Wenn ich meine großen, sehr schlanken Enkel sehe, kann ich es kaum fassen, in welchen Mengen sie Fleisch und andere Leckereien essen können.
Wie war das damals eigentlich, als ich in dem Alter war?
Essensmarken- Anstehen für „ohne Marken“ / Hamsterfahrten – das waren die Themen der letzten Kriegs- und der ersten Nachkriegsjahre! Das Wort „Genuss“ konnte man ganz vergessen, man war froh, wenn man irgendwie satt wurde.
Der Höhepunkt der Woche war der Sonntagsbraten: „Falscher Hase“: Gehacktes, reichlich verlängert mit eingeweichten Brot.
Dann kam die Währungsreform 1948 .
Auf einmal sah man wieder Auslagen in den Geschäften, natürlich nicht vergleichbar mit den heutigen Angeboten. Ich erinnere mich nicht mehr, ab wann man alles wieder einfach so kaufen konnte. Ich weiß nur noch, mein größter Essenswunsch nach all den mageren Jahren war ein richtiger fetter Schweinebraten.
Und den gab es dann zum ersten Mal wieder an einem Sonntag. Ich war am Ziel meines recht bescheidenen Wunsches! Ich habe gegessen und gegessen. Natürlich gefiel das meinem total entwöhnten Magen überhaupt nicht. Mir wurde sterbensübel, und damit war das Thema „fetter Schweinebraten“ für viele Jahre tabu.
Eva Timm im April 2020
Im November 2011 war ich Mitbegründerin der Zeitzeugenbörse Mülheim an der Ruhr.
Eins meiner vielen Interessen war immer schon, das aktuelle politische Geschehen in einem größeren historischen Zusammenhang zu sehen. Was mit Einzelschicksalen in ihrer jeweiligen Zeit passiert, habe ich schon in die Wiege gelegt bekommen, denn beide Eltern waren nach dem 2. Weltkrieg Flüchtlingskinder, mein Vater sogar noch Kindersoldat. Erst nach meiner Pensionierung konnte ich mich mit den Folgen dieser schrecklichen Zeit in der deutschen Geschichte beschäftigen und damit auch mit den Ursachen.
Bei meiner Arbeit ist mir ganz wichtig, immer auf das Alter der Erzählenden zu achten und immer danach (auch der Zuhörer sich selbst in seiner Biografie) zu fragen, inwieweit das politische Bewusstsein schon vorhanden war; und das ist bei jedem Menschen verschieden. Ich möchte ein Mosaikstückchen dazu beitragen, dass junge Menschen ihr persönliches politisches Bewusstsein bilden können; deshalb ist mir die Arbeit an Schulen eine Herzensangelegenheit.
Die Zeitzeugen fühlen sich manchmal unverstanden, wenn aus dem Heute Rückschlüsse nach Gestern geschlossen werden, frei nach dem Motto Warum habt ihr nichts gemerkt?, Wie konnte das passieren?, usw. Und genau hier ist der Punkt, an dem ein Austausch mit der jüngeren Generation stattfinden kann. Indem es den Zeitzeugen gelingt, dass sich die Schülerinnen und Schüler in die damalige Zeit versuchen hineinzuversetzen, können auch Bilder für das eigene Leben, für die eigene Zukunft entstehen.