Wohnen

Duisburg-Hochfeld

Ich wurde 1934 als jüngstes und drittes Kind in Duisburg in einer bürgerlichen Familie geboren. Wir wohnten in einer 3-Zimmer-Wohnung in einem Wohnkomplex der Duisburger Wohnungsbau AG in einem 4-stöckigen Haus mit 4 Familien. Die Gebäude waren im Jahre 1924 fertiggestellt worden und meine Familie zog 1930 dort ein.

An der Rückseite des Gebäudes befand sich ein weitläufiger zu den nachbarschaftlichen Häusern offener parkartiger Hof mit Rasenflächen, Gesträuch-Gruppen. Auf dem Hof waren für uns Kinder Sandkästen angeordnet, 2 Sandkästen, in dem wir im Alter von 0 - 6 Jahren gefahrlos spielen konnten (Förmchen, Schüppchen, Eimerchen). Aber es wurde dann hinterher auch etwas anspruchsvoller. Ich hatte einen Freund im Nachbarhaus – wir bauten dann Gebäude, machten dann Plateaus, setzten Kästen drauf als Häuser usw. Und wenn es ganz hoch kam, durfte ich auch ein paar von den Schienen, von den Eisenbahnschienen, mit runternehmen, dort einbauen, ausfüllen mit Sand. Wenn man mit einem Wagen darüber fuhr, dann entstand ein Muster wie jetzt auf der Straße, die Rillenschienen der Straßenbahn. Das war natürlich spitze.

Später spielten wir auch gefahrlos auf der Straße. Wenn bei uns mal ein Fahrzeug durchfuhr, dann war es vielleicht der Bäcker, der den Kaufmann belieferte oder ein anderer Lieferwagen, der die übrigen Lebensmittel in den sogenannten Tante Emma Laden brachte. Je nach Alter beschränkte sich das Spiel dann auf Ballspielen, und wenn sich tatsächlich mal ein Fuhrwerk oder ein Auto näherte, konnte man bequem zur Seite treten auf den Bürgersteig, bis die Gefahr vorbei war, und das Spiel ging weiter.

Dieser in Winkelform angeordnete Häuserkomplex bestand aus 9 Einzelhäusern mit je 8 Wohneinheiten, war also ein stattlicher Wohnblock. Jeder Familie standen zwei Vorratskeller zur Verfügung. In jedem Haus existierte eine Waschküche im Kellergeschoss. Ein geräumiger Trockenspeicher befand sich im Dachgeschoss. Beides konnte von den Familien im zeitlich geordneten Turnus von 4 Wochen genutzt werden und musste der nachfolgenden Mietpartei in ordnungsgemäßen Zustand hinterlassen werden. 

Unsere Häuserzeile lag an der Johanniterstraße, das ist die Grenze zwischen Stadtmitte und Hochfeld, die den Böninger Park durchquerte, – eine ausgedehnte Parkanlage, die Eigentum der Duisburger Industriellenfamilie Böninger war, und von dieser Anfang des 19. Jahrhunderts angelegt wurde. Der Dickelsbach durchfloss die westliche Hälfte des Areals und mündete an der Stadtmauer der Altstadt in den Außenhafen. Als Mitte der zweiten Jahrhunderthälfte, 1850, der ausgedehnte Rangierbahnhof in der Nähe des Grunewalds angelegt wurde, leitete man den Dickelsbach von Wanheimerort um und ließ ihn dort in den Kultushafen münden. In der östlichen Hälfte des Parks hatte sich die Familie Böninger das Böninger Schloss als Sommersitz errichtet. – Später erwarb die Stadt Duisburg das gesamte Areal und richtete im Schloss das Duisburger Musikkonservatorium ein. Der gesamt Park wurde für die Öffentlichkeit freigegeben. Damit befanden wir uns mit unserem Wohnumfeld, sowohl von der Straße aus als auch vom rückwärtigen Teil unseres Hauses aus gesehen, im Grünen. Diese Umgebung nutzte unsere Familie sehr ausgiebig, was durch zahlreiche Fotos von Freizeitvergnügungen im Sommer wie auch im Winter belegt ist. 

Wir hatten in unserem Block– am Kopf – auch Luxuswohnungen. Das waren 7-Zimmerwohnungen, da wohnten Geschäftsleute, und Wohnungen, in denen Handwerker wohnten, z. B. ein Schneider, der in zwei großen separaten Zimmern eine Schneiderei betrieb. Da saßen also wirklich die Schneidergesellen noch auf einem riesigen Tisch im Schneidersitz und waren am Pinnen. In diesen großen Wohnungen gab es auch Heizungen.

Modernes Wohnen

Unsere Wohnung hatte schon einen recht modernen Zuschnitt. Sie lag im Erdgeschoss, umfasste eine geräumige Wohnküche, ein Elternschlafzimmer mit Außenbalkon, ein Kinderzimmer, in dem wir zu dritt schliefen, ein Badezimmer mit Toilette und Wasserspülung (!) und einer Diele. Das Badewasser für die Badewanne lieferte ein gasbeheizter Durchlauferhitzer, alles in allem auch nach heutigen Begriffen eine zeitgemäß moderne Wohnung. Beheizt wurde die Wohnung mit einem Kohleherd.

In der Wohnküche standen ein großer und ein kleiner Küchenschrank. In dem einem Schrank standen hauptsächlich Gläser, Porzellan usw., in dem anderen Schrank die Hardware, also Töpfe, ‚Pött und Pann‘, wie man sagte. In der Küche stand auch mit Wachstuch bezogenes Sofa sowie ein Tisch mit 4 Stühlen. Wir hatten schon recht früh ein Radio. In unserem Bad hatten wir eine Badewanne und eine Toilette.

Seinerseits zogen Kesselflicker wie auch Scherenschleifer durch die Straßen und machten auf ihre Dienste aufmerksam. So konnte man beispielsweise einen Aluminiumtopf durchgekocht, also irgendwo ein Loch besaß, reparieren lassen. Da wurde dann außen und innen eine Platte mittels Niet angebracht. Das hieß bei uns: Die Töpfe werden gelappt. Daraus hat sich die Redensart gebildet: ‚Was hast Du wieder gelappt?‘ … oder: ‚Das hat der oder die gelappt.‘ … im Sinne von getan, gemacht, als die leichtere Art von verbrochen.

Zwei Kellerräume besaßen wir. Einer war der Kohlenkeller; er lag zur Straße hin und hatte Fenster und unter dem Kellerfenster einen Schacht, in den Kohlen eingefüllt wurden, die dann über eine Rutsche in den Keller runterrutschten. Die Kohlen wurden vom Kohlenhändler sackweise angeliefert. Der nahm sie dann vom seinem Wagen, brachte sie auf seine Schulter und kippte den Sack dann so in den Schacht. Wenn ich das richtig erinnere, war so die durchschnittliche Bestellmenge irgendwo zwischen 6 und 8 Zentner Kohlen.

Unser Haus verfügte über eine Waschküche im Kellergeschoss. von jeder Mietpartei stand eine eigene Waschmaschine darin. Ein geräumiger Trockenspeicher befand sich im Dachgeschoss. Beides konnte von den Familien im zeitlich geordneten Turnus von 4 Wochen genutzt werden. Im Waschraum stand eine Waschmaschine und der übliche große Kupferkessel, der beheizt werden konnte,  um Wäsche darin zu kochen. Dann gab es noch zwei Becken zum Spülen der gewaschenen Wäsche. Außerdem verfügte die Waschküche über eine Senke, sie war so in den Boden angelegt, das Wasser, was irgendwo überschwappte, zur Mitte in diese Senke lief.

Am Waschtag kam zunächst die Leib-, Bett- und Tischäsche in die Waschmaschine, dazu ein Eimer Lauge aus dem Waschkessel, die schon mit Waschpulver versehen war.  Danach kam die Buntwäsche, und zuletzt die Arbeitswäsche vom Vater, die meist mit Blutflecken vom Schlachtvorgang und Fettflecken verunreinigt war. Aus der Waschmaschine  wuchtete die Mutter die gewaschenen Teile in die gemauerten  und glatt mit Zement verputzten zwei Spülbecken (Doppelbecken), in das sie während des Waschvorgangs das Abwasser des Wassermotors der Waschmaschine geleitet hatte. Zwischen den einzelnen Vorgängen presste Mutter die Lauge mit dem Handwringer aus den Wäscheteilen. Das waren zwei gummiüberzogene Walzen, die gegeneinander liefen und per Handkurbel zu bewegen war.

Nach dem Spülen wurde sie nochmals durchgedreht und dann auf den Speicher (Dachboden) zum Trocknen gebracht. Das war ein festgelegter Ritus, und im Winter hatte meine Mutter  nach jeder „Wäsche“ eine Erkältung, wenn sie  aus der kalten Waschküche kam.

Das Haus war bewohnt von 8 Familien. d.h. sie mussten sich die Benutzung der Waschküche teilen. Es wurde peinlichste genau darauf geachtet, dass jeder nach Benutzung der Waschküche diese auch wieder in einem weiterverwendbaren Zustand hinterließ. Das heißt, die Messinghähne mussten geputzt werden, der Waschofen musste sauber und besensauber ausgenommen werden. Der Heizofen, der ja mit Kohle beheizt wurde, musste besenrein gesäubert werden. Die Senke, in die das Schmutzwasser lief, verdiente besondere Aufmerksamkeit: Der Auffangkasten der Senke wurde herausgenommen und entleert und wurde demonstrativ so schräg wieder reingestellt, dass jeder sofort sehen konnte, dass dort sauber gemacht worden war. Wenn sich da jemand erlaubte, einen Fehler zu begehen, wurde sich beim Hausverwalter, der 300 Wohnungen betreute, beschwert, und der Verursacher kriegte einen Verweis.

Wir hatten auch einen Eisschrank. Der hatte nicht wie heute üblich ein Kühlaggregat, sondern er besaß ein großes Fach, in das Eis eingelegt werden musste. Das Eis dafür wurde in Stangen angeliefert. wir bekamen es vom Schlachthof meines Vaters, der wohl eine große Eisanlage hatte. Mein Vater zerhackte das Eis im Spülbecken, um es besser einschichten zu können. Nur durfte man nicht vergessen – das Eis taute ja auf – das Schubfach zu entleeren.  Wenn man das vergessen hatte, ja, dann ergoss sich das Wasser in der Wohnung.

Wir hatten in der Wohnung auch Gas- und Stromanschluss. Gas- und Stromzähler waren gleichzeitig die Kassierautomaten zur Bezahlung der gelieferten/entnommenen jeweiligen Energie, vergleichbar mit heutigen Parkautomaten für Autos. Man kaufte die entsprechenden Wertmünzen, also keine Bargeldmünzen, beim Kaufmann im Lebensmittelgeschäft um die Ecke, je nach geschätzten Verbrauchsmengen und verfügbarem Geld. Turnusmäßig kam jemand zum Einsammeln der Marken. Der Kaufmann erwarb die Münzen vom Energielieferanten. Der Kaufmann bekam sicherlich für seine Leistung und den Bargeldvorschuss eine gewisse Provision.

Gas  brauchten wir zum Kochen auf dem Gasherd und zum Erhitzen des Badewassers in einem großen kupfernen Gasbadeofen ähnlich einem Durchlauferhitzer: das Wasser lief also durch und kam unten dann heiß raus. Die Sanitärversorgung gewährleisteten die Duisburger Stadtwerke als Gas-, Strom- und Wasserlieferant.

In dieser Wohnung da haben wir dann mit 5 Personen gewohnt. Meine zwei älteren Schwestern und ich als Kinder, meine beiden Eltern. Wir Kinder hatten das Kinderschlafzimmer und die Mädels hatten richtig große ausgewachsene Betten, die waren ja jetzt schon dem Babyalter entwachsen und ich hatte ein Kinderbett noch. Interessanterweise stand auch in dem Kinderzimmer der eben zitierte Eisschrank. Das ergab sich so aus der Wohnsituation, sagen wir mal, mit dem Mobiliar.

 

Einschnitte seit Kriegsbeginn

Im Verlaufe des Krieges verringerte sich die Personenzahl unserer Familie kriegsbedingt. 1941 wurde mein Vater zum Militär eingezogen und nach Ableistung seiner Militärausbildung als gelernter Metzgermeister einer Versorgungseinheit des Heeres in Frankreich zugeteilt. Als nächstes verließ uns meine älteste Schwester Marianne, Jahrgang 1924, sie verpflichtete man 1942, also mit 18 Jahren, zur Deutschen Kriegsmarine, wo sie als Telefonistin in einem Forschungs- und Entwicklungsinstitut der Kriegsmarine tätig war. Als 1943 in Duisburg wegen der Luftkriegsgefahr alle Schulen geschlossen wurden, reiste meine zweite Schwester, Thea, Jahrgang 1930, mit ihrer gesamten Schule einschließlich Lehrkörper in die Kinderlandverschickung nach Böhmen und Mähren, so verblieb ich mit meiner Mutter alleine in Duisburg zurück.

 

Ausgebombt

Der Großangriff vom 14./15. Oktober 1944 setzte sich aus drei Einzelangriffen mit jeweils 1000 Bombern zusammen, die insgesamt innerhalb von 20 Stunden 9000 Tonnen Bomben auf Duisburg abwarfen. Unser Haus wurde bei der ersten Angriffswelle am 14.10. gegen 9 Uhr vormittags von Brandbomben getroffen. Der Brand konnte sich im Dachstuhl, eine Holzkonstruktion, sehr schnell ausbreiten und fraß sich durch die Decken-Bodenkonstruktionen, bestehend aus Balkenlagen mit Bretterauflagen für die Gehflächen, die in den meisten Wohnungen mit Linoleumteppichen belegt waren, nahezu ungehemmt von Stockwerk zu Stockwerk nach unten durch. Als Parterrebewohner gelang es uns, unsere Wohnungseinrichtung nahezu vollständig zu bergen, ehe der Brand unser Erdgeschoss erreichte. Die größte Sorge meiner Mutter war: „Ach, unser Herd, wie kriegen wir den denn raus?“ Der musste ja schließlich von den Gasleitungen abgetrennt werden und mit dem Ofenrohr abtransportiert werden. Es fanden sich aber noch einige handwerklich begabte Leute, die das noch zuwege gebracht hatten, und wir stellten alles in den gegenüberliegenden Park.

Meine Mutter hatte dieses bei Beginn der Rettungsarbeiten nicht zu hoffen gewagt. Aber zahlreiche Helfer, unter ihnen auch einige russische Zwangsarbeiter, halfen fleißig mit und zeigten sich für Mutters Butterbrotgaben hierdurch erkenntlich. Zwischendurch mussten wir die Bergungsarbeiten zweimal unterbrechen, weil die zweite und dritte Bomberwelle uns wieder in den Bunker scheuchte.

An Löscharbeiten war ohnehin nicht zu denken, weil in der Stadt bei solch massierten Bombardements zahllose Brände zu bekämpfen waren, und es gab sicherlich wichtigere Brandobjekte, z.B. Krankenhäuser.

Im Gegensatz zu vielen anderen Leidensfamilien in dieser Lage eröffnete sich für uns in diesem goldenen trockenen Oktober 1943 eine ideale Möglichkeit der Unterbringung. In unmittelbarer Nähe unseres im Winkel angeordneten Wohnblocks der GEBAG, Johanniter Straße/Ecke Ludwig Knickmann Straße, lag jenseits der letzteren Straße ein U-förmiger Wohnblock, der von Bomben teilweise vorher zerstört worden bzw. schwer beschädigt war. Dem stark beschädigten und deshalb unbewohnbar gewordenen Zug an der Ludwig Knickmann Straße hatte die Wohnungsbaugesellschaft inzwischen wieder soweit hergerichtet, dass die Bewohnbarkeit mit Einschränkungen wieder möglich war. Uns wurde die Wohnung Ludwig Knickmann Straße 134, I. Etage links, zugewiesen. Die Wohnung hatte also im Grund genommen den gleichen Zuschnitt wie unsere ausgebrannte Wohnung und wir konnten uns darin einrichten.

Wir begannen unser Inventar mit Hilfe von Nachbarn, Bekannten und anderen Hilfswilligen hierher zu schaffen und in diese Wohnung einzuräumen; denn Kohle- und Gasherd, und Kupfer- oder Gasbadeofen mussten fachmännisch angebracht und funktionsfähig gemacht werden. So taten es auch die übrigen Familien der beschädigten Nebenhäuser, und wir bekamen dadurch eine neu formierte Nachbarschaft. Nun hatten wir wieder ein Dach über dem Kopf, welches uns zwar Obdach gewährte, jedoch den Zustand nach noch Rohbaucharakter hatte. Glücklicherweise waren Fenster und Türen vorhanden, aber nicht hundertprozentig,  aber mit den Fußböden musste noch ausgeholfen werden. Wegen der zerbrochenen Fensterscheiben haben wir die Fensterflügel innen mit jenen Sperrholzplatten behängt, die ursprünglich der vorgeschriebenen Verdunkelung gedient hatten; denn jeder rechnete mit weiteren Bombenangriffe, die weiterhin die Glasfenster zersplittern ließen.

Kriegsbeschädigte Häuser wurden während der Kriegszeit auch durch Zwangsarbeiter wieder repariert bzw. hergerichtet, die lebten in unserer Nachbarschaft  in einem Barackenlager. Es erforderte schon ein mächtiges Stück Arbeit, die Hinterlassenschaften der Bauarbeiter aus den Räumen zu schaffen, um das neue Domizil in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen. Die hatten also nicht nur die Toilette als Toilette benutzt, sondern auch die Badewanne, und und es bedurfte schon einiges an Überwindung, hier einen gewissen Grad an Ordnung und Sauberkeit zu schaffen. Teilweise mussten auch noch fehlendes Wohnungsinventar wieder beschafft werden – aber irgendwie brachte es meine Mutter zuwege, uns wieder ein annehmbares Heim herzurichten. – Damit konnte der gewohnte Kriegsalltag wieder seinen Lauf nehmen.

Auch nach dem Krieg war das unsere erste Wohnung. Meine Schwestern wohnten dort noch bis in die 60er Jahre. Die Fensterscheiben bestanden nicht aus Glas, sondern immer noch aus Sperrholz, die waren komplett abgedichtet, bis mein Vater jemanden mobilisiert hatte, der uns Glasscheiben organisieren konnte.

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