Wolf-Dietrich Hausmann

Wolf D. Hausmann (Jahrgang 1944, geb. in Gmunden)

7. Juni 2023, Texte erzählt von Wolf. D. Hausmann

Inhalte

Familie

Kindheit

Schulzeit/Berufswahl

Wehrdienst

Studentenzeit

    Wohngemeinschaft

    ASTA

    Reise

Reisen

Berufsausübung

     Weihnachten im Ausland

     Neue berufliche Perspektive

     Argentinienaufenthalt

Wechsel beruflicher Wirkungskreis

Wechsel der Staatsbürgerschaft

Ehrenamt

Resümee

Profil

Wolf Dietrich Hausmann wurde im März 1944 als drittes Kind seiner Eltern Roland Hausmann (geb. 1901 in Gmunden) und seiner Ehefrau Maria Hausmann (geb. 1905 in Gmunden) geboren. Vor ihm kamen 1939 seine Schwester Irmgard und 1941 seine Schwester Ilse auf die Welt. 

Gmunden ist ein Ort, indem schon ab Mitte des 19 Jahrhunderts der Tourismus Einzug hielt, da er in einer landschaftlich traumhaften Gegend im Salzkammergut, umgeben von Bergen und Seen, liegt. 

In dieser wunderschönen Gegend betrieben die Großeltern mütterlicherseits den Gasthof „Fuchs“ in der Innenstadt von Gmunden, den sie so lange in Besitz hielten, bis sie ihn aus Altersgründen an ihre Tochter Maria und ihren beiden Schwestern übergaben. 

Da die Mutter von Wolf Hausmann wegen der täglichen Anforderungen im Gasthof sehr eingespannt war, wurde eine Erzieherin für die Kinderschar mit in den Haushalt aufgenommen. Herr Hausmann mochte diese Lela, so wurde sie genannt, nicht besonders, da sie eine strenge Form der Erziehung praktizierte. Die drei Schwestern hatten zusammen 9 Kinder. Alle lebten gemeinsam in diesem Gasthof. Nicht selten kam es zu körperlichen Bestrafungen durch die Erzieherin Lela an den ihr anvertrauten Kinder, die sich in Form von schmerzhaften Kopfnüssen oder auch Schlägen auswirkten.

Dadurch, dass der Gasthof, die Lebensgrundlage der Familie, immer im Vordergrund stand, ergaben sich kaum Gelegenheiten für ein familiäres Beisammensein, so wie man es sich als Kind vorstellt. 

Wolf Hausmann konnte seine Kindheit in einer wunderschönen Gegend verbringen, in der er mit seinen Freunden unbeschwert herumstreifen konnte und wo sich genügend Freiraum zum Spielen und Freizeitaktivitäten bot. Er besuchte einen Turn – und Ruderverein, spielte im Spielmannszug des Turnvereins die Querpfeife und hatte eine Mitgliedschaft bei den Pfadfindern, sodass sich ihm viele Möglichkeiten zum Schließen von Freundschaften boten.

Herr Hausmann war ein mittelmäßiger Schüler und legte seine Matura (Abitur) sowie sein Studium mit Erfolg ab. Technisch interessiert wollte er das Studium der Schiffstechnik beginnen, was damals noch an der TU Wien möglich war. 

Er trat der Burschenschaft Arminia bei. Diese studentischen Mittelschul-Verbindungen sind in Österreich eine Besonderheit. Der Vereinsbetrieb mit Band und Mütze wurde von den Hochschulverbindungen übernommen. Gefochten wird mit stumpfen Säbeln auf den nackten Oberkörper. Kopf und der Rest des Körpers sind geschützt. 

Bevor er sein Studium begann, absolvierte er zunächst den Wehrdienst in Österreich nahe Salzburg, um dann anschließend nach Wien zu ziehen und da sein Studium zu beginnen. Dort lebte er mit einigen Freunden in einer Wohngemeinschaft (WG).

Schon als junger Bursche hatte er den großen Wunsch, die „große, weite Welt“ kennenzulernen.

Was er im Laufe seines Lebens reichlich in die Tat umsetzte. So unternahm er nach Studienende eine Orientreise, die ihn nachhaltig beeindruckt hat und für ihn zu seinen prägendsten Erlebnissen zählt. 

Ein weiteres prägendes Erlebnis war: Der Kulturschock vom schönen malerischen Salzkammergut/Österreich in den Norden von Deutschland, in die Stadt Emden, in der er seine, die von ihm ausgesuchte, erste Arbeitsstelle fand.

Jedenfalls konnte Wolf Hausmann seinen Traum vom Reisen und Erkunden der großen weiten Welt in die Tat umsetzen und sicherlich viele unvergessliche Erlebnisse und Erfahrungen in seiner Erinnerung behalten.

Hilfreich dabei war, ihm im Ausland seine offene Art mit Menschen umzugehen, seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, seine Redegewandtheit sowie sein sicheres Auftreten. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang seine einwandfreien englischen Sprachkenntnisse.

Aus beruflichen Gründen wurde er in Mülheim heimisch und arbeitete bis zu seiner Pensionierung bei der Firma Thyssen Industrie in Essen als Prokurist in der Hauptverwaltung. Inzwischen hatte er schon Jahre zuvor die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen.

1979 heiratete Wolf Hausmann seine Ehefrau Juliane, die leider viel zu früh 2019 verstarb. Gemeinsam haben sie eine Tochter.

Wolf Hausmann trat in Mülheim an der Ruhr auch politisch in Aktion. Er engagierte sich 20 Jahre lang ehrenamtlich für die FDP im Rat von Mülheim. Auch dem Karneval war er nicht abgeneigt und wurde dort ebenfalls aktives Mitglied in der müßige.

Seit einigen Jahren ist Wolf Hausmann ehrenamtlich bei der Mülheimer Zeitzeugen Börse als engagiertes Mitglied tätig.

Familie

Elternhaus

 

Zu meiner Familie gehörten meine Eltern Maria Hausmann und mein Vater Roland Hausmann. Sowie zwei ältere Schwestern, mehrere Tanten und Cousins. Wir bildeten, da wir alle zusammen in einem Haus lebten, eine Art Großfamilie, da sich dies aus beruflichen Gründen so ergeben hat. Drei Schwestern führten gemeinsam den Gasthof.

  

Mutter

Meine Mutter wurde 1905 in Gmunden/Österreich geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit zusammen mit ihren beiden Schwestern in ihrem Elternhaus, dem Gasthof „Fuchs“ in Gmunden. Sie wuchs in einem gutbürgerlichen Milieu auf.

Als ihre Eltern aus Altersgründen den Gasthof aufgeben mussten, über nahm meine Mutter 1944 den Betrieb. Ihre beiden verheirateten Schwestern unterstützen sie dabei, brachten allerdings auch ihre Kinder mit ins Haus. Die Männer der beiden Schwestern sind im Krieg geblieben. Somit entwickelte sich das Zusammenleben als Großfamilie. Insgesamt waren wir 9 Kinder.

Meine Mutter war eine weit vorausschauende Frau und sie war im Umgang mit anderen Menschen sehr geschickt und kontaktfreudig, was sich in der Gastronomie – mit hohem Gästeaufkommen – nur als Vorteil erwiesen hat.

                       

Mir war sie eine verständnisvolle Mutter, die alle Schwierigkeiten des Lebens fröhlich meisterte.

Mutters organisatorisches Geschick

Meine Mutter übernahm von ihren Eltern den Gasthof „Fuchs“, nachdem sie 1944 aus Rumänien wieder nach Gmunden zurückkehrte. Seit ihrer Eheschließung hat sie mit meinem Vater dort gelebt. Sie war eine ruhige und tatkräftige Frau, die sich den schwierigen Aufgaben, das Betreiben eines Gasthofes, voller Elan stellte. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war sie sehr geschickt beim Beschaffen von Lebensmittel von den Bauern für uns und den Gasthausbetrieb.

Sie kreierte vielerlei köstliche Speisen und konnte die herrlichsten Mehlspeisen zubereiten. Da mein Vater erst 1947 aus rumänischer Kriegsgefangenschaft nach Gmunden zurückkehrte, stemmte sie alle Aufgaben, die anfielen mit gewissenhafter Verantwortung.

Rezepte der Mutter

Mutters Schwester Elly beherrschte die Küche unseres Gasthofes perfekt, was sich in den köstlichen Speisen und den zufriedenen Gesichtern der Gäste wieder spiegelte. Um im Falle von Krankheit, sollte Elly ausfallen, sammelte sie alles, was sie an Rezepten für wichtig hielt. Sie hat diese handschriftlich auf einzelnen Zetteln festgehalten und dieses Gut wurde in ihrem Nachlass gefunden. Damit es erhalten blieb, hat ihre ältere Tochter sich die Mühe gemacht und die Schriftstücke, welche in Sütterlin Schrift verfasst waren, alle am Computer in Normalschrift übersetzt. Somit ist ein Kochbuch entstanden, welches über Generationen in meiner Familie weitergegeben werden kann.

Vater

Mein Vater Roland Hausmann, geb. 1901 in Gmunden, und meine Mutter Maria „Mary“ Hausmann, geb. 1905 in Gmunden, entstammten beide aus bürgerlichen Familien. Der Vater von Roland war Beamter in der staatlichen Forstverwaltung und seine Frau die Tochter des bekannten Fotographen Jagerspacher.

 

Während seines Studiums und vor der Eheschließung meiner Eltern besuchte mein Vater Verwandte in Rumänien/Siebenbürgen, damit er, da er zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen an Gewicht verloren hatte, wieder zu Kräften kommen sollte. Sein Schwager leitete dort die Vertretungen pharmazeutischer Firmen. Mein Vater entschied sich ebenfalls in diesem Betrieb zu arbeiten und führte dort über 20 Jahre als Kaufmann seine Tätigkeit aus.

Nach seiner Rückkehr nach Gmunden 1947 engagierte sich mein Vater intensiv in der Politik. 1949 wurde er Landesrat (Minister) des Landes Oberösterreich in Linz. Was zur Folge hatte, dass er erheblich eingespannt und wenig zu Hause war. 

Einige Jahre später brach die TBC, Folge der Gefangenenlager, voll aus von der er sich nicht mehr erholen konnte und an deren Folgen er verstarb. Ich war 14 Jahre alt, als ich diese schreckliche Nachricht erhielt. 

Vater in Rumänien

Mein Vater machte seine Matura (Abitur) 1919. Dann ging er nach Wien an die Universität, um die brotlose Kunst der Literatur und der deutschen Sprache zu studieren. Er war 190 cm groß, wie alle damals sehr schlank und zudem TBC gefährdet. 1921 fuhr er zu seiner Schwester Nora nach Bukarest, um sich etwas Speck auf die Rippen zu futtern. 

Tante Nora hatte im Krieg als Krankenschwester einen Sanitätsoffizier kennen und lieben gelernt. Nach dem Krieg wurde geheiratet. Onkel Rudi war Siebenbürger Sachse und betrieb in Bukarest Vertretungen für deutsche pharmazeutische Firmen.

Aus den geplanten paar Wochen wurden mehr als 20 Jahre. Mein Vater arbeitete als Kaufmann in der Firma von Onkel Rudi. 1937 heiratete er Mutter in Gmunden, beide zogen nach Bukarest. 

Vater zur Wehrmacht

Mutter, die als praktische Frau den Hausverstand nie ausgeschaltet hatte, zog Ende 1943 zurück nach Gmunden. Der deutsche militärische Stern begann zu sinken und die Russen rückten Richtung Rumänien vor. Außerdem, irgendwer musste auch den Betrieb in Gmunden weiterführen.

 

Vater wurde 1941 zur Wehrmacht eingezogen und kämpfte als Infanterist im Südabschnitt, Richtung Kaukasus. Er geriet nach dem Seitenwechsel Rumäniens 1944 in rumänische Gefangenschaft. 1947 wurde er entlassen und kehrte nach Gmunden zurück. Allerdings mit einer schweren TBC als Souvenir des Lagerlebens.

Nach seiner Rückkehr arbeitete er zunächst im Gasthof. 

Vater geht in Politik

 

Schon bald stieg mein Vater in die Politik ein. Er war ein guter Redner, ein stattlicher Mann und Männer in der Politik für Oppositionsparteien waren damals sehr selten. 

1949 feierte seine Partei (VDU-Verband der Unabhängigen, rechts liberal) einen großen Erfolg und wurde in Oberösterreich drittstärkste Partei. Gemäß Landesverfassung stand dem VDU ein Landesrat zu. Landesrat entspricht einem Ministerposten in einem deutschen Bundesland. Er erhielt das Ressort für Denkmalpflege und Naturschutz. Ein Aufgabengebiet, das ihm sehr lag. So wurde, zumindest was Naturschutz betrifft, mein Vater der erste „Grüne“ in verantwortlicher politischer Funktion. 

Für mich als Kind lief das alles fern ab. Aber dann kamen viele Besucher, Parteifreunde und alte Bekannte, davon einige, die sich am Erfolg Vaters anhängen wollten. Wenn die Erwachsenen am Tisch beieinandersaßen und den Lauf der Welt besprachen, durfte ich dabeisitzen, ruhig natürlich. Was besprochen wurde, habe ich verstanden. 

Aber in Erinnerung blieb mir der Ernst, der Idealismus und das Engagement dieser politischen Diskussionen. Nach einer Legislaturperiode zerstritt sich die Partei und verlor die nächste Wahl. 

Außerdem musste mein Vater wegen seiner TBC dauerhaft ins Krankenhaus, wo er auch starb.

Vater erzählt Geschichten

Mein Vater kam mit einer schweren TBC aus der Gefangenschaft zurück. Ich war damals etwa 8, 9 Jahre alt. Mit meinen Schwestern und meinem Vater waren wir im Sommer auf einem Bauernhof in der Umgebung, nahe bei Gmunden, damit mein Vater sich an der frischen Luft von seiner Erkrankung auskurieren sollte. So konnte er aufgrund seiner TBC nicht mit uns Kindern herumtollen, nicht in den Wald gehen, kein Ballspielen, da er gesundheitlich sehr eingeschränkt war. Er hatte aber eine Idee, die uns Kindern sehr gefiel. Er sagte: „Jeden Nachmittag, oder jeden zweiten, von 15 – 16 Uhr, etwa eine Stunde, kommt ihr zu mir, und ich erzähl euch was. Damals war noch die väterliche Autorität so, dass man antanzte, wenn der Vater was sagte. Da hat er uns etwas über Großvater erzählt, Geschichten über dies und jenes, aber es ist davon nicht sehr viel bei mir hängen geblieben, nur das Bewusstsein, Vater hatte Zeit für uns. 

Tod des Vaters 

Leider starb mein Vater früh, ich war erst 14 Jahre alt. Der Pfarrer, der die Trauerfeier für meinen Vater hielt, war ein Schulfreund von ihm.        

Anschließend beim Leichenschmaus (Raue) erzählte er mir: „Ich habe viele Rückkehrer aus dem Krieg gesprochen. Die meisten waren in einer Art und Weise gebrochen und wollten sich nur noch einmal mit einem Priester aussprechen. Diese Leute zogen sich dann mental in ihre Höhle zurück. Dein Vater war anders. Er war voll Tatendrang und wollte etwas Neues aufbauen.“

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Geschwister

Ich hatte zwei ältere Schwestern. Irmgard, die Ältere, wurde 1939 geboren, Ilse im Jahr 1941.

Irmgard, die Älteste, war Landesbeamtin in Gmunden in einem Landespflegeheim, in Gmunden Sie betreut bis heute das Elternhaus.

Ilse studierte Jura in Graz und heiratete ihren Studienkollegen Wolfgang Lanz. Er wurde österreichischer Handelsdelegierter. Jahrzehntelang arbeitete er in verschiedenen Ländern. Ich habe sie in Nairobi/Kenia, Teheran, Kuwait und Peking besucht. Sie waren hervorragende Gastgeber und haben mir viel gezeigt.

  

Großeltern

Die Eltern meiner Mutter besaßen und betrieben den Gasthof „Fuchs“ in der Innenstadt von Gmunden. Der Gasthof hatte ca. 20 Fremdenzimmer, eine eher rustikale Gaststube ebenerdig und einen eleganten Speisesaal im ersten Stock.

Tante Nora

Wichtig für mich, besonders für die Zeit meines Studiums in Wien, wurde Tante Nora, die ältere Schwester meines Vaters. Erst 1953 schaffte sie die Ausreise aus Rumänien, wo sie viele Jahre mit ihrem Mann zusammen in Bukarest mehrere Vertretungen von pharmazeutischen Firmen leitete. Sie war eine Dame von Welt und war im Leben viel herumgekommen.

Während meines Studiums in Wien versuchte sie mir den fehlenden Vater zu ersetzen. Fast jeden Sonntag war ich bei ihr zum Mittagessen. Sie war in Wien gut vernetzt und verschaffte mir so viele Kontakte. Die Schönheiten eines gehobenen Haushaltes, mit vielen Einladungen, habe ich von ihr gelernt. Aber auch die Arbeit die dahintersteckt. 

Kindheit

Der Gasthof Fuchs gehörte drei Schwestern, Mary, die Älteste (meine Mutter), dann Elly und Lilly. Die Männer meiner beiden Tanten sind im Krieg geblieben.

Die drei Schwestern hatten zusammen 9 Kinder, jedes Jahr eines. Ich war der Zweitjüngste. Da war stets entsprechend Trubel im Haus, wir spielten gemeinsam und stellten die üblichen Kinderstreiche an. Ich war nicht das Nesthäkchen, sondern lief in der Kinderschar eher mit. 

Erzieherin Lela

Um dieser Kinderschar Herr zu werden, die drei Schwestern waren ja voll berufstätig und mit der Führung des Gasthofes beschäftigt, wurde beschlossen, dass eine Erzieherin für uns eingestellt werden musste.

So wurde Gisela Böhm, genannt Lela, eine Wienerin, die in Russland aufgewachsen war, von meiner Mutter und ihren beiden Schwestern 1946 aufgenommen. Nun sollte sie dafür sorgen, dass unsere Rasselbande nicht zu viele Dummheiten machte, sowie ordentlich und sauber waren. Sie hatte von früher Beziehungen zum Ort Gmunden und zur Familie. 

Ich mochte sie nicht besonders, denn oft kam ihre harte russische Art der Erziehung durch. Kopfnüsse und andere körperliche Strafen durch sie gab es häufig. Auf der anderen Seite war so ein Haufen lebendiger Kinder auch schwer zu bändigen und auf Trab zu halten. 

Familienleben

 

Es wohnten also drei Familien in dem Gasthof, es war das Leben einer Großfamilie. Als wir Kinder größer wurden, verließen die Älteren das Haus zum Studium oder zur Ausbildung. Lela blieb bis zu meinem 14ten Lebensjahr. Absoluten Vorrang hatten immer die Gäste und deren Wohlbefinden. Davon lebten schließlich alle. Da mussten die Wünsche der Familie oft zurückgestellt werden. Gemeinsames Mittag- oder Abendessen war selten. Mit am Tisch saßen oft auch Stammgäste, bestimmten die Unterhaltung und aßen mit.

Feste an Weihnachten

Geburtstage, Ostern oder Ähnliches wurde in unsere Groß-Familie gefeiert. Es wären auch zu viele Menschen und Anlässe gewesen.

Einzige Ausnahme war Weihnachten, dieses Fest wurde allerdings groß gefeiert. Im Speisesaal stand stets ein Christbaum, vom Boden bis zur Decke. Sehr schön, aber nicht protzig geschmückt. Auf der einen Seite des Saales waren die Gabentische für die Kinder aufgestellt, auf der anderen Seite des Saales gab es eine lange Festtafel.

 

Aufgetischt wurde an Speisen ordentlich Gutes und oft Ungewohntes. Immer waren nahe Freunde und Verwandte der Eltern eingeladen. Auch die Hausangestellten, soweit sie keine Familien hatten und bei uns wohnten, saßen an einem eigenen Tisch im Saal und bekamen dasselbe Essen. Insgesamt waren das gerne so an die 25 Personen oder manches Mal auch mehr. 

Solange mein Vater noch lebte und nicht im Krankenhaus lag, hielt er die Festansprache, stets erfreulich kurz. Wir Kinder sagten Gedichte auf und die üblichen Weihnachtslieder wurden gesungen. Erst dann gab es die schon mit Spannung erwarteten Geschenke und danach das Essen.

Seit damals bin ich ein Freak von schönen, besinnlichen Heiligen Abenden.

Wohnsituation

Solange wir Kinder klein waren, hatten wir keine eigenen Zimmer, sondern schliefen zu dritt oder viert in einem Raum. Da es in Gmunden auch bei Kriegsende keine Kampfhandlungen gab, war das Gebäude unbeschädigt. Allerdings technisch sehr veraltet, denn in der schwierigen Zwischenkriegszeit ist nichts investiert worden. Was dazu führte, dass es die längste Zeit pro Stockwerk nur eine Toilette am Gang gab und auch im ganzen Haus nur 1 Badezimmer mit Warmwasser – Zugang. Erst als ich 17 war und die meisten anderen Kinder schon außer Haus waren, bekam ich ein eigenes kleines Zimmer im Dachboden, welches ich nach meinen Wünschen einrichtete.

Ernährung nach dem Krieg

In Gmunden, im ländlichen Raum, wurde nicht so gehungert wie im Ruhrgebiet oder in anderen Großstädten. Aber Lebensmittel waren auch bei uns knapp und die Lebensmittelkarten wurden erst 1947/48 abgeschafft. 

Es war dem Verhandlungsgeschick meiner Mutter im Umgang mit den Bauern zu danken, dass wir auch etwas außerhalb der üblichen Verteilungswege zu Kartoffeln, Gemüse etc. kamen. 

Selbst die Gäste fanden in der unmittelbaren Nachkriegszeit nur ganz einfache und wenige Gerichte auf der Speisekarte. Alle waren froh, dass es überhaupt etwas gab. Uns Kindern, heranwachsend und daher immer hungrig, wurden schon die Kartoffeln vorgezählt. Fleisch gab es selten, noch seltener süße Nachspeisen. Das wurde erst so ab Mitte der 50er-Jahre besser. Aber richtig gehungert haben wir nie. Es hat uns nicht geschadet, denn wir bekamen jeden Tag zwei Mal was zu essen. Bis Mitte der 50er-Jahre gab es zum gelegentlichen Kuchen einen kleinen Klecks Schlagsahne, mehr zur Dekoration. Erst Anfang der 60er-Jahre, mit dem sich dann auch in Österreich durchsetzenden Wirtschaftswunder, gab es dann Schlagsahne mit dem Esslöffel nach Belieben.

Ich kann mich erinnern, dass wir, wegen der knappen Lebensmittel, in den Wald gegangen sind, und dort haben wir Bucheckern (Samen der Buchen) gesammelt, und davon wurde etwas Nahrhaftes zubereitet. Ebenso haben wir jungen Spinat, Sauerampfer und frische Brennnesseln gesammelt, etwas ungewöhnlich, nach heutigen Begriffen, aber letztendlich sehr schmackhaft.

  

Käseessen in Unmengen 

Meine Mutter hatte eine Jugendfreundin am Ort, die Besitzerin eines Käseladens war. Eines Tages hieß es, wir sind bei ihr eingeladen. Wir waren bei unserem Besuch etwa 5 Kinder. Bevor wir in den Käseladen durften, sagte man uns, dass, wenn wir uns gut benähmen, dürften wir so viel Käse probieren wie wir, wollten. So viel ihr wollt! Das war eine Ansage! In einem Keller befanden sich das Käselager mit vielen Regalen, alle gefüllt mit halben Käselaiben. 

 Der Besitzer stand mit dem großen Messer bereit und hat uns ein Stück nach dem anderen von den Käselaiben abgeschnitten, bis wir nichts mehr essen konnten. Wir haben sprichwörtlich den Käse gefressen, bis er uns aus den Ohren wieder rauskam, wie man so sagt. Was dazu führte, dass, als wir nach Hause gingen, sich prompt zwei von 5 Kindern, darunter auch ich, so überfressen hatten, dass sie bei so einer Ladung Fett im Magen auf die Straße gekotzt haben. Aber ich kann mich erinnern, da haben wir so richtig geschwelgt, was in diesen mageren Zeiten etwas ganz Besonderes war.

Ukrainerinnen im eigenen Hotel

Im Betrieb meiner Eltern während des Krieges, im Hotel und in dem Gastwirtschaftsbetrieb, arbeiteten zwei Ukrainerinnen – vom Alter her etwa Mitte 20 – die dort die Wäsche wuschen, in der Küche halfen, also so die üblichen Arbeiten von Angestellten in der Gastwirtschaft gemacht haben. Sie haben auch bei uns im Betrieb gewohnt, also in keinem Lager, wo sie in der Frühe heraus und am Abend wieder zurückmussten, und sie haben auch ziemlich dasselbe zu essen bekommen wie die anderen Angestellten auch. Zudem gab es noch die einheimischen Angestellten. 

Als der Krieg vorbei war, waren wir freundlicherweise in der amerikanischen Zone. Und diese beiden Ukrainerinnen haben ihre Lage richtig eingeschätzt, denn sie haben alles getan, nicht in die Sowjetunion zurückkehren zu müssen. Ob sie es ahnten oder wussten, ist unbekannt. Dieser große Personenkreis wurde bei den Amerikanern als Displaced Persons (DP) geführt. 

Denn die Zurückgebrachten sind dann sehr, sehr häufig in die Lager des Gulags gesteckt worden. Nach sowjetischer Ideologie war ja jeder, der für den Feind gearbeitet hat, ein Deserteur, ein Verräter und gehörte daher unterdrückt. Und außerdem haben diese Leute auch gesehen, wie man im Westen, in Mitteleuropa, gelebt hat und welchen Lebensstandard man hatte. Es ist bekannt, dass die meisten dann für 5, 6, 7 Jahre im Gulag verschwunden sind mit entsprechenden Verlustraten. Unsere beiden Ukrainerinnen haben es 1948, 1949 geschafft ein Visum nach USA oder Kanada, das kann ich jetzt nicht mehr sagen, zu kriegen, und sind dann frohgemut dorthin verschwunden. 

Fast-Beschlagnahmung des Hotels.

Anfang Mai 1945 marschierten die Amerikaner auch bei uns in Gmunden ein, es fanden keine Kämpfe mehr statt. Sie sind nur durchmarschiert und haben dann, weil es dort landschaftlich so schön war, den Ort für ihre Truppen zur Rekreation Area ernannt. Was dazu führte, dass die größeren Hotels – meine Eltern hatten einen Gasthof – von den Amerikanern beschlagnahmt wurden. Dort wurden ihre Truppen und Offiziere usw. untergebracht.

 

Das ging bis Ende 1953, dann haben die Amerikaner, nicht auf einen Schlag, aber sukzessive die Hotels an die Eigentümer wieder zurückgegeben. Ich habe dies aus Erzählungen der Eltern mitgekriegt. Die Hotels waren bei Rückgabe in einem guten Zustand. Sie sind damit friedlich umgegangen und haben zum Teil auch irgendwelche Abschlagszahlungen für Renovierungen, neue Farbe und so etwas bezahlt.

 

Ganz anders bei den Hotels, rund um Wien, die von den Russen beschlagnahmt wurden. Die haben oft gnadenlos die Parkett – Fußböden verheizt. Also, wenn diese Hotels zurückgegeben wurden – so um 1954/1955, da waren es mehr oder weniger Ruinen, die grundsaniert werden mussten. Die Amerikaner haben Hotels ausgewählt und das hieß: Die US-Armee braucht für ihre Soldaten das Hotel, beschlagnahmten es, der Eigentümer plus Familie musste raus. Nicht in zwei Tagen, nein, in 2 Stunden. Zwangsweise wurden die Besitzer ausquartiert, sie hatten keine Wahl.

Auch vor unserem Gasthof stand eines Tages ein Jeep mit einem Offizier. „Where is the boss?“ Mutter kam und erfuhr, dass unser Haus beschlagnahmt sei. Dann wurde nachgefragt. Wie viele Zimmer? Wie viele mit fließend Warm- und Kaltwasser? Wie viele Bäder? Dann kam das erlösende Statement: „Sorry, in so veraltete Betriebe geht die amerikanische Armee nicht! Good bye!“ An diesem Abend wurde die letzte gute, sorgsam versteckte Flasche Wein getrunken. 

Arbeiten im Gasthof

Getränkejunge im Speisesaal

So ab meinen 14/15en Lebensjahr musste ich im Gasthof in der Gastronomie mitarbeiten. Wie in allen Betrieben in dieser Region – ohne nennenswerte Wintersaison – wurde das Geld in den drei Sommermonaten verdient. Von der Schule her hatten wir auch drei Sommermonate Ferien. Ich wurde als Getränkejunge im Speisesaal zur Arbeit eingeteilt. In einer Mittagszeit wurden alleine in diesem Saal 100-120 Gäste verköstigt und mit Getränken versorgt. Alles ohne die heutigen Bestellcomputer. Ich musste mir die Bestellung merken und sie musste schnell ausgeführt werden. Seitdem habe ich eine gute Vorstellung wie gut oder schlecht das Personal ist, wenn ich sie in anderen Restaurants beobachtete.

 

Arbeiten am Speiseaufzug

Ein anderer Einsatz meinerseits war am Speiseaufzug, der von der Küche im Parterre in den Speisesaal im ersten Stock funktionierte. Der Aufzug war handbetrieben und hing an einem Seil. In ihm wurden die fertigen Speisen hochgezogen und das schmutzige Geschirr hinabgelassen. 

Dabei musste ich die Bestellbons der Kellnerinnen im Auge haben und auf die richtigen Teller legen. Klingt einfach. Aber wenn man in 2 Stunden 100 Essen, inclusive Suppe, Beilagen und Nachtisch zu bewegen hat, dann wird es anstrengend. 

Technisch ausgedrückt: In den ca. 150 Minuten des Mittagsgeschäftes mussten rund 300 Speisen gemanagt werden (Suppe, Hauptgericht, Nachspeise, eventuell noch Kaffee) alles in den verschiedensten Varianten. Z. B. zwei Schweinsbraten kommen hoch, einer mit Gurkensalat als Beilage, der andere mit gemischtem Salat. Für welche Tischnummer? In welcher Reihenfolge der Bestellungen? Eine gute Schule für Schnelligkeit und Konzentration. 

Geld bekam ich für meine Arbeit nicht. Erst als ich anfing, als Student Ferienjobs anzunehmen, hörte diese Tätigkeit für mich auf. 

Besonders gerne habe ich das nicht gemacht, aber ich sah die Notwendigkeit meine schwer arbeitende Mutter zu unterstützen. Das war selbstverständlich.

Spielen

Spielen mit Freunden

In den 50er, 60er Jahren gab es für Jugendliche in einer Kleinstadt wenig Ablenkung. Das ganze heutige elektronische Zeug war noch nicht erfunden, auch fernsehen kam sehr zögerlich. Also spielte sich fast alles in den zahlreichen Vereinen ab. So auch bei mir. Ich war beim deutschnationalen Turnverein, im Spielmannszug des Turnvereins als Querpfeifer, im Ruderverein, bei den Pfadfindern und ab dem 15ten Lebensjahr bei der Burschenschaft Arminia. 

In allen Vereinen habe ich schöne Gemeinschaftserlebnisse erleben dürfen und Freundschaften gefunden, die zum Teil heute noch bestehen. An Mangel an Beschäftigung habe ich nie gelitten, fad war mir nie.

 

Betätigung im Dunstkreis der Kirche, katholische Jungschar etwa, war bei mir und den anderen Kindern aus dem Hause nie ein Thema. Fromm waren wir alle nicht.

Basteln und Handwerken.

Unsere Erzieherin/Betreuerin, Lela, hat uns Kinder zum Basteln und Handwerken angehalten. Dadurch wurden bei mir entsprechende Fähigkeiten entwickelt und gefördert. 

Es entstanden Laubsägearbeiten als Weihnachtsgeschenke für die Eltern.

Früh bastelte ich kindlich naive Schiffsmodelle. Handwerkliche Geschicklichkeit und das Wissen wo und warum bei einem Schraubenzieher vorne und hinten ist (etwas plakativ formuliert) sind bleibende, positive Ergebnisse dieser Erziehungsarbeit.

Flechtarbeiten aus Peddigrohr oder Stickerei Arbeiten wurden von meinen Schwestern und Cousinen angefertigt. Mein Cousin Fritz hatte ein Händchen für Ton und formte z. B. Buchstützen in Pferdeform für seine Mutter. Echt gut.

Schulzeit

Meine Schulzeit verlief unspektakulär. Ob ich bei der Einschulung eine Schultüte erhielt, hat sich in der Erinnerung nicht erhalten. Ist aber eher unwahrscheinlich. 

An die damals noch übliche Aufnahmeprüfung ins Gymnasium kann ich mich vage erinnern. Die Gebäude der Grundschule und des Gymnasiums bildeten einen Baukomplex, der ca. 5 Gehminuten von unserem Gasthof entfernt lag. Was dazu führte, dass ich in der Früh zum Trödeln neigte, weil die Schule so nah lag, und ich entsprechend oft zu spät kam. 

Die Lehrer waren in der Altersstruktur normal, nicht nur alte reaktivierte Männer. Ich kann über sie nichts Negatives sagen. Klar, manche mochte man mehr, andere weniger. Prügelstrafen, in welcher Form auch immer, gab es in der Schule nicht, auch nicht in der Grundschule. Im Gymnasium wurde man ab der 5. Klasse (Beginn der Oberstufe, 9e Klasse nach deutscher Zählung) mit „Sie“ angesprochen. „Du Depp, Sie!“ polterte einmal ein genervter Lehrer. Das Gymnasium zählte 8 Jahrgänge, also Abi nach insgesamt 12 Schuljahren. Halte das heute noch für ausreichend, die Qualität der Ausbildung war und ist gut.

Fahrt nach Wien, Kontrolle durch Russen

Es muss in den Jahren 1952/53 gewesen sein, als ich mit meiner Erzieherin Lela zu einer Fahrt nach Wien geschickt wurde. Ich war damals 8/9 Jahre alt. Wir fuhren mit der Bahn. Die Demarkationslinie zwischen dem amerikanischen und dem russischen Sektor von Österreich verlief entlang des Flusses Enns, die alte Grenze zwischen Ober- und Niederösterreich. Der Zug hielt genau in der Mitte auf der Eisenbahnbrücke zwischen diesen beiden Zonen.

In dem voll besetzten Abteil waren, bevor der Zug zum Stehen kam, muntere Gespräche unter den Fahrgästen entstanden und sie waren guter Dinge. Der Zug befand sich planmäßig auf der Brücke, damit die russischen Grenzposten zusteigen und die Ausweise der Fahrgäste kontrollieren konnten. Die tieferen Zusammenhänge und die Bedeutung einer möglichen Verhaftung durch die Russen waren mir als Kind nicht klar. Aber das Verhalten der Menschen im Zug war eindeutig und eindrucksvoll. 

Kaum hielt der Zug, erstarb jedes Gespräch. Die Angst und die Unsicherheit der Passagiere konnte man fast körperlich greifen. Kinder haben für so etwas ein feines Gespür. Die Angst war zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon übertrieben, würden wir heute sagen. Aber an der Zonengrenze sind in den unmittelbaren Nachkriegsjahren Hunderte Menschen ohne erkennbaren Grund von den Russen mitgenommen worden, von denen die wenigsten je wieder auftauchten.

Die Russen kamen in Militäruniform, mit umgehängter Maschinenpistole. Die Kontrolle verlief ohne ein Wort, sonst aber korrekt.

Kaum fuhr der Zug wieder an, schwappte eine Welle der Erleichterung durch das Abteil. Ein munteres Geplapper zeigte die Erlösung, dass nichts geschehen war. 

Burschenschaft Arminia

Studentische Mittel-Schulverbindungen sind eine Besonderheit Österreichs. In Deutschland gibt es nichts Vergleichbares. Sie kopieren das studentische Leben der Hochschulverbindungen, mit Band und bunten Mützen, Kneipen, generell deren Vereinsleben und mit einer Menge politischer Bildung.

 

Die jungen Aktiven wurden zu Referaten und Redebeiträgen aufgefordert. Eine gute Vorbereitung für die Arbeit in der Hochschulpolitik und auch später im Berufsleben. 

Die deutsch-nationalen Verbindungen fechten auch. Mit stumpfem Säbel auf den nackten Oberkörper, Gesichtshelm und Unterleibsschutz. Folge: Platzwunden und Blutergüsse, aber keine dauerhaften Verletzungen. Ein etwas anderer Kampfsport eben.

Ich habe drei Mensuren gefochten. Da wurde vorher eifrig geübt. Das Antreten zu diesen Zweikämpfen ist eine Überwindung und letztendlich eine sehr gute Charakterprüfung.

Die jährlichen Stiftungsfeste mit 100 und mehr Teilnehmern waren und sind beeindruckende, mitreißende und auch fröhliche Veranstaltungen. Für Gäste immer beeindruckend, für Mitglieder sowieso. Ich bin noch heute Mitglied der Arminia und einer ihrer alten Herren.

Berufswahl

Berufswunsch Schiffbauingenieur

Als mit 15, 16 langsam die Fragen kamen, na, was willst du denn werden, war es für mich klar, irgendwas Technisches. Aber was? Ich bin in einer Kleinstadt an einem See groß geworden, auf dem fuhren Raddampfer im Sommer die Touristen von A nach B. 

Ich hatte den Wunsch, den viele Jungs haben, etwas von der großen weiten Welt zu sehen, um der Enge der Kleinstadt zu entfliehen.

Schiffe, das ist es! Was natürlich ein vollkommen jugendlich naiver Ansatz war, denn wenn ich die Welt sehen wollte, dann musste ich die nautische Laufbahn einschlagen. Aber ich wollte Schiffbauingenieur werden, der an einem Ort gebunden ist und dort Schiffe baut. Das wurde mir erst später klar. Die Zeit rückte zum Abitur hin, die Fragen wurden immer drängender. Im Familienkreis hieß es: Was, Schiffbau? Du spinnst ja, so was Blödes, mach was Ernsthaftes, Arzt oder Jurist oder Studienrat oder so was und wenn schon Technik, dann Maschinenbauer. Nein, für mich musste es Schiffbau sein. Ich blieb dabei, und meine geduldige Mutter sagte: Gut, es ist dein Leben. 

Wehrdienst

 

Im September 1962, nach den Sommerferien, rückte ich zum österreichischen Bundesheer ein. Die Dienstzeit betrug damals 9 Monate. Es war eine gute Idee, dies vor dem Studium hinter mich zu bringen. 

Ich war in einer Artillerie-Einheit in einer Kaserne bei Salzburg stationiert. Zuvor absolvierte ich für eine kurze Zeit – in einer anderen Kaserne in der Nähe von Salzburg – einen Lehrgang für Einjährig-Freiwillige d. h. Offiziersausbildung.  

Dort flog ich aber raus, weil ich einmal, an einem Wochenende, ohne Genehmigung, eine Nacht in Salzburg verbracht und somit den Zapfenstreich missachtet hatte. 

Ich war der Erste in diesem Jahrgang mit diesem Vergehen, und an mir wurde ein Exempel als Warnung für die anderen statuiert. Na ja, so beendete ich meine bescheidene Militärlaufbahn als Feuerwerker (Gefreiter) bei der Artillerie.

 

Noch im Offizierslehrgang hielt die Kuba-Krise die Welt in Atem. Wäre es zu einer großen. 

Auseinandersetzung gekommen wäre auch Österreich mit betroffen gewesen. Die Nachrichtenlage für uns Soldaten war extrem dürftig. Im Konfliktfalle wären wir alle „ratzfatz“ an der Front gewesen. 

Mit unserer kaum begonnenen Ausbildung wären wir nur Kanonenfutter gewesen. Das war uns so dunkel schon klar. Aber keiner im Kameradenkreis sprach von nicht mitmachen, von verweigern. Der spätere Slogan “Stellt Euch vor es ist Krieg und keiner geht hin“ war kein Thema. 

Glücklicherweise kam es nicht dazu, ein großer Krieg konnte dank der Kompromissbereitschaft der Großmächte (Kennedy und Chruschtschow) vermieden werden.

Studentenwohnung

Günstiger Wohnraum

Bei Studenten ist das Geld immer knapp, das ist damals wie heute so, also sucht man sich billige Unterkünfte in Wohngemeinschaften. WGs würde man heute sagen. Das war sehr häufig in den Häusern aus der Gründerzeit der Fall, denn die galten schon

damals sehr häufig als Substandardwohnungen. Sie waren um einen deutlichen Tick preiswerter, was für einen Studenten äußerst wichtig war.

Meine erste Unterkunft war in so einem Gründerzeithaus, sie lag im III. Stock und hatte keinen Lift. Mit 3 Mann teilten wir uns ein Zimmer. Nicht wie eine heutige WG, da hat jeder ein eigenes Zimmer. Wir waren drei Freunde aus der Schulzeit, die sich gut kannten und mussten uns in einer Wohnung mit einer freundlichen älteren Witwe die Toilette, das Bad und die Küche teilen. In der Küche durften wir nur Wasser für Tee oder Kaffee erhitzen, nichts mit Küchenschlachten oder groß kochen.

WG-Leben

 

Wenn man zu dritt in einem Zimmer wohnt, da muss man gute Freunde sein, denn Privatleben ist nicht und gab es nicht. Es gab auch keine Möglichkeit, seine Wäsche zu waschen. Man musste also mit Leib- und Bettwäsche so sorgsam umgehen, dass es reichte, bis man wieder nach Hause fuhr und man der liebenden Mutter einen Sack in die Hand drücken konnte. Ja, das kam häufig vor.

Im Studium, in jedem Studium, auch in meinem, findet man sich sehr schnell zu Gruppen zusammen die gemeinsam für die Prüfungen und das Seminar lernen. Man trifft sich hier, mal da, mal dort. So war es auch bei mir. Dadurch habe ich viele andere Studentenbuden kennengelernt. Ich habe keine Strichlisten geführt, das ist nur so in der Erinnerung, aber gut ein Drittel, also mindestens ein Drittel dieser Studentenwohnungen hatten das, was wir scherzhaft die „indischen Klos“ nannten. Das waren die Klos, die jenseits des Ganges lagen, die Etagenklos.

Zu meiner Zeit hatten die Wohnungen schon alle Fließwasser im Haus. Allerdings ließen Renovierungen sowie Sanierungen zu wünschen übrig. In den letzten 3 – 4 Jahren meines Studiums hatte ich durch irgendwelche Umstände eine Wohnung in Wien Mitte, I. Bezirk. Im 4. Stock – ohne Lift, ganz klar – 2 kleine Zimmer, Küche, Vorzimmer. Ich habe die Wohnung aus Kostengründen mit jemandem geteilt. Die Küche war das klassische Beispiel einer sparsamen Sanierung. Da gab es ein Waschbecken für das Wasser, einen Gasherd, eine Sitzbadewanne, eine größere Badewanne hätte da gar nicht Platz gehabt und die Tür zu einer Minitoilette – die war in der Küche. Also geruchsempfindlich durfte man nicht sein, aber als junger Student sieht man ja alles deutlich gelassener. Obwohl das nach heutiger Sicht „i gitt“ ist, wurden wir damals von unseren Kollegen und im

 Freundeskreis für eine Wohnung diesen Standards durchaus beneidet.

Aber trotz dieser nach heutiger Sicht bescheidenen Wohnverhältnisse haben wir uns nicht schlecht oder auf der Verliererseite gefühlt. So war es eben. 

Hatte jemand ein Telefon in der Wohnung, oh, der war ganz groß da. Es war also eine Seltenheit. Fernsehen in Studentenbuden waren unbekannt. Es gab natürlich schon Fernsehen, aber für Studenten Pech, denn es war für sie nicht finanzierbar. Auch diese elektronischen Spielereien wie Play Station waren noch nicht erfunden. Man musste sich wirklich auf Tageszeitungen, Radio sowie Gespräche mit anderen Leuten, um den Informationsbedarf zu befriedigen. Immerhin hatten wir die Möglichkeit, in den Mensen für wenig Geld schlechtes Essen zu bekommen, aber das war ausreichend und hat gut genährt.

Studentenrevolte, 68er Jahre

Im Wintersemester 1963 begann ich das Studium der Schiffstechnik (Zweig von Maschinenbau) an der TU Wien. Ein harter Start in der großen fremden Stadt. Nach den Zerstörungen des Weltkrieges wurden auch die Universitäten wieder aufgebaut. Organisatorisch feierte die alte Professorenherrlichkeit ihre Wiederbelebung. Die Studentenzahlen stiegen in der Zeit des Wirtschaftswunders rasch, die Organisation des Studiums hielt damit nicht Schritt. Die Abstimmung der Prüfungstermine z. B. war an der TU extrem schlecht koordiniert. Ein erheblicher Handlungsbedarf für Reformen baute sich auf. „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren!“ formulierten es Studenten die eine Inauguration des Rektors an der Hamburger Uni störten. Etwas überspitzt, aber im Kern richtig getroffen. An der anfänglichen Reformunwilligkeit und an mancher Professorenwillkür entzündete sich der Protest. 

Aber bald war nicht Hochschulreform das Thema, sondern generell die Änderung der Gesellschaft und die große Revolution. 

Die 1968er Studentenrevolution startete aus ähnlichen Gründen in Deutschland und besonders in Frankreich. Nach der üblichen Zeitverzögerung von 1-2 Jahren erreichte diese Welle auch Österreich. Schnell bildeten sich unter den Studenten zwei Lager. Die einen wollten die Hochschulen reformieren, die anderen die gesellschaftliche Revolution. 

Da ich das Interesse an Politik  – schon in meiner Kindheit durch meinen Vater geweckt worden war  – schloss ich mich dem RFS (Ring Freiheitlicher Studenten), damals zweitstärkste Fraktion, an. Kurz darauf saß ich als gewählter Vertreter im Asta (das Studentenparlament) der TU. 

Die oft hitzigen Debatten und Auseinandersetzungen verlagerten sich schnell vom Thema Hochschulreform zu allgemein politischen Themen. Es gab ja auch genug davon. Der Krieg in Vietnam erhitzte die Gemüter, angebliche Polizeiwillkür und die allgemeine gesellschaftliche Situation etc. etc. Der Hotspot war die UNI Wien, mit deutlich größeren Hörerzahlen und den vielen Soziologen, Politologen und was es sonst noch gab. Dort fanden auch die großen Hörsaal-Debatten statt, endlose Sit-ins, Teach-ins und ähnliche Veranstaltungen. Da ging es oft hoch her.

Die Gewalt ging ganz eindeutig von den Linken (Sammelbegriff für die vielen linken Gruppen, wie Kommunisten, Maoisten, Trotzkisten, Anarchisten etc.) aus. Als damals noch kleine Bewegung suchten sie, wie alle radikalen Gruppen, die öffentliche Provokation und die Durchsetzung ihrer Ziele mit Gewalt. Beim Erzielen von Aufmerksamkeit in den Medien waren die echt sehr geschickt. Das führte zu häufigen Brüllduellen und endete in zwei Hörsaal-Schlachten mit Dutzenden Verletzten. Der RFS, und damit ich, standen sozusagen auf der anderen Seite der Barrikade. Unsere Art war es nicht sich vor dem Terror und emotionalen Druck des politischen Gegners den Schwanz einzuziehen.

Bald war klar, es geht nicht so sehr um Hochschulreform, sondern um den Kampf um die Köpfe, die politische Grundstimmung, der Studenten. Erobere ich die Köpfe der politisch

interessierten Studenten, höchstens 5 – 10 % der gesamten Hörerzahl, dann verändere ich die Grundstimmung an den Universitäten. Die Studenten bilden schließlich die künftige Führungsschicht der Gesellschaft. „Der lange Marsch durch die Institutionen“ nannte es Rudi Dutschke, zu Recht. 

Diese ewigen Auseinandersetzungen und meine Teilnahme an den vielen Veranstaltungen waren mir eine Herzensangelegenheit, verzögerten aber auch das Studium. Etliche Jahre war ich der Fraktionsvorsitzende des RFS an der TU, mit entsprechendem Arbeit -und Zeitaufwand. Es mussten ja auch Flugzettel, Plakate etc. organisiert werden. Ich bereue es nicht. Öfters trat ich als Zwischenrufer, Redner und Stichwortgeber für gerufene Sprechchöre bei den Hörsaal-Diskussionen auf. Der Kampf des RFS um die politische Haltung der Studenten führte letztendlich dazu, dass es in Österreich keinen so großen Linksruck im Bildungswesen, den Medien und in der Politik gab wie in der Bundesrepublik.

Ballwesen in Wien

Was im Rheinland der Karneval ist südlich der Mainlinie der Fasching, in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen. 

In Wien ist Karneval das Gepränge der großen Bälle. Alles eher fein, vom schwarzen Anzug über Smoking bis Frack. Das ist deshalb in Wien so ausgeprägt, weil es dort das passende Publikum dafür gibt. Es muss viel Geld für Kleidung, Frisur und Schmuck ausgegeben werden. Natürlich auch für die durchaus hohen Eintritte, denn die festlich geschmückten Säle mit ihren prachtvollen Dekorationen müssen finanziert werden. 

Ich bin gerne auf Bälle gegangen und habe meist Walzer getanzt. Ball der TU, Ball der Oberösterreicher, dieser allerdings nur in Tracht, Juristenball etc. Der Ballkalender in Wien ist lang. Aus Familienbeständen hatte sich ein Frack erhalten, der mir auch passte.

 

Über Vermittlung meiner Tante Nora war ich sogar dreimal Mitglied des Eröffnungskomitees, das den berühmten Opernball in Wien eröffnete, mit einstudierter Polonaise. Vorher vortanzen mit Linkswalzer, normal wird rechts getanzt. Drei bis vier Proben in der Oper vor dem großen Ereignis. 

Die Zusammenstellung der Paare fand eher nach Größe, weniger nach Sympathie statt. Der jährliche Wiener Opernball wird heute noch im deutschen Fernsehen übertragen. Im opulent geschmückten Saal der Staatsoper wird über die Sitzreihen eine Tanzplattform gebaut und bildet mit der Bühne eine riesige Tanzfläche. Alle Damen natürlich sehr aufgebrezelt. 4 – 5000 Menschen. Ein unvergessliches Erlebnis, ein Rausch von Farben und Musik.

Allerdings ist man alleine in der Masse, große Bekanntschaften sind selten. Schön war auch im Frühsommer der Universitätsball in den Innenhöfen des Hauptgebäudes der Uni. Es wurde getanzt, bis der Morgen graute.

Meine erste Seereise nach Mittelamerika

Als Studenten der Schiffstechnik an der TU Wien wurden wir angehalten, nicht nur eifrig theoretisches Wissen in uns hinein zuschaufeln, sondern auch praktische Erfahrung zu erwerben. Unser Schiffstechnik-Professor Dr. Völker half uns tatkräftig bei der Beschaffung von Praktikumsstellen auf Hochseeschiffen.

So kam es, dass ich 1967 zum ersten Mal zur See fuhr. Mit einem Bananendampfer – also ein Schiff mit gekühlten Laderäumen für den Transport der tropischen Früchte – ging die Fahrt von Bremerhaven nach Mittelamerika und zurück. Ich arbeitete als Ingenieur-Assistent im Maschinenraum. 2 ½ Monate schwitzte ich als „Assi“ und „Bazi“ – denn alle Seefahrer von südlich der Mainlinie werden auf deutschen Schiffen Bazi genannt – bei Temperaturen von gut 40° und 100 % Luftfeuchtigkeit im Maschinenraum. Sämtliche Restbestände der Biere der letzten Semester verdunsteten schnell durch die Haut.

Von dieser Reise sind zwei Anekdoten berichtenswert. 

In Puerto Barrios, in Guatemala, saß ich eines Abends mit ein paar Kumpels von meinem Schiff in einer Bar. Alles aus Holz, sehr einfach und klein. Ein Tresen, davor Mädels für die einschlägigen Dienstleistungen, dahinter eine Wand mit Flaschen, mittendrin eine Madonna, vor der eine Kerze brannte. 

Ich musste mein Bier abgeben und ging in den hinteren Teil des Gebäudes. Vor mir ein großer Innenhof, kaum Licht, aber mit vielen Türen. Während ich noch überlegte, wo denn die Toilette sein könnte, klatschte von hinten eine schwere Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich um. Vor mir stand eine Afroamerikanerin in Rubensformat, so groß, dass sie mir horizontal in die Augen schauen konnte; und dies bei meiner Größe von 1.90 m.  Ein Riesenweib, das mich mit unverständlichem Dialekt anquatschte. Schultern wie ein Preisboxer, aber am beeindruckendsten waren die Oberarme, dick wie meine Oberschenkel. Wenn sie mich in den Schwitzkasten genommen hätte, hätte ich keine Chance gehabt. Das war das erste und einzige Mal, dass ich vor einer Frau davongelaufen bin. 

Nächste Station war Puerto Cortez in Honduras. Ich war wieder mit ein paar Kumpels unterwegs. Ich wollte ja was erleben. Die Bar lag im Niemandsland des Hafen – Erweiterungsgebietes. Kurz vor Mitternacht gehe ich alleine los, da ich zu meiner Wache an Bord musste. 

Ich ging auf einer Asphaltstraße, rundherum nichts, nur schwarze Tropennacht, praktisch kein Licht. Auf einmal sehe ich einen weißen Fleck auf mich zukommen. Was kann das sein?? In einem alten Schloss hätte ich an ein Schlossgespenst gedacht. Aber erstens gibt es keine Gespenster und zweitens war ich in den Tropen. Der weiße Fleck kommt näher, mein Adrenalin-Spiegel steigt, Gefahr im Anmarsch! 

Als der weiße Fleck so circa 2 Meter vor mir war, musste ich herzhaft über mich lachen. Kein Gespenst, keine Gefahr, sondern ein harmloser Afroamerikaner in einem weißen Ruderleibchen. In der dunklen Nacht sah ich das schwarze Gesicht nicht und zudem trug er eine dunkle Jeans. Vermutlich war sein Adrenalin-Spiegel genauso hoch wie meiner. Wir gingen aneinander vorbei und das wars.

Reisen

Meine erste Flugreise

Fragt man heute einen jungen Menschen, so von 18-20 Jahren, wie oft er denn schon eine Flugreise absolviert hat, dann reichen meist die Finger einer Hand nicht zum Aufzählen. Zu meiner Studienzeit, ab Mitte der 1960er-Jahre, war das noch ganz anders. Selbst eine heute banale Bahnreise nach Paris oder London war schon ein Ereignis, über das wochenlang gesprochen wurde.

Im Sommer 1968 zog es mich wieder auf die See. Nun im Besitze eines Seefahrtsbuches kreuzte ich beim Seefahrtamt in Hamburg auf. Für Landratten: Das Seefahrtsbuch ist der Pass der Seefahrer, eine entscheidende Voraussetzung auf einem Schiff anzuheuern. Mein Schiff war die Usaramo der deutschen Afrika Linie. Der Frachter lief mit Stückgut von Hamburg zu den Häfen der westafrikanischen Küste, hinunter bis Duala in Kamerun. Diese Reise dauerte für mich 3 ½ Monate.

Meine Schwester Ilse hatte mich vorher gebeten, für den Fall, dass ich nach Dakar/Senegal käme, doch Bücher von ihrer Freundin Christel Savel mitzunehmen. Christel arbeitete in Dakar an der österreichischen Botschaft, und Ilse hatte ihr die wertvollen Bücher – später stellte sich heraus, es waren 11 Kilo – geborgt.

Tatsächlich, der Dampfer lief Dakar an. Am Nachmittag des Ankunftstages hatte ich frei. Also nichts wie umgezogen, Pass eingesteckt und raus zum nächsten Telefon. Dabei ist der entscheidende Fehler passiert. Ich meine noch heute, die Zeit des Auslaufens war mit Mitternacht auf der Nachrichtentafel neben der Gangway angegeben. Der erste Offizier behauptete nachher dagegen, es stand immer 22 Uhr dort.

Ich fuhr mit dem Taxi zu Christel, trank in gepflegtem Ambiente ihrer Wohnung einen Drink. Mit einer Freundin von ihr gingen wir in ein Lokal an der Küste chic essen und kurz nach 23 Uhr fuhren wir in das Hafengelände hinein, ich mit der Tasche mit Ilses Büchern in der Hand.

Doch, oh Schreck! Das Schiff war weg! Heftiges Telefonieren erbrachte die traurige Nachricht – das Schiff hatte um 21 Uhr den Lotsen bestellt und war kurz nach 22 Uhr ausgelaufen. Ich hatte es doch tatsächlich geschafft, nach achtern hinaus zu segeln, wie es in der Seemannssprache heißt. Das war der einzige Moment in meinem Leben, in dem mir das Herz in die Hose rutschte. Unzählige Flüche zerdrückte ich zwischen den Zähnen. Half alles nichts, an diesem Abend war nichts mehr zu machen.

Am nächsten Morgen rasten wir zur Agentur der Reederei. Eine Nachricht von der Usaramo lag vor: „Marin Hausmann es manque‘. Signalite si trouvez“ (Matrose Hausmann fehlt. Bitte Nachricht, wenn ihr ihn eingesammelt habt). Der Kapitän eines Schiffes muss jedoch zustimmen, dass der verlorene Matrose wieder an Bord durfte. Er könnte ja auch ein unerträglicher Störer sein, den man gerne los sein wollte. Der nächste Hafen, den die Usaramo anlief, war Abidjan, die Hauptstadt der Elfenbeinküste. Ohne dass die positive Nachricht des Kapitäns eingetroffen war, flog ich zerknirscht auf eigenes Risiko dorthin. Etwas Risiko musste in Kauf genommen werden. Die Ausgaben für den Flug borgte mir Christel. 

Die Nachrichtenübermittlung war damals noch umständlich und langsam. Wegen meiner unwesentlichen Person hat sich sicher keiner beeilt, ein Telegramm abzusetzen. Funkverkehr zu Schiffen ex Dakar gab es nur an vier Stunden am Tag. Das mich betreffende Telegramm lag irgendwo im Stapel noch zu erledigender Telegramme. „C’est Afrique!“ grinsten die Kenner.

So kam ich zum ersten Flug meines Lebens, ohne Koffer, aber mit 11 Kilo Bücher meiner Schwester im Handgepäck bewaffnet. Damals flogen in Westafrika nur die Wichtigen, die Schönen, alle französisch elegant und gut gekleidet. Ich dazwischen unrasiert, mit kurzer Hose, billigem Hemd und kein Wort Französisch. Der Flug führte über Conakry nach Abidjan.

Christel hatte mir eingeschärft, auf jeden Fall einen Quarantäne-Aufenthalt zu vermeiden. Die Warnung war nicht unbegründet, denn mein Impfpass mit allen erforderlichen Stempeln lag wohl verwahrt im Tresor des Schiffes. Quarantäne hieß damals in Afrika Gefängnis, und von dort ist selten ein Europäer zurückgekommen. Es findet einen auch keiner mehr. Beim Gesundheitsschalter am Flughafen stotterte ich herum: „Je suis marin, bateau allemand, bateau en Dakar, pfft, pfft“. Nach einem skeptischen Blick grinste der weiße Offizier, er konnte sich meine Situation gut vorstellen und gab mir den erlösenden Stempel. Bon, jetzt musste ich nur noch den österreichischen Konsul, die Nummer von ihm hatte mir Christel mitgegeben, anrufen, damit er mir ein billiges Hotel empfiehlt.

Der Flughafen von Abidjan war damals nur etwas größer als der Flughafen in Mülheim an der Ruhr heute, also schön übersichtlich. In der Haupthalle mit allen Schaltern gab es fünf öffentliche Telefone. Doch bei dem einen fehlte der Hörer, beim anderen die Wählscheibe, kurz alle fünf konnte man vergessen. Nun stand ich etwas ratlos in der Halle und strengte mein Hirn sehr bemüht nach einem Ausweg an.

Da kam ein Weißer in einer Flughafenuniform, zu erkennen an den diversen Flügeln auf den Schulterstücken des Hemdes, auf mich zu und fragte mit schwerem französischem Akzent in Deutsch: „Sind Sie Deutscher?“ – Ich überlege kurz und sage „Oui“. Da breitete er die Arme aus, strahlte und sagte: „Isch liebe alle Deutschen. Isch war in Bad Kissingen in Kriegsgefangenschaft. Esch war eine schöne Zeit. Was brauchen Sie?“ – Tja, manchmal gibt es der Herr den seinen unvermutet. Also, ich schilderte meine Situation, er war froh, etwas tun zu können, und führte mich in sein Büro. Kaffee wurde mir angeboten, er telefonierte mit Begeisterung: „ Monsieur le Consul? Oui, en marin…!“, etc. Mein Französisch war damals wie heute leider sehr, sehr bescheiden, ich verstand wenig bis gar nichts. Schließlich brachte er mich zu einem Taxi, sagte dem Fahrer, er solle mich nicht bescheißen, nur Tarif 1 Monsieur. Ich bedankte mich vielmals, und ab ging es in Richtung Abidjan Stadt. 

Am nächsten Tag besuchte ich zuerst den hilfreichen österreichischen Konsul. Nach ein paar Telefongesprächen nannte er mir eine Pier, und ich fand dort kurz darauf hocherfreut, sogar an der angegebenen Stelle, die Usaramo wieder. Was hätte ich gemacht, wenn sie unterwegs aufgehalten worden wäre? Das geborgte Geld war alle. Der Chief, der leitende Ingenieur, war irgendwie erleichtert, mich zu sehen, denn die Besatzungsstärke ist von den Behörden vorgeschrieben, und vernünftiger Ersatz, noch dazu mit deutschen Papieren, bekam er in Westafrika auf die Schnelle nicht. Der Kapitän hielt mir eine väterliche, aber durchaus energische Standpauke, und dann ging es wieder hinab in den Maschinenraum.

Dem unbekannten Franzosen am Flughafen Abidjan bin ich noch heute sehr dankbar. Zum Ausgleich habe ich später öfters Unbekannten uneigennützig geholfen.

Was für ein Kontrast zu einer heutigen Reise mit einem Ferienflieger nach Teneriffa oder den Malediven!

Meine Orientreise

Schon immer hatte mich der Orient mit seiner Exotik beschäftigt. Dazu gab es daheim reichlich Literatur. 

Im Juni 1974 schaffte ich meine Diplomprüfung und war nun der ersehnte Dipl.-Ing.. Aber anstatt sofort in den Beruf zu gehen und endlich Geld zu verdienen machte ich mich mit zwei Freunden in den Orient auf. Nein, keine Haschischtour nach Nepal oder Goa, wie damals von vielen Jugendlichen gepflegt. Es war eine Bildung-und Kulturreise.  Allerdings mit sehr wenig, und dann noch geliehenem Geld, also auf Niveau eines Rucksacktouristen. 

Start in Colombo, Hauptstadt von Ceylon, heute Sri Lanka. Im ersten Monat noch zu dritt durch Ceylon und Südindien. Dann mussten die beiden zurück, denn sie waren schon berufstätig und ihr Urlaub war zu Ende. 

Von Madras in Südindien reiste ich nun alleine über Benares, Neu Delhi, Agra (Tadsch Mahal), dann Peschawar in Pakistan mit der Bahn. Von dort über Kabul in Afghanistan nach Teheran und weiter über Istanbul nach Salzburg mit diversen Bussen. Alles ohne Vorplanung und Zimmerbestellungen etc. Geht alles, aber es fordert den Einsatz, Findigkeit und Aufmerksamkeit des ganzen Mannes.

 

Alle wichtigen Denkmäler, Moscheen und Ausblicke auf der Strecke habe ich besucht. Insgesamt dauerte die Reise etwas mehr als drei Monate. Zugegeben, danach konnte ich für 3-4 Jahre keine Moschee mehr sehen. Aber diese Reise war ein Höhepunkt meines Lebens. Denn später hatte ich zwar mehr Geld, aber nie mehr so viel Zeit und Ungebundenheit. Von der gefürchteten Rache Allahs (Durchfallerkrankung) blieb ich verschont. Mein Blick auf die Welt, andere Kulturen, aber auch den umfassenden Hunger und Dreck hat sich stark geändert. 

Berufsausübung

Emden, neuer Wirkungskreis

Am 1. Dezember 1974 begann ich meine segensreiche Tätigkeit für den deutschen Schiffbau bei den Thyssen Nordseewerken in Emden, damals die viertgrößte Werft Westdeutschlands. Ich hatte diese Werft gewählt, denn sie bot als Einzige ein einjähriges Trainee-Programm, mit Durchlauf verschiedener Abteilungen an. So lernte ich den Betrieb in den verschiedensten Facetten kennen.

Emden war damals eine mittelgroße Stadt in den ostfriesischen Sümpfen, fernab von Mitteleuropa. Der Wechsel von Wien dorthin war ein Kulturschock für mich. War doch sehr vieles anders. Aber ich machte es ja freiwillig. Daher nicht klagen, sondern sich schnell in die neue Umgebung einpassen.

 

Ich fand auch bald Freunde, mit denen ich im Sommer viele schöne Segeltouren in der Nordsee und im Ijsselmeer der Niederlande unternahm. Insgesamt blieb ich in Emden 8 Jahre. Es galt die alte Weisheit „Wer nach Ostfriesland kommt, weint zweimal. Einmal wenn er kommt und einmal, wenn er wieder geht.“ Dies kann ich bestätigen.

 

Wie auch immer, mit der deutschen Werftindustrie ging es langsam bergab. Daher suchte ich nach anderen Betätigungsfeldern. Zum Glück ergab sich die Möglichkeit, im Rahmen eines Großauftrages für Thyssen für 3 1/2 Jahre nach Buenos Aires als Berater für den Neubau einer Werft zu gehen. Mit Glück und Können schafften wir es, die Werft im Zeit-und Kostenrahmen zu übergeben.

Trübe Erkenntnis

Beim Durchlauf durch die verschiedenen Abteilungen, besonders in der Fertigung, reifte in mir die trübe Erkenntnis: Mein geliebter deutscher Schiffbau ist eine absterbende Industrie. Besonders die stark aufkommende asiatische Konkurrenz ist aus Kostengründen viel billiger.

Jetzt viele, viele Jahre später muss ich leider sagen, ich hatte recht. Aber nun kam die Frage, was nun? Ich hatte gegen alle Empfehlungen aus dem Familienkreis etwas studiert, was ich unbedingt wollte, gehe 1000 km weiter in eine doch reichlich andere Welt, um das zu praktizieren, und komme nach einem Jahr zur Erkenntnis, das ist langfristig ein sterbender Industriezweig. Ein Zweitstudium hat sich aus Alters- und Kostengründen sowieso verboten. Ich hätte mich auch hinstellen können und den Lauf der Welt beklagen, alle sind böse zu mir, weil ich keinen passenden Job kriege, aber das ist nicht meine Art. 

Es fanden sich dann doch Möglichkeiten, sodass ich jetzt auf einen für mich durchaus zufrieden stellenden Berufsweg zurückblicken kann.

Wenn ich jungen Leuten daraus einen Rat geben möchte, würde ich wie folgt argumentieren: „Wenn ihr etwas außerhalb der Norm machen wollt, dann müsst ihr auch Mühen und Risiken in Kauf nehmen“. Einfach nur immer im Hotel Mama sitzen, das ist zwar kostengünstig und angenehm. Oder eine Arbeitsstelle nur maximal im Umkreis von 50,60 km zu akzeptieren, weil man ja am Standort seine Freunde, Sportkollegen oder sonst was hat, dann geht es nicht. Wenn du was anders machen willst, musst du auch entsprechend was auf dich nehmen. Da staunen viele.

Neue Perspektiven in Argentinien

In der Werft gab es eine Abteilung, die sich mit Neuentwicklungen beschäftigt hat, nicht irgendwie neue Schiffstypen, sondern schwimmende Industrieanlagen für die offshore Gasindustrie und so etwas, das war damals ein Hit. Das ist schon erst einmal ein erster Schritt weg vom Schiffbau und mehr in Richtung Industrieanlagenbau. Mit ganz viel Glück und Zufall habe ich die Möglichkeit bekommen, im Rahmen eines großen Auftrages für die argentinische Marine mit zu arbeiten. Im Zuge dessen wurde auch eine Werft neu in Buenos Aires gebaut.

So bin ich dann 3 ½ Jahre in Buenos Aires gewesen und habe den Bau, Neubau, dieser Werft mit geleitet. Klingeln gehörte zum Handwerk und die Schiffbauer sagen: Ein guter Schiffbauer kann alles. Ein Beispiel: Die Argentinier sind in einem Fall mit der Fragestellung zu mir gekommen: „ Senor Hausmann, ist der Beton für dieses Fundament richtig?“ Ich habe gerade über den technischen Hausverstand gewusst, was Beton ist und was man damit machen kann. Dies war kein Teil eines Schiffbaustudiums, es kam nicht vor. Meine Antwort lautete: Mehr Zement rein geben kann nicht verkehrt sein. In solchen Situationen musste man sich zu helfen wissen. Das Fatalste für meine Reputation wäre gewesen, wenn ich gesagt hätte: Das weiß ich nicht. Oder: Ich muss erst bei mir in der Zentrale Rückfrage nehmen.

Erstes Weihnachtsfest im Ausland

Was Weihnachten alles schief ging

                

In der zweiten Oktoberhälfte 1979 schlugen wir als frisch verheiratetes Ehepaar in Buenos Aires auf. Wir hatten ein kleines Häuschen in einem Vorort gemietet. Das Haus war praktisch leer, wir schliefen provisorisch auf einer Schaumgummi-Matratze am Boden, die Küche funktionierte allerdings. Das war alles kein Problem, denn bald sollte unser Umzugscontainer per Schiff im Hafen von Buenos Aires eintreffen. Mit IKEA – Möbel, Bekleidung, Büchern und natürlich auch dem ganzen Weihnachtsequipment, einschließlich der Geschenke.

Doch der Container verzögerte sich immer wieder, mal ein Hafenstreik da, eine Schiffsreparatur dort.

Am 21 Dezember 1979 beschloss ich, der Container kommt nicht mehr rechtzeitig zu Weihnachten. So war es auch, er wurde am 7. Jänner 1980 angeliefert. Was also tun an Heiligabend?

Ein Blick in das argentinische Tageblatt, die deutsche Tageszeitung, zeigte, dass in einer vernünftigen Entfernung eine deutschsprachige evangelische Gemeinde am Nachmittag eine Messe feierte. Es war ein brüllend heißer Sommertag. In der S-Bahn guckten einige auf uns beide Gringos, die mit Schlips und Kragen und aufgebrezelt im Zug saßen. Natürlich, denn wir fuhren ja zur Weihnachtsmesse.

Die Kirche war ein kleiner, schmuckloser Bau, der den Charme einer Autogarage ausströmte. Drinnen etwa 50 Gläubige. Die Messe begann, dann hielt der Pastor seine Weihnachtspredigt. Erkennbar am Dialekt ein Banater-Deutscher. Er bot eine schauerliche Mischung aus Allgemeinplätzen und purem Unsinn. Auch das ging vorbei. Reichlich enttäuscht machten wir uns auf den Heimweg.

Daheim wurde ein Stück Fleisch in die Pfanne geworfen und eine Flasche Rotwein geöffnet.

Der Abend ging dahin, dann hatte ich die vermeintlich gute Idee. „Schatz, die Messe bei den Evangelen war ein Reinfall, gehen wir jetzt zu den Katholen, die können so etwas besser.“ Also brachen wir um 23 Uhr 30 zu Fuß zur Kathedrale von San Isidro auf, in der festen Überzeugung, dass in jeder katholischen Kirche um Mitternacht des 24. 12. eine Mette gefeiert wird. San Isidro war der nächste Vorort von uns aus. Was etwas großspurig Kathedrale hieß, war die Kirche dieses Vorortes, etwa so groß wir die Petrikirche in Mülheim. 

Auf dem Weg dorthin – durch eine Einfamilienhauswohngegend – strömten aus vielen Gärten Asado Düfte, der argentinische Grill und eher fröhliche Musik. Nix mit besinnlich. 10 Minuten vor Mitternacht standen wir vor der Kathedrale. Doch, oh Schreck, alles finster, alles zu! Enttäuscht machten wir uns daher ohne geistlichen Beistand auf den Heimweg.

Die zweite Flasche Rotwein überlebte diesen Abend nicht.

Ein Jahr später kamen die Schwiegereltern über Weihnachten zu Besuch. Rechtzeitig erkundigte ich mich nach den Messeterminen. Um 21 Uhr fand die Christmette statt, in einer vollen Kirche und schön gefeiert. Es war ein Erlebnis, alle Anwesenden in der Kirche auf Spanisch das Lied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ singen zu hören. Diese Messe war ein voller Erfolg.

Man soll eben im Ausland nicht gewohnte Bräuche und Zeitabläufe von daheim auf das andere Land übertragen! Genaue Recherche der Termine ist unumgänglich und macht sich bezahlt.

Wechsel der Staatsbürgerschaft

1985 beschloss ich, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Ich hatte inzwischen eine deutsche Frau, mein Lebensmittelpunkt lag klar in Deutschland und mit einem deutschen Pass war vieles für mich einfacher. Die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft gab es damals noch nicht. Das Behördenverfahren verlief problemlos.

 

Interessant war allerdings die Reaktion etlicher Verwandter und Freunde in Österreich. Einige gaben sich immer als die großen Europäer und Internationalisten, und haben mich wegen meiner eher konservativen, deutschnationalen Einstellung oft belächelt. Gerade viele von diesen kommentierten meinen Wechsel der Staatsbürgerschaft mit „Na, Du Volksverräter. Du drehst dich auch nach dem Wind.“ Ihre Decke des internationalen Bewusstseins war offensichtlich nur sehr dünn. Ich trug es mit heiterer Gelassenheit und schmunzelte innerlich.

Neue  berufliche Wirkungskreise

Arbeit an der deutschen Botschaft in Canberra

1985 wurde ich im Zuge eines Austauschprogramms zwischen dem BDI (Bund deutscher Industrie) und dem Auswärtigen Amt von Thyssen in den diplomatischen Dienst ausgeborgt. Für 3 ½ Jahre war ich der Wirtschaftsreferent an der deutschen Botschaft in Canberra/Australien. 

Wieder ein Sprung ins kalte Wasser, nach Argentinien. Ein neuer Job, ein neues Land und eine komplett andere Hierarchie und damit erforderliches Berichtswesen. Nach dem alten Spruch: „Ein guter Schiffbauer kann alles!“ war der Schlüssel zum Erfolg sich konzentriert einzuarbeiten, alle Antennen offen zu halten und Engagement zu demonstrieren. 

Wie ich später erfuhr, habe ich meine Sache ganz offensichtlich nicht schlecht gemacht. Die Kollegen, alles Berufsdiplomaten, betrachteten den Neuling und Außenseiter zuerst etwas skeptisch, aber wohlwollend. Rasch entwickelte sich eine gute Arbeitsbeziehung, auch einige richtige Freundschaften entstanden.

Für Wirtschaftsfragen habe ich mich schon immer interessiert, daher war mein Aufgabengebiet halb vertrautes Terrain. Mit Englisch hatte ich nie ein Problem. Australien und Canberra sind im Lebensstil eine Mischung aus USA und Europa, auf jeden Fall „easy going“. 

Die Botschaft in Australien war kein Brennpunkt der deutschen Außenpolitik. Daher war ich dort, konnte auch wenig Schaden anrichten. Routiniert wurde die Lageberichte geschrieben, Besuchergruppen betreut und der Kontakt zu den freundlichen australischen Behörden gepflegt.

 

Ich betrachte diesen Zeitabschnitt als einen der Höhepunkte meines Berufslebens. Gerne habe ich alle Herausforderungen angenommen und versucht, die interessanten Seiten dieser Tätigkeit zu entdecken.

  

Noch heute kann ich heftig lachen, wenn bei Filmen im TV Szenen vorkommen, die in Botschaften spielen. Alles immer ganz edel, eher prunkvolle Räume mit hohen Decken und schönen Bildern an den Wänden. Dazu elegante Menschen, immer toll gekleidet. Wie sich Klein-Mäxchen eben das Botschaftsleben vorstellt. Die Realität ist, wie so oft, deutlich trüber. Das lauteste Arbeitsgeräusch eines Diplomaten ist leider nicht das Klicken der Eiswürfel im Whisky-Glas, sondern das Klappern der Schreibmaschine und das Rascheln von Aktenpapier für Recherche-Arbeit.

Thyssen Industrie Essen/Umzug nach Mülheim

Nach Ablauf meiner Zeit im Auswärtigen Amt wurde ich von Thyssen in die Hauptverwaltung von Thyssen Industrie in Essen versetzt. Wieder ein neues Aufgabenfeld, denn die Arbeitsweise und das Aufgabengebiet in einer Hauptverwaltung unterscheidet sich grundsätzlich von den Aufgaben in einem Produktionsbetrieb, wie einer Werft. Der im Prinzip kollegiale, ja freundschaftliche, Umgang untereinander in der Werft oder an der Botschaft war auf einmal dem aalglatten Parkett einer Schlangengrube mit vielen versteckten Fallgruben gewichen.

 

Meine Aufgaben waren mehr kaufmännischer Natur, letztendlich Unterstützung von Aufträgen der Werften. Inzwischen war Blohm & Voss auch aufgekauft worden. Im Gegenzug zu Marineaufträgen sollten Industriegüter des Besteller-Landes der Marineschiffe  durch Thyssen eingekauft werden. Offset-Geschäfte heißt das in der Fachsprache. Ein höchst spannendes Aufgabenfeld, bei dem man zwischen den komplizierten Hierarchien des Konzerns mit den Interessen seiner vielen Einzelfirmen, die auf ihre Unabhängigkeit genau achten, und den oft reichlich unrealistischen Vorstellungen der Kundenseite vermitteln muss. Diplomatische Erfahrung war da oft von Nutzen. Es musste viel gereist werden, was mir entgegenkam. 

Ich blieb bei Thyssen Industrie bis zu meiner vorgezogenen Pensionierung in 2003. 

Nach Eintreffen in Essen bei Thyssen Industrie suchte ich mir eine Bleibe und wurde schließlich in Mülheim/Ruhr fündig. Von Haus zu Büro nur 7 km! Und dann noch auf der A40. Ich wohne in diesem Haus noch heute und habe die Entscheidung nie bereut.

Politikarbeiten im Rat Mülheim

Im November 1989 fiel die Berliner Mauer und als Folge zerbrach der Ostblock und die Sowjetunion. Wirklich weltbewegende Ereignisse. Stundenlang verfolgte ich die Nachrichten mit heißem Herzen im Fernsehen. 

Da entschloss ich mich nicht nur Zuschauer zu sein, sondern selbst etwas aktiv zu tun. Ich trat der FDP bei, was anderes kam für mich nicht infrage. So begann meine 20-jährige Tätigkeit in der Kommunalpolitik in Mülheim, 15 davon als Mitglied des Rates der Stadt. Normale Menschen machen sich nur geringe Vorstellung wie zeit-und arbeitsintensiv Kommunalpolitik ist. Besonders wenn man sie ernst nimmt, was ich sicher tat. Mein Spezialgebiet war der Planungsausschuss.

 

Wie funktioniert die Verwaltung, wie laufen die Entscheidungswege? Was steht eigentlich wirklich in dem dicken Paket des jährlichen Haushaltsentwurfes und wo finde ich die Knackpunkte? Alles neu und nicht immer einfach zu verstehen. Als Hobby-Politiker hieß es, sich schnell einzuarbeiten. Auch ein häufiges Missverständnis – finanziellen Ausgleich gab es nicht, die Aufwandsentschädigung trug gerade mal die Spritkosten. Alles nur aus Idealismus und Spaß an der Tätigkeit gemacht. Reines Ehrenamt eben.

Generell war es hier wie an den Hochschulen. Nur 5 – 10 % der Bevölkerung interessieren sich wirklich für die politischen Fragen, der Rest meckert nur. Das fällt besonders in den Wahlkämpfen auf. Als Ratsmitglied einer kleinen, wenn auch intelligenten, Oppositionspartei bewegt man nicht die Welt, kann aber doch Akzente setzen, wie bei Ruhrbania und dem Petrikirchen-Haus in Mülheim. Ich suchte und fand immer eine vertrauensvolle Gesprächsbasis zu den Vertretern der anderen Parteien. „Mit dem Hausmann kann man vernünftig reden!“ Giftiges Klein-Klein war mein Stil nicht.

Nach 20 Jahren war es genug und außerdem drängten neue und jüngere Anwärter an meine Position. So hörte ich freiwillig 2008 auf, ohne in einer Kampfabstimmung unterliegen zu müssen.

Eigene Familie

1979 heiratete ich die beste aller Ehefrauen, sie verstarb 2019. 1989 wurde, schon in Mülheim, unsere einzige Tochter geboren. 

Sie gedieh prächtig und steht seit 3 Jahren im Berufsleben (Stand 2020). Leider in Hamburg, aber junge Menschen müssen ihren eigenen Weg gehen! Habe ich ja auch gemacht.

Ehrenamt bei den Zeitzeugen Mülheim

Schon in Rente schloss ich mich 2012 den Zeitzeugen in Mülheim an und fand dort eine interessante, anregende Runde. Seit einigen Jahren bearbeite ich mit einer Kollegin die vorgetragenen Texte der Zeitzeugen, um sie sprachlich für die Veröffentlichung aus unserer Webseite zu präparieren. Auch eine spannende Aufgabe.

Karneval Verein

Seit 25 Jahren  bin ich Mitglied der MüKaGe (Mülheimer Karnevals Gesellschaft), wurde auch Ehrensenator des Mülheimer Karnevals. Bei vielen Veranstaltungen habe ich den Hauptausschuss des Karnevals und die FDP vertreten. Mir hat das fröhliche, närrische Treiben stets gut gefallen. 3-4-mal fuhr ich auf einem Wagen im Rosenmontagszug mit und warf Kamellen und anderen Krims Krams unter das närrische Volk. Das war lustig und auch anstrengend. Erstaunlich, wie sich die Leute um diese geworfenen Nichtigkeiten drängen.

              

Resümee

Zwei Tendenzen haben mein Leben geprägt. Aufgewachsen in einer Kleinstadt im ländlichen Raum in einer fast normalen Familie. Es gab am Anfang Mangel, aber nicht bittere Not oder beißenden Hunger in der Nachkriegszeit.

Das Interesse und die Liebe zur Politik habe ich über meinen Vater, etwas auch über meine Mutter, sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Nicht nur meckern, sondern aktiv mitgestalten und sich selbst mit einzubringen. Das verwirklichte ich durch lange aktive Jahre in der Hochschulpolitik im Rahmen des RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) an der TU Wien. Viel Herzblut floss rein, hat aber auch das Studium verlängert. Es hat eben alles seinen Preis. 

Durchaus ähnlich war es in der Kommunalpolitik in Mülheim an der Ruhr. 15 Jahre saß ich im Rat der Stadt und im Planungsausschuss. Ich versuchte mitzugestalten und die Stimme der praktischen Vernunft hochzuhalten. Der Erfolg hielt sich in Grenzen, denn ich saß für eine zwar intelligente, aber leider kleine Partei in den Gremien.

Die zweite bestimmende Richtschnur war „Raus aus der Enge der Kleinstadt, hinein in die große weite Welt!“ Auch das gelang ganz gut. Einer der Höhepunkte war meine Orientreise in 1974 nach Abschluss des Studiums. 3,5 Monate als Rucksacktourist. Unbequem, aber intensiv. Eine Kulturreise von Ceylon am Landweg bis Salzburg. 

Es folgten die beiden Auslandseinsätze im Rahmen der Firma in Argentinien (Bau einer Werft) und etwas später in Australien an der deutschen Botschaft in Canberra. 

Nichts Dramatisches, aber als guter Beobachter nahm ich viel an Erkenntnis mit. Welterfahrung und Menschenkenntnis waren der Lohn. Meine leicht konservative und deutschnationale Grundeinstellung hat sich dabei abgeschliffen und vervollkommnet.

Die 20 Jahre in der Hauptverwaltung von Thyssen Industrie in Essen waren interessant, aber oft auch frustrierend.

Für das alles bedurfte es einer Ehefrau, ab 1979, die das mitmacht. Die bereit ist ohne Klagen und Gezeter mit ins Ausland, ins Unbekannte mitzugehen. Dazu kommt der Arbeitsaufwand der transkontinentalen Umzüge. Die Situationen wurden gemeistert. Mit Abenteuerlust, Unternehmungsgeist, Zähigkeit und einer guten Portion Glück.

Außerdem hatte ich das Glück in einer Zeit, ohne Krieg und wesentliche Katastrophen zu leben.

Wolf Dietrich Hausmann
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