Flucht

Bleibe in Schuby

Im Kreis Eckernförde sorgte meine Mutter wieder mal dafür, dass wir dort bleiben konnten, und zwar in Schuby. Sie hat mal wieder so viel geredet und Überzeugungsarbeit geleistet.

Der Bürgermeister, der auch am Bahnhof war, schickte uns zunächst mal in die Schule und wir wurden dort richtig gut versorgt. Da gab es schon frisches Gemüse und Kartoffeln. Das, was andere in dieser Zeit alles so erlebt hatten, im Winter mit Kartoffelschalen essen und keine Kartoffeln und kein Brot haben, das haben wir nicht erlebt.

Wir wurden in der Schule untergebracht. Nach zwei Tagen fuhren wir mit einem Pferdewagen zu unserer Unterkunft. Wir kamen auf das Gut Grüntal und kriegten ein Zimmer zugewiesen im Gutshaus. Wir hatten aber gar keinen eigenen Eingang zu unserem Zimmer. Das war eigentlich ein sehr schönes großes Zimmer, und es war auch irgendwie nett fertig gemacht. Es stand da ein Tisch, da waren 5 Stühle dran, da war ein Kleiderschrank, zwar so ein ganz kleiner Kinderkleiderschrank, aber wir hatten auch keine Sachen, die man reinlegt in den Schrank oder reintut. Wir hatten etwas Geschirr, ein Kochherd wurde noch gemauert. 3 Betten wurden vom Stellmacher, vom Tischler, gestellt und das waren dann unsere Betten. Wir waren 5 Personen. Meine Schwester und ich mussten zusammen schlafen und mein Bruder dann oben im I. Stock und meine Eltern hatten ein etwas breiteres Bett, aber auch so aus Holzleisten zusammengehauen. Wir hatten jedenfalls so das Gefühl, dass wir willkommen sind. Das war eigentlich ein guter Eindruck, ein hübsches Bild hing da noch an der Wand, und da waren wir dann auf einem Gutshof. 

Holz konnten wir uns von einem großen Haufen holen, um unser Öfchen zu stochen. Zum Heizen reichte es nicht, man konnte nur ein bisschen drauf kochen. Wasser gab es von der Pumpe. Das Klo war weit weg, man musste um die Wirtschaftsgebäude herum gehen, hinter dem Hühnerstall lag es dann. Da war so eine große Anlage für 3 Sitzplätze. Na, ja, man war noch abgetrennt, so war es nicht, aber es war halt auch der weite Weg. Es war ja auch so, dass man auch ständig immer das Nachtgeschirr brauchte, denn wir konnten nachts ja den großen Marsch nicht machen. Unser Weg hatte keinen eigenen Eingang und da mussten wir ins Gutshaus reingehen und bei einer anderen Flüchtlingsfamilie durchs Zimmer. Aber das war jetzt nicht so durch die ganze Wohnung, sondern so über Eck und dahinter war die Tür zu unserem Zimmer. 

So lebten wir da, aber wir stritten uns nie, es war wie eine große Familie.Wir feierten recht schöne Weihnachtsfeste und vertrugen uns wirklich sehr gut. Wir waren froh, dass wir wieder ein Zuhause hatten und wir Kinder in die Schule gehen konnten. Denn das war der Grund, weshalb meine Mutter so getrieben hatte. Sie wollte unbedingt, dass ihre Kinder in die Schule gehen konnten. 

Das Gut gehörte Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein zu Glücksburg, Sonderburg. Das war ein ganz mildtätiger Mensch. Der hat von den Flüchtlingen kein Geld genommen für Miete. Jede Familie mit Kindern bekam einen halben Zentner Korn. Damit konnten wir zur Mühle, da konnten wir Gerstengrütze oder Haferflocken uns abholen. Wir haben immer so viel gehabt, dass wir jedenfalls nicht so ausgehungert waren. Wir hatten nicht das Gefühl, dass es uns besonders schlecht ging. Wir waren mit allem zufrieden. Wir haben Gerste in der Pfanne geröstet und in einer Kaffeemühle gemahlen, und dann gab es  Kaffee; ebenso Tee von getrockneten Kräutern.  

Und Milch gab es auch da für die Kinder: ½ Liter Vollmilch, und die Erwachsenen konnten so viel Magermilch kaufen, so viel sie wollten. Die Magermilch kam ja so heiß aus der Molkerei, das war köstlich, die heiße Magermilch zu trinken. 

Eine Frau, die in unserer Gruppe war, war erkrankt und kam ins Krankenhaus. Der Klaus, der wurde von seinem Vater abgeholt und nach Solingen mitgenommen. Mutti fuhr nach Kiel zum Lumpenhändler und holte dort gebrauchte Kleidung. Diese wurden von ihr umgearbeitet in  einen Rock oder in eine Hose oder was sonst nötig war. Schon bald hatten wir  Sommer und es gab wieder  Gemüse, Kartoffeln und  Obst zu essen.  Deshalb sagte ich, ich habe nie gehungert.

Außerdem hatten wir großes Glück, denn mein Vater konnte dort auf dem Hof arbeiten. Die Schlossverwaltung hatte eine intakte Buchhaltung, die Arbeiter bekamen von Beginn an  ihr Geld. Für die Arbeiter, die da beschäftigt waren, wurde auch schon in die Rentenversicherung eingezahlt. Auch mein Vater hatte später, als er Rentner war, davon noch profitiert. 

Meine Eltern haben gelitten, dieser psychische Schmerz, ja, der war ja groß. Als Kind ist man ja sehr unbeschwert. Man findet schnell Spielkameraden und so. Als wir  von unserem Hof in Pommern wegziehen mussten, weinten alle, weil es ein Abschied von Zuhause und eine Reise ins Ungewisse bedeutete. Ich kann mich noch erinnern, ich habe auf dem Wagen gesessen und habe gedacht: „Endlich sehe ich mal die weite Welt.“ Also, mir war das da immer ein bisschen eng.

Ich hatte noch einen Satz: Wir haben nicht gehungert, nein, gehungert haben wir nicht, wir haben zwar mager gegessen und uns sehr viel beholfen und Gerichte erfunden. Wir haben Gerste geröstet in der Pfanne und in der Kaffeemühle gemahlen, und dann gab es dann Kaffee schon und Tee, da wurden dann Kräuter getrocknet, aber ich muss sagen, ich habe in meinem Leben noch nie gehungert. 

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