Herr W.: Ich habe auch noch etwas zu erzählen, aber es wird nicht mehr danach gefragt. Ich glaube überhaupt, dass jetzt erst durchkommt, dass sich Leute dafür interessieren, wie es unserer Generation ging. Denn in den letzten 60, 65 Jahren hat sich ja nichts abgespielt.
Frau F: Da hat ja keiner darüber gesprochen.
Herr W.: Nun ja, warum? – Weil es uns gut ging.
Frau R.: Weil Sie auch einfach vergessen mussten.
Frau F.: Sie wollten auch nichts mehr davon hören.
Frau R.: Das ist manchmal auch eine Heilung.
Frau B.: Wir wollten leben – wir wollten einfach nur leben!
Frau T.: Nach so einem Krieg wollte man einfach nur leben!
Herr W.: Nicht nur doll leben. Schön leben!
Frau G.: Ja, Sie wollten auch leben, Herr W!
Herr W.: Ja. – Und ich habe es auch geschafft!
Im November 2011 war ich Mitbegründerin der Zeitzeugenbörse Mülheim an der Ruhr.
Eins meiner vielen Interessen war immer schon, das aktuelle politische Geschehen in einem größeren historischen Zusammenhang zu sehen. Was mit Einzelschicksalen in ihrer jeweiligen Zeit passiert, habe ich schon in die Wiege gelegt bekommen, denn beide Eltern waren nach dem 2. Weltkrieg Flüchtlingskinder, mein Vater sogar noch Kindersoldat. Erst nach meiner Pensionierung konnte ich mich mit den Folgen dieser schrecklichen Zeit in der deutschen Geschichte beschäftigen und damit auch mit den Ursachen.
Bei meiner Arbeit ist mir ganz wichtig, immer auf das Alter der Erzählenden zu achten und immer danach (auch der Zuhörer sich selbst in seiner Biografie) zu fragen, inwieweit das politische Bewusstsein schon vorhanden war; und das ist bei jedem Menschen verschieden. Ich möchte ein Mosaikstückchen dazu beitragen, dass junge Menschen ihr persönliches politisches Bewusstsein bilden können; deshalb ist mir die Arbeit an Schulen eine Herzensangelegenheit.
Die Zeitzeugen fühlen sich manchmal unverstanden, wenn aus dem Heute Rückschlüsse nach Gestern geschlossen werden, frei nach dem Motto Warum habt ihr nichts gemerkt?, Wie konnte das passieren?, usw. Und genau hier ist der Punkt, an dem ein Austausch mit der jüngeren Generation stattfinden kann. Indem es den Zeitzeugen gelingt, dass sich die Schülerinnen und Schüler in die damalige Zeit versuchen hineinzuversetzen, können auch Bilder für das eigene Leben, für die eigene Zukunft entstehen.