1. KLV-Lager, 1942
Im Februar 1942 fuhr ich zum ersten mal in ein KLV-Lager in Böhmen und Mähren. Dazu hatte man die Hälfte eines Gymnasiums zu unseren Gunsten zweckentfremdet. Das Gymnasium war relativ neu und stand in einem öden Städtchen mit dem Namen Sobieslaw. In der anderen Hälfte des Gymnasiums lernten noch tschechische Schüler ihr Pensum, unter anderem Deutsch. Es war sehr lustig, wie die tschechischen Schüler uns mit ihrem „Deutsch“ imponieren wollten. Wir hatten dort regelmäßig einen intensiven Unterricht von 5-6 Stunden täglich, einschließlich Samstag.
12 Kinder waren wir auf einer Stube, die mit 12 Spinden, 6 Etagenbetten mit Strohmatratzen möbliert war. Gegessen wurde gegenüber in einer Gaststätte; es war reichlich genug, und wir sind allesamt satt geworden. Um uns herum war eine wunderschöne Natur. Vom Krieg haben wir dort nichts mitgekriegt.
Empfehlung für die Oberrealschule
Ende Februar 1943 war ich wieder zu Hause. Mit der Empfehlung meines Lehrers aus dem KLV-Lager meldete mich meine Mutter an der Krupp-Oberrealschule in Essen-West an. Nach bestandener Aufnahmeprüfung, die damals noch absolviert werden mußte, kaufte meine Mutter mir eine blaue Schirmmütze mit Samt. Die hatte man als Gymnasiast damals zu tragen, und ich war sehr stolz. Aber ich hatte keine Gelegenheit, diese Mütze jemals zu tragen, denn kurz vor dem Schulwechsel war der große Bombenangriff auf Essen.
Luftangriff auf die Krupp-Werke, 1943
Zunächst waren nur vereinzelte Luftangriffe der englischen Air Force zu sehen und zu spüren, wenn die Sirenen Luftalarm meldeten, wir am Fenster standen und zuschauten, wie zig Flakscheinwerfer den Himmel absuchten. War erst einmal ein Flugzeug in den Lichtkegel geraten, wurde es fast jedes Mal abgeschossen.
Dann aber kam der 05. März 1943. Fliegeralarm. Wir standen wieder am Fenster. Plötzlich hörten wir ein unheimlich lautes Brummen und Dröhnen am Himmel. Pfadfinderflugzeuge warfen sogenannte Christbäume ab, und das ganze Zielgebiet war taghell erleuchtet.
Unser Haus stand direkt gegenüber den Kruppwerken. Auf diese hatten es die englischen Bomber abgesehen. Zirka 600 dieser Bomber luden ihre Brand- und Sprengbomben über unseren Stadtteil ab. Wir sind dann ganz schnell in den Keller geeilt, ohne unsere schon seit Monaten gepackten Koffer mitzunehmen. Draußen herrschte ein infernalischer Lärm. Bomben fielen ohne Unterlass, die Flak schoss aus allen Rohren. Doch ganz plötzlich war es für einige Sekunden unheimlich still. Dann brach mit einem gewaltigen Getöse die Hölle los. Das Licht erlosch, die Luft war voller Staub, Wasser lief aus geborstenen Rohren. Alle schrieen wild durcheinander. Eine Luftmine war in unserem Hof explodiert und hatte unser vierstöckiges Haus total zerstört.
Der Volltreffer dieser Luftmine hatte all meine Schul-Träume zerplatzen lassen. Ein großer Haufen Schutt lag an der Stelle, wo einst mal unser Haus stand. Meine ganze Habe bestand demnach nur aus meinem Schlafanzug, einem Mantel, Pantoffeln und einer Mütze. Meine Mutter nahm mich an die Hand, und wir kletterten im Dunkeln über die Reste unserer Kellertreppe. Draußen war es taghell. Nachbarhäuser standen in Flammen. Bomben fielen ununterbrochen. Wahrscheinlich hatten meine Mutter und ich eine ganze Kompanie von Schutzengeln. Wir erreichten wie durch ein Wunder einen Hochbunker in etwa 500 Meter Entfernung. Meine Mutter schlug mit einem Stein an die Stahltür des Bunkers, und wir wurden eingelassen. Im Bunker mit meterdicken Betonmauern war vom Lärm draußen nur wenig zu hören. Wir beide sahen aus wie Mühlenarbeiter, von Kopf bis Fuß weiß vom Mörtelstaub.
Um etwa 5 Uhr morgens ließ man uns raus. Wir erkannten unseren Stadtteil Essen-West nicht wieder. Nur rauchende Trümmer, ein infernalischer Brandgeruch. Ich stand nun mit meiner Mutter vor einem riesigen Schutthaufen, der mal unser Haus war. Danach übernachteten meine Mutter und ich einige Tage lang bei immer anderen Verwandten. Dank der Bezugsscheine für Ausgebombte bekam ich einige Tage später eine Hose, Unterwäsche und ein Hemd.
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