Die verrückte fünfte Jahreszeit

Der Brauch des Karnevals, des Faschings, der Fasnacht wird wohl nicht nur im Jahr 2021 der jetzigen Pandemie zum Opfer fallen. Eigentlich bezeichnete man als Fasnacht nur den Abend vor der Fastenzeit, die danach beginnt. Manchmal sind damit auch drei Tage oder eine ganze Woche vorher gemeint oder auch die Zeit zwischen dem Dreikönigsfest bis zum Aschermittwoch. Der Beginn ist seit Hunderten von Jahren immer am Beginn der Wachstumsperiode oder dem Wiedererstarken der Sonne. „Carnem levale“ bedeutet „Fleisch, lebe wohl!“ Es wurde in der von der Kirche festgelegten Fastenzeit nicht nur auf Fleisch verzichtet, sondern auch auf Milchprodukte, Fett und Ausübung der Sexualität, vierzig Tage lang. Um sich auf diese entbehrungsreiche Zeit vorzubereiten, ließen es die Menschen vorher also noch einmal so richtig krachen! 

Es haben sich uralte germanische Bräuche und Fruchtbarkeitsriten über das Mittelalter hinaus bis heute erhalten. Bereits das 12. Jahrhundert weiß aber auch über Völlerei, Maßlosigkeit, Besäufnisse, derbe Scherze und Schauspiele sowie sexuelle Ausschweifungen zu berichen. Metzger hatten in der Fastenzeit danach besonders zu leiden, weshalb sie vorher „noch einmal die Sau rausließen“. Die Katholische Kirche versuchte die „civitas diaboli“, die Gegenwelt zum Paradies, zu integrieren. Die Evangelische Kirche schaffte den Karneval jedoch kurzerhand ab. Im Mittelalter arteten die Feiern derart aus und hielten noch lange nach Aschermittwoch an, weshalb Martin Luther diese Zeit verurteilte, und zwar aus Angst, die Leute würden vollends der Zügellosigkeit verfallen und sich von Gott abwenden. Zudem gebe es durchs Fasten sicher keine himmlische Belohnung. In katholischen Gegenden wird deswegen heute noch gefeiert, in protestantischen dagegen eher nicht.

Nicht nur die Begriffe unterscheiden sich je nach Region und Land, sondern auch die Schwerpunkte, die Brauchtümer zu dieser Zeit. Zwar ist man vom Mythischen seit der Aufklärung sicher heute weit entfernt, trotzdem überfällt viele Menschen zu dieser Zeit ein unerklärlicher Trieb zu Vermummung und ekstatischen Tänzen, zu Alkohol und Ausgelassenheit, zu Vandalismus und zu einem irrationalen, ausgelassenen und bisweilen rätselhaften Spektakel. Die Erhaltung und Pflege des Brauchtums zeugt von Einfallsreichtum, Phantasie und kindlicher Spielfreude, ist Selbstdarstellung und Selbstzweck, ist lebendig, urwüchsig, ausgelassen und einzigartig, eben „mit Hetz“.

Dieses Jahr wird Karneval weltweit also digital gefeiert. Tipps hierzu kann man sich haufenweise im Netz anschauen. Der Bürgermeister von Rio, mit seinem berühmten Karneval, der Millionen von Besuchern jedes Jahr anlockt, teilte zum Karneval in seiner Stadt mit, es sei zwar dieses Jahr alles abgesagt, 2022 könne man jedoch sicher wieder feiern – vorausgesetzt alle sind bis dahin geimpft.

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