Vorratshaltung und Einkauf in der Wirtschaftswunderzeit

Wenn wir heute durch einen Supermarkt gehen, gibt es alles an Nahrungsmitteln in großer Auswahl und diversen Packungsgrößen, was man sich nur vorstellen kann. Die Vielfalt der Angebote ist oft irritierend, sodaß einem die Auswahl eines Produktes nicht leicht fällt. Das war aber nicht immer so. Es gab weder einen Kühlschrank noch wurden zur damaligen Zeit Gemüse und Obst an fernen Ländern angekarrt.

Einkaufen in den 1950er Jahren

In unserer Einöde gab es ein kleines Lebensmittelgeschäft, ein sogenannter Tante Emma Laden. Aber es fehlten ein Metzger, der Bäcker, eine Drogerie sowie eine Apotheke, ein Fischgeschäft, der Wochenmarkt u.s.w. In meiner Kinderzeit wurden deswegen größere Einkäufe höchstens einmalig wöchentlich erledigt. Dazu musste ein langer Fußweg in die Innenstadt von Mülheim nach Oberhausen zurückgelegt werden, da es in unserer Gegend mit der Infrastruktur haperte und es somit keine Busverbindung gab, welche eine enorme Entlastung für die Hausfrau gewesen wäre. Den schweren Einkauf in Tasche und Netzen nach Hause zu tragen, bedeutete deshalb eine erhebliche Mühe. 

Was unsere Ernährung betraf, so war diese dennoch vielseitig und abwechslungsreich, denn wir besaßen einen großen Garten, in dem meine Eltern selbst das Gemüse anbauten, sodass wir das ganze Jahr über reichlich davon zehren konnten. Ebenfalls gab es eine große Anzahl von Obstbäumen sowie Beerensträucher. Wir mussten seinerzeit einkellern, so nannte man das. Unser Keller und auch die Waschküche befanden sich in einem Nebenhaus,  und dort lagerten unsere Vorräte. Natürlich half ich als Kind gerne ein bißchen im Garten mit, nur Unkrautzupfen mochte ich gar nicht.

Was dazu gekauft werden musste, waren Grundnahrungsmittel wie Fleisch, Wurst, Käse, Butter und Milch. In den ersten beiden Jahr in unserem Haus konnte aber nur in kleinen Mengen eingekauft werden, denn wir besaßen keinen Kühlschrank. Im Winter wurde alles auf die Fensterbank nach draußen gestellt, und im Sommer wurde so eingekauft, dass nichts schlecht werden konnte.

Unser Nutzgarten

Meine Mutter war eine hervorragende Köchin und Hausfrau und bereitete für uns täglich ein gesundes, frisches Essen zu, welches auch appetitlich auf den Tisch kam. Über das gesamte Jahr verteilt waren wir vom Apfel bis zur Zwiebel immer gut versorgt, unser Garten gab alles an Obst und Gemüse her, was hier in unseren breiten wächst. Die letzte Ernte aus dem Garten war der Grünkohl, denn er musste, damit er gut schmeckte, den ersten Frost mitbekommen haben.

Eier gab es täglich frisch von den Hühnern meiner Großeltern, und als die Hühner das Legen nach und nach einstellten, kauften wir die Eier nach Bedarf in unserem kleinen Lebensmittelgeschäft. Die Hühner wurden niemals geschlachtet, sie verstarben allesamt an Altersschwäche.

Unsere Ernährung war somit ganzjährig gesichert, zumal meine Mutter auch das Einwecken von Obst- und Gemüsesorten für den Winter als Vorratshaltung reichlich sicherstellte. Natürlich war dies eine aufwendige Tätigkeit.

Das Einkochen

Zunächst mußten Obst und Gemüse geerntet, mehrmals gewaschen und mundgerecht zugeschnitten werden, um dann in die zuvor frisch gespülten Weckgläser verteilt zu werden. Es kam Wasser hinzu, bei Obst noch Zucker, und bei Essiggurken und roter Bete mußte zuvor ein Sud aus verschiedenen Gewürzen aufgekocht werden. Anschließend wurden die Gläser mit einem Gummiring, der vorher in Salzwasser gekocht wurde, mit dem Glasdeckel und einer entsprechenden Metallklammer verschlossen. 

Danach kamen sie in den Einkochkessel, der je nach Obst- oder Gemüsesorte nur eine bestimmte Temperatur erreichen durfte. Diese konnte an einem Thermometer, welches aus der Mitte des Deckels herausragte, abgelesen werden. War der Einkochprozess abgeschlossen, mussten die Gläser ruhen und wurden dazu mit einem Küchentuch abgedeckt. Erst am nächsten Tag konnten die Verschlussklammern entfernt werden. 

Der Wasserdampf in den Gläsern war dabei über Nacht kondensiert, es bildete sich ein Vakuum, das Gargut war also verschlossen. So blieb das Eingemachte lange haltbar und frisch, bedingt durch die Dampf – Sterilisation und den luftdichten Abschluss. Der Gummiring, der ja als Dichtung diente, hatte einen Zipfel. Diesen mußte man kräftig ziehen. Dadurch wurde das Glas mit einem leisen Zischen belüftet, man konnte jetzt den Verschlussdeckel ganz leicht öffnen und den durch den schonenden Garungsprozess, schmackhaften und vitaminreichen Inhalt genießen.

Der Einkochkessel

Im Prinzip war der Einkochkessel ein großer Kochtopf aus Zink mit einem Fassungsvermögen von etwa 50 – 60 Litern. Rechts und links befand sich jeweils ein Tragegriff. In seinem Verschlussdeckel gab es mittig eine Bohrung, in welcher ein überdimensionales Thermometer gesteckt werden konnte. Es diente zur Überwachung der Einkoch-Temperatur. 

Auf dem Boden des Kessels stand eine Palette aus Zink mit in den Boden kreisförmig eingestanzten Löchern. Auf diesen Boden wurden die gefüllten Einmachgläser gesetzt. In der Mitte der Palette gab ein Gestänge dem Thermometer Standfestigkeit. Am dessen oberen Ende befand sich ein beweglicher Tragebügel, um die Palette aus dem Kessel heben zu können. Die Palette verhinderte, dass die Gläser direkt auf dem Boden des Kessels im Siedewasser standen. So wurden die Gläser nur durch den aufsteigenden Dampf erhitzt und konnten somit nicht platzen.

Damals kamen die Einkochkessel auf den Küchenherd, der damals noch mit Kohle geheizt wurde. In den 60er Jahren wurden diese Einkochkessel aus emailliertem Blech im Handel in verschiedenen Größen und Farben angeboten.

Das Fermentieren

Ebenso stand Fermentieren auf der Jahresplanung. Fermentiert wurden verschiedene Kohlsorten und die von uns so geliebten Schnibbelbohnen, aus denen in den Wintermonaten Eintöpfe zubereitet wurden. 

Fermentieren ist eigentlich ein chemischer Prozess, bei dem organische Stoffe durch Bakterien oder Enzyme umgewandelt werden. Hierbei entstehen Gase, Säuren oder Alkohol, diese entstehen durch das Hinzufügen von reichlich Salz. Fermentieren dient ebenso wie das Einkochen dem Haltbarmachen von Lebensmitteln, also unserem Obst und Gemüse. Zum Fermentieren wurden unsere Kohlköpfe aus dem Garten in mittelfeine Streifen geschnitten. Anschließend kamen diese Schnipsel in eine große Schüssel und wurden mit reichlich Salz bestreut. Dies war erforderlich damit sich reichlich Wasser aus dem Gemüse absetzte. 

Nach einigen Stunden wurde die entstandene Flüssigkeit abgeschüttet und der Kohl oder die Bohnen in einem Tuch nochmals ausgedrückt. Danach wurde das Gemüse in saubere Gläser bis zum oberen Rand gegeben und fest zusammen gepresst. Als nächster Schritt kam auf den Kohl wieder Salz, darauf ein Lorbeerblatt, einige Nelken und Wachholderbeeren. Zum Schluss wurde ein kleines Leinentuch  auf den Kohl gelegt und anschließend das Glas fest mit einem Deckel verschlossen. So blieben alle Vitamine und Mineralstoffe in ihrer Gänze erhalten. Beim Einkochen dagegen geht durch die Erhitzung immer ein großer Teil dieser Stoffe verloren.

Wollte man große Mengen fermentieren, so wurden dafür Gefäße aus Steingut verwendet. Der Arbeitshergang war der gleiche, nur wurde wegen der erheblich weiteren Öffnung auf das Leinentuch noch ein Stein zum Beschweren und  zur Zusammenpressung des Gemüses platziert. Den Abschluss bildete meist ein stabiler Holzdeckel, der ebenfalls nochmals mit einer Steinplatte versehen wurde. So konnte man über viele Monate das Gemüse haltbar machen.

Für das Zurechtschneiden der Schnibbelbohnen gab es  ein Gerät, einen sogenannten Bohnenschneider. Dieses wurde wie ein Fleischwolf an der Tischkante befestigt. Das Gerät hatte eine schmale Öffnung, die in der Mitte eine Trennwand besaß, sodass zwei Einführungen für die Bohnen vorhanden waren. In diese wurde jeweils eine  Stangenbohne hinein gegeben. Eine am Gerät befestigte Kurbel wurde gedreht und aus der Öffnung kamen die Schnipsel der Bohnen heraus. 

Getränke mit und ohne Alkohol

Von den Beeren unserer beiden Holunderbäume wurde ein Saft angefertigt und in Flaschen abgefüllt. Er diente im Winter als Unterstützung zur Besserung der Symptome bei Erkältungskrankheiten.

Auch Likör wurde von uns angesetzt, meist aus den roten und schwarzen Johannisbeeren, Aufgesetzter genannt. Eine Flasche wurde zu etwa 1/3 mit Beeren gefüllt, der Rest der Flasche wurde mit braunem Kandiszucker und einem guten Korn aufgefüllt. Seinen besten Geschmack und die Konsistenz entwickelte der Likör in seiner Intensität so richtig erst nach mehreren Jahren der Lagerung. So gab es immer etwas Alkoholisches zum Anbieten, wenn Gäste kamen.

Einmachen und Lagern 

Eine große Menge von Gläsern mit selbst hergestellter Marmelade und Gelee verschiedenster Obstsorten sowie Pflaumenmus füllten im Keller viele Regale und bereicherten unseren Frühstückstisch. 

Irgendwann pflanzten meine Eltern keine Kartoffeln mehr selber an, es wurden dann welche zum Einkellern bei einem Bauer in unserer Nähe gekauft. Der lieferte sie uns in Säcken mit seinem Pferdewagen. Sie wurden sofort in die Kartoffelkiste im Keller geschüttet. So kamen wir damit gut über den Winter – so sagte man damals. 

Ebenfalls wurden unsere späten Apfel- und Birnensorten im Keller gelagert. Das Obst dieser beiden Bäume wurde in unserem kühlen und dunklen Kellerraum auf Holzregale gelegt und konnte den Winter über immer frisch verzehrt werden. Wichtig dabei war, dass sich die Früchte nicht berührten und regelmäßig gewendet werden mussten.

Kohlen waren ebenfalls wichtig, und so wurde für die Wintermonate auch vorgesorgt und die erforderliche Menge im Keller gelagert. Der tägliche Bedarf wurde mit einer Kohlenschütte geholt, was bei Schnee und Glatteis nicht gerade eine angenehme Tätigkeit darstellte, denn die Kellertreppe war eine hohe Gefahrenquelle, wenn die Stufen glatt waren.

Jutta Loose
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