

Mitarbeit im Haushalt

Meine beiden Schwestern und ich mussten schon sehr früh die Hausarbeiten erlernen. Dazu gehörte das Kochen, das Putzen, die Wäsche zu waschen, das Bügeln, das Einkochen, das Backen und das Einkaufen.

Wir Kinder machten uns morgens selber für die Schule fertig, das hieß, Anziehen und das Zubereiten des Frühstücks.

Da ich die Jüngste war, machte ich, bevor ich zur Schule ging, Mutter das Frühstück zurecht.

Ich kochte zweierlei Kaffee: 1 x Bohnenkaffee für Mutter und 1 x Kathreiner- Kaffee (Kaffee-Ersatz oder auch Malzkaffee genannt) für mich, den ich aber zur Hälfte mit Bohnenkaffee mischte. Dies konnte Mutter nicht feststellen, denn Kathreiner-Kaffee hätte sie nie getrunken. Dadurch bin ich früh zum Trinken von Bohnenkaffee gekommen.

Für Feierlichkeiten, besonders wenn Gäste kamen, mussten wir Kinder immer die Vorbereitungen treffen.

So z. B. Silvester: Zuerst mussten wir 30 Heringe auf dem Markt kaufen und anschließend daraus 60 Rollmöpse herstellen. Der Bowlentopf war damit komplett gefüllt, doch am Neujahrstag war kein Rollmops mehr für uns Kinder da.

Wenn wir bei der Verwandtschaft zu Besuch waren, mussten wir auch immer das benutzte Geschirr spülen. Mit der Bemerkung, das machen die Mädchen doch gerne. Eine Behauptung, die nicht stimmte.

Sportliche Betätigung

Unser Nachbar war schon damals Mitglied in einem Turnverein und er hat letztendlich dafür gesorgt, dass wir alle vier den Turnverein besuchen konnten. Hinzu kam, dass er sich dafür eingesetzt hat, dass der Beitrag für uns zusammen günstiger ausfiel als üblich, damit sich unsereiner die erforderliche Summe leisten konnte.  

Zuvor musste ein Hindernis aus dem Weg geräumt werden, denn ich hatte das Alter von neun Jahren noch nicht erreicht, was eine Aufnahmebedingung in dem Turnverein war. Da ich aber erst acht Jahre alt war, hat er auch da eine Ausnahmeregelung gefunden, und auch ich konnte am Turnen teilnehmen.

Kleidung

Während meiner Kindheit wurde grundsätzlich die Kleidung aufgetragen. Es ging auch finanziell gar nicht anders. Auch Angebote gab es nicht allzu viele, gerade nach dem Krieg gab es eine große Knappheit. 

 Da ich die Jüngste von uns 3 Mädchen war, bekam ich folglich immer nur das zum Anziehen, was die anderen beiden nicht mehr tragen konnten. Ob es Schuhe oder Kleidung war, die meinen Schwestern zu klein geworden war, es spielte keine Rolle. Ich kann mich erinnern, mein erstes Kleid, das ich wirklich bekommen habe, war zur Konfirmation, da war ich 14. Vorher waren es entweder abgeänderte oder abgetragene Sachen. 

Dazu gehörten absolut alle Sachen: die Unterwäsche, die Oberbekleidung bis hin zu den Schuhen, einfach alles, was angezogen wurde. Gefragt wurden wir alle nicht, ob wir das tragen wollten oder nicht, und ob es uns gefiel, spielte keine Rolle.

Als ich 1950 in die Schule kam, brauchte ich einen Wintermantel, meine Schwestern benötigten aber ihre Wintermäntel noch selber, also musste ich trotzdem einen neuen haben, aber ein neuer Mantel war nicht drin. Also aus einem alten Wintermantel meiner Mutter für mich ein neuer Mantel genäht. Er war schmucklos, blass und von verwaschener Farbe, aber er wärmte, und das alleine war wichtig, schön war allerdings etwas anderes.

 

Doch, wer fragte schon danach. Mode – ich kann mich nicht erinnern, dass es die zu der Zeit für Kinder gab. Zu diesem Zeitpunkt hat es mir aber noch nichts ausgemacht, dass ich immer die Sachen meiner Schwestern tragen musste. Doch irgendwann wurde mir bewusst, dass es auch anders sein könnte. Einen neuen Wintermantel bekam ich dann aber erst mit 12 Jahren. Da es keinen abgelegten gab, durfte ich mit ins Geschäft und einen neuen Mantel anprobieren, aber danach gefragt, ob er mir gefällt, wurde ich nicht.

Im Winter hatten wir keine langen Hosen so wie heute. Es wurden lange dicke wollene Strümpfe getragen. Die Strümpfe wurden mit Strumpfhaltern am Unterhemd befestigt, aber nicht so Trikothemden wie heute, sondern Leinenhemden auf Figur geschnitten, mit Bändern runter, und dann waren unten die Strapse dran und darüber wurde dann ein Rock getragen.

 

Wenn die Strümpfe aber vom vielen Waschen und vom vielen Weiterreichen schon ziemlich kurz waren, hatte man so 15,20 cm nackte Oberschenkel – es war verdammt kalt. 

Unsere Pullover und Strickjacken waren aber alle von Mutter selbst gestrickt. Dies machte sie für uns des Abends, wenn wir schon im Bett waren. Diese Stricksachen kamen dann regelmäßig zu Weihnachten als Geschenk auf den Gabentisch.

Für jede von uns Mädchen gab es eine andere Farbe, das hieß dann für mich 3 Jahre die gleichen Sachen gleicher Art, nur in einer anderen Farbe. Das wiederholte sich in allen Jahren meiner Kindheit wieder.

 

An ein Jahr kann ich mich noch besonders genau erinnern, wie dieses Teil aussah: ein Twin-Set. Mein Pullover war grün-rot-quer gestreift und hatte rote kurze Ärmelchen. Dazu kam eine rote Jacke mit grüner Bordüre, die beiden Vorderteile waren nur rechts gestrickt und hatten dadurch ein Rippenmuster, die Ärmel und das Rückenteil waren glatt gestrickt. Eine meiner Schwestern hatte hellblau mit Dunkelblau und die andere Jacke Gelb mit Grün, aber alle drei hatten die gleiche Machart. Die Jacken waren als Hängerchen gearbeitet. Also für uns Kinder gab es auch keine Wahl, ob uns etwas gefiel oder nicht. Das wenige, was wir hatten, musste auch angezogen werden, sonst hätten wir ja nackend gehen müssen. 

Heute diskutieren die Kinder mit ihren Eltern darüber, was und wie sie etwas tragen wollen. Es wäre keinem von uns in den Sinn gekommen, Löcher in die Hose zu schneiden, wenn wir welche gehabt hätten, oder Kleider einfach ausfransen zu lassen – wir wurden nicht gefragt. 

Also, dass wenige was wir hatten, musste auch jeden Tag getragen werden und das eine ganze Woche lang, nicht jeden Tag etwas anderes, oder was Sauberes – eine ganze Woche, denn wer hätte sonst die Wäsche waschen sollen. Wir hatten nur alle 6 Wochen die Waschküche zur Verfügung und eine elektrische Waschmaschine gab es sowieso nicht. Es musste entweder auf dem Waschbrett gewaschen werden aber wenn man so wie wir sehr modern ausgestattet war, dann besaß man schon eine Bottich-Waschmaschine mit einem Wassermotor. Das Einzige an Wäsche, was nicht weitergereicht wurde, waren unsere Taschentücher.

Bestrafungen in der Kindheit

Wir lebten in einem 10 Familienhaus und hatten Glück, denn die Leute, die unter uns wohnten, waren sehr kinderfreundlich. Wenn meine Mutter und der sogenannte Onkel Hans abends ausgingen, haben wir, meine Geschwister und ich, in der Wohnung rumgetobt. Da wir sonst dazu wenig Gelegenheiten hatten, haben wir die Situation des Alleinseins für übermütiges Toben ausgenutzt. Ein Schlafzimmer, belegt mit 4 Kindern, da wären keine Kinder ruhig in ihren Betten liegen geblieben. Es wurde dabei selbstverständlich auch laut, was bis zu den Nachbarn zu hören war. Sie haben von unten mit dem Besenstiel unter die Decke geklopft, bis wir aufhörten. Am nächsten Tag, wenn die Nachbarin hochkam und unsere Mutter fragte: „Haben die Kinder wieder gestern Abend rumgetobt? Antwortete die Nachbarin: „Nein, die Kinder waren ganz brav, wir haben nichts gehört.“ Unsere Nachbarn waren richtig nette und tolerante Leute, die Kinder sehr mochten. Unser Onkel Hans hat sehr streng an unserer Erziehung mitgewirkt. Wenn wir abends rumgetobt hatten und wurden von unserer Mutter überrascht, weil sie früher nach Hause kam, dann hieß es: „Morgen früh kommt der Knüppel hoch, dann gibt es Dresche.“ 

An einem Sonntagmorgen saßen wir beim Frühstück. Meine Schwester sagte zu meinem Bruder: „Du musst aufstehen.“ „Warum?“ „Ja, Du musst in den Keller und den Knüppel holen.“ Da sagte er: „Der kann mich mal… Wenn der den Knüppel haben will, soll er sich den selber holen. Ich hol mir den doch nicht selbst rauf, dass der mich damit vertrimmt!“ Bis zum Ende des Frühstücks hatte er immer noch nicht den Knüppel aus dem Keller hochgeholt. 

Als es bei uns schellte, kam unsere Rettung. Unser lieber Nachbar kam unter irgendeinem Vorwand zu uns hoch, und meine Mutter meinte zu ihm: „Die Kinder haben gestern Abend rumgetobt.“ Da sagte er: „Nein, wieso, sie haben nicht rumgetobt.“ Meine Mutter erwiderte: „Ja, aber wir haben es mitgekriegt, wir standen da und sie haben im Zimmer getobt und nicht mitbekommen, dass wir reingekommen sind.“ Darauf antwortete er: „Wir schlafen direkt darunter, wir haben nichts gehört.“ Onkel Hans sagte: „Ja, ich gehe gleich runter und werde den Knüppel holen.“ Unser Nachbar meinte: „Mein Gott, das sind doch Kinder, lasst sie doch mal toben, ist doch halb so schlimm.“ Damit war das Thema beendet.

Um einer bevorstehenden Bestrafung zu entkommen, hatten wir eine Strategie entwickelt. Wenn Onkel Hans zur Arbeit fuhr, er hatte Wechselschichten, dann fuhr er bei der Mittagsschicht um 12.30 Uhr mit dem Fahrrad los. Wenn unser Schulunterricht früher beendet war, haben wir immer gewartet, bis er fort war. Somit wurden die Schläge, die angedroht waren, von Tag zu Tag hinausgeschoben, bis sie irgendwann vergessen waren. Wir kamen in solchen Fällen erst nach Hause, wenn er uns schon mit dem Fahrrad entgegenkam, oder wir begegneten uns im Treppenhaus.

Allerdings ging unsere Vorgehensweise nicht immer zu unseren Gunsten aus.

 

Wenn er betrunken nach Hause kam, wurde ich als die Jüngste vorgeschickt, um für alle einen Groschen zu erbetteln.

Schulzeit

Meine Geschwister und ich gingen alle in die gleiche Schule. Es war die Volksschule am Hochfelder Markt in Duisburg. Während des Unterrichts hatten wir Kinder nur zu sprechen, wenn wir gefragt wurden.

Ab 1947 kamen wir vier Geschwister nacheinander in die Volksschule. 1950 wurde ich eingeschult. Auf einem Bild – von meiner Einschulung – bin ich mit einer Schultüte zu sehen. Die Tüte war aber nur eine Attrappe und gehörte dem Fotografen. Ich habe nie eine bekommen.

In der Schule hatte mein Bruder Schwierigkeiten. Trotz Nachhilfestunden ist er zweimal nicht versetzt worden. Der Nachhilfeunterricht fand in der Schule durch Lehrer statt und war kostenpflichtig. Mein Bruder Heinz brachte es gelegentlich fertig, diesen Unterricht zu schwänzen und das ihm dafür erforderliche Lehrgeld zu zerreißen und wegzuwerfen. 

Leider musste er jedes Mal zu einer meiner beiden Schwestern in die nächste Klasse, um das Jahr zu wiederholen. Aber er hatte dadurch auch immer denselben Lehrer. 

Diesen Lehrer bekam ich als Vierte ebenfalls. Bei der Einführung ins neue Schuljahr las der Lehrer alle Namen der Schüler in der Klasse laut vor. Nach meinem Namen kam dann die Bemerkung „nicht schon wieder“. Damit hatte er sein Urteil über mich festgelegt. Jede Anstrengung war umsonst. Zum Glück habe ich ihn nur zwei Jahre gehabt, dann ging er in Pension. Gefördert wurden wir in der Schule nicht. Nur gefordert, und versucht, uns mit Strenge und Schläge zu erziehen.

Bestrafungen wurden mittels Kopfnuss oder mit Schlägen durch den Rohrstock auf die Handinnenflächen ausgeübt.

Unsere Schulfächer waren nicht viele. Rechnen, Schreiben, Lesen, Erdkunde, Singen. Für Mädchen gab es Handarbeit für die Jungen dafür Raumlehre. Nach 8 Schuljahren erhielt ich mein Abschlusszeugnis.

 

Konfirmation

Wir Mädchen gingen alle nacheinander mit 14 Jahren zur Konfirmation. Als ich kurz davorstand, habe ich mit Nachdruck erklärt, dass ich nur zur Konfirmation mitgehe, wenn ich einmal ein neues Kleid bekomme. Ich wollte nicht in einem abgelegten Kleid meiner Schwester gehen. Das war dann wirklich mein erstes neues Kleid und ebenfalls meine ersten neuen Schuhe. Mein Konfirmationskleid bestand aus einem schwarzen Glockenrock, einer weißen Bluse und dazu ein schwarzes Jäckchen. Es war die gleiche Machart wie bei meiner Schwester, aber es hatte zuvor noch keine andere Person getragen. 

Musizieren

Musik kam bei uns nur aus dem Radio. Selbst haben wir in meiner frühesten Kindheit zu Hause keinerlei Musik gespielt oder gemeinsam gesungen. 

Nach dem Krieg besaßen wir nur ein kleines Radio in der Küche. Aus dieser Zeit kann ich mich an bestimmte Musikstücke überhaupt nicht erinnern. 

In den Fünfzigerjahren wurde dann für unsere Wohnküche ein Musikschrank angeschafft. Dieser war ein niedriges Schränkchen und darin befanden sich ein Radiogerät und ein Plattenspieler. Vor diesem Musikschrank stand ein Hocker, der war etwas länglich und in der Mitte leicht abgesenkt. Darauf konnte man wunderbar sitzen, aber nicht, wenn eine Schallplatte darauf lag. 

Wir Kinder durften also nie an diesen Schrank. Mein Bruder sah das aber nicht so, er legte gerne eine Platte auf, wenn wir alleine waren. So auch einmal, als unsere Mutter mit Onkel Hans ausgegangen war, nahm er eine Platte vom Plattenteller, welche noch drauf lag und suchte sich eine andere aus. Er legte aber diese Platte, die drauf gelegen hatte, nicht in die dafür vorhandene Plattenhülle, sondern auf diesen Hocker, der vor dem Plattenspieler stand. Danach setzte er sich auf den Hocker und „was für ein Schreck“, die Platte war kaputt. Zwar ist er sehr schnell wieder aufgesprungen, denn das Krachen der Platte unter ihm war sehr laut. Zu allem Pech war das auch noch die Lieblingsplatte unserer Mutter.

Eigenes Musikinstrument

Im Alter von zwölf Jahren bekam ich nach langem Warten eine Klarinette, aber das war eine für Kinder. Es gab kein Notenheft dazu, sondern man spielte nach Zahlen. Etwas später durfte eine Schwester von mir und ich zum Akkordeonunterricht. Den ersten Kurs haben wir gemeinsam in einer Privateinrichtung besucht.  

Zu einem Weihnachtsfest gab es für uns beide zusammen ein Akkordeon als Geschenk. Einen zweiten Kurs durfte ich nicht mehr besuchen, den machte meine Schwester alleine. Danach durfte auch sie keine weiteren Kurse mehr belegen. Hinzu kam, dass wir ein neues Akkordeon gebraucht hätten, nämlich ein größeres mit mehr Bässen. Vorheriges hatte – glaube ich – nur 36 Bässe. Als Fortgeschrittene hätten wir mindestens 72 gebraucht, damit wir weiter hätten üben können. Zudem kam noch, wir konnten nirgendwo in Ruhe üben. Es störte die anderen Familienmitglieder, wenn wir in der Küche übten. Einen anderen Raum hatten wir nicht.

Gemeinsam gesungen wurde bei uns nie. Nur meine Mutter hat bei der Arbeit alte Küchenlieder und ähnliche Ohrwürmer gesungen. Andere Lieder lernte ich in der Schule, im Turnverein und natürlich aus dem Radio. Volkslieder und Schlagertexte fallen mir oft wieder ein, wenn ich die Musik dazu höre. Musikunterricht in der Schule gab es nur wenig. Wenn er aber stattfand, hatte unser Lehrer immer eine Geige mitgebracht, um den Ton anzugeben, denn singen konnte er selber nicht. 

Nach der Schule, als ich in der Berufsausbildung war, lief bei uns in der Werkstatt jeden Tag von morgens bis abends das Radio. Aber nur deutsche Schlagertexte und auch etwas schwerere klassische Musik. Nicht so wie heute, wo überwiegend, allerdings von der Wahl des Senders abhängig, fremdsprachige Lieder gespielt werden.

Finanzierung durch Kredite

Insgesamt waren wir alle zufrieden mit dem, was wir hatten- solch einen riesigen Konsum wie heute, konnte sich keiner vorstellen. Meistens wurden neue Sachen mit einem Kredit finanziert, das habe ich als Kind mitbekommen. Meine Mutter hat nach dem Krieg von verschiedenen Geschäften Einkaufsscheine gehabt, weil sie da auf Raten bezahlen konnte. Das war in Duisburg bei Horten, bei Defaka (damals ein bekanntes Bekleidungsgeschäft) und in Mülheim beim Kaufhof.

 

 Ich nehme an, es ging nur dadurch, weil die Rückzahlung pünktlich erfolgte, denn sonst wäre der nächste Kredit nicht mehr genehmigt worden. Da wir zu der Zeit noch kein Internet hatten, waren auch die Kaufhäuser nicht miteinander verbunden und wussten nicht, dass der Kreditnehmer schon in mehreren Geschäften einen Kredit hatte. So auch geschehen beim Kauf meines Wintermantels, da wurden wir als Kinder in der Spielzeugabteilung mit dem Vorwand abgestellt: „Bleibt schön hier, guckt euch schön um, ich gehe in die Kreditabteilung.“ Dann kam Mutter wieder, hatte Zahlscheine und dann konnte eingekauft werden.

 

Weihnachtsgeschenk auf Kredit

Ich kann mich erinnern, dass mein einziger Wunsch, den ich mal zu Weihnachten gehabt habe, war, eine Puppe zu bekommen. Da war ich, glaube ich, 10 Jahre alt, und wir, meine Mutter, mein Bruder und ich, sind von Duisburg nach Mülheim in den Kaufhof gefahren. Meine Mutter hat Einkaufsscheine in der Kredit-Abteilung geholt, mein Bruder und ich, wir wurden in der Spielwarenabteilung deponiert.

Dann habe ich gesagt, ich möchte eine Puppe haben, eine richtige Baby-Puppe. Daraufhin hat meine Mutter gesagt, dass sie für so etwas kein Geld habe. Ich bekam dann einen Wintermantel, den ich aber erst nach Weihnachten akzeptierte. Dann mussten wir noch in irgendeiner Abteilung warten, bis meine Mutter wieder kam. Sie hatte so einen langen Karton in der Tüte und gab ihn mir in der Straßenbahn: „Hier, halt den mal auf dem Schoß“, und für mich war klar, da ist meine Puppe drin. Sie sagte zwar immer: „Das ist zwar nicht für dich, aber pass trotzdem auf.“

Zu meiner großen Überraschung und Freude saß die Puppe dann beim Weihnachtsbaum auf einem Stuhl.

Auszug aus dem Elternhaus

Meine älteste Schwester und ich hatten den Wunsch, unsere beengten häuslichen Wohnverhältnisse möglichst bald zu verlassen. Sie ist mit 18 ausgezogen. Auch ich habe mir zwei Jahre später, ebenfalls mit 18 Jahren, eine eigene Bleibe gesucht. Mein Bruder und meine andere Schwester haben bis zu ihrer Heirat in der elterlichen Wohnung gelebt.

Obwohl meine Schwester und ich nicht mehr zu Hause wohnten, hat unsere Mutter unsere Halbwaisenrente jeden Monat bis zu unserer Volljährigkeit (21. Lebensjahr) abgeholt und für sich selber genutzt. 

Früher wurde die Rente bar bei der zuständigen Polizeiwache vom Erziehungsberechtigten abgeholt.

Nach dem Auszug aus dem Elternhaus habe ich damals, hier in Mülheim, auf der Duisburger Straße ein möbliertes Zimmer bekommen. Dort habe ich allerdings nach 14 Tagen die Flucht ergriffen. Das Zimmer lag unter dem Dach, Duisburger Straße /Ecke Karlsruher Straße. Dann hieß es, Herrenbesuche sind verboten, gibt es nicht. Klar, zur damaligen Zeit was das der Standardsatz der Vermieter. Als Waschgelegenheit stand eine Waschschüssel mit einer Keramikkanne auf einem Schrank. Da konnte man sich das Wasser auf dem Flur holen, die Toilette lag noch eine Treppe tiefer. Gewaschen wurde sich mit kaltem Wasser, Sommer wie Winter. Das waren Zustände, die sich lange noch gehalten haben.

Ich kann mich erinnern, als wir heiraten wollten, ist mein Mann – er kam hier aus Mülheim- zum Wohnungsamt gegangen und da bekam er gesagt: „Ja, wenn Sie eine Wohnung brauchen, dann suchen Sie sich mal eine. Wenn Sie eine gefunden haben, dann kommen Sie her und dann überprüfen wir mal, ob die Ihnen überhaupt zusteht.“ Denn wir hatten keinen Flüchtlingsschein. Flüchtlingsschein hieß das damals und wer keinen Flüchtlingsschein hatte, hatte auch keinen Anspruch auf eine Wohnung. Das war schon diskriminierend in der damaligen Zeit.

Berufswahl

Nach dem Verlassen der Volksschule 1958 war es mein größter Wunsch eine Ausbildung zur Köchin antreten zu können, um damit meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies war aber für mich zur damaligen Zeit absolut nicht möglich, denn als 14-jähriges Mädchen in einem Gasthaus-Betrieb zu arbeiten und dort eine Schlafstelle zu bekleiden, war ein Unding und wurde von meiner Mutter abgelehnt.

Der Vorschlag, den Beruf einer Friseurin zu erlernen, widerstrebte mir total. Das war für mich nicht vorstellbar.

So kam ich nach längerer Überlegung zu dem Entschluss, den praktischen Beruf der Damenschneiderin ausüben zu wollen. Sehr schnell bekam ich eine Lehrstelle und mein Lehrvertrag begann am 1. April 1958. Da jedoch der 1. April auf Ostersonntag fiel, war mein erster offizieller Arbeitstag der 3. April 1958.

Lehrzeit

Seit Beginn meiner Lehre habe ich mir meine Kleidung immer selber genäht. Damit habe ich schon in der Lehrzeit angefangen. Von zu Hause aus bekam ich 1 DM Taschengeld in der Woche, von meinem Lehrgeld habe ich nie etwas gesehen, das hat meine Mutter immer einkassiert. Von dieser einen DM habe ich dann auch noch gespart und habe mir, wenn es einen günstigen Stoff gab, diesen gekauft und mir meine Kleider genäht. Denn, wenn ich Samstag abends zum Tanzen gehen wollte, brauchte ich ein vernünftiges Kleid, und das gab es von zu Hause nicht. 

Meine Freude auf diese Ausbildungsstelle währte jedoch nur sehr kurz. In den Wochen vor Ostern hatte meine zukünftige Meisterin sich verlobt und zeigte danach keine Ambitionen mehr, einen Lehrling auszubilden.

Nach drei Wochen bat sie meine Mutter zu einem Gespräch zu sich und beklagte sich über mein mangelndes Taktgefühl den Kundinnen gegenüber. Ihre Erklärung dazu lautete: Ich würde immer unaufgefordert in die Anproben eintreten, was absolut nicht der Fall war. Außerdem sei ich für den Beruf nicht geeignet.

Der eigentliche Grund für ihr Verhalten – ich erfuhr ihn von meinen Kolleginnen – war, dass sie nicht weitere drei Jahre einen Lehrling ausbilden wollte.

           

Erneute Arbeitssuche

Nach dieser missglückten Erfahrung musste ich mir eine neue Lehrstelle suchen. Somit wurde ich Ende April 1958 im Arbeitsamt Duisburg vorstellig.

Am 2. Mai 1958 hatte ich das Glück, eine neue Lehrstelle antreten zu können. Es handelte sich erneut um eine Stelle zur Damenschneiderin in Duisburg/Duissern. Neben mir gab es eine weitere Angestellte, die als Gesellin tätig war. 

Natürlich ging ich auch weiterhin in zur Berufsschule.

Allerdings entpuppte sich der neue Arbeitsalltag anders als von mir erwartet. Statt morgens mit den Näharbeiten zu beginnen, mussten wir beiden Angestellten zunächst die Küche und das Wohnzimmer meiner neuen Arbeitgeberin in Ordnung bringen, d. h. aufräumen. Der Arbeitsbeginn warum 7 Uhr in der Frühe. Danach standen sie und ihr Mann auf, und wir mussten die Wohnung lüften. Erst anschließend ging es bis zur Mittagspause an die eigentliche Tätigkeit.

Mittags um 12.30 Uhr begann die Pause, in der ich nach Hause fuhr, um 14.30 Uhr wieder an meinem Arbeitsplatz zu erscheinen. Die Arbeitszeit endete gegen 18.30 Uhr.

Selbst an dem Tag der Berufsschule wurde erwartet, dass ich nach Schulschluss wieder an meinem Arbeitsplatz erschien.

Meine Mutter machte dieses Verhalten wütend, und sie forderte mich 4 Wochen nach Arbeitsantritt auf, diese Arbeit zu beenden. Den fälligen Lohn für die geleistete Arbeit in dem Monat erhielt ich nicht. Dies wurde dann in einem Rechtsstreit vor dem zuständigen Arbeitsgericht, den meine Mutter einleitete, entschieden. Für jede Stunde geleistete Anwesenheit im Betrieb wurde die Damenschneiderin zu 50 Pfennig pro Stunde Vergütung verurteilt.

Meine damalige Arbeitszeit bestand wöchentlich aus 68 Stunden. Tariflich festgelegt war eine 48-Stundenwoche. 

Danach fand ich zum Glück am 1. Juni 1958 in Duisburg/Hochfeld eine Lehrstelle, die ich nach 3 Jahren mit Erfolg beendete. 

Leider konnte ich nach Beendigung meiner Lehre nicht in meinem Ausbildungsbetrieb weiterarbeiten, da die Schneiderei geschlossen wurde.

Verschiedene Arbeitsstellen

 

Ich habe nach diesen 3 Lehrjahren in der Schneiderei aufhören müssen. Die Meisterin selbst hatte eine Arbeitsstelle als Direktrice angenommen, und ich habe dann bei der Firma Hettlage1 angefangen zu arbeiten. Dort habe ich Änderungen im Bereich Oberbekleidung durchgeführt, aber diese Tätigkeit wurde nur nach Stücklohn bezahlt. Das hieß, wenn keine Arbeit vorhanden war, wurde auch kein Geld ausgezahlt. Dies war in der Zeit sehr üblich. 

Ich habe nach einigen Wochen eine Stelle bei der Firma Ledervater in Duisburg angefangen, einer Firma, in welcher Änderungen nur an Lederbekleidungen vorgenommen wurden. Leider bekam ich nach sechs Wochen eine Sehnenscheidenentzündung in einem Armen, sodass ich dort auch wieder aufhören musste.

 

1960 habe ich eine Stelle in einem Gaststättenhaushalt angenommen. Ich war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt. Dort habe ich neben dem Haushalt noch drei Kinder mit betreuen müssen. Das habe ich dann ein Jahr durchgehalten. Die Wirtsleute hatten zwei Mädchen und einen Jungen.

Der Junge war 7, ein Mädchen 11 und das andere war 13 Jahre alt. Der Junge ging noch mit 7 Jahren in den Kindergarten. 

Wenn vom Kindergarten der Anruf kam, wir schicken Alex nach Hause, dann wusste ich, Alex hatte die Hose voll und traute sich nicht nach Hause. Er war geistig etwas zurückgeblieben.

 

Der Gastwirt war sein bester Kunde und dementsprechend waren dann hinterher auch die Kinder. Das erste Kind war ganz normal, die anderen beiden Kinder hatten einen leichten Schaden vom Alkohol. Ich habe dann nach einem Jahr dort aufgehört, weil mir die Arbeitszeit einfach zu viel war. Ich hatte nur einen halben Tag in der Woche frei. Es gab kein arbeitsfreies Wochenende. Zu der Zeit hatte ich einen Freund und wollte am Wochenende etwas erleben. Ich hatte diese Stelle hauptsächlich deswegen angenommen, um endlich zu Hause rauszukommen und um ein eigenes Bett zu haben.

Ich habe dann eine neue Stelle im Villenviertel von Duisburg angenommen, in einem vornehmen Haushalt. Dort habe ich vormittags für die Dame des Hauses Essen kochen sollen, um ihr dies im Esszimmer zu servieren. Ich sollte dann in der Küche die Reste vom Vortrag essen, da ich dort ja auch im Haus untergebracht war. Nach einer Woche habe ich mir gesagt, so schlimm bin ich nicht gesunken, dass ich das weitermache. 

Ich habe mir dann in meinem erlernten Beruf als Schneiderin eine Stelle in einer Damen-Maßschneiderei in Duisburg gesucht.

Da ich aber zu Hause ausgezogen bin, war ich auf einen beständigen Verdienst angewiesen.

Da mit dieser Arbeit kein monatliches Auskommen möglich war, habe ich eine Stelle in der Konfektion angenommen. Hier wurde im Akkord gearbeitet. Das hieß, ich habe dort in der Firma Plisseeröcke hergestellt, dafür gab es 60 Pfennig für einen Rock. Wir hatten einen Kunden, die Firma Luckner aus Düsseldorf, die hat freiwillig 65 Pfennig bezahlt, dafür musste ein Schildchen mehr eingenäht werden.

Diese Tätigkeit habe ich, inzwischen verheiratet, bis zum Zeitpunkt der Geburt meiner Tochter ausgeübt. Habe dann anderthalb Jahre beruflich gar nichts gearbeitet. Nach der längeren Pause war ich in Heimarbeit für eine Firma hier aus Mülheim tätig und habe Kleider aus Jersey-Stoffen genäht. Ich wurde erneut nach Stücklohn bezahlt. Ich glaube, damals, 1966, gab es für ein komplett genähtes Kleid 3,50 DM.

Als meine Tochter 3 Jahre alt wurde, kam sie in den Kindergarten, und ich habe für 1.5 Jahre eine Stelle als Putzfrau angenommen.

 

Beginn der Altenpflege

1971 habe ich einen Aufruf in der Pfarrgemeinde gelesen, sie suchten eine Kraft für die Altenhilfe. Auf diese Anzeige habe ich mich beworben, weil ich mir gesagt habe: Du hast Interesse an der Arbeit mit alten Menschen.

Somit habe ich im gleichen Jahr mit der Altenhilfe angefangen. Trotzdem hatte ich als Erstes einen Säugling zu versorgen. Die Tätigkeit bei der Altenhilfe sah dann aber so aus, dass ich so nach einem Jahr mehr in den Bereich Pflege als Hilfe eingesetzt wurde. 

Darum habe ich dann 1974 die Altenpflegeschule besucht, denn mir ist es vorher passiert: Ich kam zu einer Patientin, ich sollte ihr Insulin spritzen – ich habe jedoch zuvor noch nie eine Spritze in der Hand gehabt. Ich hatte gedacht, ich sollte ihr nur beim Waschen und Anziehen helfen und dann sagte sie: „Sie müssen auch Insulin spritzen, das kann ich nicht selber.“ Ja und ich fragte, wer hat, das angeordnet hätte. Die Patientin: Ihre Chefin hat gesagt, Sie machen das. Ich wollte nicht sagen, ich kann das nicht. So habe ich gedacht, na ja, du hast gesehen, wie man das macht, also mach es. 

Der Vorteil ist natürlich; Insulin wird subkutan gespritzt und nicht muskulär. Folglich habe ich das also gemacht. Ich habe die Spritzen aufgezogen, ich habe das Insulin injiziert und habe während meiner Tätigkeit immer mehr festgestellt, dass ich für diesen Beruf nicht genug Fachwissen besitze. Daher habe ich ab 1974 die Altenpflegeschule besucht, habe 1975 Staatsexamen gemacht und nach zwei Jahren die staatliche Anerkennung bekommen und habe bis 2001 in der ambulanten Altenpflege gearbeitet.

Das waren also 30 Jahre ambulante Altenpflege. Das war der mich erfüllende Beruf.

 In der Zeit habe ich sehr viele alte Patienten gehabt, die von ihrer Kindheit im Krieg erzählt haben. 

Diese vielen Gespräche haben mir bei meiner Arbeit sehr geholfen Verständnis für die älteren Menschen zu bekommen, ihre Beweggründe und Reaktionen in bestimmten Situationen besser zu verstehen. 

Aus meiner Sicht fehlt es etlichen, wenn nicht vielen Pflegern und Pflegerinnen an nötigem Einfühlungsvermögen für die älteren Menschen, da sie sich nicht vorstellen können, was diese Menschen in jungen Jahren erlebt haben. Was sie an Verzicht, Leid, Hungersnot und Verlusten haben hinnehmen und erfahren mussten.

Ehrenamt

Anfang 1968 übernahm ich im Turnverein Mülheim/Saarn eine Kindergruppe im Alter von 3 bis 6 Jahren. Mit ihnen übte ich einmal wöchentlich das Bodenturnen in der Klostermarkt Turnhalle.

Danach habe ich eine Mädchengruppe in der Halle der Friedrich Freye Schule geleitet. Die Jugendlichen waren im Alter von 8 bis 12 Jahren.

1978 leitete ich eine Seniorengymnastikgruppe im Bürgergarten Mülheim. Für dieses Projekt habe ich zuvor einen Lehrgang in der Sportschule Münster besucht.

Seit etlichen Jahren führe ich in der Kolpingfamilie Mülheim die Vereinskasse. Bis jetzt, wir haben das Jahr 2022, steht noch kein Ende in Sicht.

Resümee

Meine Kindheit, die von Armut geprägt war, hat mir einen guten Start fürs Leben mitgegeben.

Mit dem Überfluss, wie heute in vielen Familien üblich, wäre ich wohl nicht so gut gerüstet gewesen, um mit vielen Widrigkeiten des Lebens gut und zufrieden fertig geworden zu sein.

Ich sehe mit Zufriedenheit auf mein Leben zurück und würde  A L L E S wieder genauso machen.

Jutta Loose
Letzte Artikel von Jutta Loose (Alle anzeigen)

Schreiben Sie einen Kommentar