Hamstern und Neubeginn
Hamstern auf den Bauernhöfen der Umgebung von Lauenburg, der Schwarzmarkt, auf dem Zigaretten und alles Mögliche getauscht wurde (z.B. Friseurscheren), das fürchterliche Maisbrot … das sind die Stichworte, die Eva Timm mit der unmittelbaren Nachkriegszeit verbindet. Man war froh, dass der Krieg vorbei war. Und was gibt es Schöneres für eine 19-Jährige als Tanzen!
So traf man sich in der Schifferbörse von Lauenburg zum Tanz. Sie hatte ein Paar kunstseidene Strümpfe, auf die sie sehr stolz war. Zu trinken gab es im Winter ein rotes Heißgetränk und im Sommer ein kaltes Heißgetränk. Sie waren alle glücklich und froh, dass sie das alles hinter sich gebracht hatten – und sie waren jung. Zitterfox hieß der Modetanz damals.
Arbeit bei den Engländern
Mit ihrem Schulenglisch konnte sie als kleine ungelernte ‚Tipse’ für die Engländer arbeiten. Sie wurde nach Hamburg versetzt, wo sie für die Vorzensur bei der Presse zuständig war; denn alle deutschen Zeitungen wurden von den Engländern zensiert.
Wie bescheiden die Umstände waren, zeigt diese Begebenheit: Zur Arbeit in Hamburg fuhr sie mit dem Bus. Alle Busse hatten seinerzeit schlechte Reifen, was sich insbesondere bei Glatteis im Winter schlecht für die Fahrgäste auswirkte: Sie mussten dann nämlich auf den Bus verzichten. So lief Eva Timm einmal von Geesthacht nach Lauenburg, das sind 15 km, wo sie von ihrer Mutter sehnsüchtig erwartet wurde. Das dürftige Essen danach ist ihr auch noch in Erinnerung: Immerhin gab es etwas.
Mülheim an der Ruhr
Der Stiefvater wurde Ende 1947 von der AEG nach Mülheim an der Ruhr – die Lederstadt genannt – versetzt. Die Familie kam erst bei einer Familie Klein unter (der Vater war Förster am Auberg) und bezog dann am Muhrenkamp Nr. 105 in Mülheim eine Wohnung.
Sie wurde Kosmetikerin, war in diesem Zusammenhang auch auf Modenschauen unterwegs und lernte so ihren ersten Mann kennen, Otto Rühl, einen Lederfabrikanten.
Sie heirateten am 17. Mai 1952; ihr Mann verstarb wenige Wochen später, am 21. Juli, an einer Embolie.
Aus ihrer 2. Ehe gingen 2 Söhne hervor und heute gibt es bereits 5 Enkelkinder.
Eins meiner vielen Interessen war immer schon, das aktuelle politische Geschehen in einem größeren historischen Zusammenhang zu sehen. Was mit Einzelschicksalen in ihrer jeweiligen Zeit passiert, habe ich schon in die Wiege gelegt bekommen, denn beide Eltern waren nach dem 2. Weltkrieg Flüchtlingskinder, mein Vater sogar noch Kindersoldat. Erst nach meiner Pensionierung konnte ich mich mit den Folgen dieser schrecklichen Zeit in der deutschen Geschichte beschäftigen und damit auch mit den Ursachen.
Bei meiner Arbeit ist mir ganz wichtig, immer auf das Alter der Erzählenden zu achten und immer danach (auch der Zuhörer sich selbst in seiner Biografie) zu fragen, inwieweit das politische Bewusstsein schon vorhanden war; und das ist bei jedem Menschen verschieden. Ich möchte ein Mosaikstückchen dazu beitragen, dass junge Menschen ihr persönliches politisches Bewusstsein bilden können; deshalb ist mir die Arbeit an Schulen eine Herzensangelegenheit.
Die Zeitzeugen fühlen sich manchmal unverstanden, wenn aus dem Heute Rückschlüsse nach Gestern geschlossen werden, frei nach dem Motto Warum habt ihr nichts gemerkt?, Wie konnte das passieren?, usw. Und genau hier ist der Punkt, an dem ein Austausch mit der jüngeren Generation stattfinden kann. Indem es den Zeitzeugen gelingt, dass sich die Schülerinnen und Schüler in die damalige Zeit versuchen hineinzuversetzen, können auch Bilder für das eigene Leben, für die eigene Zukunft entstehen.
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