Ungarnaufstand

Erstes politisches Erwachen und direktes Gefühl von Bedrohung

Ausgangslage

Am 23. Oktober 1956 fand in Budapest die erste Studentendemonstration gegen das kommunistische Regime statt. Ungarn solle neutral sein und aus dem Warschauer Pakt austreten. Die Unruhen weiteten sich schnell im gesamten Land bei allen Bevölkerungsschichten zu einem antikommunistischen Aufstand aus. Es wurde in den Straßen geschossen, gekämpft und gelyncht. Teile der regulären ungarischen Armee schlossen sich den Aufständischen an.

Der Reformkommunist Imre Nagy verkündete nach einigem Zögern das  Ende des Einparteiensystems und die Bildung einer Mehrparteienregierung. Am 4. November begann die Rote Armee mit starken Panzerverbänden den Gegenangriff, zuerst auf Budapest. Die erbitterten Straßenkämpfe dauerten bis zum 15. November. In Teilen von Ungarn wurde noch bis Ende 1956 gekämpft. 

Es gab 3.200 Tote unter den Aufständischen, 35.000 Aufständische wurden angeklagt, 239 hingerichtet. Etwa 200.000 Ungarn, darunter bewaffnete Teilverbände der Armee, flüchteten über die österreichische Grenze in den Westen.

Stimmungslage

Die dramatischen Ereignisse in Ungarn wurden natürlich in Österreich mit höchstem Interesse verfolgt. Die kommunistischen Putsche 1948 in Prag, Bukarest etc. lagen erst 8 Jahre zurück. In Österreich gab es im Oktober 1950 zudem kommunistische Streikunruhen. Diese Bedrohungen war allen noch sehr präsent. Alle hingen deswegen am Radio, andere Informationskanäle, außer den Zeitungen, gab es damals nicht. Die ganz überwiegende Mehrheit der Österreicher zitterte mit den ungarischen Aufständischen mit. Die Befürchtung: Die letzten russischen Soldaten waren erst ein Jahr zuvor aufgrund des Staatsvertrages mit den vier alliierten Siegermächten aus Österreich abgezogen, Österreich war wieder frei. Kurz darauf erklärte es seine immerwährende Neutralität. Das gilt bis heute.

Den sowjetischen Führern traute man generell alles Schlimme zu: Was, wenn die Panzer an der Grenze nicht halt machen, sondern einen Gang einlegen und bis Wien weiterfahren, um aufständische ungarische Einheiten zu kassieren? Und dabei gleich eine neue, ihnen genehme, Regierung einsetzen?

Eigenes Erleben 

Ich war damals 12 1/2 Jahre alt und hatte mich bis dahin natürlich mit Politik nie beschäftigt. Aber auf einmal merkte ich diese enorme Anspannung in der eigenen Familie, die enormen Sorgen der Erwachsenen. Was wird, wenn? Müssen wir etwa vor einer roten Diktatur flüchten? Ich erlebte also zum ersten Mal bewusst: Es gibt außerhalb des Familienkreises eine Welt, eine Ereignisfolge, die auch für mich extrem entscheidend werden könnte. Da fing mein halbwegs ernstes politisches Interesse an zu wachsen.

Wie wir heute wissen, wurden die Grenzen Österreichs, und damit die der Blöcke in Europa, von der Roten Armee penibel respektiert. Der Sturm legte sich.

Willkommenskultur 1956

Die geflüchteten Ungarn mussten nun untergebracht und versorgt werden. Österreich war damals ein armes Land, das Wirtschaftswunder hatte es noch nicht erreicht. Vorbereitet auf Herausforderungen dieser Größe war natürlich niemand. Improvisation war das Gebot der Stunde. Es wurde von allen möglichen Organisationen (Kirchen, Rotes Kreuz, Caritas und ähnlichen) zu Spenden aufgerufen für Bekleidung, Essen, Geld etc. Eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft überrollte das Land. Waren die Ungarn doch „Fleisch vom eigenen Fleisch“, man hatte ja jahrhundertelang in einem gemeinsamen Staat zusammen gelebt und ein gemeinsames kulturelles Erbe erarbeitet. Sie hatten gegen den gemeinsamen ideologischen Feind tapfer gekämpft. Für die wurde sozusagen das vorletzte Hemd gegeben.

Meine Schwester Ilse, damals 16 Jahre alt und voll des jugendlichen Enthusiasmus, engagierte sich sehr intensiv und sammelte mit anderen unermüdlich wochenlang in Schulen, bei Bauern, bei Nachbarn, und zwar mit auch für sie verblüffendem Erfolg. Die Verteilung der gesammelten Güter in die Flüchtlingslager der Umgebung war eine neue logistische Herausforderung, die aber gemeistert worden war. 

Die meisten der Ungarn zogen aus den Lagern in den nächsten 1 – 2 Jahren weiter, in die USA oder nach Kanada oder Australien. Nur etwa 30.000 blieben dauerhaft in Österreich. 

Diese unter schwierigen Bedingungen gemeinsam erbrachte Leistung stärkte das „Wir-Gefühl“ enorm.

Wolf Dietrich Hausmann
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