Stullen für die Fremdarbeiter

Zu Ihrer Orientierung führe ich zunächst meine elterliche 5-köpfige Familie während der Kriegszeit an. Ich war das jüngste Kind, Geburtsjahr 1934, meine nächst ältere Schwester, Jahrgang 1930, besuchte die Mittelschule, meine älteste Schwester, Jahrgang 1924 wurde nach ihrer Ausbildung im Jahre 1943 zur Kriegsmarine dienstverpflichtet und arbeitete in einem Versuchsbetrieb für Marinewaffen in der Nähe von Eckernförde als Telefonistin. Mein Vater wurde im Jahre 1941 zum Militär eingezogen und arbeitete in seinem Beruf als Metzgermeister bei einer Versorgungseinheit des Heeres in Cambrai/Frankreich.

Meine erste Begegnung mit russischen Zwangsarbeitern ergab sich etwa im Jahre 1942, als in unserem Wohnblock der Duisburger Wohnungsbaugesellschaft, der aus etwa 225 Wohnhäusern mit jeweils 8 Wohneinheiten in 4 Etagen bestand, wegen der drohenden Gefahr von Luftangriffen bauliche Schutzmaßnahmen durchgeführt wurden. In den jeweiligen Kellerbereichen stützte man die Decken mit Holzstempeln ab, die bei einem Einsturz des drüber liegenden Mauerwerks die Trümmermengen auffangen sollten. Ferner legte man Mauerdurchbrüche in den Maßen 1,50 x 1,50 m zu den Nachbarhäusern an, die mit einer leicht zu beseitigenden Halbsteinmauer provisorisch wieder verschlossen wurden. Diese Durchbrucharbeiten führten russische Zwangsarbeiter aus, ebenso wie die etwa 1 m hohen und im Abstand von 1 m vor der Hauswand straßenseitig errichteten Schutzmauern, um die Kellerfenster und Kohleneinfüllschächte zu sichern.

Dass es sich um Zwangsarbeiter – damals nannten wir sie Fremdarbeiter – handelte, wurde mir erst nach Befragen meiner Mutter bewusst und ergab sich auch aus der Tatsache, dass die Hausfrauen aufgefordert wurden, im Wechsel für die Arbeiter zur Mittagszeit ein einfaches Eintopfgericht ohne Fleischeinlage zuzubereiten und dieses am Arbeitsplatz im Keller bereitzustellen. Meine Mutter hatte sehr schnell den beklagenswerten Zustand der Arbeiter festgestellt und entgegen der Anweisung auch Fleisch unter das Gemüse verborgen, weil unsere Familie durch die berufliche Situation des väterlichen Schlachtereibetriebes leichten Zugang zu diesem lebenswichtigen und kräftigenden Nahrungsmittel hatte.

Dass es sich um Zwangsarbeiter – damals nannten wir sie Fremdarbeiter – handelte, wurde mir erst nach Befragen meiner Mutter bewusst und ergab sich auch aus der Tatsache, dass die Hausfrauen aufgefordert wurden, im Wechsel für die Arbeiter zur Mittagszeit ein einfaches Eintopfgericht ohne Fleischeinlage zuzubereiten und dieses am Arbeitsplatz im Keller bereitzustellen. Meine Mutter hatte sehr schnell den beklagenswerten Zustand der Arbeiter festgestellt und entgegen der Anweisung auch Fleisch unter das Gemüse verborgen, weil unsere Familie durch die berufliche Situation des väterlichen Schlachtereibetriebes leichten Zugang zu diesem lebenswichtigen und kräftigenden Nahrungsmittel hatte.

Dass es sich um Zwangsarbeiter – damals nannten wir sie Fremdarbeiter – handelte, wurde mir erst nach Befragen meiner Mutter bewusst und ergab sich auch aus der Tatsache, dass die Hausfrauen aufgefordert wurden, im Wechsel für die Arbeiter zur Mittagszeit ein einfaches Eintopfgericht ohne Fleischeinlage zuzubereiten und dieses am Arbeitsplatz im Keller bereitzustellen. Meine Mutter hatte sehr schnell den beklagenswerten Zustand der Arbeiter festgestellt und entgegen der Anweisung auch Fleisch unter das Gemüse verborgen, weil unsere Familie durch die berufliche Situation des väterlichen Schlachtereibetriebes leichten Zugang zu diesem lebenswichtigen und kräftigenden Nahrungsmittel hatte.

Diese Zwangsarbeiter lebten in einem Barackenlager in unmittelbarer Nähe unserer Wohnhäuser, welches man in einer etwa 8 m tiefen parkartigen Niederung, einer ehemaligen Auenlandschaft des Dickelsbachs, angelegt hatte. Ich erinnere mich an zwei oder drei parallel verlaufende Holzbarackenzüge, die an drei Seiten durch Grasböschungen vom normalen Straßenniveau begrenzt waren. Daneben befand sich noch ein etwa  5 bis 6 m im Durchmesser großes oberirdisches Wasserbecken, welches uns zugute kam, als 1944 in unserem Hause das Obergeschoss durch Brandbomben in Flammen stand und die Wasserversorgung durch Bombenschäden unterbrochen war. Diese Wohnung stellte einen Ersatz dar, denn unsere angestammte Wohnung war bereits einige Wochen zuvor bei dem schweren Dreifachangriff vom 14./15. Oktober 1944 mit dem ganzen Haus ein Raub der Flammen geworden. Da unsere Wohnung im Erdgeschoss lag und der Brand sich nach und nach vom Dachstuhl nach unten durchfraß, gelang es uns, das gesamte Mobiliar mit Hilfe von Nachbarn, Verwandten und ebenfalls der russischen Zwangsarbeiter vor den Flammen in Sicherheit zu bringen.

Eine Einfriedung des Barackenlagers durch Stacheldraht hatte ich seinerzeit nicht wahrgenommen. So ergab sich für die Zwangsarbeiter die Möglichkeit, uns bei der Räumung unserer bedrohten Wohnung und der Brandbekämpfung unserer Ausweichwohnung zu unterstützen. Ob sie hierzu abkommandiert wurden, hatte sich mir bzw. uns als Familie damals nicht erschlossen. Jedenfalls zeigten die Zwangsarbeiter sich durch ihre Hilfeleistung bei unser Mutter dafür erkenntlich, dass sie ihnen bei passender Gelegenheit heimlich Butterbrotpakete zukommen ließ, was bei dem damals herrschenden NS-Regime strengstens verboten war und bei Entdeckung streng geahndet worden wäre. 

Man musste keine große Fantasie aufwenden, um zu erkennen, dass diese Menschen mangelhaft ernährt wurden. Auch ihre Kleidung bestand hauptsächlich eher aus Lumpen, geschweige denn aus Bekleidung. Selbst für mich hatte sich ein besonderer Spezi etwas einfallen lassen: Er fabrizierte für mich ein etwa 30 x 30 cm großes Flugzeug aus Holz, welches er in Ermangelung an richtiger Farbe offenbar mit rotem Lippenstift angemalt hatte, der beim Hantieren leider stark an den Fingern haften blieb. Aber immerhin muss man dieses Geschenk als Zeichen der Sympathie werten.

Nach diesen schlimmen Erfahrungen mit den Luftangriffen bemühte sich unsere Mutter um eine Evakuierung in weniger bedrohte Reichsgebiete. So teile man uns zum 08. Januar 1945 für einen Evakuierungstransport zur Niederlausitz ein, etwa 150 km südöstlich von Berlin, also deutlich östlich des Flusses Neiße. Man brachte uns auf einem Gutshof in Marsdorf unter, welches zwischen den heute zu Polen gehörenden Städten Sorau und Sagan liegt.

Bereits am frühen Morgen des nächsten Tage machte sich starker Motorenlärm bemerkbar und in meiner jugendlichen Neugier stellte ich fest, dass die Geräusche von zwei Zugmaschinen mit offenen Anhängern stammten. Ich benutzte die nächste Gelegenheit, mit einem der Treckerfahrer in Kontakt zu treten und musste feststellen, dass es sich um einen Ausländer handelte, einen Franzosen mit Namen Lucien Lottée, also ein Zwangsarbeiter, der freimütig in gut verständlichem Deutsch Auskunft gab. Lucien fand sich bereit, mich zu einem anstehenden Transport von Sand oder Kies von einer Kiesgrube zu einer Baustelle in der nahen Umgebung mitzunehmen. Der Fahrer bot einen ordentlichen und zivilisierten Anblick, und meine Mutter sah keine Probleme, wenn ich auch in naher Zukunft derartige Ausflüge mit Lucien unternahm. Den zweiten Traktorzug diese Art fuhr der Hofbesitzer gelegentlich selbst. Bei dem dritten Zugfahrzeug handelte es sich um einen regelrechten Ackerschlepper, der von einem brummigen Fahrer bedient wurde, der mir unnahbar schien. Der Grund hierzu wurde mir bald klar, denn es handelte sich um einen polnischen Zwangsarbeiter, der mit Frau und Tochter im gleichen Gebäude wie meine Mutter, Schwester Thea und ich logierte. Es handelte sich also um eine komplette Zwangsarbeiterfamilie. Die Ehefrau und die etwa 15-jährige Tochter arbeiteten im bäuerlichen Betrieb mit. Das Mädchen interessierte sich für meine Briefmarkensammlung, die ich von Duisburg mit in die Evakuierung genommen hatte. Besondere Aufmerksamkeit widmete sie den Marken von Kanada, und sie sprach den Ländernamen mit einer besonderen Emphase aus. Ob man sich im Kreis ihrer Familie etwa gesprächsweise besonders mit Kanada befasst hatte?

Unser Aufenthalt in der Lausitz war nicht von langer Dauer, denn es war unübersehbar, dass der Flüchtlingsstrom über unsere Dorfstraße nahezu täglich anschwoll. Als dann auch unsere bäuerlichen Wirtsleute mit mehreren Pferdefuhrwerken zum Aufbruch rüsteten, war dieses auch für uns das Signal, an einen Aufbruch nach Westen zu denken. Unser Gastgeber sah keine Möglichkeit, uns mit drei Personen und Gepäck auf seinen Fahrzeugen unterzubringen. Man stellte uns vielmehr einen kleinen Leiterwagen zur Verfügung mit der Empfehlung, uns zu Fuß auf den Weg nach Westen zu machen. Doch bereits bei Beladung mit einer Transportkiste brach das schwache Gefährt zusammen. Wir ließen alles stehen und liegen, hielten einen Wehrmachtspanzer an, der zur Reparatur von der Front zurückgeführt wurde, und begannen unsere Fluchtbewegung vor der anrückenden russischen Streitmacht – ausgestattet nur mit Handgepäck – auf diesem abenteuerlichen Wege.

Mutters Ziel war Schleswig-Holstein, wo meine älteste Schwester bei der Marine dienstverpflichtet war. Mit der Eisenbahn gelang es uns, in mehreren Tagen und mehrfachem Umsteigen dorthin zu gelangen. Das zuständige Gemeindeamt brachte uns wiederum auf einen Bauernhof in dem winzigen Ort Stohl unter, der an der Ostseeküste zwischen Kiel und Eckernförde liegt. Die bejahrte Bauernfamilie, Christian und Doris Holst, unterstützt durch den verwitweten Sohn Walter, brachten uns drei, Mutter, Schwester Thea und mich in einem Zimmer des Hauptgebäudes unter. Auch auf diesem Hof gab es vier Zwangsarbeiter: Die Ukrainerin Mila und die Weißrussin Mara bewohnten ein separates Zimmer, ein Pole und ein Ukrainer hatten einen Raum am Durchgang zu den Stallungen. Es versteht sich, dass Zwangsarbeiter auf dem Hof den Dienst als Knechte bzw. Mägde versahen, und Mutter und Thea brachten ihre Arbeitskraft im bäuerlichen Betrieb hauptsächlich in Haus und Küche als Äquivalent für Kosten und Logis ein. Da die Altbäuerin mit ihren Leuten nur holsteinisch Platt sprach, mussten Mila und Mara meiner Mutter manches ins Deutsche übersetzen, soweit ihre Deutschkenntnisse hierzu ausreichten. 

Die Zwangsarbeiter waren korrekt nach den obwaltenden Umständen gekleidet, nahmen an den vorbildlich geregelten Arbeits- und Ruhezeiten teil. Nur nahmen sie ihre Mahlzeiten an einem separaten Tisch, jedoch im gleichen Raum ein, so wie es durch das seinerzeitige Regime vorgeschrieben war. Ich fand Gelegenheit, mit den Zwangsarbeitern auf den Pferdefuhrwerken auf die Felder zu fahren, um beispielsweise Futterrüben aus der Rübenmiete für das Stallvieh zu holen, und lernte auf diese Weise von ihnen, mit einem einspännigen Fuhrwerk umzugehen.

Wie auf allen Bauernhöfen üblich, bildeten beim Bauernhof Holst Misthaufen, Jauchegrube und Toilette, also Plumsklo, in der Nähe der Viehställe fast eine Einheit. die Grube musste regelmäßig gereinigt werden. Hier unterlief unserer Mutter bei dem Plumpsklo eine unangenehme Überraschung: Bei der Erledigung dringender Geschäfte ertönte aus der Tiefe der Grube unerwartet die laute Stimme des polnischen Fremdarbeiters mit den Worten: „Verbotten jetzt schaissen“. Mutter berichtete schamvoll von ihrem Missgeschick, jedoch sorgte dieses beschämende Ereignis für ein unvergessliches Erinnerungsstück an unseren Ostseeaufenthalt.

Ich hatte bereits mit meinem Bericht über Zwangsarbeiter in Duisburg auf den beklagenswert schlechten Zustand der Bekleidung dieser Leute hingewiesen. Im Gegensatz dazu war die Kleidung der Zwangsarbeiter auf den Bauernhöfen in der Niederlausitz und auch in Schleswig-Holstein durchaus als normal zu bezeichnen. Sie unterschied sich kaum von der Alltagsbekleidung der deutschen Bevölkerung.

Karl-Heinz Ruthmann erzählt über seine Erinnerungen an die Zwangsarbeiter in Nazideutschland

Gegen Ende April 1945, als sich die deutsche Niederlage für alle sichtbar abzeichnete, gab die Marineführung eines ihrer Vorratsmagazine in der Kreisstadt Gettorf zur Räumung für die Bevölkerung frei. Mutter und Thea machten sich auf den Weg dorthin und fanden ein turbulentes Tohuwabohu vor. Sie versuchten noch etwas Brauchbares zu erhaschen und kehrten mit einem Packen grauer Herrenlederhandschuhe und ebensolche aus hellbeigenem Wildleder für Damen sowie einer Anzahl weißer Seidenschals heim. Da wir eine solche Menge für den Eigenbedarf nicht verwenden konnten, versorgten wir die Zwangsarbeiterinnen und ihre männlichen Kollegen mit jeweils einer Garnitur Handschuhe nebst Seidenschal, was auch dankbar entgegen genommen wurde. Der polnische Zwangsarbeiter, der unsere Mutter auf dem Plumpsklo derart erschreckt hatte, sprach seinen Dank mit den Worten „Vielen schönen Dankeschön, Frau“ aus.

Als das Kriegsende nunmehr endgültig eintrat, verabschiedeten sich die Zwangsarbeiter von den zurückbleibenden Hofmitgliedern, ohne dass es infolge der veränderten Herrschaftssituation zu irgendwelchen unschönen Vergeltungshandlungen kam, wie man es von anderen veränderten Dienstverhältnissen später hörte, bei denen es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen gekommen sein soll. Hier zahlte sich augenscheinlich aus, dass auf dem Bauernhof Holst vernünftig und normal menschlich mit den Ausländern umgegangen wurde.

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